Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Kollege Bluhm, vorab zwei Sätze an Sie. Natürlich kann man über die Verbesserungsfähigkeit jedes Antrages diskutieren. Aber vielleicht stellen wir das Ganze mal unter den Satz des Kollegen Holter, den er gestern in der Aktuellen Stunde gesagt hat, und das trifft, glaube ich, für diesen Antrag auch ganz gut zu: „die guten Erfahrungen von Modellprojekten in die Breite tragen“.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Ja.)

Sie haben es ja eben selber gesagt, es gibt gute Erfahrungen hier im Lande. Ich denke, es ist zielgerichtet – und das verfolgt dieser Antrag auch in erster Linie –, diese guten Erfahrungen in die Breite zu tragen.

Die zweite Anmerkung ist, dass gerade auf dem Parlamentarischen Abend der Industrie- und Handelskammern – wenn ich mich richtig erinnere, war der Kollege Bluhm auch da – von den Kammern auch dieses Thema gerade eingefordert wurde, nämlich die Verknüpfung des Übergangs von Schule und Wirtschaft. Auch da gibt es, glaube ich, keinen Dissens.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich die Situation hier in diesem Lande am Arbeitsmarkt anguckt, dann kann man im ersten Moment denken, das ist auch schon in den vorigen Redebeiträgen deutlich geworden, dass wir eine grundsätzlich positive Entwicklung über die letzten Jahre feststellen können. Das gilt auch auf den ersten Blick für die Fachkräfteversorgung der Wirtschaft in unserem Bundesland. Der Anteil ungelernter Arbeitskräfte an den Gesamtbeschäftigten in den neuen Bundesländern insgesamt war zumindest vor der Finanz- und Wirtschaftskrise und deren Auswirkungen, die ja insbesondere den westdeutschen Arbeitsmarkt getroffen haben, hier in den neuen Bundesländern erheblich geringer als im westlichen Bundesgebiet. Der hohe Anteil an gut qualifizierten Arbeitskräften wurde in der Vergangenheit insbesondere auch durch die Investoren, die wir hier zur Ansiedlung haben wollten, immer wieder als wichtiger Standortvorteil bei ihren Ansiedlungsüberlegungen wahrgenommen.

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bereits heute wissen wir – und der Kollege Bluhm hat auch darauf hingewiesen –, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern in den kommenden Jahren vor grundlegenden Herausforderungen stehen. Schon heute ist die Altersstruktur in den neuen Bundesländern – und das gilt auch für Mecklenburg-Vorpommern – stärker von Beschäftigten geprägt, die in absehbarer Zeit aus dem Arbeitsleben ausscheiden werden, als dies zum Beispiel in Westdeutschland der Fall ist. Der Anteil der 50- bis 65-Jährigen an der Gesamtbeschäftigtenzahl lag bereits Ende 2007 in den neuen Bundesländern mit 26,2 Prozent deutlich höher als in den westdeutschen Bundesländern mit dort durchschnittlich 22,9 Prozent.

Und dies – auch darauf hat der Kollege Bluhm hingewiesen – ist nur das durchschnittliche Bild. Die IHK Rostock hat bereits 2008 – gerade in den exportstarken Industriezweigen wie Maschinenbau, Medizintechnik, Elektrotechnik – einen besonderen Fachkräfte- und Ingenieur mangel konstatiert. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Schulabgänger und damit derjenigen, die die Fachkräfte von Morgen sein sollen, auch hier in unserem Land rapide.

Die demografische Entwicklung – und das ist gestern auch Teil der Aktuellen Stunde gewesen – in unserem Land stellt die Wirtschaft bei der Gewinnung des künftigen Fachkräftenachwuchses vor erhebliche Herausforderungen. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn dieses Problem nicht unvermittelt über uns hereinbricht, sondern sich die Entwicklung tatsächlich bereits seit mehreren Jahren abzeichnet, verbleibt doch der Eindruck, dass das notwendige koordinierte Handeln aller geforderten Akteure zumindest noch verbesserungsfähig ist.

Meine Damen und Herren, natürlich ist die Sicherung eines ausreichenden Fachkräftenachwuchses zunächst Aufgabe der Unternehmen im Land. Solange das Verdienstniveau bei vergleichbarer Qualifikation in Mecklenburg-Vorpommern deutlich unter dem Durchschnitt im westlichen Bundesgebiet liegt, bedarf es wahrlich starker Heimatverbundenheit, um als junger, ungebundener Mensch nach der Schule oder der Ausbildung hier im Land eine Tätigkeit anzunehmen und nicht dem Wink westdeutscher Unternehmen mit einer etwas praller gefüllten Lohntüte folgen zu wollen.

Und dieses Abwerben, Herr Kollege Roolf, dieses Abwerben von Auszubildenden und Fachkräften wird in den kommenden Jahren eher zu- als abnehmen. Wenn unsere Unternehmen eine Zukunft haben wollen, so wird eine Anpassung der Lohn- und Gehaltsstruktur sicherlich auch an vergleichbare westdeutsche Regionen und Unternehmen unvermeidbar sein.

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das alleine wird eben nicht reichen. Auch das Land muss seine Anstrengungen intensivieren, jeden Jugendlichen optimal an das Berufsleben und die Herausforderungen am Arbeitsmarkt heranzuführen. Allgemein geht es darum – und das hat der Kollege Bluhm eben deutlich ausgeführt –, die Ausbildungsreife der Schulabgänger insgesamt so auszugestalten, dass Betriebe und Berufsschulen nicht das aufarbeiten müssen, was an den allgemeinbildenden Schulen nicht vermittelt werden konnte. Und ich weiß, wovon ich rede, ich habe selber ausgebildet.

Unser Augenmerk muss aber insbesondere auch darauf gerichtet sein, die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne einen am Arbeitsmarkt überhaupt verwertbaren Schulabschluss zu senken. Wir können es uns nicht leisten, Jugendliche, die beispielsweise Schwierigkeiten mit schulischem Lernen haben oder aufgrund ihrer familiären Umstände sich nicht nach ihren Möglichkeiten entfalten können, nicht so zu unterstützen, dass auch durch sie der Weg von der Schule in die Ausbildung erfolgreich beschritten werden kann.

Und, Herr Kollege Bluhm, das ist natürlich nur ein Segment aller Schulabgänger, aber es ist auch ein wichtiges Segment.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Ja, ja, ja. Zurücklassen.)

Ein solches Versäumnis – und ich hoffe, da sind wir uns dann doch alle einig – ist nicht nur volkswirtschaftlich unsinnig und finanzpolitisch auf Dauer unbezahlbar, sondern vor allem auch sozial unverantwortlich.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Richtig.)

Meine Damen und Herren, tatsächlich gibt es in unserem Land bereits eine Vielzahl unterschiedlichster Ansätze und Vorhaben der verschiedensten Akteure. Was aber nach Auffassung der Koalitionsfraktionen fehlt, ist der Folgeschritt: die vor Ort gesammelten Erfahrungen über die regionale Begrenzung hinaus auch Dritten im Land zur Verfügung zu stellen und durchaus erfolgreiche Konzeptionen, der Kollege Waldmüller hat einiges dazu aufgeführt, gemeinsam mit den Unternehmen, den Schulen, den Verbänden und Kammern im Land landesweit, aber – und da komme ich dann auch zum Änderungsantrag der FDP-Fraktion – letztendlich in der Verantwortung der jeweils vor Ort Handelnden zur Anwendung zu bringen, weil dieses Land trotz seiner Bevölkerungsschwäche doch in seinen Regionen so unterschiedlich ist, dass das Modell, das vielleicht im westlichen Mecklenburg durchaus Erfolg versprechend sein kann, vielleicht in anderen Regionen, so, wie es hier erfolgreich ist, dort nicht angewendet werden kann, sondern zumindest modifiziert werden muss. Das wissen dann allerdings am besten die Akteure und Akteurinnen vor Ort.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Zukunft unseres Landes sichern wollen, dann müssen wir den Menschen und den Unternehmen in unserem Land tatsächlich eine Zukunft geben. Wir haben – das ist vielleicht ein kleiner Schlenker zur Gleichstellungsproblematik, aber das möchte ich mir an dieser Stelle auch erlauben – gerade hier in diesem Haus damit schon den ersten Schritt gemacht, indem wir zum Beispiel einen Beschluss gefasst haben „Berufe haben kein Geschlecht“, wenn ich das jetzt richtig in Erinnerung habe. Auch das ist eine Frage von Entwicklung der Ausbildungskräfte.

(Udo Pastörs, NPD: Tolle Feststellung!)

Aber ein erster Schritt, ein erster wichtiger Schritt für alle potenziellen Auszubildenden, für die Schulabgänger, egal ob Mädchen oder Jungen, ist letztendlich der erfolgreiche Übergang von der Schule in die Ausbildung.

Und, Herr Kollege Bluhm, dann gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang auch noch eine persönliche Anmerkung. Ich habe gerade gestern eine Besuchergruppe gehabt und das waren unter anderem Jugendliche der Förderschule in Toitenwinkel. Das ist nun ein Kreis, den man tatsächlich dann auch entsprechend an die Hand nehmen muss und fördern muss. Auch wenn die Perspektive, und das wissen wir hier im Haus, der Schulabgänger insgesamt natürlich besser geworden ist, alleine schon aufgrund der demografischen Veränderungen hier in diesem Land, glaube ich, es bedarf immer noch großer Anstrengungen, die Schulen, die Schüler und die Unternehmen so zusammenzuführen, dass, wenn ein jugendlicher Mensch, der im Grunde noch nie richtig gearbeitet hat, bevor er von der Schule geht, nicht einen Ausbildungsberuf ergreift, vielleicht einfach aus Unkenntnis heraus, der nachher weder ihm passend ist

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Ja.)

und seiner eigenen persönlichen Entwicklung gerecht wird noch dem Unternehmen, das ihn dann ausbildet, was dann zu Frustrationen auf beiden Seiten führt. Sie

werden das vielleicht auch schon kennengelernt haben, Herr Kollege Roolf.

(Irene Müller, DIE LINKE: Und trotzdem ist das nichts Neues. – Michael Roolf, FDP: Soll vorkommen.)

Wenn wir uns die Zahl der Ausbildungsabbrecher oder der abgebrochenen Ausbildungsverhältnisse in diesem Land angucken, dann wird natürlich eine Vielzahl der Verhältnisse deswegen beendet, weil vielleicht der eine sagt, ich habe mir überlegt, ich studiere jetzt,

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Die Hälfte.)

und es gibt natürlich auch immer die Situation, wo es tatsächlich gerade in den ersten Monaten der Berufsausbildung erkannt wird, das ist nicht das gewesen, was ich mir eigentlich vorgestellt habe. Um allein diesen Prozentsatz zu minimieren, der für die Jugendlichen sicherlich eine höchst unangenehme und auch für ihre weitere Ausbildung eine schmerzhafte Erfahrung sein kann, und um ihn auch für die Unternehmen zu minimieren, denke ich, ist es schon sinnvoll, diese Erfahrungen, die hier teilweise im Land gemacht worden sind in den verschiedenen Modellprojekten, den Akteuren dann insgesamt vor Ort im Land anzubieten.

Vor diesem Hintergrund – und ich hatte nun nicht den Eindruck in Ihrer Rede, dass Sie damit inhaltlich wesentliche Probleme haben –, glaube ich, sollte dieser Antrag doch auch noch Ihre Unterstützung finden, egal ob der Änderungsantrag der FDP die Zustimmung der Koalitionsfraktionen findet oder nicht.

(Hans Kreher, FDP: Vielen Dank. – Zuruf von Ralf Grabow, FDP)

Ich glaube, das Ziel, das wir haben, ist uns allen wichtig. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Danke schön, Herr Schulte.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete der Fraktion der FDP Herr Roolf.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich dem Kollegen Bluhm anschließen und all denjenigen, die in dem Bereich Schule/Wirtschaft im Land tätig sind, auch sehr viel ehrenamtlich tätig sind, von dieser Stelle unseren Respekt aussprechen und ihnen eigentlich nur zurufen, dass sie das, was sie dort leisten, weiterhin leisten und dass sie an den Dingen, an denen sie arbeiten, auch weiterhin so intensiv arbeiten, wie sie es bisher getan haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Ich bin am Montag selber in Parchim gewesen, vor Ort. Ich habe mich mit denjenigen, die es dort aktiv gestalten, sehr lange und intensiv unterhalten und habe unter dem Gesichtspunkt mir dann noch mal den Antrag der Koalitionsfraktionen hier angeguckt und muss Ihnen doch ganz deutlich sagen, das ist alles nett geschrieben, aber es ist in den Handlungsmaßgaben, die Sie sich selber geben, dann im Ergebnis inkonsequent. Das will ich Ihnen auch kurz erläutern.

Ich bin im Punkt II Ihres Antrages. Da schreiben Sie unter II Punkt 1 über eine „Zusammenstellung“. Geht es um eine Zusammenstellung von Papieren? Ich denke,

dass wir in unserem Änderungsantrag das Wort „Zusammenstellung“ mit „Evaluation“ auswechseln, trifft den Bedarf dieses Antrages eher. Denn es geht darum, nicht nur Dinge, Fakten zusammenzustellen, sondern sie auch zu würdigen und daraus Maßnahmen aufzubauen.

An welcher Stelle stehen wir denn in der Thematik des Übergangs von Schule zur Wirtschaft? Da müssen wir uns beide Seiten anschauen. Da müssen wir uns die Wirtschaftsseite und die schulische Seite anschauen. Wenn ich als Unternehmer mal die Seite der Wirtschaft anschaue, dann haben wir die Situation, dass wir heute noch leider viel zu wenig Ausbildungsunternehmen im Land haben. Wir finden mit den jetzigen Handlungsweisen nur einen Ansatz bei denen, die ohnehin schon ausbilden. Ich sehe wenige Ansätze, um nicht zu sagen gar keine Ansätze, die zu gewinnen, die jetzt noch nicht ausbilden, dort die Möglichkeiten, die Türen aufzumachen, über diesen Arbeitskreis „Schule Wirtschaft“ auch die Unternehmer zu begeistern auszubilden, die es heute noch nicht machen.

Ich lobe nun nicht besonders oft das Wirtschaftsministerium, Herr Minister Seidel ist ja da: Das, was der Staatssekretär Stefan Rudolph gemeinsam mit dem Handwerk jetzt entwickelt, nämlich zu schauen, wie kriegen wir das, was wir an schulischen Aktivitäten haben, dichter an die Wirtschaft, dichter auch an das Handwerk heran, das ist absolut begrüßenswert.

Und es hat einen zweiten Aspekt in diesem Bereich, nämlich den zweiten Aspekt, dass wir sagen: Bieten wir eigentlich in dem Ausbildungsbereich die richtigen Profile für die jungen Leute an? Müssen wir nicht über Teilberufsausbildungen reden, müssen wir nicht über neue Angebote reden? Und – da komme ich vom wirtschaftlichen Aspekt zum Bildungsaspekt hin – sind wir nicht gerade in der Diskussion, wenn es um Unternehmen, Unternehmer, um Handwerk geht, auch in einer starken Wertediskussion, dass junge Menschen von Anfang an erkennen, was bedeutet es denn eigentlich, ein Unternehmen zu betreiben, was bedeutet es, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, wie wird gelebt im Arbeitsprozess? Das heißt, wir sind sehr intensiv dort auch in einer Wertediskussion.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Es sollte Bildungsansatz sein in Mecklenburg-Vorpommern, gerade diese Wertediskussion auch in den Vordergrund zu stellen.

Wir kommen an eine Diskrepanz, die für mich auch noch nicht ganz schlüssig abschließend zu bewerten ist. Aus Parchim nehme ich die Überzeugung mit, dass wir Regionalisierung, regionale Bedürfnisse akzeptieren müssen. Die Probleme in Parchim sind anders wie in Rostock und anders wie in Greifswald und anders wie in Stralsund.

(Udo Pastörs, NPD: Als.)

Das heißt, wir müssen Standards sehr wohl im Groben über das Land entwickeln, aber wir müssen Individualität, Flexibilität und auch Bedarfsgerechtigkeit in den Regionen gestalten.

Da sind wir dann bei unserem zweiten Änderungsantrag, dass wir sagen, es kann doch nicht ausreichen, wenn Sie in Punkt 2 unter II dann schreiben „den Regionen hilfestellende Informationen zur Verfügung zu stellen“. Das kann ernsthaft nicht Anspruch einer Landesregierung sein.

Ich will abschließend sagen, dass wir sehr gerne Ihrem Antrag zustimmen würden, wenn Sie unseren Änderungsantrag in Ihre Arbeit mit einbeziehen. Sollten Sie unseren Änderungsantrag nicht mit einbeziehen, werden wir uns bei der Abstimmung enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)