Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Herr Professor Dr. Tack.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Um das Wort hat zunächst gebeten der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Herr Dr. Backhaus. Herr Dr. Backhaus, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich begrüße natürlich die Diskussion um die Zukunft

(Udo Pastörs, NPD: Nak, nak, nak!)

der europäischen gemeinsamen Agrarpolitik, weil ich der Grundüberzeugung bin, dass der Politikansatz einer gemeinsamen Agrarpolitik und einer Politik für die ländlichen Räume auch nach 2013 uns hier in diesem Hause einen sollte, dass wir diese wollen, denn es gibt kein anderes Politikfeld in Europa, das so stark mittlerweile innerhalb von Europa vernetzt ist.

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man sich anschaut, wie eigentlich die Grundlagen sind und was auf uns zukommt, dann darf man eins nicht vergessen: In den 60er/70er-Jahren machte der EU-Haushalt 0,78 Prozent des Haushaltes der Mitgliedsländer aus, die in den Bereich hineinfinanziert haben.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Da gab’s doch den RGW.)

Und bei allem Wohlwollen, Herr Professor Tack, wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Bereitschaft in Europa, diese Mittel auch zukünftig in dieser Größenordnung zur Verfügung zu stellen, wohl nicht mehr vorhanden sein wird, und deswegen brauchen wir dringend eine gesellschaftliche Gesamtdebatte zu der Frage: Was sind uns gesunde, preiswerte Lebensmittel wert?

(Udo Pastörs, NPD: Ach, lässt er die Schallplatte wieder ablaufen. Immer dasselbe!)

Was ist uns die Kulturlandschaft wert? Was will die Gemeinschaft? Was wollen die Menschen weiterhin für den Natur- und Umweltschutz tun? Was sind uns saubere Luft, sauberes Wasser oder auch die gemeinwohlorientierten Fragen wie Tierschutz und andere gerade im sozialen Bereich für die ländlichen Räume, was ist uns dieser wichtige Wirtschaftsfaktor eigentlich wert?

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Heute Vormittag haben wir über die Werften diskutiert. Ich fand, es war eine sehr angeregte Diskussion. Und wenn man sich überlegt, ganz in Ruhe überlegt, dass in den letzten 20 Jahren in die Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern – nur Mecklenburg-Vorpommern – 7 Milliarden Euro an Preisausgleichszahlungen geflossen sind dafür, dass wir gesunde Lebensmittel, die preiswert sind, zur Verfügung gestellt haben, dass wir Umwelt- und Naturschutz betrieben haben, dass Tierschutz betrieben worden ist und ausdrücklich auch soziale Verantwortung von den landwirtschaftlichen Unternehmen in den ländlichen Räumen übernommen worden ist, ich glaube, dann darf man an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass die landwirtschaftlichen Unternehmen, die Ernährungswirtschaft – und das ist ja heute Morgen auch angeklungen – die wichtigste Säule für einen stabilen Prozess in den ländlichen Räumen darstellt. Ich glaube, dass oftmals verkannt wird, was hier durch die Landwirtschaft, durch die Ernährungswirtschaft in diesem Lande geleistet wird.

Ich glaube, dass wir uns einfach auch damit auseinandersetzen müssen, dass im EU-Agrarhaushalt von vielen Seiten, auch anderen Wirtschaftsbereichen oder insbesondere auch von der Kultur oder von der Wissenschaft, natürlich sehr genau geprüft wird, ob und inwieweit hier Mittel umgeschichtet werden können. Ich kann nur davor warnen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Davor warnen, davor warnen, davor warnen!)

Im Übrigen ist uns auch allen klar, Herr Professor Tack, dass der Kuchen kleiner wird. Es sitzen mehr am Tisch. Die 27 Mitgliedsstaaten wollen natürlich eine Anpassung erreichen. Das muss man verstehen.

(Raimund Frank Borrmann, NPD: Das muss man nicht verstehen, Herr Minister.)

Und ich persönlich glaube, wir haben einen hervorragenden

(Udo Pastörs, NPD: Das kann man auch nicht wollen. – Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

neuen Agrarkommissar, der gerade in der letzten Woche in Deutschland gewesen ist und seine Grundzüge der zukünftigen Agrarpolitik vorgestellt hat. Ich gehe davon aus, dass die große Meinungsvielfalt, die innerhalb der 27 Mitgliedsstaaten existiert, insbesondere dem Modell von Mecklenburg-Vorpommern folgen sollte, nämlich alles dafür zu tun,

(Gino Leonhard, FDP: Das interessiert aber die anderen 26 nicht.)

dass wir eine multifunktionale Entwicklung der ländlichen Räume gewährleisten, aber dass insbesondere die Landwirtschaft,

(Udo Pastörs, NPD: Tilli, der macht das. Die hören auf den.)

die Ernährungswirtschaft in der Zukunft ihren Stellenwert für die Allgemeinheit in Europa behält.

Und deswegen sage ich an dieser Stelle auch ausdrücklich: Wir plädieren, weil wir daran mitgewirkt haben im Jahr 2000, ganz klar europaweit für die Entkopplung. Da sind wir am weitesten in ganz Deutschland. Das heißt unterm Strich, wir wollen die Landwirte für die Leistungen, die sie für die Gesellschaft bereitstellen, vergüten, weil wir höhere soziale Standards in Europa haben und weil wir auf der anderen Seite aber auch höhere Standards in der Lebensmittelproduktion haben und auch sonstige Umweltstandards deutlich höher sind. Ich kann an dieser Stelle nur gemeinsam darum werben, dass wir sehr genau aufpassen.

Nehmen wir die britische Regierung, die die Direktzahlungen für die landwirtschaftlichen Unternehmen gänzlich abschaffen will. In die zweite Säule in Deutschland fließen heute knapp 2 Milliarden und in den sonstigen Bereich der Landwirtschaft etwas über 6 Milliarden Euro. Hier gibt es ein gewisses Missverhältnis, das sukzessive ausgeglichen werden muss. Wir müssen erst mal die Ziele formulieren für diese neue europäische Agrarpolitik. Zu denen werde ich nachher noch kommen.

Oder schauen Sie sich den Ansatz der Niederlande, von Schweden oder Dänemark an. Dann wird deutlich, dass insbesondere Frankreich, Spanien oder Portugal auf die festgesetzte Gemeinschaftspräferenz mit Marktordnung gehen, von der ich glaube, dass wir ein gewisses Steuerungselement weiterhin benötigen, oder auch die direkten Einkommensübertragungen in die nationale Verantwortung legen wollen oder dass der Außenschutz weiter auf hohem Niveau fortgeführt werden soll und dass wir auch in Europa ein gewisses finanziertes Krisenmanagement benötigen.

In diesen ganzen Mix von unterschiedlichen Meinungen müssen wir uns einbringen und Deutschland wird das tun. Auf meine Forderung hin ist diese neue Arbeits

gruppe berufen worden, die zur Agrarministerkonferenz im April auch Vorschläge unterbreiten soll.

Deutschland, ich meine damit das BMELV, nimmt hinsichtlich der Direktzahlung ebenfalls eine eher konservative Rolle ein, will sich aber insgesamt einer moderaten Weiterentwicklung der GAP, also der gemeinsamen Agrarpolitik nicht verschließen. Das ist so nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ Damit werden wir nicht zum Ziel kommen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Die neuen Mitgliedsstaaten wollen erwartungsgemäß schnell unser bisheriges Direktzahlungsniveau erreichen. Das kann man wohl auch nachvollziehen. Mir kann auch niemand sagen, warum – und da wollen wir hin – man für die gemeinwohlorientierten Leistungen in Polen oder in Rumänien oder in den baltischen Republiken einen anderen Betrag bekommt als in Griechenland, in Portugal oder in Deutschland.

(Zuruf von Gino Leonhard, FDP)

Ich plädiere eindeutig und ausdrücklich für diese gemeinwohlorientierten Leistungen, in Richtung 2020, spätestens 2025 zu einer einheitlichen Flächenprämie in Europa zu kommen. Ich glaube auch, dass die Fortführung einer Agrarpolitik richtig ist, die sich ausrichtet auf eine Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik, und dass diese finanziert werden muss bei Aufrechterhaltung der beiden Säulen, mit denen wir wirklich gute Erfahrungen gesammelt haben.

Fakt ist, die neue EU-Kommission wird leider erst im Herbst dieses Jahres die Vorstellung, und zwar ohne Zahlen, Herr Professor Tack, ohne Zahlen vorlegen, wo die Grundausrichtung vorgestellt werden soll. Es ist im Übrigen nicht davon auszugehen, dass nach 2013 im Wesentlichen neue, zusätzliche Themen aufgenommen werden sollen.

Das Einzige, wofür ich ausdrücklich plädiere, ist die Frage: Wie können wir auch das Thema „mehr Beschäftigung“ für diese Ausgleichszahlungen mit integrieren? Und deswegen geht es darum, wie wir tatsächlich das Agrarbudget innerhalb von Europa ein bisschen besser austarieren können.

Die Instrumente der gemeinsamen Agrarpolitik müssen darauf ausgerichtet sein, die beiden Säulen ausreichend zu finanzieren, und über die Höhe der Direktzahlungen in der Zukunft muss eine intensive gesellschaftliche Debatte geführt werden. Es geht dann aber auch um die Verteilung der Mittel zwischen der ersten Säule, also Direktzahlungen, und der Politik für die ländlichen Räume. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es hier unterschiedliche Meinungen quer durch die Reihen der Parteien gibt und ausdrücklich auch quer durch die Reihen der Bauernverbände oder auch der Naturschutzverbände. Hier muss es einen gesellschaftlichen Konsens geben.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Da gebe ich Ihnen ganz recht.)

Wir arbeiten sehr daran.

Ja, das ist manchmal die Quadratur des Kreises, aber wir müssen diese Debatte führen. Deswegen freue ich mich, dass auf der MeLa der Fachkongress zum Thema „Klimaschutz – Entwicklung der ländlichen Räume“ stattfinden wird, wo wir ausdrücklich auch die Naturschutzverbände mit integrieren werden. Ich kann uns

nur ermuntern, diese Veranstaltung wahrzunehmen. Zum Zweiten wird die Bundesministerin meiner Einladung folgen und auch zur MeLa hier in Mecklenburg-Vorpommern sein.

Zur finanziellen Vorausschau: Hier ist vorgesehen – die meisten von Ihnen werden das wissen –, dass in Richtung Ende des Sommers die Kommission erste Ansätze vorlegen wird. Und da bin ich gespannt. Da wird sich dann nämlich zeigen, ob und inwieweit die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bereit sind, auch in der Zukunft Europa zu finanzieren, und welche Rolle dabei die ländliche Politik und die Politik für die Landwirtschaft spielen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, wir tun gut daran, dass wir unser eigenes Profil weiter finden, und dabei sind folgende Dinge zu berücksichtigen:

Erstens. Das europäische Parlament hat mit den Lissabon-Verträgen neue Kompetenzen bekommen und wird damit aktiv in die Willensbekundung und Mitgestaltung der Agrarpolitik eingebunden. Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf, auf dieser Ebene zu diskutieren und uns einzubringen.

Zweitens. Die mit der Gesundheitsüberprüfung oder dem Health Check bereits eingeleitete Neuorientierung der Agrarpolitik mit deutlich geringeren Direktzahlungen und stärkerer Risikovorsorge wird sich fortsetzen. Das halte ich auch für richtig.

Drittens. Der Druck auf den Agrarhaushalt und den EU-Haushalt wird ansteigen, und zwar aufgrund der Situation, die wir alle kennen. Nämlich infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise zwingt es gerade die Nettozahlerpositionen, zu denen insbesondere Deutschland gehört, zum absoluten Sparkurs. Ansonsten wird dieses nicht möglich sein. Ich glaube, man muss auch erkennen, dass der rumänische Agrarkommissar natürlich als Vertreter der neuen Länder im Korps der 27 wahrgenommen werden will und auf der anderen Seite eine Angleichung der Regionen in Europa insgesamt vorantreiben will und muss.

Der Druck auf die weitere Stärkung der ländlichen Räume, der Entwicklungspolitik der zweiten Säule für die neuen Herausforderungen, nämlich dem demografischen Wandel entgegenzuwirken oder ihn als Chance zu erkennen, oder insbesondere auf den Klimaschutz, der durch die Länder, die Mitgliedsstaaten, aber ausdrücklich auch durch die Naturschutzverbände weiter anwachsen wird, ist zu unterstützen. Eine Politik, die den deutschen Landwirten Planungssicherheit verspricht, darf vor diesen Fakten nicht die Augen verschließen. Wer das macht, der gaukelt, und das habe ich mehrfach gesagt, den Landwirten in Deutschland, in Europa oder in Mecklenburg-Vorpommern falsche Tatsachen vor.

Am 12. Februar 2010 war ich mit meinen Länderkollegen bei der Bundesministerin und es ging natürlich um die deutsche Verhandlungsposition. Letztlich haben sich Bund und Länder mehrheitlich darauf verständigt, in Brüssel zunächst eine Verteidigungsposition aufzubauen und den Status quo im Interesse der deutschen Landwirte einzunehmen. Gleichzeitig ist auf meinen Antrag hin ausdrücklich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die die Argumentation für diese Eckwerte präzisieren und verschiedene Varianten rechnen soll, um damit Verhandlungsspielräume für ganz Europa zu eröffnen.

Nach Aussagen des BMELV, also des Bundeslandwirtschaftsministeriums, gilt es an erster Stelle, eine sogenannte Flatrate oder Anpassungsstrategie bei den Direktzahlungen zu verhindern. Ich halte diese Basis der Bundesregierung für nicht optimal. Diese würde nach jetzigen Berechnungen und bei einem stabilen Agrarbudget von in etwa 260 Euro pro Hektar in Europa insgesamt ausgehen. Für diejenigen, die es nicht wissen: In Mecklenburg-Vorpommern haben wir heute eine Ausgleichszahlung von 320 Euro pro Hektar. Es wäre also eine deutliche Verschlechterung für unsere Landwirte. Die Bauern in Deutschland würden demnach immerhin 1,8 Milliarden Euro weniger aus den EU-Fonds bekommen.

Wir müssen daher aktiv in die Diskussion hineingehen, denn auch für Mecklenburg-Vorpommern sind die Direktzahlungen nach wie vor mittelfristig unverzichtbar. Derzeit, und das hat der Bauernpräsident ja aufgenommen, ist es nach unseren Zahlen, die wir durch die Landesforschung oder auch durch die LMS in den Praxisbetrieben kennen, so, dass das landwirtschaftliche Einkommen in den Betrieben durch die Direktzahlungen zwischen 40 und 65 Prozent des Einkommens ausmachen. Und das heißt, wer da meint, man kann die mal eben streichen, der wird dann ein Sterben von Landwirtschaftsbetrieben auch in den wettbewerbsfähigeren Regionen zu verantworten haben. Würden diese Ausgleichszahlungen abrupt abgeschafft oder sofort übermäßig reduziert werden, wäre das das wirtschaftliche Aus für eine Vielzahl von Betrieben auch in Mecklenburg-Vorpommern.