Wir haben unsere Forderung nicht aus der Luft gegriffen, sondern betroffene Familien, Fachleute und vor allem die Jugendämter selbst befragt, was besser gemacht werden sollte. Aus diesem Grunde benennen wir auch Dinge, die nur im Bund zu regeln sind, hier aber nicht verschwiegen werden können. Uns ist es ganz wichtig, dass mehr Menschen sich bereit erklären, Kinder in Not aufzunehmen. Wir wollen ausdrücklich eine positive Kampagne, denn auch die Jugendämter hoffen auf qualifizierte Pflegeeltern, um Kindern schnell zu helfen.
Wir sagen, misshandelte Kinder gehören nicht ins Heim, sondern schnell in eine neue Familie. Und mit „schnell“ ist ein Zeitraum gemeint, der dem kinderzeitlichen Empfinden entsprechend ist. Schon drei bis vier Monate bedeuten für kleine Kinder eine Ewigkeit. Ungewisse Verhältnisse sind das Schlimmste, was wir diesen Kindern antun können. Und gerade weil immer noch viel zu viele Kinder in Mecklenburg-Vorpommern in Heimen leben – immerhin 107 Kinder im Alter von unter sechs Jahren lebten 2008 in Heimen –, brauchen wir vor allem qualifizierte Pflegeeltern und landesweit einheitliche Standards in den Jugendämtern. Ich bitte um Ihre Unterstützung. – Danke.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Um das Wort hat zunächst gebeten die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Schwesig. Frau Schwesig, Sie haben das Wort.
Mir ist es ein wichtiges Anliegen, die Situation der Pflegekinder, die in Mecklenburg-Vorpommern leben, ständig zu verbessern und zu modernisieren. Allerdings liegt die Verantwortung für das Adoptions- und Pflegekinderwesen wie beim Kinderschutz zuvörderst bei den Kommunen. Die Aufgabe des Landes erstreckt sich darauf, die Jugendhilfeträger zu unterstützen.
Ein Beispiel: Das Land hat einheitliche Standards für die Vollzeitpflege erarbeitet, die der Jugendhilfeausschuss vor fünf Jahren verabschiedet hat. Diese Empfehlungen werden gegenwärtig von einer Arbeitsgruppe weiterentwickelt, die wir beim Landesamt für Gesundheit und
Ich will Ihnen ein paar Zahlen nennen, damit die Dimension des Problems deutlich wird. Die jüngste Erhebung über die Zahl von Pflegekindern, die in MecklenburgVorpommern leben, stammt aus dem März 2007. Damals waren es 940. Die meisten Familien betreuen ein oder zwei dieser Kinder. Und ich will an dieser Stelle nicht versäumen, den Familien, die sich ebenso ernsthaft wie liebevoll um ihre Pflegekinder kümmern, meinen Dank und Respekt für diese Arbeit auszusprechen.
Und, Herr Grabow, auch wenn es natürlich unsere Bestrebungen sein müssen, dass Kinder möglichst so lange wie möglich bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen oder alternativ in Pflegefamilien, es gibt auch immer durchaus gute Gründe, dass Kinder in Heimen statt in Pflegefamilien aufwachsen, zum Beispiel dann, wenn leibliche Eltern dieses ablehnen und sich damit dann verwehren würden, dass ein Kind überhaupt aus der Familie genommen werden kann. Und ich möchte auch, dass wir zukünftig unseren Blick darauf lenken, was auch für gute Arbeit in diesen Heimen geleistet wird, und dass wir auch die Arbeit dort und die Standards weiter sichern müssen.
Ich habe mir zum Beispiel im Sommer ein Heim für Jugendliche angeguckt, und die haben sich dort sehr wohlgefühlt. Durch die engagierte Arbeit der Betreuerinnen ist es gelungen, dass Jugendliche, die vielleicht in ihren Familien nicht zu diesem Schulabschluss gekommen wären, zum Beispiel Abitur machen konnten und andere Sachen. Insofern, glaube ich natürlich, muss es unser Anliegen sein, immer so lange wie möglich früh den Familien zu helfen, damit Kinder eigentlich bei ihren Eltern bleiben können. Alternativen bieten die Pflegefamilien. Aber, ich glaube, das Aufwachsen in einem Heim, wenn es gut gemacht ist, muss sozusagen auch in unserem Fokus stehen und darf nicht – ich habe Sie so nicht verstanden, ich möchte trotzdem da noch mal sensibilisieren – als eine total schlechte Alternative gesehen werden und darf vor allem aus unserem Blickwinkel, wenn wir immer über frühe Förderung reden, nicht verloren gehen.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu einigen Akteuren im Pflegekinderwesen verlieren. Ich halte es für wichtig, dass ihre Rollen vergegenwärtigt werden. Da sind zum einen die Jugendämter. Leibliche Eltern behalten in der Regel das Sorgerecht. Deshalb müssen die Jugendämter Pflegeeltern nicht nur auf Stabilität und Belastungsfähigkeit überprüfen, sondern auch darauf, ob sie professionell mit der Herkunftsfamilie umgehen können. Und an der Stelle erlaube ich mir die persönliche Bemerkung, dass ich das außerordentlich schwierig auch für Pflegeeltern finde und wirklich anerkennenswert, wem es gelingt. Die Jugendämter entscheiden dann, welche Pflegeform für die Kinder richtig und hilfreich und angemessen ist. Also müssen sie eng und vertrauensvoll mit den Pflegeeltern zusammenarbeiten. Andererseits müssen sie wieder den leiblichen Eltern gegenüber garantieren können, dass die Pflegeeltern die Rückführung der Kinder unterstützen. Wäre dies nicht so, käme das In-Pflege-Geben einer Freigabe zur Adoption
gleich. Das darf nicht sein, allein schon, weil Eltern davor zurückschrecken würden, ihre Kinder zeitweise in Pflege zu geben.
Kommen wir zu den leiblichen Eltern. Sie beantragen die Hilfe zur Erziehung, auf der das Pflegeverhältnis gründet. Die Eltern nehmen also eine Leistung der Jugendämter in Anspruch. Und weiter zu den Pflegeeltern: Sie übernehmen im Auftrag der leiblichen Eltern die Betreuung der Pflegekinder. Sie tun dies unter Aufsicht der Jugendämter und für einen kurzen oder auch für einen längeren Zeitraum. Das zeigt, wie komplex die Zusammenarbeit im Bereich der Pflegekinder ist und wie sensibel natürlich je nach Einzelfall.
Lassen Sie mich noch eine gezielte Anmerkung zu einem der Punkte machen, wie sie sich im Antrag der FDPFraktion finden. Weil es so ein wichtiges Thema ist und weil es auch diese Probleme gibt, die Sie beschrieben haben, Herr Grabow, finde ich es durchaus gut, dass dieses Thema Gegenstand auch der Debatte im Landtag ist, weil es wirklich ein wichtiges Thema ist.
Zu einigen Punkten Ihres Antrages: Unter Punkt 1. fordern Sie, „mehr geeignete Pflegeeltern zu gewinnen“, was eine „Qualifizierungsoffensive“ leisten soll. Meine Antwort: Sozialministerium und Landesjugendamt kümmern sich um die Qualifizierung der Fachkräfte. Wir tun dies unter anderem in der Fortbildungseinrichtung Schabernack in Güstrow. Die Qualifizierung der Pflegeeltern obliegt den Kommunen. Es gibt zudem in Mecklenburg-Vorpommern zwei freie Träger, die Pflegeeltern ausbilden.
Und unter 2. fordern Sie „einheitliche landesweite Standards“. Nun, dazu kann ich sagen, die liegen bereits vor als Empfehlung des Landesjugendhilfeausschusses. Eine Arbeitsgruppe entwickelt sie gegenwärtig weiter. Unter anderem bauen wir gemeinsam mit der Fachhochschule Neubrandenburg ein Modellprojekt auf. Um weitere Verbesserungen bei bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, werde ich am 09.12. an einer Beratung zum Kinderschutz teilnehmen und gemeinsam mit der Bundesfamilienministerin beraten, wie wir den Kinderschutz in der Bundesrepublik verbessern können, und da werden natürlich auch die Probleme, die Sie in Ihrem Antrag angesprochen haben, mit eine Rolle spielen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, die Situation von Pflegekindern, deren leiblichen Eltern und Pflegeeltern ist oftmals sehr schwierig und zerbrechlich. Es ist schwer, dieser individuellen Lebenssituation mit einheitlichen Regelungen gerecht zu werden. Deshalb kommt es auf die hohe Professionalität und Sozialkompetenz aller Akteure wie der Jugendämter und Familiengerichte, aber selbstverständlich der leiblichen und der Pflegeeltern an. Dabei muss im Vordergrund immer das Wohl des Kindes stehen. Die Landesregierung wird sich, so kann ich Ihnen versichern, weiterhin dieser wichtigen Aufgabe annehmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
FDP anschaue und die entsprechende Rede von Herrn Grabow in Erinnerung rufe, so habe ich den Eindruck, wir reden nicht über die Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise Mecklenburg-Vorpommern, sondern eventuell über Rumänien und Bulgarien,
wo trotz EU-Mitgliedschaft katastrophale Zustände im Bereich der Jugendhilfe auch heute noch herrschen. Meine Erfahrungen sind andere. Ich sehe weder bei unseren bestehenden Gesetzen Handlungsbedarf noch bei der Umsetzung und Anwendung in der Praxis durch die Verwaltung sowie Vereine und Verbände.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich auf die Jugendhilfestation in Neubrandenburg verweisen, die seit dem 1. Februar 1994 existiert und eine hervorragende Arbeit leistet. Was bietet sie im Detail an?
Erstens ambulante Erziehungshilfe, Erziehungsberatung nach Paragraf 28 SGB XIII, Unterstützung bei der Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und bei der Lösung von Erziehungsfragen, beratende Intervention, Aufklärung und Unterstützung von Ratsuchenden.
Zweitens schafft sie Erziehungsbeistand nach Paragraf 30 SGB VIII. Es ist ein lebensweltbezogener flexibler Betreuungsansatz, der sich am Bedarf der Betreuten orientiert, eine langfristige Betreuung mit einer bindenden Verlässlichkeit in der Beziehung, die Vermeidung von Heimerziehung, niedrigschwellige Angebote bezüglich der Selbstreflexion, Ressourcenfindung und -nutzung sowie Netzwerkarbeit, ebenso modellhaftes Lernen als Prozess.
Sie bietet drittens sozialpädagogische Familienhilfe nach Paragraf 31 SGB VIII, Unterstützung der gesamten Familie bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben und der Bewältigung ihrer komplexen Lebenssituation, begleitende praktische Beratung und Unterstützung über einen längeren Zeitraum, Erhalt der Familie, Vermeidung von Fremdunterbringung.
Viertens die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung nach Paragraf 35 SGB VIII. Das ist die intensivste Begleitung und Unterstützung auf lange Sicht. Es zielt auf das Aushalten von Prozessen ab, die starke Individualisierung wird gefördert, die Eins-zu-eins-Betreuung im bekannten Lebensumfeld, aber auch außerhalb dessen muss sie geleistet werden.
Fünftens eine Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach Paragraf 35a SGB VIII. Das heißt, eine hohe Flexibilität bei der individuellen Ausgestaltung des Betreuungsangebotes, drohende Ausgliederung aus der Gesellschaft wird verhindert beziehungsweise eine optimale Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, gezielte und angemessene Förderungsangebote, Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern der Jugendhilfestationen.
Sechstens bietet sie die Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung nach Paragraf 41 SGB VIII, Unterstützung bei der Persönlichkeitsentwicklung, Hilfe zu eigenverantwortlicher Lebensführung, Beratung und Unterstützung bei der Hilfe zur Verselbstständigung, die teil- und stationäre Erziehungshilfe, das heißt soziale Gruppenarbeit nach Paragraf 29 SGB VIII, Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform nach Paragraf 34 SGB VIII, die Schaffung eines Lebensortes für Jugendliche, die in ihrem bisherigen Familienumfeld nicht verbleiben können
beziehungsweise ohne festen Wohnsitz sind, Folge- beziehungsweise Ergänzungsangebote auf bereits geleistete Hilfsangebote, um einen Betreuerwechsel möglichst zu verhindern, des Weiteren die individuelle Erarbeitung eines Betreuungsarrangements, das sich an Erfahrungen und Fähigkeiten der Hilfesuchenden orientiert, die Unterstützung für den Aufbau einer eigenverantwortlichen Lebensführung, Hilfe in akuten Krisensituationen.
All das wird von dieser Station Jahr für Jahr geleistet. Ich sehe somit keinen Handlungsbedarf, dass wir uns auf Landes- und Bundesebene für zahlreiche Maßnahmen und Rechtsänderungen in diesem Bereich einsetzen müssen, die schließlich sogar in einer Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs gipfeln sollen.
Wenn wir vereinzelt Probleme haben, dann sind sie lokal begrenzt und in erster Linie von einzelnen handelnden Personen abhängig.
Eine Verallgemeinerung verbietet sich somit, erst recht, wenn jetzt die große Keule herausgeholt wird, um alles neu machen zu wollen. Ich sehe mich daher gezwungen, Ihren Antrag abzulehnen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Rede, die vor mir liegt, wird in die gleiche Kerbe hauen wie die Argumentation, die Herr Rühs hier vorgetragen hat. Diese Rede hätte auch ebenfalls Frau Dr. Linke gern hier vorgetragen. Ich darf das für sie verlesen.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, ein Antrag der Fraktion der FDP mit ähnlichen Intentionen lag dem Parlament im April schon einmal vor. Sie wissen, dass sich meine Fraktion, und zwar als Regierungs- wie als Oppositionsfraktion, sehr kontinuierlich für die Stärkung der Rechte aller Kinder und Jugendlichen einsetzt. Auch meine Fraktion bringt mit großer Konsequenz hier regelmäßig die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen verbessernde Anträge ein. Allerdings, und das unterscheidet unsere Anträge von der FDP, fordern wir die Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen nur dann, sofern es an derartigen Gesetzen mangelt. Ansonsten sagen wir konkret, auf welcher Ebene des Gesetzesvollzugs Veränderungen erreicht werden müssen.
Die Kollegin und die Kollegen der FDP fordern die Landesregierung auf, sich auf Landes- und Bundesebene dafür einzusetzen, dass Kindern und Jugendlichen, deren Eltern oder Inhaber der Personensorge den ihnen obliegenden Pflichten beziehungsweise ihrer Verantwortung nicht hinreichend nachkommen, schnell ein auf Kontinuität basierendes und kindgerechtes Lebens- und Familienumfeld geschaffen wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, dieser Grundsatz ist das Leitbild eines jeden Jugend