Protokoll der Sitzung vom 23.10.2008

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Wir sind damit am Ende der heutigen Fragestunde.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD und CDU – Kampf gegen illegalen und legalen Drogen-Konsum bei Kindern und Jugendlichen verstärken – Alkohol- und Tabakprävention ausbauen, Drucksache 5/1873. Hierzu liegen Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/1922 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/1935 vor.

Antrag der Fraktionen der SPD und CDU: Kampf gegen illegalen und legalen Drogen-Konsum bei Kindern und Jugendlichen verstärken – Alkohol- und Tabakprävention ausbauen – Drucksache 5/1873 –

Änderungsantrag der Fraktion der FDP – Drucksache 5/1922 –

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 5/1935 –

Das Wort zur Begründung hat der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion Herr Dr. Nieszery.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mecklenburg-Vorpommern hat sich 2007 zum zweiten Mal an der Europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen beteiligt. Die Befragungen der Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klasse zeigen einen gegenüber 2003 unverändert hohen Alkoholkonsum schon in dieser Altersklasse. Dazu kommt, dass die Einstellung der Jugendlichen zum Alkohol überwiegend positiv ist und nur eine kleine Minderheit negative Folgen des Alkoholkonsums erwartet.

Alkohol stellt in unserer Gesellschaft, leider, muss man sagen, ein allgemein anerkanntes Genussmittel dar. Jugendliche müssen daher rechtzeitig lernen, verantwortungsbewusst mit dem Alkohol umzugehen. Abschreckung hilft bei den Jugendlichen eher wenig, da die gesundheitlichen Folgen aus ihrer Sicht oft in weiter Ferne liegen.

Nach Aussagen der Drogenbeauftragten der Bundesregierung Sabine Bätzing liegt das Einstiegsalter für regelmäßigen Alkoholkonsum bei 13 Jahren. Jeder fünfte 14-Jährige trinkt bereits wöchentlich. Die Hälfte der 16- bis 17-Jährigen konsumiert mindestens einmal im Monat hochprozentige Spirituosen. Vor allem das sogenannte Komasaufen ist ein Phänomen, das alle Gruppen von Jugendlichen gleichermaßen betrifft.

(Udo Pastörs, NPD: Erwachsene auch.)

Gaben im Jahr 2005 noch 20 Prozent der Jugendlichen an, in den letzten 30 Tagen ein Koma-Sauf-Erlebnis gehabt zu haben, waren es im Jahre 2007 bereits 26 Prozent. Früher war der Rausch eher das Ergebnis einer Feier, heute ist es oft das Ziel beim Losziehen. Schnell und stark besoffen zu sein wird heute als abendliche Freizeitbeschäftigung betrachtet. Die Jugendlichen, die sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, werden immer jünger. Jetzt ist eine 11-Jährige nach einer Zechtour volltrunken kollabiert. Sie hatte mehr als 2,2 Promille im Blut und wäre fast überfahren worden. Doch sie ist nicht die Einzige, die ohnmächtig aufgegriffen wurde. Auch in Stralsund hat die Polizei einen 13-Jährigen Jungen ohnmächtig betrunken aufgefunden. So berichtet „Die Welt“ online

(Zuruf von Gino Leonhard, FDP)

im Januar 2008. Ganz zu schweigen von dem Drama eines Jungen, der sich in Berlin mit 45 Tequila zu Tode getrunken hat.

In Mecklenburg-Vorpommern konnten durch das Projekt „Hart am Limit“ messbare Erfolge in der Modellregion Rostock gegen das Komasaufen erzielt werden. Dabei wurden Maßnahmen zur Primärprävention kombiniert mit Frühintervention bei den Jugendlichen, die nach dem Rauschtrinken in Kliniken eingewiesen wurden, angewendet. Diesen Ansatz wollen wir flächendeckend verankern.

Nach dem Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung zeichnet sich beim regelmäßigen Alkoholkonsum Jugendlicher in den Jahren 2004 bis 2005 zunächst ein Rückgang ab, jedoch gab es zwischen 2005 und 2007 wieder eine steigende Tendenz. Während der Anteil regelmäßiger Alkoholkonsumenten unter den Jugendlichen von 20 Prozent im Jahr 2004 auf 18 Prozent im Jahr 2005 sank, konnte zwischen 2005 und 2007 ein Anstieg auf 22 Prozent festgestellt werden. Meine Damen und Herren, die Zahl der Minderjährigen, die wegen einer akuten Alkoholvergiftung stationär behandelt werden müssen, hat sich nach Angaben von Frau Bätzing innerhalb von fünf Jahren von 9.500 auf 19.400 mehr als verdoppelt.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Dieses würde nicht passieren, wenn Kinder und Jugendliche nicht so leicht an Alkohol kämen. Zwar ist die Gesetzeslage eindeutig, nach Paragraf 9 des Jugendschutzgesetzes dürfen Branntwein und branntweinhaltige Getränke erst ab einem Alter von 18 Jahren gekauft

werden, alle anderen alkoholischen Getränke sind ab 16 Jahren frei erhältlich, aber dies wird nicht unbedingt eingehalten. Notwendig ist, dass die bestehenden Gesetze konsequent umgesetzt werden, notfalls eben mit verschärften Kontrollen.

Meine Damen und Herren, in Mecklenburg-Vorpommern sind nach Schätzungen der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen circa 50.400 Menschen alkoholabhängig. Weitere 84.000 trinken missbräuchlich und gesundheitsriskant Alkohol. Alkoholabhängige und riskant konsumierende Eltern haben eine besonders negative Vorbildwirkung für Kinder und Jugendliche. Kinder dieser Eltern sind als Hochrisikogruppen bezüglich einer Suchtentwicklung anzusehen.

Aus diesem Grund ist es eine bedeutende Aufgabe in der Gesellschaft, für eine differenzierte, kritische Einstellung zum Alkoholkonsum zu werben. Wir müssen deshalb die Sensibilität für die gravierenden persönlichen und gesellschaftlichen Risiken fördern sowie den bewussten gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol erhöhen und dabei die Vorbildwirkung der Erwachsenen verdeutlichen.

Die europäische Schülerstudie zeigt auch, dass die Schüler in Mecklenburg-Vorpommern – gemeinsam mit denen in Berlin und Brandenburg – den höchsten Anteil an Erfahrungen mit illegalen Substanzen haben, und zwar über 30 Prozent. In Bezug auf Cannabismissbrauch ist die Präsenz in Mecklenburg-Vorpommern mit 2,2 Prozent sogar am höchsten.

Zwar ist der Trend des Cannabiskonsums rückläufig, und das über alle Schularten, aber es zeigt sich gerade in Mecklenburg-Vorpommern ein deutlich gestiegener Anteil an Jugendlichen, die Erfahrungen mit Amphetaminen und Kokain machen. Dazu kommt, dass sich die Nutzung von Tranquilizern ohne ärztliche Verschreibung seit 2003 nahezu verdoppelt hat.

Meine Damen und Herren, die genannten Aufgaben müssen durch gemeinsame Anstrengungen der öffentlichen Hand, der Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung und der Sozialhilfeträger, der Lehrer, Jugend- und Schulsozialarbeiter, Ärzte, Wissenschaftler und Eltern sowie weiterer Akteure bewältigt werden. Gerade auch die kommunale Ebene verfügt durch die Instrumente der Kontrolle zur Einhaltung des Jugendschutzgesetzes über wirksame Möglichkeiten der Einflussnahme.

Die beste Hilfe gegen illegalen und legalen Drogenkonsum ist, einen gefährdeten Menschen so weit zu unterstützen, dass er gar nicht erst süchtig wird. Dies sehe ich als zentrale Aufgabe in der Sucht- und Drogenpolitik an und dabei sollten wir alle an einem Strang ziehen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu folgendem Antrag und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Ja, die Opposition klopft ja wenigstens, ne?!)

Vielen Dank, Herr Dr. Nieszery.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Schwesig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin den Regierungsfraktionen der SPD und CDU sehr dankbar für diesen Antrag, denn er widmet sich einem für unsere Gesellschaft wichtigen Problem, dem Drogenkonsum von Kindern und Jugendlichen. Der Antrag nimmt dabei Bezug auf die besondere Verantwortung von Mecklenburg-Vorpommern auf dem Weg zum Gesundheitsland. Diesen Zusammenhang zwischen der Entwicklung zu einem führenden Gesundheitsland und der Sorge um den Gesundheitszustand der Bevölkerung möchte ich ausdrücklich unterstreichen.

Einige Daten über die aktuelle Situation sind bereits ausgeführt worden. Ich möchte ergänzend darauf hinweisen, dass in der Europäischen Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen 2007 für Mecklenburg-Vorpommern immer noch die höchsten Raucherquoten im Ländervergleich nachgewiesen wurden. Hier erwarten wir einen deutlichen Rückgang infolge des Nichtraucherschutzgesetzes, wissen aber auch, dass das Rauchverbot nur ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Tabakkonsum bei Kindern und Jugendlichen sein kann.

Der Alkoholkonsum von Schülerinnen und Schülern in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht überdurchschnittlich. Trotzdem darf angesichts eines insgesamt hohen Konsumniveaus von Alkohol die Alkoholprävention nicht vernachlässigt werden. Im Gegenteil, was mich besonders beunruhigt, ist die Tatsache, dass es in keinem Land für die Neunt- und Zehntklässler so leicht war wie in Mecklenburg-Vorpommern, an alkoholische Getränke heranzukommen.

Über dem Länderdurchschnitt liegt MecklenburgVorpommern nach den Ergebnissen der europäischen Studie auch im Konsum von Cannabis, wobei wieder die Beschaffbarkeit als besonders einfach eingeschätzt wurde.

Meine Damen und Herren, das muss uns alarmieren, hier dürfen wir nicht wegschauen. Im Fokus des Antrages stehen junge Menschen. Sie sind die wichtigste Zielgruppe, wenn es um Suchtvorbeugung geht. Ein wichtiges Kennzeichen der Kinder- und Jugendphase ist die Entwicklung einer eigenen Identität. Dass dabei von Jugendlichen Risiken eingegangen werden, ist nicht ungewöhnlich. Eine entscheidende Frage ist also: Wie können wir erfolgreich Suchtprävention umsetzen? Es ist ganz klar, dass hierbei die zentrale Aufgabe sein muss, die Risikokompetenz, ganz allgemein die Lebenskompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

Neben dem Verhalten müssen wir aber auch die Verhältnisse im Blick haben. Dabei ist mir ein besonderes Anliegen, abgestimmte Strategien zu entwickeln. Kommunen sind in der Suchtprävention unsere wichtigsten Partner. Die Kommunen sind zuständig für die Einhaltung des Jugendschutzes. Ganz offensichtlich müssen Kontrollen zur Einhaltung des Jugendschutzes verstärkt werden. Zudem müssen wir gemeinsam versuchen, auch Partner aus der Gastronomie und aus dem Einzelhandel für die noch bessere Einhaltung von Jugendschutzbestimmungen und Suchtpräventionsmaßnahmen zu gewinnen. Konsequentes Vorgehen ist hier erforderlich. Das Verbot von Flatratepartys sei nur ein Beispiel. Dass unter dem Motto „Saufen, bis der Arzt kommt“ Leute ihre Geschäfte machen, ist nicht lustig, sondern sitten

widrig. Auf Kosten der Jugendlichen dürfen nicht solche Geschäfte gemacht werden.

Mit der Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung gibt es eine sehr engagierte und erfahrene Institution, die sich um die Suchtprävention in MecklenburgVorpommern kümmert. Die Landeskoordinierungsstelle wird künftig noch stärker mit den regionalen Stellen zur Suchtprävention zusammenarbeiten. Zugleich werden wir unsere Bemühungen durch die aktuellen Empfehlungen des Nationalen Drogen- und Suchtrates zu Alkohol- und Tabakprävention flankieren.

Die Empfehlungen stellen ganz klar heraus, dass besonders der Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessert werden muss. Dazu gehören unter anderem eine starke Werbekontrolle und Werbeverbote. Für weitere Werbebeschränkungen für Alkohol hat sich auch die 81. Gesundheitsministerkonferenz im Sommer dieses Jahres ausgesprochen. Wir sind also mit unseren Bemühungen im Kampf gegen legalen und illegalen Drogenkonsum in eine nationale Strategie eingebunden.

Schließlich gibt es in Mecklenburg-Vorpommern sehr positive Erfahrungen mit dem HaLt-Projekt, das sich in den letzten Jahren mit den Problemen des Rauschtrinkens beschäftigt hat. HaLt steht für „Hart am Limit“. Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion hat bereits auf den Erfolg dieses Projektes hingewiesen.

Dieses Projekt zielt darauf ab, einerseits Jugendliche über die Folgen von Alkoholkonsum zu informieren und auf der anderen Seite all jene, die bereits durch exzessiven Alkoholkonsum in Kliniken eingewiesen wurden, umfassend, direkt am Krankenbett zu beraten und Hilfen anzubieten. Das HaLt-Projekt hat in MecklenburgVorpommern wissenschaftlich nachweisbar gut funktioniert. Während landesweit die Rate der Alkoholvergiftungen bei Kindern und Jugendlichen gestiegen ist, ist sie im Rostocker Projektgebiet um 13 Prozent gesunken. Darüber hinaus zeigten die Jugendlichen, bei denen die Frühintervention durchgeführt wurde, noch ein Jahr danach geringere Belastungen durch Drogen und psychische Probleme als Jugendliche, bei denen eine solche Intervention nicht stattgefunden hat. Wir bemühen uns, dass dieses Konzept in die Regelversorgung Eingang findet. Dazu wurden bereits verschiedene regionale Konzepte entwickelt. Ich hoffe, dass der heutige Antrag den Prozess beschleunigen wird, um diese Erfolg versprechende Maßnahme dauerhaft im Gesundheitssystem zu verankern.

Aber nicht nur das Gesundheitssystem ist gefragt. Bei der Ausrichtung der Suchtprävention ist es mir sehr wichtig zu betonen: Drogenkonsum ist nicht nur ein gesundheitspolitisches Problem. Wir müssen die Suchtprävention als Querschnittsaufgabe betrachten. Deshalb bin ich froh, dass wir bereits eine abgestimmte Strategie der Landesregierung für eine zeitgemäße und wirkungsvolle Präventionspolitik haben, die im Landesaktionsplan für Gesundheitsförderung niedergelegt ist. Eine klare Orientierung an den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, eine genaue Zielgruppenorientierung und vor allem ressortübergreifendes Handeln gehören zu den Grundprinzipien des Landesaktionsplanes. Auf dieser Basis werden wir den Landtagsantrag mit Leben erfüllen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Linke für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Uns liegt ein Antrag vor, der Fragen aufwirft.

Ich frage mich: Wo leben die Antragsteller? Man gewinnt tatsächlich den Eindruck, die Koalitionäre haben dieses bedeutsame Problem geradezu neu für sich entdeckt.

(Egbert Liskow, CDU: Frau Linke! – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Es ist lobenswert, Herr Glawe, es ist sehr lobenswert, dass die Antragsteller das Projekt „Hart am Limit“ erwähnen. Es verdient Erwähnung und es verdient auch Auswertung. Aber ich bitte Sie, verehrte Kollegen der Koalition, was ist mit all den anderen Projekten und Konzepten, die sich in den letzten Jahren im Land gut entwickelt haben, die einer dringenden Fortführung bedürfen?

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Nun ja, man muss natürlich die Realitäten akzeptieren.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)