Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

(lang anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Die Zusammenschau aller Materialien zu diesem Grundgesetz zeigt, dass in der Ausgangslage, in der sich das geteilte Deutschland damals befand, durchaus der Schluss gezogen werden kann, dass mit der ursprünglichen Fassung des Artikels 146 die Mitglieder des Parlamentarischen Rates die Möglichkeit eröffnen wollten, dass es durch eine andere Verfassung ersetzt werden könne, wenn und sobald das ganze deutsche Volk darüber in freier Entscheidung beschließen kann. Genau das haben sie gewollt. Das haben sie deutlich gemacht, das haben sie übrigens auch, um da Legendenbildung vorzubeugen, gegenüber anderslautenden Tendenzen, auch der alliierten Militärgouverneure, durchgesetzt. So ist das Grundgesetz entstanden, in einem Spannungsverhältnis. Zum damaligen Zeitpunkt war nämlich für die Mitglieder des Parlamentarischen Rates überhaupt nicht erkennbar, wie lange es denn dauern werde, bis diese von allen gewünschte Voraussetzung eintritt. Und keiner von ihnen hat damals geglaubt, dass das wirklich 40 Jahre dauern würde. Damals war die Situation so nicht erkennbar.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Sie haben an das andere auch nicht geglaubt.)

Eine große Mehrheit war dann zum Zeitpunkt der Ereignisse 1989 und 1990 der Meinung, dass es zunächst und in erster Linie darauf ankommt, dass sich die im Jahr 1990 bereits auf beiden Seiten der früheren innerdeutschen Grenze vorhandenen demokratisch legitimierten Volksvertretung zu einem Einigungsvertrag mit entsprechender Änderung des Grundgesetzes verständigt. Wir haben alle die Diskussion, glaube ich, noch sehr nah in den Ohren. Auch die abweichende Meinung dazu gab es, und die darf man auch auf keinen Fall unter den Tisch fegen, denn die lag sehr nahe. Es gab durchaus die Auffassung, dass man die Zusammenführung beider Teile auch durch eine neue Verfassung machen könne, und viele sagten, solle. Es gibt einen guten Freund von mir in Schwerin, der das noch immer sagt. Das ändert unsere Freundschaft überhaupt nicht. Die Entscheidung ist mehrheitlich anders gefasst worden.

Und, meine Damen und Herren, damit es da auch wieder bei der Wahrheit bleibt, das Bundesverfassungsgericht ist sogar angerufen worden im Verfahren und es hat bestätigt, angesichts der völkerrechtlichen Regelung in der 2-plus-4-Regelung, in dem Status Deutschlands vor der deutschen Einigung, in einem Status nicht vollständiger Souveränität sei dies der gangbare, verfassungsrechtlich zumindest nicht zweifelhafte Weg. Wir haben also, und das sage ich hier mit großer Freude, wir haben also längst eine Verfassung.

(Udo Pastörs, NPD: Blödsinn, Blödsinn. Und das vom Juristen, das ist ja …!)

Wir brauchen Ihre Hinweise dazu nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Und, meine Damen und Herren, wir wissen,

(Stefan Köster, NPD: Sie verlieren gerade die Verfassung.)

wir wissen, dass unser Grundgesetz immer wieder der Überprüfung bedarf. Ich bin kein großer Freund von immer wieder erfolgenden Grundgesetzänderungen, denn es ist eben ein besonderes Gesetz, es ist die Verfassung, und man soll, wie andere Länder uns vorgemacht haben, die Verfassung wirklich nur ändern, wenn der Bedarf dafür so ist, dass es auch ein gemeinsames Wollen in der Öffentlichkeit gibt, eine bestimmte Änderung herbeizuführen. Wir sind gerade dabei unter dem Stichwort Föderalismusreform.

(Udo Pastörs, NPD: Um Gottes willen!)

Auch da sieht man, wie schwierig es ist, Übereinstimmung an einem ganz bestimmten Punkt zu erzielen. Und deswegen habe ich sehr viel Verständnis für die damalige Meinung, die ich übrigens persönlich auch so geteilt habe,

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Ein normaler Bürger versteht das nicht.)

dass es richtig war, das Grundgesetz zu übernehmen, so, wie die Verfassung es ermöglicht hat. Das schließt nicht aus, dass es Leute geben kann, und diese Demokratie erträgt das ohne Schwierigkeiten, die sagen, wir arbeiten an neuen Regelungen für eine Verfassung. Warum denn nicht?

(Udo Pastörs, NPD: Na, bitte schön!)

Nein, nein, nicht „Na, bitte!“

Meine Damen und Herren, aber nicht, weil das Grundgesetz nicht demokratisch legitimiert ist,

(Udo Pastörs, NPD: Gerade deswegen.)

aber nicht, weil das Grundgesetz von irgendjemandem diktiert ist, sondern wenn man zu der Auffassung kommt, dass bestimmte Regelungen einer Verfassung einer dringenden Überarbeitung bedürfen. Und dann schreibt man auch nicht einfach nur oben eine andere Überschrift drüber, das wollen Sie ja auch gar nicht, Sie wollen nämlich eigentlich eine andere Verfassung und – das muss ich Ihnen sagen, ich glaube, da darf ich auch für alle reden –

(Udo Pastörs, NPD: Für uns nicht.)

die Grundlagen und Prinzipien unseres Grundgesetzes wollen wir nicht aufgeben, weil das Grundgesetz sich bewährt hat. Es hat nämlich, und das möchte ich auch mal zu bedenken geben und da kommt bei mir jetzt schon ein bisschen der Jurist zum Durchbruch …

(Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

Ja, ich mache es auch ganz vorsichtig.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Können Sie das?)

60 Jahre Grundgesetz heißt übrigens auch, dass das Grundgesetz ja längst eine Entwicklung genommen hat, die weit über den geschriebenen Text hinausgeht. Ich will mal einfach nur darauf hinweisen, dass es von uns immer wieder gebrauchte Begriffe gibt, und wer nicht ganz buchstabenfest ist, wird möglicherweise ins Grundgesetz gucken und will wissen, wo steht denn die informationelle Selbstbestimmung garantiert. Das wird man nicht finden, denn

(Udo Pastörs, NPD: Grundrechte!)

dieses Grundgesetz ist eine Verfassung, die Leben entfaltet hat. Ich glaube, wir sollten auch dankbar sein, dass die Väter und Mütter oder Mütter und Väter des Grundgesetzes daran gedacht haben, dass ein Grundgesetz nichts Statisches ist. Auch deshalb gibt es ein Bundesverfassungsgericht, das mit großer Akribie die Gedanken des Grundgesetzes, die Urgründe, herausgearbeitet hat. Und Sie werden zugeben, das informationelle Selbstbestimmungsrecht steht nirgends im Grundgesetz, aber dennoch ist es in ihm mit enthalten. Das ist kein Nachteil, dass eine Verfassung so aufgebaut ist, dass man aus ihr Schlüsse ziehen kann. Wir haben uns daran gewöhnt, wenn es denn knackt und knirscht bei der Gesetzesauslegung, in verfassungskonformer Gesetzesauslegung, Bundes- und Landesgesetze, das machen unsere Gerichte, weil sie als Grundlage unsere Verfassung zur Verfügung haben.

Meine Damen und Herren, in den 60 Jahren der Geltung des Grundgesetzes, das darf ich sagen, ist eine Werteordnung entstanden, die weit über den geschriebenen Verfassungstext hinausgeht. Das ist es, warum ich persönlich der Auffassung bin, dass wir auch keine andere textliche Gesamtfassung des Grundgesetzes und die Bezeichnung Verfassung haben müssen. Wir haben eine Verfassung, die lebendig ist. Und den Beweis dafür hat diese Verfassung angetreten, in dieser Rechtstradition, die auch in schwierigen Zeiten – und die hat es in der Bundesrepublik Deutschland gegeben und die gibt es auch heute – immer, immer dazu beigetragen hat, dass innenpolitische Herausforderungen in einem Grundkonsens gelöst worden sind, so sehr wir uns in Einzelfragen streiten. Wir sind uns einig, wir stehen auf der gleichen demokratischen, freiheitlichen, toleranten Grundordnung, und die lassen wir uns von niemandem, von niemandem nehmen.

(Michael Andrejewski, NPD: Von der EU schon. – Raimund Frank Borrmann, NPD: Ja.)

Und, meine Damen und Herren, den Wert eines solchen demokratischen Kapitals können Extremisten mit Sicherheit nicht verstehen. Deswegen nehme ich es Ihnen noch nicht mal übel,

(Udo Pastörs, NPD: Das ist aber sehr freundlich.)

aber wir werden natürlich Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank.

(lang anhaltender Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Danke, Herr Dr. Jäger.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende der NPD Herr Pastörs.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident!

Herr Dr. Jäger, was Sie hier losgetreten haben,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Haben Sie mal wieder nicht verstanden, oder?!)

das hat relativ wenig Substanz gehabt. Ich möchte Ihnen,

(allgemeine Heiterkeit – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wissen Sie, wer hier substanzlos ist, Herr Pastörs?)

ich möchte Ihnen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das sind Sie. Sie sind das!)

ich möchte Ihnen entgegnen, da Sie es ja mit Carlo Schmid haben. Und jetzt hören Sie gut zu! Der war ja Mitglied des Parlamentarischen Rates

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ein großartiger Sozialdemokrat.)

und er hat Folgendes über das Grundgesetz gesagt, SPD-Mitglied damals, ein hoch geschätzter Mann auch von mir, der hat gesagt, bei dem Grundgesetz,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oh Gott! Der würde sich im Grab umdrehen.)

beim Grundgesetz handele es sich um eine „Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft“. Originalzitiert, so weit die Bewertung von Carlo Schmid, nicht Carl Schmitt, Carlo Schmid zum Grundgesetz.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Mein Gott, Sie müssen die Zitate auch im Zusammenhang bringen. – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Zweiter Punkt. Das Grundgesetz ist insofern nicht demokratisch zustande gekommen, als dass es dem deutschen Volk nicht vorgelegt wurde zur Abstimmung, ein Riesenmangel.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Haben Sie schon mal was von der repräsentativen Demokratie gehört?)