Protokoll der Sitzung vom 11.03.2010

Im Ältestenrat wurde eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Wirtschafts- und Arbeitsminister Herr Seidel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben es eben gehört, es gibt zwei Bundesverfassungsgerichtsurteile, die sich mit den Regelungen des SGB II besonders befassen, einmal vom 9. Februar dieses Jahres und einmal vom 20. Dezember 2007. Im ersten Fall geht es um die Transparenz und um die Methodik bei der Ermittlung der Regelsätze,

(Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

ich mache das jetzt nur einmal etwas abgekürzt, und im zweiten Fall geht es um die gegenwärtig in vielen Fällen stattfindende Mischverwaltung, also die Argen, bei der wir alle wissen, dass die Struktur als nicht verfassungsgemäß durch das Bundesverfassungsgericht angesehen ist. Es stehen also in der Tat schwierige Gesetzgebungsverfahren an. Das ist auch Bestandteil der Diskussion, die, wie ich finde, mehr oder weniger sachgerecht geführt wird. Insofern sollten wir uns bemühen, wirklich bei den Fakten zu bleiben, zumindest heute Abend, das ist ohnehin schon schwierig genug.

Meine Damen und Herren, ich muss noch einmal daran erinnern, das SGB II ist in der Tat, was dann immer so unter Hartz-IV-Gesetzgebung geführt wird, nach einem zähen politischen Ringen entstanden – das muss man, glaube ich, so sagen –, und zwar ganz konkret zum 1. Januar 2005. Insofern war ja zu erwarten, das muss man an dieser Stelle auch erwähnen, dass es diese und jene Problematik noch geben wird, die dann nachgeregelt werden muss. So furchtbar überrascht, finde ich, muss man auch nicht sein, dass sich Dinge ergeben, wo konkret nachgearbeitet werden muss. Man muss hier nur die Transparenz annehmen, die notwendig ist, und sie auch demonstrieren, um hier praxisgerecht die Regelungen zu treffen.

Ich finde, man muss an dieser Stelle noch einmal deutlich fragen: Hat diese Gesetzgebung denn grundsätzlich etwas für uns gebracht? Hat sie das Ziel erreicht?

(Irene Müller, DIE LINKE: Na ja, das werden Sie uns mit der Bilanz ja vorlegen.)

Ja, Frau Müller, die Frage haben Sie ungefähr so gestellt. Da werden wir wahrscheinlich unterschiedliche Bewertungen haben. Man muss aber daran erinnern, dass wir vor dem Jahr 2005 zwei nebeneinander bestehende Systeme hatten. Das eine war die Arbeitslosenhilfe, das sogenannte Arbeitslosengeld II, oder wie man es

auch immer bezeichnet hat, und das andere die Sozialhilfe. Beide wurden in unterschiedlichen Einrichtungen betreut, einmal der Bund, einmal die Kommunen, hauptsächlich die Landkreise, aber auch die Städte und Gemeinden, ausfinanziert aus unterschiedlichen Töpfen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Beide betreuten allerdings einen vergleichbaren Personenkreis. Für die Arbeitsämter waren damals die Sozialamtsfälle bei der Vermittlung nachrangig. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Und die Sozialämter haben auch unterschiedlichen Wert auf zum Beispiel eine Meldung beim Arbeitsamt gelegt, um nur einmal solche Details hier anzusprechen.

Ich glaube, aus jetziger Sicht muss man ehrlich zugeben, die Fälle – oder man darf nicht von Fällen reden, man muss von den Menschen reden –, die Sozialhilfe bekommen haben, sind schon in gewisser Weise mit Zahlungen ruhiggestellt worden. Es ist nichts Großartiges passiert auf dieser Strecke im Hinblick auf die Möglichkeit, sie doch wieder in Arbeit zu bekommen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Und jetzt ist was Großartiges passiert?)

Das muss man ruhig und ohne jeden Schaum vor dem Mund hier feststellen, das sollte geändert werden.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das streitet ja auch gar keiner ab. Das war ja kommunale Aufgabe.)

Ich glaube in der Tat, dass mit der gesetzlichen Regelung im Jahr 2005 tatsächlich jeder erwerbsfähige Hilfebedürftige durch das SGB II heute zunächst einmal rechtlich gesehen die gleiche Chance auf Unterstützung bei der Aufnahme einer Erwerbsfähigkeit erreicht.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Allerdings ist klar, es bleiben Fragen. Und diese Fragen sind dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, abgekürzt dem IAB, sogar per Gesetz in Paragraf 55 SGB II übertragen worden. Es ist zum Beispiel eine Frage: Inwiefern ist es in den vergangenen Jahren gelungen, den in Paragraf 1 SGB II formulierten Auftrag umzusetzen, erwerbsfähige Hilfebedürftige zu unterstützen, damit sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können?

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Gescheitert.)

In den vergangenen Jahren hat das IAB hierzu zahlreiche Studien vorgelegt. Es laufen diesbezüglich auch weiterhin Forschungsvorhaben, das kann man mit einem Blick auf die Präsentation des IAB sehr schnell erkennen. Das IAB hat jetzt aktuell noch einmal einen Kurzbericht dargestellt und diesbezüglich neue Befunde veröffentlicht. Sie geben durchaus Aufschluss darüber, wer unter welchen Bedingungen den Ausstieg aus dem Leistungsbezug geschafft hat, wer nicht und woran dies eventuell gescheitert ist.

Um es kurz zu machen: Generell bestätigen die Ergebnisse der Studien, dass die Reform grundsätzlich in eine richtige Richtung geht. Anlass zu einer kritischen Beurteilung sehen die Forscher in Folgendem: Der Anspruch, individuell passende Betreuungs- und Aktivierungsleistungen anzubieten, wurde in der Praxis nicht hinreichend gelöst. Das ist richtig. Es hat aber vielleicht auch etwas

damit zu tun, dass man sich die Entstehungsgeschichte der Argen auch noch einmal vor Augen führen muss. Und daran war ich selbst beteiligt.

(Irene Müller, DIE LINKE: Ja, genau das wollen wir auch für Mecklenburg-Vorpommern wissen.)

Ja, das ist auch in Ordnung, aber das ist in Mecklenburg-Vorpommern gar nicht anders gewesen als in den anderen Ländern.

(Irene Müller, DIE LINKE: Das ist ein ganzes Stück anders, weil die Grundlage eine andere ist.)

Es wurden aus den Kreisen Mitarbeiter in die Argen gegeben und es wurden aus der Agentur für Arbeit Mitarbeiter in die Argen gegeben. Das war diese Mischverwaltung.

(Dr. Armin Jäger, CDU: So ist es.)

Nicht immer war der Gedanke der – das muss man fairerweise zugeben –, nur die besten Leute auch wirklich hier auf diese wichtige Aufgabe zu konzentrieren.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Eben.)

Das ist so gewesen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ja, das ist so.)

Das hat sicherlich auch dazu geführt, dass heute gefordert werden muss, dass mehr qualifiziert und geschult werden muss und im Übrigen die Schlüssel, die da gefordert sind, vielleicht noch gar nicht in jedem Fall erreicht wurden, um auch von der Quantität her betreuen zu können.

Trotz dieser Kritik will ich sagen, dass es durchaus messbare Erfolge gibt.

(Harry Glawe, CDU: Fallmanager. – Irene Müller, DIE LINKE: Lächerlich!)

So ist die Zahl der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen von 2006 bis 2009 kontinuierlich zurückgegangen.

(Irene Müller, DIE LINKE: Die streichen doch alles raus.)

Im Bund betrug der Rückgang knapp 10 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern sogar 20 Prozent. Und dies gilt in gleicher Weise auch für die Zahl der Arbeitslosen nach dem SGB II, also für die Langzeitarbeitslosen. Im Jahr 2009 gab es im Bund jahresdurchschnittlich rund 30 Prozent weniger Langzeitarbeitslose.

(Irene Müller, DIE LINKE: Das stimmt doch alles nicht. Gucken Sie doch in die Statistik!)

Das können Sie anzweifeln, dann müssen Sie aber andere belegbare Zahlen präsentieren.

(Irene Müller, DIE LINKE: Sie streichen doch alles raus.)

Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern sind es 35 Prozent weniger als im Jahr 2005.

(Irene Müller, DIE LINKE: Wer privat vermittelt wird, kommt raus, wer einen Ein-Euro-Job hat, kommt raus, wer im Praktikum ist, wird rausgeschmissen.)

Ich will Ihnen auch einmal sagen, dass das Jahr 2005 das Spitzenjahr war, wo die öffentliche Beschäftigung hier in Mecklenburg-Vorpommern so richtig gewirkt hat,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Genau.)

denn da hatten wir die höchsten Arbeitslosenzahlen.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Insofern, Frau Müller, es tut mir leid, aber Ihr gemachter Vorschlag mit der öffentlichen Beschäftigung geht nun wirklich völlig daneben.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das war nichts.)

Der hat leider nichts gebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP – Irene Müller, DIE LINKE: Da irren Sie sich. Was machen Sie mit Ein-Euro-Jobs? – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)