Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Anfang meiner Rede möchte ich auch namens meiner Fraktion herzlich Dank sagen. Ich danke der Vorsitzenden des Ausschusses für die zielorientierte, manchmal nicht ganz einfach zu bewältigende, aber souveräne Leitung der Arbeit des Ausschusses und ihren beiden Verbündeten, insbesondere Frau Sorge und Frau Oberbeck, die im Ausschusssekretariat den Wust von Änderungen und Gesetzgebungsformulierungen unterschiedlichster Art und Weise, die verschiedenen Drucksachen, Anhörungsmitschriften, Stellungnahmen und normalen Briefen an den Ausschuss bewältigt haben. Dafür auch von meiner Fraktion ein herzliches Dankeschön.
Im Gesetzentwurf der Landesregierung auf der Drucksache 5/1770 werden unter Ziffer 1 „Sachverhalt/Problem“ die grundsätzlichen Ziele, die das neue Gesetz erfüllen soll, beschrieben. Ich möchte sie an dieser Stelle hervorheben, weil sich der Gesetzentwurf der Landesregierung und die im Bildungsausschuss vorgenommenen Änderungen an diesen Zielen messen lassen müssen. Ich zitiere aus der Drucksache 5/1770:
„Mit der Einführung der Selbstständigen Schule werden vor allem folgende bildungspolitische Ziele verfolgt:
Erhöhung der Qualität des Unterrichts an unseren Schulen durch effiziente und individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler,
So weit zum Anspruch der Landesregierung und sicherlich auch der Koalitionsfraktionen, dem wir uns als Fraktion im Interesse der Mädchen und Jungen in diesem Land, der in diesem Bereich tätigen Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher ebenso verpflichtet fühlen.
Aber nun zum realen Ergebnis, dessen Wertung aus Sicht einer Oppositionsfraktion mit Sicherheit eine etwas kritischere ist als die einer Koalition. Zunächst zur Einführung einer Selbstständigen Schule als dem zentralen und übergreifenden Ziel des Gesetzentwurfs, was auch wir als Fraktion DIE LINKE als sinnvolles und bildungspolitisch erfolgreiches Projekt betrachten.
Beginnen möchte ich mit einer Formalie, die vielleicht symptomatisch ist. Im ursprünglichen Gesetzentwurf gab es keinen einzigen Paragrafen, der sich explizit mit der Selbstständigen Schule befasst hätte, wo definiert gewesen wäre, was eine Selbstständige Schule im Verständnis des Gesetzgebers eigentlich ist, an welchen Kriterien sie zu messen wäre und unter welchen zentralen Rahmenbedingungen sie dann ausgestaltet sein sollte. Nun, auch durch Hinweise meiner Fraktion haben sich die Koalitionsfraktionen mit einem Änderungsantrag dann in letzter Minute entschlossen, wenigstens den Titel des Paragrafen 39a „Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung an der Schule“ in „Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung an der Selbstständigen Schule“ abzuändern. Da der Inhalt des Paragrafen 39a dann allerdings nicht weiter verändert wurde, ist diese Initiative rein kosmetischer Natur.
Sieht man sich die Gesamtheit der Änderungen des Gesetzentwurfes an, so fällt auf, dass die überwiegende Anzahl der neuen Regelungen mit mehr Selbstständigkeit von Schule kaum etwas zu tun hat. Einerseits wird der Gesetzentwurf an die Entwicklungen angepasst, die sich in den Jahren seit der letzten Gesetzesnovellierung vollzogen haben. Das ist normales gesetzgeberisches Agieren. Das ist in Ordnung. Andererseits erhalten schon vorhandene untergesetzliche Regelungen nunmehr Gesetzesrang, manche davon auch nur, weil der Eifer des Bildungsministeriums gesetzlich geheilt werden muss. Ich nenne hier nur exemplarisch:
die Abschaffung der Prüfung zum Übergang in die gymnasiale Oberstufe an Gesamtschulen und Gymnasien,
die Umgestaltung des „Landesinstituts für Schule und Ausbildung“ in ein „Institut für Qualitätsentwicklung“,
So manche Änderung wäre gar nicht erforderlich, um mehr Selbstständigkeit von Schule umzusetzen. Manche Regelungen des Gesetzentwurfes und seine Veränderung im Ausschuss erscheinen umfänglich, aber nur, weil Sie in einem bereits bestehenden Paragrafen einzelne Worte oder Wortgruppen ändern.
Der kleinere Teil der neuen Bestimmungen dieses Gesetzentwurfes bezieht sich in der Tat auf mehr Selbstständigkeit für Schulen. Dazu könnte man insbesondere die Regelungen zu den Schulprogrammen, zur Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung zählen, obwohl es, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch im Moment im noch gültigen Gesetzentwurf zu der Frage Schulprogramme, zur Frage Qualitätsentwicklung und -sicherung, zu internen und externen Evaluationen nicht nur im Paragrafen 39, aber auch da, eine ganze Reihe
von Regelungen gibt. Natürlich muss man dazuzählen, auch das habe ich in der Ersten Lesung des Gesetzentwurfes positiv bewertet, die Ausweisung der Elternverantwortung und -pflichten, die verstärkte Zusammenarbeit der Schule mit den Kitas, Horten und den Trägern der Jugendhilfe im Interesse der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder, die Abschaffung der administrativen Festlegung für Klassengrößen und Zügigkeiten durch die Einführung der schülerbezogenen Stundenzuweisung, allerdings aber nicht generell, sondern eingeschränkt. Ich komme an anderer Stelle darauf noch einmal zurück.
Und dann gibt es Regelungen, die in ihrer Folge zutiefst bildungspolitisch zu hinterfragen und aus unserer Sicht eben auch abzulehnen sind. Beispiel: Paragraf 8 Absatz 1 des noch geltenden Gesetzes, ich darf zitieren: „Rahmenpläne sind unter Berücksichtigung der Ziele der Bildungsgänge zu erlassen. Sie haben die Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen und das Zusammenwirken der Schularten zu gewährleisten.“ Ende des Zitats. Im neuen Paragrafen 8 Absatz 1 heißt es jetzt: „Rahmenpläne berücksichtigen die Ziele der Bildungsgänge“ der Grundschule, der Förderschule „sowie der schulartunabhängigen Orientierungsstufe und gewährleisten eine möglichst große Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen.“
Meine Damen und Herren, in der Landesverfassung Artikel 15 „Schulwesen“ heißt es im Absatz 3, ich darf zitieren: „Die Durchlässigkeit der Bildungsgänge wird gewährleistet.“ Da steht nicht, für die möglichst große Durchlässigkeit der Bildungsgänge, nein, „die Durchlässigkeit“. Und aus unserer Sicht ist diese Einführung der Wortgruppe „möglichst große Durchlässigkeit“ eine Abkehr von dem Prinzip der Durchlässigkeit der Bildungsgänge.
Die neuen Festlegungen sind, so kann man an weiteren Regelungen des Gesetzentwurfes festmachen, zunächst erst einmal eine bildungspolitische, pädagogische Deklaration von Absichten und Vorhaben. Das ist Aufgabe eines Gesetzes, das ist in Ordnung. Ob und wie sie wirklich zur Erhöhung von Qualität, von Effektivität und Ergebnissen des Bildungs- und Erziehungsprozesses, ja zur Motivation von Lehrerinnen und Lehrern, von Schülerinnen und Schülern für die Gestaltung eines Wissenserwerbs im Miteinander beitragen, wird sich in der Praxis zeigen müssen. Und die Beurteilung der Auswirkungen ist auch deshalb etwas schwierig, weil zum Beispiel die Pflicht, bei einem Gesetzentwurf eine Folgenabschätzung von Regelungen vorzunehmen, aus unserer Sicht weder im ursprünglichen Gesetzentwurf noch in den Ausschussberatungen in ausreichender Art und Weise dargestellt werden konnte. Dies belegt sowohl die nachträgliche Verschiebung beim Inkrafttreten wesentlicher Regelungen und noch viel deutlicher die Entschließung, die die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben.
Die Übertragung von mehr Verantwortung an die Schulen, insbesondere durch die Formulierung und Zuordnung von neuen Aufgaben allein, wird diese Zielstellungen nicht erfüllen. Notwendig sind aus unserer Sicht folgende Grundbedingungen zur Umsetzung des, und davon gehe ich aus, heute von der Mehrheit dieses Hauses zu beschließenden Gesetzes:
1. Die Aufgaben müssen innerhalb des Arbeitszeitvolumens unter Berücksichtigung des Lehrerpersonalkonzepts erfüllbar sein. Überstunden und Mehrarbeit billigend in Kauf zu nehmen, führt zu Arbeitsüberlastung und zur Demotivation der in diesem Bereich Tätigen.
2. Die schülerbezogenen Stundenzuweisungen müssen sowohl den unterrichtlichen wie den außerunterrichtlichen Anforderungen an den Bildungs- und Erziehungsprozess folgen. Sie müssen gleichzeitig den Ansprüchen an die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler entsprechen. Das heißt, dass die für diesen Bereich bereitgestellten Personal- und Sachkosten ausreichend sein müssen und eine wesentliche Grundlage bilden. Das ist mit Blick auf die explizit genannte Haushaltsneutralität und den Haushaltsvorbehalt, jedenfalls nicht nur nach Auffassung meiner Fraktion, sondern auch in vielen Stellungnahmen der Anzuhörenden, nicht der Fall.
Es wird in der Gesamtsumme eben nicht mehr Unterrichtsstunden geben, sondern es werden lediglich die verfügbaren Mittel nach einem anderen Modus verteilt. Die EU-Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds, die für die Umsetzung der Selbstständigen Schule eingesetzt werden – für die wir ja auch sind, also wir sind ja gar nicht dagegen, dass diese 56 Komma x Millionen in den Bildungsbereich fließen –, sind aber bis 2013 ausgereicht. Und dann steht die Frage: Was kommt danach? Klar ist schon heute, dass an den Schulen die regelungskonforme Abrechnung dieser Stunden von Schulleitungen mit einem ernormen Verwaltungsaufwand verbunden ist, der bürokratischer, wenn es denn sozusagen regelungskonform stattfinden soll, nicht sein kann. Verwaltung geht, so die Aussage von mehreren Vertretern von Schulen, zulasten von pädagogischem Alltag.
3. Die erste Stufe der Fort- und Weiterbildung hätte aus unserer Sicht für alle Lehrkräfte, die ja in sehr unterschiedlicher Weise an der Umsetzung der geplanten Maßnahmen beteiligt sind, eigentlich schon vor dem Schuljahresbeginn 2009/10 abgeschlossen sein müssen. Das ist sicherlich schwierig zu handeln, aber Zielvorgabe hätte es durchaus sein können und müssen.
Und wenn hier heute vor dem Schloss Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam mit Polizisten und Feuerwehrleuten für Tarifauseinandersetzungen gestritten und gleichzeitig über 1.000 Mädchen und Jungen einer entsprechenden Elterninitiative gesagt haben, seht her, wir sind die Generation, um die es mit dem Schulgesetz geht, dann standen diese, selbst, wenn sie in der großen Mehrzahl von Schulen in freier Trägerschaft stammen, für die 130.000 Schülerinnen und Schüler in diesem Land, um die es geht mit diesem Gesetz. Und bei aller unterschiedlichen Sichtweise, auch in Bezug auf die Schulen in freier Trägerschaft, eine Reduzierung der Geldmittel ist dem System der schülerbezogenen Stundenzuweisung systemimmanent. Es ist das Ergebnis der Umstellung der Zuweisung nach Klassen auf Einzelschüler, also der schülerbezogenen Stundenzuweisung.
Die Folgen des neuen Berechnungssystems, das will ich auch noch mal deutlich sagen, betreffen die staatlichen Schulen deshalb genauso. Die Einsparungen für das Land sind also ungleich höher als die von den Schulen in freier Trägerschaft prognostizierten dreieinhalb,
weil nämlich ohne die entsprechende Umstellung der öffentlich verantworteten Schulen auf die schülerbezogenen Stundenzuweisungen Mehrbedarfe entstanden sind oder wären, die hätten gedeckt werden müssen. Und das Leben wird zeigen ab dem 1. August diesen Jahres, wie eine ganze Reihe von Schulen mit weniger Stunden – und es gab ja diese große Liste der Berechnung der Grundversorgung oder der Grundbedarfe, die ermittelt wurden – klar kommt.
Ich habe mir drei Beispiele herausgegriffen aus der großen Liste, wohl wissend, dass man mir jetzt vorwerfen kann, es gibt aber auch genügend Schulen, die mehr bekommen. Das ist das Ergebnis dieses Umstellens. Aber um die, die mehr kriegen, geht es im ersten Moment nicht, sondern: Wie kommen die, die weniger kriegen, klar? Und da ist zum Beispiel die Regionale Schule im Usedomer Weg in Greifswald, an der im Moment 273 Schülerinnen und Schüler lernen, die auf einmal 67 Stunden weniger bekommt in der Stundenzuweisung im Grundbedarf als jetzt, oder die Grundschule in Karlshagen mit 128 Schülern und auf einmal 25 Stunden weniger als jetzt, das ist eine ganze Stelle, oder in Eggesin bei 148 Schülern mit 38 Stunden weniger. Und dies ließe sich fortsetzen. Also die Frage ist nicht zuerst, obwohl das ja nicht zu trennen ist, denn ich weiß wohl, dass es auch Schulen gibt, die mehr bekommen: Wie gestalten wir Schulalltag an diesen Schulen, die erheblich weniger bekommen? Und das ist bei einigen ein Achtel bis ein Zehntel des Gesamtvolumens von Unterrichtsstunden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bildungsministerium und die Koalitionsfraktionen haben den Schulen versprochen, dass mit der neuen Selbstständigkeit und Eigenverantwortung mehr Spielräume für die Gestaltung der Prozesse vor Ort verbunden sind. Mehr Spielräume heißt doch wohl zuerst, dass man die Schulen von Bürokratie entlastet und dereguliert. Bei diesem Gesetz wäre die Möglichkeit gewesen, den Ankündigungen des Ministers zu Beginn der Legislaturperiode Taten folgen zu lassen. Sie erinnern sich? Die Schulen sollten Vorschläge zur Abschaffung von Verordnungen und Erlassen machen. Es gibt ein extra eingerichtetes Internetforum für solche Vorschläge. Im Februar 2008 war damals zu erfahren, da waren es über 70. Was ist daraus geworden? Blickt man in diesen Gesetzentwurf, schlicht das Gegenteil.
Im vorliegenden Gesetzentwurf sind mehr gesetzliche Regelungen enthalten als im Ursprungsgesetz. Einige Paragrafen, wenn Sie sich die Beschlussempfehlung ansehen, mutieren zu bürokratischen Monstern, die nur noch Experten verstehen. Die Verordnungsermächtigungen wurden nicht reduziert. Im Gegenteil, bisher waren 23 generelle Ermächtigungen im Gesetzestext vorhanden, jetzt sind es 27. Zählt man die Einzelpunkte zusammen, wird es noch schlimmer. Dort waren es bisher 78, jetzt sind es 93, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang und mit welchen zusätzlichen Regulierungsmaßnahmen diese Verordnungen dann ausgestaltet werden. Sie können sicher sein, dass wir das als Fraktion gerne im Bildungsausschuss auf die Tagesordnung setzen, wenn denn die Verordnungsermächtigungen auf der Grundlage des heute zu beschließenden Gesetzes erlassen werden. Also muss man daraus wohl schlussfolgern, dass das Vertrauen in die Arbeit der Kollegien an den Schulen doch nicht so besonders groß ist. Die Tore werden vor dem Hintergrund dieser realen Zahlen nicht wei
ter geöffnet, sie werden weiter zugenagelt. Deregulierung, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht nun wahrlich anders aus.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, nun zu weiteren Einzelzielen des Gesetzes. Zuerst möchte ich vier davon zusammenfassend behandeln, weil sie sich gegenseitig bedingen: Diese sind: