Protokoll der Sitzung vom 22.10.2009

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Das ist unglaublich.)

Es gab keine gemeinsame Grenze zwischen Deutschland und der UdSSR, die man blitzartig hätte überfallen können. Warum dann der Pakt zwischen Stalin und Hitler am 23. August, der für viele Polen den Beginn des Zweiten Weltkriegs bedeutet? Warum wagte es der gute Mensch Stalin, so gefährlich an den schlechten Menschen Hitler heranzurücken und die rettende Schutzmauer Polen zu durchbrechen? War das ein Fehler des Genossen Stalin?

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: In der Tat.)

Beim Studium des Marxismus-Leninismus stieß ich auf seltsame Textpassagen. Der Erste, der vom Zweiten Weltkrieg sprach, war Lenin, und zwar im „Militärprogramm der proletarischen Revolution“. Die Schrift wurde 1916 verfasst, also mitten im Ersten Weltkrieg. Wladimir Iljitsch beklagt sich im Schweizer Exil über das Ausbleiben der Weltrevolution und erläutert dann, dass es noch eines weiteren großen Krieges bedürfe, um dem Kapitalismus weltweit den Garaus zu machen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Au ja.)

Derselbe Lenin veranlasste die Spaltung der italienischen Sozialisten und beförderte damit direkt Mussolinis erfolgreichen faschistischen Kampf um die Macht gegen die geschwächte Linke.

(Zuruf von Norbert Baunach, SPD)

Wer aber entfesselte den Zweiten Weltkrieg?

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Deutschland!)

Ich habe mir die Frage immer wieder gestellt und lange darauf keine Antwort gefunden.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das merkt man. – Zurufe von Ilka Lochner-Borst, CDU, Wolf-Dieter Ringguth, CDU, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Die Frage, die ich mir immer wieder gestellt habe, ist: Warum brauchen Kommunisten die Weltrevolution? – Ganz einfach: weil es auf Dauer keine friedliche Koexistenz zwischen Sozialismus und Kapitalismus geben kann. Der Antagonismus ist unüberwindlich. Die Menschen werden immer versuchen, aus einem Zwangssystem auszubrechen, in dem sie fühlen, dass ihnen alle grundsätzlichen Entscheidungen und das Eigentum abgenommen werden. Sie versuchen zu fliehen. Der Eiserne Vorhang und der antifaschistische Schutzwall – oder sogenannte antifaschistische Schutzwall – sind der beste Beweis für diese These.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Also dann war das ein Präventionskrieg von Hitler in Polen, oder? Das glaube ich jetzt nicht, oder?!)

Das System des Sozialismus muss sich auf die ganze Welt ausdehnen oder es wird untergehen. Und die Geschichte hat bewiesen, es ist untergegangen.

Lenin und Stalin haben alles unternommen, um dem Sozialismus weltweit zum Durchbruch zu verhelfen. Das habe ich auch beim Studium gelernt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sie waren vielleicht anwesend, aber gelernt haben Sie nie was, Herr Borrmann.)

SPD und KPD hatten beispielsweise Ende 1932 die Mehrheit im Reichstag. Thälmann konnte wählen: entweder Juniorpartner einer SPD-geführten Reichsregierung oder Inhaftierung. Stalin verbot der KPD die Bildung einer Volksfront in Deutschland. Thälmann wählte das Konzentrationslager.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Freiwillig?! – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Stalin unterstützte Hitler – das ist Machtpolitik! –,

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Sie haben doch nicht alle Tassen im Schrank. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

nicht nur partei- und machtpolitisch.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Also so was!)

Die Reichswehr nutzte in der Sowjetunion hoch geheime Übungs...

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Die Reichswehr nutzte in der Sowjetunion hoch geheime Übungsplätze für einen künftigen Giftgaskrieg,

(allgemeine Unruhe – Peter Ritter, DIE LINKE: Das kann ja wohl nicht wahr sein!)

für die Flugzeugführer- und Panzerfahrerausbildung.

(Ilka Lochner-Borst, CDU: Das geht gar nicht.)

Die Zusammenarbeit – und da habe ich selbst gestaunt – wurde erst im Herbst 1933 beendet, neun Monate, nachdem Adolf Hitler Reichskanzler geworden war.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Na, zu dem Knaller erzähle ich Ihnen gleich noch was.)

Am 19. August 1939, vier Tage vor dem Pakt mit Deutschland, fand eine Sitzung des Politbüros statt. Sie wurde 50 Jahre lang geleugnet.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das ändert alles nichts an der Tatsache, dass Deutschland mit Hitler an der Spitze den Krieg begonnen hat.)

Am 19. August 1939 wurde eine gigantische Zahl neuer Armeedivisionen aufgestellt, es wurden per Politbürobeschluss mit einem Schlag dreimal mehr Divisionen aufgestellt, als im allerkritischsten Moment des Bürgerkrieges in der Sowjetunion existierten, 186 Divisionen an einem Tag. So viele Divisionen kann man im Frieden gar nicht unterhalten. Es war noch Frieden. Und es gibt noch mehr Dokumente.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das war ein makabrer Auftritt hier.)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Vizepräsident und Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE Herr Bluhm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da kommt die NPDFraktion mit einem auf den ersten Blick unproblematischen Anliegen in den Landtag – ich zitiere –: die „Ursachen des 2. Weltkrieges im Unterricht an den Schulen stärker“ zu „berücksichtigen“. Das, was der Inhalt dieses Antrages aber ist, und das, was der Abgeordnete Borrmann hier eben dargelegt hat,

(Angelika Peters, SPD: Von sich gegeben hat.)

macht deutlich, dieser Antrag ist eigentlich nur ein Mittel zum Zweck. Er soll dazu dienen,

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

die eigene Sicht der Nationalisten auf historische Ereignisse, auf Prozesse und Fakten darzulegen,

(Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

umzudeuten, Geschichtsklitterung zu versuchen, die wirklichen Ursachen, die tatsächlich dazu führten, dass in Europa der größte Krieg durch Deutschland ausgelöst wurde,

(Michael Andrejewski, NPD: Sind Sie der Papst, dass Sie alles wissen?)

den die Menschlichkeit je erlebt hat, zu verdrehen, Herr Andrejewski,

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Stefan Köster, NPD)

und das werde ich Ihnen jetzt beweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP)

Und dass Sie auch noch versuchen, mit dem zum Teil zweifelhaften Argument neuer Forschungsergebnisse

(Stefan Köster, NPD: Das ist doch nicht ausländerfeindlich. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

dies auch noch in unsere Schulen tragen zu wollen, das ist schon starker Tobak. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Das werden wir Ihnen nicht ermöglichen.