Protokoll der Sitzung vom 23.09.2009

Also wir haben Gesetze gehabt, die mehr oder weniger für das Land wichtig waren. Ich will mal erinnern an das Seilbahngesetz.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Seilschaften. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Aber dieses vorliegende Gesetz ist nach meiner Einschätzung in der Tat durchaus für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes von großer Bedeutung.

Die genannte Richtlinie ist ein zentraler Bestandteil der im Jahr 2000 durch die Staats- und Regierungschefs der EU verabschiedeten Lissabon-Strategie. Die Umsetzung eines harmonisierten Dienstleistungsmarktes soll die Europäische Union, so lautet die Zielstellung, bis zum Jahr 2010 zu einem der dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsräume entwickeln.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Ja, ja.)

Es geht um Wachstum und Beschäftigung.

(Udo Pastörs, NPD: Das klappt ja auch schon ganz gut.)

Dienstleistungen sollen erleichtert und bürokratische Hürden sollen abgebaut werden.

Nach den Vorgaben der Richtlinie gibt es folgendes wesentliches Element: Alle dienstleistungsbezogenen Verfahren und Formalitäten sollen über einen Einheitlichen Ansprechpartner, so heißt er, abgewickelt werden. Die Aufgabe dieses Einheitlichen Ansprechpartners besteht dann darin, die Dienstleistungserbringer in den erfassten Bereichen zu informieren und deren Anliegen gegenüber den ständigen Behörden zu koordinieren. Diese Möglichkeit soll allen europäischen Dienstleistern ermöglicht werden, um also behördenübergreifend Anfragen, Anträge, Erklärungen und Auskünfte aus einer Hand zu erhalten, aber sie gilt dann auch für inländische Dienstleistleistungserbringer. Das besonders war uns außerordentlich wichtig.

Die derzeitige Behördenstruktur ist auf die Kontaktaufnahme des Bürgers mit jeder einzelnen Behörde ange

legt. Hier ist durchaus die Chance – ich will es zunächst mal als Chance bezeichnen – für einen Paradigmenwechsel gegeben. In der Regel ist es ja so, dass eine ganze Menge unterschiedliche Genehmigungsverfahren zu durchlaufen sind, bevor ein Existenzgründer seine gewerbliche Tätigkeit beginnen darf.

Die Forderung der Dienstleistungsrichtlinie, bürokratische Hürden abzubauen, greift das vorliegende Gesetz auf. Der als Mantelgesetz gestaltete Entwurf beinhaltet in Artikel 1 den sogenannten Einheitlichen Ansprechpartner, ich erwähnte ihn ja bereits. Hier wird dann auch festgelegt, wo er letztlich oder wer als Einheitlicher Ansprechpartner arbeitet. Es werden die Aufgaben festgelegt, die Frage der Gebühren wird geregelt, die elektronische Vernetzung und die Aufsicht über den Einheitlichen Ansprechpartner.

In den Artikeln 2 bis 12 allerdings werden die fachgesetzlichen Verweise auf das Verfahren über die einheitliche Stelle im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie weitere durch die Dienstleistungsrichtlinie erforderliche Rechtsänderungen vorgenommen. Das bezeichnen wir dann als Normenscreening, falls Sie den Begriff vielleicht mal gehört haben.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Insgesamt werden dabei elf Landesgesetze angepasst, zum Beispiel das Heilberufsgesetz, die Landesbauordnung oder das Landesnaturschutzgesetz, ich erwähne auch das Landesingenieurgesetz. Die Bündelung der Verfahren und Formalitäten bei einer Anlaufstelle wird zu einer neuen Qualität in der Verwaltung führen. Ich sage noch einmal, die Chance besteht zumindest dazu, dass das so kommt. Unsere kleineren und mittleren Unternehmen, das wissen wir ja, haben in der Regel zumindest nicht ausreichende Möglichkeiten, um Personal vorzuhalten im Hinblick auf die Abwicklung von Genehmigungsverfahren. Gerade für die kleinen Firmen ist eine solche Regelung von großem Vorteil.

Meine Damen und Herren, wir haben die Entscheidung getroffen, die Funktion des Einheitlichen Ansprechpartners auf die Wirtschaftskammern zu übertragen. Das sind die IHK zu Neubrandenburg, die IHK zu Rostock, die IHK zu Schwerin, die Handwerkskammer Schwerin und die Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern. Die Verteilung von Anfragen erfolgt nach örtlicher und sachlicher Zuständigkeit, die Koordination untereinander ist durch eine zentrale Stelle gesichert.

Der Erfolg des Modells hängt ganz entscheidend auch davon ab, ob der Einheitliche Ansprechpartner das Vertrauen der Dienstleister gewinnen kann, und das wird naturgemäß nur dann der Fall sein, wenn er wirtschaftsnah und zugleich auch kompetent beraten kann.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die Aufgaben des Einheitlichen Ansprechpartners sind sehr breit gefächert. Bei der Herausarbeitung des Vorschlages hat sich die Landesregierung im Wesentlichen davon leiten lassen, dass Kenntnisse über unterschiedliche Fachgebiete und Zulassungsverfahren auf der einen Seite vorliegen müssen, aber der Einheitliche Ansprechpartner auch im Bereich der Wirtschaft Kenntnis über die zuständigen Stellen zum Beispiel haben muss. Nach Auffassung der Landesregierung werden die Voraussetzungen von den Wirtschaftskammern erfüllt. Dieses Modell bietet die Gewähr für unbürokratische, zukunftssichere und wirtschaftsnahe Betreuung der Dienstleistungserbringer.

Man muss auch davon ausgehen, dass ein Großteil der vom Einheitlichen Ansprechpartner zu übernehmenden Aufgaben bereits zu den originären Kernaufgaben der Wirtschaftskammern gehört, denn wir wissen, dass sie zum Beispiel Unternehmen von der Gründung an begleiten und auch während der unternehmerischen Tätigkeit. Sie bieten jetzt schon Informations- und Beratungsdienste an. Ich erwähne hier nur die Außenwirtschaftsberatungen und betriebswirtschaftlichen Erstberatungen. Die Kammern sind auch in weiteren Bereichen zuständige Stelle.

Ein weiterer Vorteil ist auch bei den Wirtschaftskammern die seit Längerem bereits vorhandene Präsenz der Kammern im Ausland über die Auslandshandelskammern. Wir gehen davon aus, dass es Konflikte in der Zusammenarbeit zwischen den Wirtschaftskammern und weiteren Behörden nicht geben sollte, da es hier bereits vielfältige Kooperationsbeziehungen zwischen bestehenden Organisationen und den Wirtschaftskammern gibt.

Die Aufsicht, auch das ist geregelt im Gesetz, über die Aufgabenwahrnehmung des Einheitlichen Ansprechpartners obliegt meinem Haus, also dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus. Das Innenministerium seinerseits bleibt zuständig für die Umsetzung der IT-Infrastruktur. Hier wird die E-Government-Strategie des Landes berücksichtigt und der sogenannte OneStop-E-Government-Ansatz wird fortgeführt.

(Udo Pastörs, NPD: Der One-Stop-E- Government-Ansatz, der ist wichtig, ja. – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Im Zuge der Einrichtung des Einheitlichen Ansprechpartners wird die elektronische Vernetzung mit den zuständigen Stellen im Land gewährleistet. Das Verfahren kann auch elektronisch abgewickelt werden.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Kostenfrage, die ja auch heute schon medial zumindest eine Diskussion ausgelöst hat, enthält das Gesetz folgende Regelung: Es wird eine Erstattung von Aufwendungen und Kosten für eine Erstausstattung geben, allerdings darüber hinausgehende Kosten werden durch das Land nicht erstattet. Im Übrigen – und das ist dann die Konsequenz – haben die Einheitlichen Ansprechpartner kostendeckende Gebühren zu erheben. Wenn Sie fragen, wie hoch die dann sein werden, ist das eine spannende Frage. Die kann Ihnen leider im Moment noch niemand beantworten, weil es auch überhaupt noch keine Erfahrungen gibt, wie viele zum Beispiel eine solche Leistung in Anspruch nehmen werden. Wir gehen eher davon aus, dass es vielleicht gar nicht so furchtbar viele ausländische Dienstleister sein werden. Eher könnte es sein, dass durchaus die regionalen Dienstleister, also die inländischen, diese Leistung nutzen werden.

Ich will zusammenfassend feststellen, die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie wird dazu beitragen, die Wachstumspotenziale im Dienstleistungssektor besser und umfassender auszuschöpfen.

(Udo Pastörs, NPD: Verteilen.)

Es wird den Unternehmen schneller und leichter ermöglicht, Dienstleistungen anbieten zu können. Die damit verbundenen Chancen für den Dienstleistungssektor sollten auch genutzt werden. Ich denke, wir haben eine gute Möglichkeit, in der Tat zu Entbürokratisierung

zu kommen, denn – und das ist auch wichtig – gerade in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern, das ja kleine Firmen hier im Lande ausweist, ich erinnere daran, dass 90 Prozent unserer Firmen über weniger als zehn Arbeitsplätze verfügen, ist eine solche Regelung von hohem Interesse. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Danke, Herr Minister.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE Herr Holter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EU- Dienstleistungsrichtlinie hat die öffentliche Diskussion in den vergangenen Jahren maßgeblich bestimmt. Auch hier im Hohen Haus haben wir uns in den vergangenen Jahren des Öfteren darüber unterhalten, teilweise auch gestritten, und das zu Recht. Es geht tatsächlich darum, bürokratische Hemmnisse und Hindernisse abzubauen und den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen zu fördern. Ziel ist in der Tat der einheitliche Binnenmarkt.

Das steht auch bei der LINKEN außer Diskussion. Es steht außer Frage, dass die Dienstleistungsrichtlinie eines der wichtigsten Reformvorhaben bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie ist. Wir, DIE LINKE, haben diese Reform immer kritisiert. Die Kernpunkte unserer Kritik an der Richtlinie waren dabei folgende:

Erstens. Ursprünglich war beabsichtigt, ganz wesentliche Leistungen der Daseinsvorsorge, auch soziale Dienstleistungen, zu liberalisieren.

Zweitens drohte mit der breiten Verankerung des Herkunftslandprinzips ein Wettlauf um niedrige Qualitäts-, Arbeits-, Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards in den Mitgliedsstaaten.

Das war immer Gegenstand der Auseinandersetzungen in den Diskussionen gewesen. Auch die Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände haben protestiert. Es gab langwierige parlamentarische Verhandlungsprozesse und Auseinandersetzungen. Im Ergebnis hat es eine Vielzahl von Veränderungen am ursprünglichen Entwurf gegeben. Möglich wurde dies aber nur aufgrund der massiven Proteste.

Dennoch, der Kompromiss, auf den sich das Parlament und die Mitgliedsstaaten letztendlich geeinigt haben, ist im Grundsatz immer noch neoliberal. Man verzichtete zwar auf das sogenannte Herkunftslandprinzip, aber große Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge sind im Geltungsbereich der Richtlinie geblieben und ihre Anwendung auf diese Bereiche ist eben nicht ausdrücklich ausgeschlossen.

Darüber hinaus besteht nach wie vor kein wirksamer Schutz vor Lohn- und Sozialdumping, denn für viele Tätigkeiten in Deutschland gibt es weder einen gesetzlichen Mindestlohn noch eine Absicherung über das sogenannte Entsendegesetz. Und hier sind wir wieder bei der Diskussion über den Mindestlohn, denn die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union hat einen gesetzlichen Mindestlohn und gerade bei dieser Dienstleistungsrichtlinie ist das für mich ein wichtiges Kriterium.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Herr Roolf, Sie lächeln, aber ich halte das einfach für notwendig. Wir werden ja morgen bei Ihrem Antrag auf diese Frage sicherlich noch mal zurückkommen.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Ich bin sehr skeptisch, ob soziale und ökologische Standards und vor allem auch Vorgaben im Verbraucherschutz umgesetzt beziehungsweise gesichert werden können. Warum? Das ist ganz klar – weil das oberste Prinzip Wettbewerbsgleichheit bedeutet und diesem untergeordnet werden soll. Wir verkennen nicht, und das hat Herr Minister Seidel ausgeführt, dass mit der Anpassung des deutschen Rechts an die EU-Dienstleistungsrichtlinie auch Vorteile und Chancen bestehen. Das sehen wir genauso. Es geht um Bürokratieabbau und Verwaltungsmodernisierung und wir reden auch nicht gegen den Einheitlichen Ansprechpartner. Da, glaube ich, sind wir uns auch einig, weil das tatsächlich zur Vereinfachung vieler Prozesse, die von Ihnen beschrieben wurden, beitragen wird. Wir sehen hier also Potenziale. Wichtig ist, dass diese Potenziale genutzt werden.

Wir haben an die Dienstleistungsrichtlinie konkrete Anforderungen. Dieses Gesetz, welches wir heute beraten, ist eben nicht ein rein formell technischer Akt, sondern es ist tatsächlich für uns das Ende einer politischen Diskussion und die Auswirkungen werden wir dann ganz konkret spüren.

Ich möchte insgesamt drei Dinge unter den Vorzeichen des europäischen Binnenmarktes noch mal ansprechen, die uns als LINKE wichtig sind:

Erstens ist es der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Sozial- und Lohndumping.

Zweitens geht es darum, dass Mechanismen geschaffen werden, die uns hier in Mecklenburg-Vorpommern auch in Zukunft die notwendigen Freiräume für die öffentliche Daseinsvorsorge sichern.

Drittens geht es natürlich um die Chancengleichheit für unsere Unternehmen, damit sie in diesem Wettbewerb tatsächlich bestehen können.