einmal unter die Lupe. Zuerst kommt die schon erwähnte Behauptung, Steuersenkungen würden zu Wachstum führen und sich damit selbst finanzieren. So ähnlich argumentieren Sie ja auch in Ihrer Antragsbegründung. Dieses Märchen ist längst widerlegt. Ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, statt vieler Quellen die „WirtschaftsWoche“ vom 14.09.2009, Seite 26:
„von den ‚Selbstfinanzierungseffekten‘ einer Steuersenkung auf: Wachstumsbedingte Mehreinnahmen... dürften ‚die Steuerausfälle höchstens zu einem geringen Teil finanzieren.‘“
In den Vereinigten Staaten können wir beobachten, welch verheerenden Auswirkungen auf das Defizit des Staatsbudgets aus den unverantwortlichen Steuersenkungsprogrammen von Präsident Bush resultieren. Dieser hatte in gleicher Weise wie heute die FDP auf wachstumsbedingte Mehreinnahmen gesetzt, die am Ende Illusionen geblieben sind. Das ist auch kein Wunder, denn von Entlastungen bei der Einkommenssteuer profitieren in erster Linie die Bezieher von hohen Einkommen. KarlGerhard Eick, der etwas erfolglose Chef von Arcandor, würde nach dem FDP-Tarif 1,6 Millionen Euro weniger Steuern zahlen müssen.
Die FDP meint, dieses Steuergeschenk sei notwendig, „um“ – wie es in der Antragsbegründung heißt – „die Anreize für Leistungen spürbar zu erhöhen.“
Wird das Geld in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen und Wachstum fördern oder wird es nicht viel eher wieder dazu dienen, den Kontostand von Herrn Eick zu verbessern?
Schon nach geltendem Recht zahlt ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer mit zwei Kindern in der Steuerklasse III bis zu einem Bruttojahresarbeitslohn von 39.420 Euro keine Lohnsteuer. Das Problem der unteren und mittleren Einkommensbezieher sind weniger die Steuerbelastungen als vielmehr die Sozialversicherungsbeiträge.
Entlastungen bei der Lohn- und Einkommenssteuer schlagen sich deshalb bei ihnen deutlich weniger nieder als bei den Besserverdienenden. Soweit die FDP fordert, dass jeder Arbeitnehmer in der Lage sein müsse, von seiner Arbeit zu leben, stimme ich dem voll zu. Nur: Gerade das erreichen wir nicht durch Steuersenkungen, die bei diesem Personenkreis überhaupt nicht ankommen, sondern nur durch einen längst überfälligen Mindestlohn.
Eine besonders originelle Begründung dafür, dass für Steuersenkungen im Haushalt genügend Geld übrig sei, hat kürzlich Herr Roolf geliefert. Er weist darauf hin, dass die Steuereinnahmen des Landes in den letzten sechs Jahren um 800 Millionen Euro gestiegen seien, darum müssten auch Steuersenkungen möglich sein.
Lieber Herr Roolf, vor sechs Jahren, im Jahre 2003, waren wir auf dem Tiefpunkt der letzten Rezession nach dem Platzen der Internetblase.
Die damaligen Steuereinnahmen waren gegenüber den Vorjahren um knapp 500 Millionen Euro zurückgegangen. Der Haushalt des Landes konnte 2003 nur durch eine Neuverschuldung von mehr als 1 Milliarde Euro ausgeglichen werden.
Auch Sie müssen doch erkennen, dass der Zuwachs an Steuereinnahmen in den letzten Jahren nichts anderes war als ein allmähliches Wiederaufholen früherer Einbrüche.
Eine seriöse Gegenfinanzierung müsste deutlich machen, auf welche Ausgaben in Zukunft verzichtet werden soll. Hier ist die FDP eher zurückhaltend. Zwar behauptet Herr Westerwelle, es gäbe durchgerechnete Ausgabekürzungsvorschläge im Umfang von 10 Milliarden Euro. Selbst wenn das richtig wäre, müssten diese Handlungsmöglichkeiten doch in erster Linie dazu genutzt werden, um das riesige Defizit von rund 100 Milliarden Euro allein im Bundeshaushalt für das nächste Jahr wenigstens teilweise zu reduzieren. Dazu kommen noch gar nicht veranschlagte Risiken bei der Bundesanstalt für Arbeit von 40 Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Bevor wir darangehen, Steuergeschenke zu verteilen, sollten wir zunächst die vorhandenen Löcher im bundesweiten Gesamthaushalt in Angriff nehmen.
Für unser Land hat Herr Roolf anlässlich der Haushaltsberatungen einen Vorschlag zur Haushaltsverbesserung gemacht, der sich lohnt, ein wenig analysiert zu werden.
Er hat nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass der Durchschnittszins für unsere Schulden von circa 10 Milliarden Euro bei über vier Prozent liegt.
Im Hinblick auf die aktuell niedrigen Zinssätze müsse man hier dringend mit den Banken nachverhandeln.
Lieber Herr Roolf, der gesamte Schuldenstand eines Landeshaushaltes ist nun mal mit dem Kontokorrentkredit eines mittel- oder kleinständischen Unternehmens nicht ganz vergleichbar.
Unser Kreditbestand setzt sich aus Schuldverschreibungen zusammen, deren Laufzeiten sorgfältig aufeinander abgestimmt sind, um das Risiko von Zinsveränderungen zu minimieren. Die Spannweite der Laufzeiten reicht von Floaten ohne jede Zinsbindung bis zu Langläufern mit einer Zinsbindung von zehn Jahren oder im Einzelfall sogar noch länger. Würden wir ausschließlich Kredite mit jederzeit wechselndem Zins aufnehmen, hätten wir in der aktuellen Situation in der Tat eine niedrigere Zinsbelastung. Wir haben aber auch schon Jahre gehabt, in denen der kurzfristige Zins bei zehn Prozent lag. Das würde bedeuten, dass wir in einem solchen Jahr nicht 430 Millionen Euro an Zinsen zahlen müssten, sondern vielmehr 1 Milliarde Euro. Derartige Schwankungen wären nicht verantwortbar.
Unsere Strategie hat uns im Ländervergleich gute Ergebnisse geliefert, mit denen wir uns sehen lassen können. Eine Nachverhandlung mit den Banken bei Krediten mit fest vereinbarten Zinssätzen ist natürlich nicht möglich. Wenn die Zinsen steigen, zahlen wir ja auch nicht mehr als den vertraglich geschuldeten Zinssatz.
Warum sollte uns die Bank bei sinkenden Zinsen ohne Vorfälligkeitsentschädigung aus dem Vertrag entlassen?
Es bleibt dabei: Auf der Ausgabenseite stehen Sie hinsichtlich der Gegenfinanzierung Ihrer Steuersenkungsversprechen mit ziemlich leeren Händen da.
Am Ende bleibt nur die Erhöhung der Neuverschuldung. Das ist ein ganz klarer Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit. Denn wir, die wir heute staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, haben die Pflicht, dafür auch die notwendigen Einnahmen zur Verfügung zu stellen.
Die Anforderungen der Gesellschaft an den Staat sinken nicht, sie steigen. Bei der Betreuung von Kindern, bei der Bewältigung sozialer Problemsituationen, bei der Sorge für ältere Mitbürger wachsen dem Staat heute Aufgaben zu, die er in diesem Umfang früher nicht zu bewältigen hatte.
Das wissen Sie, meine Dame und meine Herren von der FDP, genau. Wenn es um Vorschläge für die Ausweitung staatlicher Ausgaben geht, sind Sie mit Ihren Anträgen ganz vorn dabei. Ob es um Lehrer, Polizisten oder Herrenhäuser geht oder zuletzt um die Ausreichung von 12 Millionen Euro an die Zulieferer der Werften. Immer sehen Sie gute Gründe für zusätzliche Haushaltsbelastungen. Gleichzeitig beklagen Sie die finanzielle Situation der Kommunen und fordern, dass das Land ihnen mehr Geld geben sollte.
Ja, meinen Sie denn, dass Steuersenkungen bei den Kommunen nicht ankommen? Oder soll das Land deren Effekte auch noch auffangen und den auf die Kommunen entfallenden Teil Ihrer Steuersenkungspläne mit übernehmen? Es wäre wirklich höchste Zeit, wenn Sie endlich anfangen, die Interessen unseres Landes zu vertreten