Protokoll der Sitzung vom 23.09.2009

Das Wort hat der Vorsitzende der Enquetekommission, der Abgeordnete Heinz Müller. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem dieser Landtag zu Beginn dieser Legislaturperiode eine Enquetekommission mit dem ambitionierten Auftrag „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ eingesetzt und diese mit einem Arbeitsauftrag versehen hat, hat er diesen Arbeitsauftrag erweitert und ergänzt und diese Enquetekommission recht stark unmittelbar in das Thema „Vorbereitung einer Kreisgebietsreform“ eingebunden.

Einen ersten Zwischenbericht hierzu hat Ihnen die Enquetekommission am 31. August des Jahres 2008 vorgelegt – Sie erinnern sich an das „Blaue Wunder“ – und dort eine Position Ihnen vorgetragen zum Leitbild und den Leitlinien der Landesregierung zur Kreisgebietsreform. Jetzt legt Ihnen die Enquetekommission einen zweiten Zwischenbericht vor, der sich im Schwerpunkt mit der Frage des Status, des zukünftigen Status der heute kreisfreien Städte befasst.

Dieser Zwischenbericht, meine Damen und Herren, wird einerseits fristgerecht vorgelegt, denn der Landtag hat uns eine Frist bis zur Sommerpause des Jahres 2009 gesetzt und der Bericht ist im Juli vorgelegt worden, aber – und dies wird sicherlich noch Gegenstand unserer Erörterungen sein – ist auch Gegenstand eines weiteren Antrags, den Sie auf der Tagesordnung finden.

Die Enquetekommission hat den ergänzten Arbeitsauftrag nicht in vollem Umfang erfüllen können – darüber wird sicherlich noch zu sprechen sein, wie wir mit diesem nicht erfüllten Teil umgehen –, sondern hat nur einen Teilbereich dieses Arbeitsauftrags, nämlich eben die Frage des zukünftigen Status der heute kreisfreien Städte abgearbeitet.

Wir haben dieses Thema in der Kommission, meine Damen und Herren, ich glaube, das kann ich so sagen, sehr ausführlich und durchaus kontrovers diskutiert.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Wir haben dabei auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die vier kreisfreien Städte – und da nehme ich jetzt ein Stück des Ergebnisses vorweg –, deren Einkreisung wir empfehlen, einer solchen Einkreisung ablehnend gegenüberstehen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Schon von daher war es eine von inhaltlichen Auseinandersetzungen und Kontroversen geprägte Diskussion. Einer der wichtigen Aspekte dieser Diskussion waren drei Gutachten, die uns vorgelegen haben, zunächst das Gutachten von Professor Dr. Dr. Hesse zu Kreisgrößen und kommunalem Ehrenamt. Professor Hesse empfiehlt in seinem Gutachten ein Modell, ich sage das jetzt einmal in der verkürzten Darstellung, 6+2 oder 7+2, also durchaus zwei kreisfreie Städte, aber die Einkreisung vier weiterer Städte.

Uns lag weiter ein Gutachten von Dr. Greiving und Professor Dr. Winkel vor, das im Auftrag der kreisfreien Städte erarbeitet worden ist unter dem Titel „Starke Städte schaffen die Zukunftsfähigkeit des Landes“. Dieses Gutachten wiederum empfahl uns ein Modell von Stadtkreisen und Kreisfreiheit in Verbindung mit Eingemeindungen.

(Beifall Egbert Liskow, CDU)

Das hat aber auch gleich eine Variante...

Ich freue mich, Herr Kollege, dass Sie das Gutachten zur Kenntnis genommen haben und es jetzt mit Beifall bedenken.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

... mit aufgezeigt, nämlich eine Einkreisung, aber gleichzeitiger Sicherung der finanziellen Potenz dieser Städte.

Wir haben letztlich ein drittes Gutachten vor uns gehabt, ein Gutachten von Professor Dr. Färber und Professor Dr. Wieland „Vor- und Nachteile einer Einkreisung kreisfreier Städte in Mecklenburg-Vorpommern“. Dieses Gutachten hat eindeutig empfohlen, Rostock kreisfrei zu lassen, und bei der Kreisfreiheit Schwerins bestimmte Bedingungen genannt, unter denen eine Kreisfreiheit sinnvoll ist, und im Übrigen die Einkreisung der vier anderen empfohlen.

Diese Gutachten, meine Damen und Herren, waren wichtiger Teil unserer Beratungen, natürlich die Stellungnahmen, natürlich die Positionierungen der Beteiligten der kommunalen Verbände. Schon wenn ich diese Gutachten in ihren wesentlichen Ergebnissen darstelle, sehen Sie etwas, was auch die Beratungen der Kommission geprägt hat: Wir wollen und wir haben ein differenziertes Bild vor uns. Wir haben sechs Städte mit sechs sehr unterschiedlichen Situationen und dem haben wir als Kommission Rechnung getragen. Wir wollen nicht einfach die eine Empfehlung für alle sechs geben, sondern sie sehr wohl differenziert betrachten. Für diese differenzierte Betrachtung hat die Enquetekommission 16 Kriterien erarbeitet, an denen wir messen wollten, ob eine Einkreisung oder die Kreisfreiheit sinnvoll ist. Das war ziemlich aufwendig und war am Ende eine Mehrheitsentscheidung.

(Egbert Liskow, CDU: Und sehr politisch.)

Wir haben dann diese 16 Kriterien auf die sechs Städte angewandt. Es ergibt sich dabei – Sie können das dem

schriftlichen Bericht entnehmen – ein durchaus differenziertes Bild auch in der Frage, welches Kriterium ich denn anwende. Aber wir haben als Enquetekommission uns letztlich aus diesem differenzierten Bild ein Gesamtbild erarbeitet und dieses Gesamtbild spricht die Empfehlung aus. Das ist die Empfehlung der Kommission an den Landtag, bei einer solchen Kreisgebietsreform die größte Stadt unseres Landes Rostock und die Landeshauptstadt Schwerin kreisfrei zu lassen, die übrigen vier heute kreisfreien Städte einzukreisen.

Dieses, meine Damen und Herren, war in der Kommission kein einstimmiger Beschluss, sondern ein Mehrheitsbeschluss. Sie entnehmen dem schriftlichen Bericht auch Sondervoten, die in dieser Frage abgegeben worden sind.

Ich möchte hier an dieser Stelle darauf hinweisen, dass jedes Mitglied der Enquetekommission das Recht hat, ein Sondervotum abzugeben. Davon ist Gebrauch gemacht worden. Sie sehen diese Sondervoten. Der Städte- und Gemeindetag ist kein Mitglied der Enquetekommission, wollte aber hier durchaus seine Stellungnahme auch schriftlich sehen. Wir haben dem als Kommission Rechnung getragen und haben, obwohl der Städte- und Gemeindetag eigentlich den Status eines Gastes hat, ihn mit abgedruckt und Ihnen vorgelegt.

Dies ist, meine Damen und Herren, der zweite Zwischenbericht der Enquetekommission, und zwar zum zukünftigen Status der heute kreisfreien Städte. Ich bin ganz sicher, meine Damen und Herren – wir werden ja in den nächsten Monaten den Gesetzentwurf der Landesregierung für eine zukünftige Kreisstruktur im Innenausschuss zu beraten haben –, das, was wir in der Enquetekommission diskutiert haben, die Materialien, die wir erarbeitet haben und haben erarbeiten lassen, werden in der Diskussion im Innenausschuss ganz sicher eine Rolle spielen, werden unsere Diskussion vorantreiben und befruchten, und ich glaube, das wird dieser Diskussion guttun.

Mir bleibt als Vorsitzender der Kommission an dieser Stelle, Dank zu sagen, Dank zu sagen allen Mitgliedern der Kommission, die, auch wenn sie am Ende dieses Ergebnis so nicht mitgetragen haben in der Kommission, eine sehr engagierte und oft auch von unterschiedlichen Positionen geprägte Diskussion geführt haben, aber am Ende doch, wie ich fand, immer eine an der Sache orientierte und an einem vernünftigen Ziel ausgerichtete Diskussion. Ein besonderer Dank gilt dabei jenen Mitgliedern der Enquetekommission, die keine Abgeordneten dieses Landtages sind, sondern die als Kommunalpolitiker unsere Diskussion mit vorangebracht haben und die sich zum Teil sehr engagiert hier eingebracht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und FDP)

Ich bitte Sie also, meine Damen und Herren, diesen Bericht der Enquetekommission zur Kenntnis zu nehmen. Ich denke auch, dass es der richtige Weg ist, ihn verfahrensmäßig für erledigt zu erklären. Ich bin aber ganz sicher, dass er uns in den weiteren Diskussionen zur Kreisstruktur in unserem Lande begleiten wird. Und deshalb freue ich mich auf eine angeregte Diskussion in diesem Hause. – Herzlichen Dank.

Danke schön, Herr Müller.

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erste hat das Wort für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Měšťan. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Zwischenbericht besteht im Grunde aus einem Satz. Sie finden den Fünfzeiler auf Seite 5.

(Toralf Schnur, FDP: Ja.)

Der Bericht im Übrigen verfehlt darüber hinaus den erweiterten Arbeitsauftrag, den die Enquetekommission gehabt hat, weitgehend. Dem Bericht hat die Enquetekommission zwar mehrheitlich, wie der Vorsitzende eben klar gesagt hat – aber ich möchte es deutlich benennen –, allein mit Stimmen von SPD und von Ihnen benannten Mitgliedern der Enquetekommission zugestimmt, aber dem Bericht mussten schließlich vier Sondervoten und die Erklärung des Städte- und Gemeindetages angefügt werden. Und ich möchte mich nur auf Letzteren beziehen. Sie finden fettgedruckt im letzten Satz eine einzige vernichtende Kritik seitens des Städte- und Gemeindetages.

Meine Damen und Herren, deshalb sage ich, dieser Bericht ist kein Ruhmesblatt und der Beratungsverlauf dazu wahrlich keine Erfolgsgeschichte. Mitunter gleicht das Ganze einer Satire und das will ich belegen.

So wurde in der Enquetekommission etwa zehn Minuten vor der Endabstimmung über diesen vorgelegten Bericht durch Kollegen Ringguth mündlich folgender Änderungsantrag vorgetragen: „Die Enquete-Kommission“, ich zitiere jetzt, „sieht sich außerstande, den Erweiterungsauftrag des Landtages innerhalb des Zeitrahmens zu erfüllen.“ Nach kurzer Auszeit zog Kollege Ringguth seinen, wie ich meine, sehr zutreffenden Antrag zurück und SPD und CDU verabschiedeten mehrheitlich den Bericht.

(Toralf Schnur, FDP: Wo er recht hat, hat er recht. – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Wenn das nicht so traurig wäre, könnte man darüber schmunzeln.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Meine Damen und Herren, mit der vorliegenden Empfehlung zur Frage der Einkreisungen

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

wird der vom Landtag erteilte Arbeitsauftrag nicht erfüllt, denn, so war unser eigentlicher Auftrag, Auswirkungen verschiedener Modelle einer funktionalen Kreisgebietsreform auf die kommunalen Gebietskörperschaften und gegebenenfalls die Landesverwaltungen zu prüfen, wurde nicht ansatzweise analysiert, geschweige denn bewertet. Die von Kommissionsmehrheit vorgenommene Orientierung auf die bisher kreisfreien Städte lief auch weitgehend an praktischen Bedürfnissen vorbei.

An dieser Stelle auch ein Wort an die Regierung: Die Landesregierung sah für ihren Entwurf eines Kreisstrukturgesetzes keinerlei Anlass, auf irgendeine Empfehlung der Enquetekommission zu warten. Aber, und da weiß ich mich mit meiner Position nicht allein, es steht eben

einer Enquetekommission nicht gut zu Gesicht, wenn sie gedrängt wird, laufenden Gesetzgebungsverfahren wie ein Hund hinterherzuhecheln.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Der Hund hat zu apportieren.)

Der Kernauftrag unserer Enquetekommission, nämlich die Vorbereitung gesetzlicher Regelungen und anderer von Landtag und Landesregierung zu treffenden Entscheidungen, wurde auf diese Weise ad absurdum geführt. Hierauf basierende Empfehlungen sind inhaltlich ungeeignet und zeitlich deplatziert.

Meine Damen und Herren der Koalition, wer den zurückliegenden Abwägungsprozess der Enquetekommission zur Frage der Einkreisung einigermaßen ernst nehmen wollte, der hätte nämlich konsequenterweise der Landesregierung unterstellen müssen, ihren Kreisstrukturgesetzentwurf ohne eine derartige Abwägung erstellt zu haben.

Meine Damen und Herren, statt der sehr mageren Empfehlungen, wie sie der vorliegende Bericht enthält, hätte die Enquetekommission den Kurswechsel der Landesregierung bei der Funktionalreform entschieden zurückweisen müssen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Warum?)

Für die anschließende parlamentarische Behandlung des Landkreisneuordnungsgesetzes sowie des Aufgabenzuordnungsgesetzes hätte die Enquetekommission den Landtag darauf hinweisen müssen, dass diesen Gesetzentwürfen der Landesregierung die vom Landtag beschlossene Reformkonzeption nicht zugrunde liegt, denn da stand, dass Kreisgebietsreform und Funktionalreform eine Einheit bilden und aufeinander abzustimmen sind. Diese Leitlinie hat für die Landesregierung ihre Leitfunktion verloren.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Tja.)

Meine Damen und Herren, da die Enquetemehrheit den Landtag, also uns, mit dieser Wahrheit offensichtlich nicht so sehr erschrecken wollte, steht sie in unserem Sondervotum.