Protokoll der Sitzung vom 23.09.2009

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Überfordern Sie ihn doch nicht!)

Ach so?! Ja, stimmt! Bin wieder zu fachlich.

Nein, aber darauf sollten wir wirklich achten, einerseits, weil der U-Häftling noch mehr als der Strafgefangene unschuldig ist und der Strafgefangene trotz allem auch ein Mensch ist,

(Udo Pastörs, NPD: Sie sprachen von Strafgefangenen.)

und wir außerdem wirklich von unserer Verantwortung für alle Menschen ausgehen sollten und hier anscheinend dringendst Abhilfe zu schaffen ist. Das kann ich nur aus meiner ärztlichen Praxis sagen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP – Udo Pastörs, NPD: Toll.)

Danke schön, Herr Ratjen.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Etwas anderes als Vermutungen gibt es in der Strafjustiz ja gar nicht. Vor der rechtskräftigen Verurteilung gibt es die Unschuldsvermutung und danach immer noch eine Vermutung, wenn auch stärker, dass der Betreffende mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter war.

(Udo Pastörs, NPD: Richtig.)

Aber sicher kann man nie sein.

Noch Jahrzehnte später kann sich rausstellen, dass alles ganz anders war, als die Richter gedacht haben. Wenn etwa die Berliner Richter gewusst hätten, dass Kurras ein

Stasispitzel war, hätten Sie vielleicht ganz anders geurteilt. In diesem Fall traf die Unschuldsvermutung nicht ganz ins Schwarze. Aber andererseits, was immer Polizei und Justiz auch unternehmen, es werden immer ein paar Unschuldige dabei sein, die fälschlicherweise für die Schuldigen gehalten werden. Das muss man immer bedenken und sich fragen, wie kann und muss man Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Gerichtsverfahren, die Untersuchungshaft, die Strafhaft und schließlich auch die Haftentschädigung gestalten, wenn jede dieser Maßnahmen auch Auswirkungen auf Menschen hat, die unschuldig und ohne eigene Taten ins Räderwerk der Justizbehörden geraten.

Wenn man einmal zum Beispiel an den Wormser Kinderschänderprozess denkt, an dessen Ende die Feststellung stand, dass alle Vorwürfe aus der Luft gegriffen und frei erfunden worden waren, dann kann man sich das plastisch vorstellen,...

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Die waren unschuldig.

... was es allein bedeutet, unter einem solchen Vorwurf verhaftet zu werden, unter den Augen von Nachbarn und Familie, obwohl man sich rein gar nichts vorzuwerfen hat. Dass daher in der Untersuchungshaft strikt darauf zu achten ist, jeglichen Strafcharakter zu vermeiden, ist eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Es besteht ja nur die Vermutung der Gefährlichkeit, daher der Freiheitsentzug, aber im Kern besteht größere Ähnlichkeit der U-Haft mit einer Quarantäne,

(Zuruf von Sebastian Ratjen, FDP)

in die eine Einweisung allein zum Schutz der Öffentlichkeit erfolgt, ohne im Geringsten ehrenrührig zu sein, als mit einer Strafhaft. Natürlich müssen die Untersuchungshäftlinge, wenn sie das wollen, auch die Möglichkeit haben, dort Geld zu verdienen, und auch gegen ein Taschengeld für Bedürftige ist nichts einzuwenden.

Der Staat sollte Sorge dafür tragen, dass die Betroffenen während der U-Haft draußen ihre Wohnung nicht verlieren. Sie in die Obdachlosigkeit zu entlassen – vielleicht sogar nach einem Freispruch –, wäre ja absolut verantwortungslos.

Mit einer entsprechenden Regelung, wie hier geplant, der Untersuchungshaft, ist es aber nicht getan. Auch in der Strafhaft kann es nicht sein, dass die Weigerung, die Tat zuzugeben, immer noch als Grund dafür herhält, eine ansonsten mögliche vorzeitige Entlassung wegen guter Führung zu verweigern, weil der Betreffende seine Schuld nicht einsieht. Das ist so. Einige haben wirklich nichts getan und von denen kann man nicht verlangen, dass sie irgendetwas zugeben, ein Geständnis ablegen. Einige unschuldig in Haft Befindliche mussten deswegen ihre Haft bis zuletzt absitzen, weil sie sich geweigert haben, ihre Schuld zuzugeben. Das muss zum Beispiel korrigiert werden.

Und schließlich muss man in dem Zusammenhang auch noch einmal über die Haftentschädigung reden. Sie ist trotz Änderung immer noch schäbig und kleinlich. Wenn die Justiz versagt, dann muss sie auch zur Verantwortung gezogen werden und auch mal tief in die Tasche greifen. Auch Richter und Staatsanwälte, die Mist gebaut haben, müssen stärker zur Verantwortung gezogen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Danke, Herr Andrejewski.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Jäger von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Als Letzter hätte ich es mir gerne leicht gemacht und hätte gesagt, ich schließe mich alldem an, was gesagt wurde. Da hat aber Frau Borchardt einen Strich durch gemacht. Sie ist immer für eine Überraschung gut.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja.)

Frau Borchardt, ich habe mit Interesse festgestellt, dass Sie gegen den Gesetzentwurf sind, sodass der Harmonisierungsprozess in der EU behindert wird. Soviel ich weiß, lehnen Sie ja den Lissabon-Vertrag ab. Also irgendwann müssen Sie sich mal entscheiden, was Sie eigentlich wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Eigentlich hätte unsere Justizministerin von uns allen verdient, dass wir sie loben.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das ist so ein platter Hinweis, das ist ja so unter Ihrem Niveau.)

Nee, das war nicht unter meinem Niveau. Nur wenn Sie etwas hier vorne sagen und draußen was anderes sagen, dann werden Sie von mir immer hören, dass das nicht in Ordnung ist. Das müssen Sie ertragen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Bla, bla, bla!)

Ja, das ist nötig, weil ich finde, Ehrlichkeit in der Politik hat für mich schon einen eigenen Stellenwert. Sollten Sie auch mal üben.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Aber eigentlich hätten wir unsere Justizministerin gemeinsam loben sollen

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

und die zwölf Justizministerinnen und Justizminister, die das hinbekommen haben, was über Jahre beim Bund nicht geschafft worden ist. Man kann über Föderalismusreform das eine oder andere sagen, an diesem Punkt hat sie sich durchaus bewährt, sonst säßen wir immer noch da, wo wir heute sind

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Schauen wir mal auf die weitere Entwicklung!)

und wir würden nicht in einen Wettlauf eintreten dürfen zum 01.01. nächsten Jahres. Ich mache den gerne mit, weil es darum geht, die Untersuchungshaft wirklich so zu regeln, wie sich das gehört in einem Rechtsstaat, nämlich durch ein Gesetz. Ich glaube, da sind wir uns wenigstens einig.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja, da sind wir uns einig.)

Dass dieses Gesetz in einem Ausschuss zu beraten ist und dass wir da noch einiges miteinander zu besprechen haben, und Sie haben angekündigt, Sie werden eine Anhörung beantragen, all das ist normaler parlamentarischer Brauch.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Leider nicht bei allen Gesetzen. Ehrlich muss man sein. Die von der Opposition werden weggeschoben.)

Herr Ritter, mag ja alles sein, dass es bei anderen Gesetzen anders ist. Ich rede jetzt zu einem ganz konkreten Gesetzentwurf und für den ist mir wichtig,

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

dass wir ihn so ordentlich …

(Glocke der Vizepräsidentin – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Herr Ritter, es geht um Eingriffe in Grundrechte der Menschen, wenn Untersuchungshaft angeordnet und dann vollzogen wird.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das stelle ich doch gar nicht in Abrede, Herr Jäger.)