Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Als Erster hat in Vertretung der Sozialministerin ums Wort gebeten der Bildungsminister. Bitte schön, Herr Tesch, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Grabow! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich spreche in Vertretung für unsere Sozialministerin und bevor ich zu den Einzelheiten des Antrages komme, möchte ich hier vielleicht auch noch mal – und das war Frau Ministerin Schwesig auch sehr wichtig – eine grundsätzliche Aussage treffen. Denn es ist in der Tat immer sinnvoll, das Thema Drogenmissbrauch in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Hier hilft Verschweigen und Wegschauen nicht. Es gilt in diesem Bereich, für weitere Teile anderer Probleme auch. Für das Entstehen von Sucht sind persönliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen gleichermaßen ursächlich. Also muss eine moderne Suchtprävention zum einen die sozialen Kompetenzen Gefährdeter stärken als auch die Suchtrisiken verringern, die ihn umgeben.
Um Prävention zielgruppenspezifisch ausrichten zu können, fördert die Landesregierung eine internationale Schülerbefragung zum Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen. Auch hier ist es so, dass die aktuellen Daten zeigen, dass Mecklenburg-Vorpommerns Kinder und Jugendliche, und das ist ja für Sie auch nichts Neues hier in diesem Raum, viel zu viel Alkohol konsumieren. Das Problem wird dadurch nicht kleiner, dass fast 50.000 Kinder und Jugendliche in Familien leben, bei denen mindestens ein Elternteil süchtig ist.
sagt Frau Schwesig, ist ein Fakt besonders wichtig: Die gesundheitlichen Schäden, die Alkohol, Zigaretten oder andere Rauschmittel hervorrufen, sind vermeidbare Schäden. Früher Einstieg, hohe Intensität, riskanter Mischkonsum – dass die Probleme quer durch alle Schichten zunehmen, ist auch keine neue Erkenntnis. Insofern sind die Daten, die uns aus der Prognos-Studie geliefert wurden, nicht allzu überraschend.
Bei der Analyse der Missstände muss die Gesellschaft aufmerksam und mutig sein. Den Begriff „Gesellschaft“ fasse ich in diesem Fall sehr weit. Dazu zähle ich unter anderem Selbstverwaltung, Ärzte, Krankenkassen, Apotheken, Jugendfreizeiteinrichtungen und Kommunen. Am wichtigsten aber sind die Bürgerinnen und Bürger selbst. Die Devise muss lauten: Wenn Kinder und Jugendliche gute Vorbilder haben, greifen sie auch nicht zur Flasche. So viel zu den Daten und Fakten.
Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung denn nun aus den Statistiken? Die Antwort ist ein Dreiklang:
Lassen Sie mich drei Sorgen näher beleuchten, die sowohl die Sozialministerin als auch mich umtreiben und mit dem Thema Drogenmissbrauch zu tun haben.
Die erste Sorge lautet: Kinder und Jugendliche greifen immer früher zu Alkohol und Zigaretten. Suchtprävention muss deswegen in eine Gesamtstrategie zur Gesundheitsförderung in Familien eingebunden sein. Diese Forderung richtet sich dann auch an Kindertagesstätten, an Schulen, Kommunen und Betriebe. Und wir müssen weiter daran arbeiten, den Landesaktionsplan zur Gesundheitsförderung und Prävention konsequent umzusetzen. Dies gilt natürlich auch für den Landtagsbeschluss „Alkohol- und Tabakprävention ausbauen“ vom 23.10. letzten Jahres.
Wenn wir unsere Kinder schon sehr früh fit machen fürs Leben, greifen sie auch nicht so leicht zu Drogen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Anstrengungen, die das Land unternimmt oder unterstützt. Das Modellprojekt „Papilio“ fördert die sozialen und emotionalen Kompetenzen von Kindern. Wir unterstützen die Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung, kurz LAKOST, mit 270.000 Euro pro Jahr. Die Landesstelle für Suchtfragen fördern wir, um die Angebote in der Suchtkrankenhilfe miteinander zu vernetzen, hohe Qualitätsstandards durchzusetzen und freie Gruppen zu unterstützen.
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es 25 Beratungs- und Behandlungsstellen, die das Land jährlich mit 1,7 Millionen Euro bezuschusst. Vor drei Jahren hat sich in Rostock das erste Netzwerk für Kinder aus suchtbelasteten Familien gegründet, zwei weitere in Greifswald und Stralsund werden in den nächsten Monaten folgen.
Gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters entwickelt die Landeskoordinierungsstelle LAKOST ein Programm zur Suchtprävention, das gezielt Familien stärkt.
Zur Eindämmung von Missbrauch gehört natürlich, dass wir die Bestimmungen des Jugendschutzes durchsetzen. Den gesetzlichen Rahmen halten wir alle für ausreichend. Wir brauchen eine ausgewogene Mischung von Prävention und Repression. Allerdings habe ich manchmal den Eindruck, dass Jugendschützer und Ordnungsbehörden noch enger zusammenarbeiten könnten und, aus der Sicht von Frau Ministerin Schwesig und meiner, natürlich auch müssen.
Fester Bestandteil der Prävention ist das Nichtraucherschutzgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Bei der Novellierung hat die Sozialministerin sehr viel Wert darauf gelegt, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen auf keinen Fall aufgeweicht wird. Erfreulich finde ich auch, und das ist auch die gemeinsame Auffassung, dass sich viele Schulen aus Mecklenburg-Vorpommern an dem europäischen Wettbewerb „Be Smart – Don’t Start“ beteiligen.
Ich komme nun zu meiner zweiten Sorge, und das ist die hohe Intensität des Konsums, vor allem beim Alkohol. Wir versuchen mit dem Programm „HaLt“ gegenzusteuern, was für „Hart am Limit“ steht. Ich halte dessen Ansatz, der auf zwei Säulen ruht, für sehr effektiv. Zum einen geht es um eine frühe Intervention gegenüber Jugendlichen, die wegen Alkoholmissbrauch in Krankenhäusern eingeliefert wurden. Zum anderen bringt „HaLt“ in sechs Modellkommunen alle an dem Thema Beteiligten an einen Tisch. Wir schieben diese Kooperationen an, indem wir pro Kommune 10.000 Euro ausreichen.
Auch den Mitmachparcours „Volle Pulle Leben – Auch ohne Alkohol“, ein mobiles Angebot, das auf die Fläche zielt, hält die Landesregierung ebenfalls für sinnvoll als Ergänzung der Prävention. Die Sozialministerin hat sich den Parcours mit den Angeboten vor einiger Zeit selbst angeschaut und auch der Parcours wird betreut durch die Landeskoordinierungsstelle.
Die dritte Sorge gilt dem Konsum illegaler Drogen. Vor allem bei Cannabis steigen die Zahlen an. Wir unterbreiten an ausgewählten Standorten Angebote zur Frühintervention. Eines heißt „Selbstkontrolltraining für den verantwortungsbewussten Umgang mit Suchtstoffen“. Darüber hinaus bauen wir Modellprojekte namens „Realize it“ und „CANDIS“ aus, die sich speziell an junge Cannabiskonsumenten richten.
Sehr geehrte Abgeordnete, wenn Sie die Aufzählung verfolgt haben, werden Sie wie ich zu dem Schluss kommen: Die Landesregierung hat die Probleme klar erkannt und bekämpft sie mit hohem Einsatz. Und ich würde mich freuen, wenn Sie alle dabei mithelfen, in der Dienstzeit und auch außerhalb der Dienstzeit. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Dr. Linke. Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Uns liegt ein Antrag vor, der Fragen aufwirft.
Zu Punkt 1 des Antrages: Bedarf es eines Beschlusses, um die Folgen des Missbrauchs von legalen beziehungsweise illegalen Drogen festzustellen? – Also ich denke nicht, dass der Landtag hierzu beschließen muss, denn das ist eine in der Gesellschaft dank alltäglicher Beobachtungen und auch darauf basierender wissenschaftlicher Analysen gut bekannte Erkenntnis, die nicht einmal Raucher oder eben andere Süchtige verneinen. Dennoch wissen wir, es wird geraucht. Dennoch wird jeder ungläubig angeschaut, der bei einem Empfang nicht das Wein- oder Sektglas erhebt. Die regelmäßig veröffentlichen Gesundheitsberichte der Länder, der Kindergesundheitsbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern aus dem Jahr 2006, die Gesundheitsindikatoren, die im Internet nachlesbar sind, all diese Fakten belegen diese Erkenntnis. Punkt 1 ist also nach Auffassung meiner Fraktion überflüssig.
Zu Punkt 2 des Antrages: Bedarf es eines Landtagsbeschlusses, um den Vollzug von Normen zu regeln? – Also hier gilt wieder einmal, wie des Öfteren bei FDPAnträgen: Ein Blick ins Gesetz verhindert Geschwätz. In diesem Falle also wie so oft ist ein Blick in das Grundgesetz immer wieder erhellend. Artikel 1 Absatz 3 in Verbindung mit den Artikeln 19 Absatz 4 und 20 Absatz 3 regelt unter anderem den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns, also auch des Verwaltungshandelns.
Wir wissen, dass es mit dem gesetzestreuen Handeln durchaus Probleme geben kann, staatliche Entscheidungen also auf den verschiedensten Rechtswegen hinterfragt werden können. Das Problem muss dann aber deutlich und klar benannt werden, darf nicht so nebulös
wie in diesem Antrag im Raum stehen oder gar als völlig neues Erfordernis hier proklamiert werden. Also insofern erübrigt sich auch der Punkt 2 des Antrages.
Zu Punkt 3 des Antrages: Die Forderung nach Präventionsstrategien, die ausreichend finanziert und repressiven Maßnahmen nachgeordnet sind, klingt vernünftig. Leider konterkarieren die Antragsteller diese berechtigte Forderung dann im nachfolgenden Satz, indem sie die Prävention allein auf die Aufklärung und Sucht- beziehungsweise Drogennetzwerke sowie Therapieangebote für Schwerstdrogenabhängige reduzieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete der FDP, Sie formulieren Forderungen für Kinder und Jugendliche, die, wie man so umgangssprachlich sagt, schon längst in den Brunnen gefallen sind. Wir müssen vielmehr erreichen, dass Kinder gar nicht erst zu Drogen greifen. Das setzt einen Präventionsansatz voraus, der in den Lebenswelten der Kinder angesiedelt ist und mit jeder Kindergeneration neu gestaltet werden muss. Der Prognos-Bericht, auf den Sie sich beziehen, verehrte Abgeordnete, enthält insofern keine Neuigkeiten. Das habe ich bereits in der Septembersitzung hier darlegen dürfen. Ich wiederhole allerdings auch heute sehr gern, dass es sich hierbei aufgrund der Datenzusammenstellung und der Datendichte um ein gutes Nachschlagewerk für uns alle handelt.
Wir kommen also nach Durchsicht des PrognosBerichtes zu ähnlichen Erkenntnissen wie auch bereits nach Durchsicht des Kindergesundheitsberichtes im Jahr 2006. Bei allen Parametern, bei denen der Gesundheitszustand unserer Kinder und Jugendlichen Ausdruck der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens ist, können wir eine gute Entwicklung verzeichnen. Das wird unter anderem angesichts der Steigerung der Lebenserwartung, der im internationalen Vergleich geringsten Säuglingssterblichkeit, dem guten Impfstatus und den Verbesserungen bei der Zahngesundheit deutlich.
Sorgen bereitet uns allen in zunehmendem Maße der auf eine ungesunde Lebensweise zurückzuführende Gesundheitszustand der Kinder und Jugendlichen: Übergewicht, frühzeitiger Einstieg in den Konsum von Drogen. Kinder werden durch ihr Lebensumfeld geprägt. Die genannten Defizite müssen dort behoben werden, wo sie entstehen, in den Familien, in den Kindertageseinrichtungen, der Schule und mithilfe der gesamten Gesellschaft. Prävention heißt, ein kinderfreundliches Lebensumfeld gestalten, wo die kindliche Persönlichkeit gestärkt und angenommen wird.
Kinder wollen in ihrer Kreativität herausgefordert werden, und das gilt für alle Lebenswelten. Unser Ziel muss es deshalb sein, Kinder zu befähigen, sich in ihrem sozialen Umfeld zurechtzufinden, Beziehungen zu anderen Menschen so aufzubauen, dass sie lernen, ihre Wünsche und Bedürfnisse auszusprechen, Konflikte auszuhalten und sich auch im Respekt vor anderen zurückzunehmen. Es geht schließlich darum, rechtzeitig den Umgang mit Niederlagen im Leben zu erlernen, Chancen für einen Neubeginn hierin zu sehen und Respekt vor der Leistung des anderen zu entwickeln, also ein breites Spektrum auf dem Wege zu einer starken Persönlichkeit, die eben in Konfliktsituationen weder aggressiv wird noch zu Drogen greift.
Dieser präventive Ansatz wird in Ihrem Antrag nicht ausgeführt und in den vergangenen drei Jahren wurde dieser von der Landesregierung gröblichst vernachlässigt. In den Kindergärten wurden die Mittel für die vorschulische Bildung reduziert, weil es angeblich, so führte der damalige Sozialminister, heutige Ministerpräsident aus, ausreichend Schaukeln und Tuschkästen gäbe. Dabei war in dem Paragrafen 1 Absatz 4 Nummer 1 der damaligen Landesverordnung zur Verwendung der Mittel für die vorschulische Bildung aus dem Jahr 2004 ausdrücklich ausgeführt, und ich zitiere: „Die Mittel … sind auf folgenden Gebieten einzusetzen“, unter anderem „1. Maßnahmen oder Projekte der Gesundheitsprävention (Ernährung und Bewegung der Kinder), der Suchtprävention und der Gesundheitsprophylaxe …“
Es wurde im Jahr 2004 auch noch eine andere Verordnung erlassen, jene nämlich über die „Anleitung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und Tagespflege zur gesunden Lebensführung“, gemäß Paragraf 24 Absatz 5 des Kindertagesförderungsgesetzes. Deren Befristung ist in diesem Sommer ausgelaufen und „still ruht der See“ kann man sagen, liebe Landesregierung. Es gibt jedenfalls keinen bekannten Ansatz oder Versuch oder Entwurf,
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren der FDP, unsere erste Forderung sollte also nicht sein, Stricke zu knüpfen, um Kinder und Jugendliche aus dem Brunnen herauszuhieven, in den sie längst aufgrund ihres Drogenkonsums gefallen sind, sondern wir sollten von der Landesregierung fordern, dass sie die Netzwerke, die in den vergangenen drei Jahren äußerst brüchig geworden sind, wieder zu knüpfen beginnt. Ich nenne Ihnen einige Stichworte: