Protokoll der Sitzung vom 06.03.2009

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind in folgender Lebenssituation: Sie sind gesetzlich krankenversichert bei der AOK. Sie haben durch Stress eine Muskelschwäche erlitten, haben eine OP an der Prostata durchmachen müssen und haben deshalb jetzt Blasenschwäche. Eigentlich ist das alles zwar nicht wünschenswert, aber es zu bewältigen, ist über längere Zeit machbar und ist eigentlich kein Problem, denkt man, denn man geht ins Sanitätshaus oder in die Apotheke, holt die dementsprechenden Hilfsmittel, sprich Inkontinenzmittel, und die Sache ist gelaufen.

Diese Art und Weise der Versorgung gab es mal. Jetzt ist die Angelegenheit anders. Mit dem Wettbewerbs

stärkungsgesetz zum 01.07. des Jahres 2007 ist man eben nicht mehr individuell berechtigt, in die dementsprechenden Sanitätshäuser oder Apotheken zu gehen und sich sein Hilfsmittel zu kaufen, nein, man wird direkt versorgt. Das könnte uns erst mal mitteilen und sagen: Ist ja gut. Es ist eine ortsnahe Versorgung, also prima. Aber so ist es eben nicht. Die Krankenkassen sind seit diesem Gesetz in der Lage, die Versorgung mit Hilfsmitteln auszuschreiben. Wenn die Ausschreibung erfolgt ist und alles beguckt worden ist, machen die Krankenkassen die Verträge, womit man sich zu versorgen hat, nicht der Patient individuell, sondern die Krankenkassen. Wir haben also keine Möglichkeit als Patientinnen und Patienten, die Individualität bei der Versorgung in Anspruch zu nehmen.

Unser Eingangsbeispiel jetzt weiter: Sie haben also, weil der Vertrag so ist, mit dem Versorger beraten und besprochen, dass er bitte kommen und Sie versorgen möchte. Das passiert nun aber nicht nach zeitlicher Absprache durch Direktvertrieb durch ein Sanitätshaus, nein, es kommt die Post oder ein Postvertrieb, der beauftragt wurde, und der kommt zu Ihnen, so, wie er Ihre Adresse in seinem Ablaufplan hat. Eine zeitliche Verabredung ist nicht möglich. Also werden Sie zuhause bleiben und warten, bis Ihr Paket mit den Inkontinenzmaterialien ankommt, oder – weil Sie das nicht können – die Post oder die Vertriebsstelle wird die Inkontinenzmittel beim Nachbarn irgendwo im Haus abgeben. Damit ist überhaupt nicht mehr gewährleistet, dass mit Ihrer Erkrankung diskret umgegangen wird, denn derjenige, der so ein Paket annimmt, weiß sofort, worum es sich handelt. Es gibt nicht mal eine diskrete Verpackung der ziemlich großen Pakete, mit denen Ihre Inkontinenzmittel angeliefert werden. Und ich weiß nicht, ob es jedem recht sein würde oder überhaupt recht ist, denjenigen, die es jetzt betrifft, wenn ihre krankheitsspezifischen Hilfsmittel so angeliefert werden, dass jeder und jede in der Umgebung, der es mitkriegt, weiß, was sie haben, zumal es sich bei Inkontinenz um eine Krankheit handelt, die man nicht sofort sieht, also nicht wie eine Standarte vor sich hertragen muss.

Das nächste Problem ist, dass diese Hilfsmittel, sprich in diesem Moment die Inkontinenzmittel, nicht in irgendwelchen kleinen Mengen geliefert werden, sondern wegen der Rentabilität unter Umständen für ein halbes Jahr. Und für ein halbes Jahr Inkontinenzmittel, sprich Windeln, das sind Riesenpakete. Die bringen Sie in Ihrer Wohnung erst einmal unter!

Schlimmer noch ist es, wenn es sich um Pflegeheime handelt. Etliche Genossinnen und Genossen aus meiner Fraktion sind extra in die Pflegeheime gegangen. Die kriegen Wagenladungen von Inkontinenzmitteln angeliefert und wissen nicht, wohin damit, denn Lagerhaltung ist eigentlich in den Pflegeheimen nicht eingeplant. Das hat auch irgendetwas damit zu tun, wie die geldlichen Mittel verwendet werden. Und die dürfen nun mal nicht für Lagerhaltung verwendet werden beziehungsweise sind dafür nicht angebracht.

Ein nächstes Problem: Jede Individualität der Hilfsmittel ist nicht mehr da. Wir haben Petitionen im Landtag – diejenigen, die im Petitionsausschuss sind, wissen es, Frau Borchardt wird darauf noch mal eingehen, zum Beispiel die Petition mit der Drucksache 5/2163 –, wo nachgewiesenermaßen die Hilfsmittelversorgung durch diese Art und Weise der Gleichmachung verschlechtert ist, verschlechtert ist, weil ganz einfach die Windeln auf gut Deutsch gesagt nicht mehr passen.

Außerdem ist es nicht so, wie uns immer gesagt wurde, dass diese Hilfsmittel nach wie vor als Vorrang die Qualitätssicherung haben. Wer am 16.02. „Plusminus“ verfolgt hat und die Recherchen dazu, weiß, das sind 75 Prozent aller Fälle, wo die Finanzen eine Rolle spielen, dass Sparen eine Rolle spielt und die dementsprechenden Hilfsmittel gekauft werden müssen, die laut Vertrag in den Vertrieb einbezogen sind, und das sind eben nicht die qualitätssichersten, sondern die billigsten. 75 Prozent!

Und wer das jetzt hier alles unter den Tisch kehren möchte und denkt, ich spinne oder wir spinnen, den bitte ich, wirklich einmal in ein Pflegeheim zu gehen und sich eine Windel in die Hand drücken zu lassen, von denen, die mal genommen werden durften, und eine davon zu nehmen, die jetzt genommen werden müssen. Und ganz nebenbei gesagt: Ich wünsche jedem Mann, der in diese Vertragsgestaltungen involviert war, dass er mal inkontinent wird.

(Angelika Peters, SPD: Nein! – Jörg Vierkant, CDU: Das ist aber böse.)

Dem kann ich nämlich voraussagen, er wird nur einmal wund und nie wieder heil.

(Jörg Vierkant, CDU: Das ist aber böse. – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Man muss es manchmal so sagen, damit zugehört und begriffen wird.

Im Sommer des Jahres 2008 stellte die Bundesinnung der Orthopädieversorger fest, dass die Krankenkasse Mecklenburg-Vorpommern, die AOK MecklenburgVorpommern, einen ungeheuer massiven Druck auf die Hilfsmittelversorger der Orthopädie ausübt und sie zwingt, Hilfsmittel herzustellen, die immer billiger und billiger und billiger sein sollen. Der Orthopädie-Innungsverband stellte fest, dass er damit nicht mehr in der Lage ist, qualitativ hochwertige, gute Hilfsmittel herzustellen. Das sollte uns ebenfalls stutzig machen bei der ganzen Angelegenheit. Es sind also einmal die Versorger, die nicht zufrieden sind, und einmal die Patienten. Auch die Ärzte haben uns in den Vorbereitungen, die wir zu diesem Antrag gemacht haben, darauf hingewiesen, dass sie sehr unzufrieden damit sind, dass sie zwar Rezepte ausschreiben dürfen, aber mit den Rezepten und dem Ausschreiben nicht sicher sein können, dass ihre Patienten so versorgt werden, wie es eigentlich notwendig wäre. Es wird nach dem Preis geguckt und nicht nach der Qualität, 75 Prozent, wie gesagt.

Mehrere Presseerklärungen und Pressemitteilungen in den letzten Monaten haben uns auf das Problem ebenfalls aufmerksam gemacht. In diesen Fällen handelte es sich immer um Verträge, die mit der AOK MecklenburgVorpommern gemacht wurden beziehungsweise mit der Barmer, und es handelte sich in der Regel um Verträge, die mit der Hauschild Hygiene GmbH hier aus Mecklenburg-Vorpommern gemacht wurden. Die Reaktion der Krankenkassen war, …

Frau Müller, Sie haben noch eine Minute.

… dass das alles Übergangsprobleme wären und dass das nur in Einzelfällen vorkommen würde, und deswegen würde sich das schon alles regeln.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Heime, Pflegeheime, Einzelpersonen, die nur mit einer einzigen Hilfsmittelfirma hier in Mecklenburg-Vorpommern verhandeln dürfen, wann sie welche Hilfsmittel bekommen, sind keine Einzelfälle, und das sind auch keine Dinge, die sich von allein regeln werden.

Ich bitte Sie deshalb darum, mit uns diesen Antrag heute anzunehmen und damit die Landesregierung, das Sozialministerium, zu beauftragen, ihrer Kontroll- und Aufsichtspflicht gegenüber der AOK hier in Mecklenburg-Vorpommern gerecht zu werden, in Gespräche einzutreten, damit diese Dinge abgesetzt werden, beziehungsweise auf Bundesebene dann mit den bundesweit agierenden Krankenkassen ins Gespräch zu kommen, damit wieder Qualität und Individualität für die Patienten im Vordergrund stehen und nicht nur der Preis. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke schön, Frau Abgeordnete.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erste hat ums Wort gebeten die Ministerin für Gesundheit und Soziales, nein, für Soziales und Gesundheit, so herum, Frau Schwesig. Bitte schön, Frau Ministerin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Thema, dem wir uns jetzt widmen, klingt sehr technisch und bürokratisch. In dem Antrag ist die Rede von „nicht individuell gefertigten medizinischen Hilfsmittel(n)“ und „von landesunmittelbaren gesetzlichen Krankenkassen“. Ich will kurz erklären, um was es geht: Alte und kranke Menschen sollen medizinische Hilfsmittel bekommen, die ihnen wirksam helfen. Noch deutlicher: Wir reden hier vor allem über Windeln für erwachsene Menschen. Der Fachbegriff lautet Inkontinenzartikel. Und falls irgendjemand in diesem Saal das Thema anrüchig finden sollte, kann ich nur entgegnen: Eigentlich geht es hier nicht um Kot oder Urin, sondern es geht um nichts weniger als die Würde des Menschen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen DIE LINKE und FDP – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Richtig.)

Die Linksparteifraktion fordert die Landesregierung auf,

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

ihrer Aufsichtspflicht über die landesunmittelbaren gesetzlichen Krankenkassen nachzukommen. Sie soll darauf hinwirken, dass medizinische Hilfsmittel in der erforderlichen Qualität geliefert werden.

Zum Hintergrund: Seit dem 1. April 2007 dürfen Hilfsmittel nur auf der Grundlage von Verträgen abgegeben werden, die die Krankenkassen mit den Herstellern abschließen. Näheres regelt ein spezielles Verzeichnis von Hilfsmitteln. Diese Regelung zielt darauf ab, Kosten zu senken. Allerdings verpflichtet das Gesetz die Krankenkassen auch, Hilfsmittel in guter Qualität und wohnortnah bereitzustellen. Außerdem sollen sie die Versicherten beraten.

Die Allgemeine Ortskrankenkasse Mecklenburg-Vorpommern – kurz AOK M-V – ist die einzige landesunmittelbare gesetzliche Krankenkasse. Das bedeutet, nur sie untersteht der Rechtsaufsicht des Landes. Was Inkontinenzartikel betrifft, hat die AOK am 1. Dezember 2007 Verträge mit insgesamt acht Anbietern geschlossen. Die Kasse hat der Aufsicht versichert, dass bei der Auswahl der Vertragspartner der Preis nicht das erste und nicht das einzige Kriterium ist, sondern auch die Qualität im Mittelpunkt steht.

Das Gesundheitsministerium kümmert sich seit geraumer Zeit um das Thema, wie es sich im Antrag der Fraktion DIE LINKE widerspiegelt. Weil drei AOK-Kunden über Probleme mit Inkontinenzartikeln klagten, haben sie sich im vergangenen Jahr an den Petitionsausschuss des Landtags gewandt. Gesundheitsministerium und Krankenkasse haben die Angelegenheit inzwischen zur Zufriedenheit der Versicherten geregelt.

Die Aufsicht wurde auch in zwei weiteren Fällen tätig, zum einen wegen eines Artikels in der „Schweriner Volkszeitung“ – hier wurde schließlich das beanstandete Produkt gewechselt – und zum anderen aufgrund eines Berichts in der ZDF-Sendung „frontal 21“. In diesem Fall stellte sich heraus, dass der Betroffene das Hilfsmittel gar nicht von dem AOK-Vertragspartner bekommen, sondern über einen Pflegedienst aus einer Apotheke bezogen hat.

Sofort nachdem die Beschwerden bekannt geworden waren, habe ich persönlich mit Herrn Bluschke, dem Vorstand der AOK Mecklenburg-Vorpommern, darüber gesprochen. Die AOK hat zugesichert, Probleme bei der Versorgung mit Inkontinenzartikeln mit den Versicherten zu klären. Sie fragt zudem regelmäßig bei ihren Kunden nach, ob sie mit den gelieferten Produkten zufrieden sind.

Sie sehen also, sehr geehrte Abgeordnete der Linkspartei, die Landesregierung war und ist längst aktiv. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Komisch.)

Danke schön, Frau Ministerin.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Reinhardt. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die LINKE suggeriert mit ihrem Antrag, dass es bei der AOK in Mecklenburg-Vorpommern ein Qualitätsproblem gibt. Die Landesregierung soll aufgefordert werden, darauf hinzuwirken, dass die AOK die Qualität bei den nicht individuell gefertigten medizinischen Hilfsmitteln einhält sowie sich auf Bundesebene dafür einsetzt, dass die bundesunmittelbaren Krankenkassen die Qualität dieser nicht individuell gefertigten Hilfsmittel garantiert.

Wir haben das eben von der Ministerin sehr ausführlich gehört und können aus diesem Grund diesem indirekten Vorwurf nur widersprechen. Wir haben gehört, dass das Gesundheitsministerium sehr intensiv seiner Aufsichtspflicht nachkommt und die Ministerin sogar selbst und persönlich mit der AOK,

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Da haben wir nur Phantome gesehen.)

mit Herrn Bluschke, telefoniert hat.

(Irene Müller, DIE LINKE: Dann möchte ich nur wissen, warum die immer noch diese dämlichen Windeln haben.)

Und aus diesem Grund, da das Gesundheitsministerium seiner Aufsichtspflicht nachkommt, kann auch im Ergebnis von keinem fehlerhaften Ausschreibungsverfahren gesprochen werden. Wir werden – wie eben auch gehört, ich brauche das alles nicht noch mal auszuführen – Ihren Antrag ablehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Irene Müller, DIE LINKE: Das ist so ein Kandidat, der mal solche Windeln tragen sollte.)

Danke schön, Herr Abgeordneter.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Herr Ratjen. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Reinhardt! Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Und ich will Ihnen auch sagen, warum: Das sind 50 Seiten Bericht über die Probleme mit Inkontinenzmaterialien der AOKPatienten in Mecklenburg-Vorpommern. 50 Seiten!

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Barbara Borchardt, DIE LINKE: Die stimmen nicht, die stimmen alle nicht. – Irene Müller, DIE LINKE: Das ist alles Geschichte.)

Die sind alle völlig falsch, völlig erstunken und erlogen.

Ich will Ihnen nur kurz erzählen. Das fängt damit an, dass die Windeln zu klein oder zu groß sind