Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

(Manfred Dachner, SPD: Das war ja ein toller Vergleich.)

Sie gehen nur nicht hin, und die Produktionsfirma geht pleite.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Der hinkt ja mächtig, der Vergleich.)

Und wenn sich niemand findet, Asylbewerber in seiner Privatwohnung aufzunehmen,

(Zurufe von Dr. Norbert Nieszery, SPD, und Egbert Liskow, CDU)

dann ist das ein Beweis dafür, dass alle für die Willkommenskultur sind.

(Harry Glawe, CDU: Das ist ja ein Vergleich.)

Das ist eine interessante Interpretation. So kann man es natürlich machen, wenn man sich die Welt schönreden will.

Aber die Lösung des Rätsels ist, dass das Nichthingehen keine Zustimmung bedeutet, sondern für alle, die noch ein bisschen Gehirnsubstanz übrig haben, ist das ein Zeichen für Desinteresse. Desinteresse! Man kann sich das schönreden wie Herr Suhr und sagen, ja, es sind aber immerhin mehr gewesen, als die stärkste Fraktion Wähler hat, und so weiter, oder man kann es so sagen wie Frau Drese, das sei ein Zeichen dafür, die Leute seien so zufrieden gewesen, und aus Zufriedenheit seien sie zu Hause geblieben. Aber in Wirklichkeit war es einfach Desinteresse, Gleichgültigkeit – Desinteresse nicht nur gegenüber Wahlen und Parteien, sondern gegenüber dem Staat an sich, ob es ihn noch gibt oder nicht. Der Staat baut sich ja selbst ab.

(Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

Ja, das ist die wahrscheinlichste Interpretation. Wir interpretieren hier alle, oder? Dann kann ich ja auch interpretieren.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist nah am Schwachsinn. – Wolfgang Waldmüller, CDU: Können Sie. – Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Der Staat baut seinen absoluten Kern, die Gerichtsbarkeit, ab. Den Leuten ist das gleichgültig.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Ist diese Form von Gleichgültigkeit nun gut oder schlecht für einen Staat? Da kann man sich ja mal einen Staat ansehen, der an Gleichgültigkeit zugrunde ging, nämlich die DDR. Spätestens seit Ende der 70er-Jahre hatten die meisten DDR-Bürger innerlich mit ihrem Staat abgeschlossen. Das Motto lautete „Privat vor Katastrophe“, genau wie für diejenigen, die jetzt nicht zum Volksentscheid gingen. Das war noch nicht systemgefährdend, es war ja alles ruhig. Aber ohne Rückhalt in der Bevölkerung kann ein Staat von einem Windstoß umgeworfen werden, der dann auch kam.

Als Gegenbeispiel für einen vitalen Staat: Als 1968 eine Million linke Studenten und Arbeiter auf die Straße gin

gen, um in Frankreich de Gaulle zu stürzen, waren Tage später eine Million De-Gaulle-Anhänger auf der Straße und haben die Revolution beendet. Für die SED ging 1989 keiner auf die Straße, weil die Leute genauso gleichgültig waren gegenüber dem ganzen System wie jetzt hier in Mecklenburg-Vorpommern. Das war der Grund für den Sturz des Regimes.

(Martina Tegtmeier, SPD: So denken Sie?)

Wenn nach den ersten Demonstrationen gegen Honecker auch Anhänger der SED in Massen auf die Straße gegangen wären, wäre Herr Holter jetzt vielleicht Ministerpräsident der DDR, die es noch geben würde. Aber niemand war bereit, sich für diesen Laden zu engagieren, nicht einmal die Vopos. Die sahen auch nur zu und sagten, lasst den Laden doch den Bach runtergehen.

So weit ist mittlerweile auch schon die BRD hier in Mecklenburg-Vorpommern, denn 80 Prozent sagen, ob Gerichte abgeschafft werden oder nicht, ist mir egal. Ich gehe nicht hin, ich bin nicht dafür, ich bin nicht dagegen, lasst doch. Und wenn ein System so weit ist, fehlt nur noch der Windstoß, der es umwirft.

Da das hier eine Aussprache ist, kann ich ja, ohne einen Sachruf zu riskieren, auch einen kleinen Schwenker machen. Was könnte dieser Windstoß sein?

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Vorige Woche zitterten alle, die sich ein bisschen mit Wirtschaft befassen, dem Mittwoch entgegen. Es ging das Gerücht um, die US-Bundesbank könnte die Zinsen leicht erhöhen. Nach Meinung vieler Leute, die von Wirtschaft Ahnung haben, könnte das schon ausreichen, die Weltkonjunktur zum Absturz zu bringen und damit auch die Scheinkonjunktur hier.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das hat Ihnen der Weltökonom aus Lübtheen erzählt, oder?!)

Selbst das würde schon reichen, um Sie in erste Schwierigkeiten zu bringen. Wenn sich 80 Prozent nicht mehr für den Staat interessieren, ob es die Gerichte gibt oder nicht, wie soll denn ein solcher Staat ohne Rückhalt in der Bevölkerung auch nur eine mittlere Krise überstehen? Wer steht dann für ihn ein?

An der Stelle der Landesregierung würde ich die niedrige Beteiligung nicht feiern, sondern ich würde sie als böses Zeichen werten. Aber die Landesregierung schwimmt ja wieder mal in Optimismus. Um Peter Ustinov zu zitieren und zu paraphrasieren: „Optimismus ist nur ein Mangel an Information“ und,

(Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

wie ich hinzufüge, Gefahrenbewusstsein und Realitätssinn.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Um das Wort gebeten hat die Justizministerin Frau Kuder.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf den Quatsch von eben will ich jetzt nicht eingehen, aber es hat hier einige Aspekte

gegeben, bei denen ich glaube, dass es wichtig ist, dass ich mich dazu auch noch mal kurz äußere.

Also erst hieß es ja, die Landesregierung würde das Thema Volksentscheid totschweigen, dann hieß es auch heute hier wieder, wir würden falsch informieren. Da kann ich nur fragen: Was denn nun, totschweigen oder informieren? Das passt schon mal nicht zusammen. Dann der Versuch – Sie wissen es alle –, mir mithilfe des Verfassungsgerichtes zu verbieten, für ein Nein bei der Abstimmung zu werben, weil die Landesregierung angeblich neutral sein müsse, das fiel ja heute auch wieder. Aber dem ist das Verfassungsgericht nicht gefolgt.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, aber das interessiert Frau Borchardt nicht. Das haben wir ja eben gehört.)

Selbst das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Ich finde, es ist aber mal wichtig, dass Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Landesregierung in der Auseinandersetzung um einen Volksentscheid anders als bei Wahlen – Sie vergleichen ja auch immer Abstimmungen mit Wahlen –, anders als bei Wahlen zwar zur Sachlichkeit, aber eben nicht zur Neutralität verpflichtet ist.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Geht ja auch gar nicht.)

Das wäre, mit Verlaub gesagt, ja auch noch schöner. Dann soll wohl die Landesregierung wegen der Bedeutung der direkten Demokratie zwar zur Teilnahme am Volksentscheid aufrufen, sich aber in der Frage, wie aus ihrer Sicht abgestimmt werden sollte, einer Stellungnahme enthalten?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Obwohl es das eigene Gesetz ist.)

Diese Aussage bliebe dann den jeweiligen Initiatoren des Volksentscheides exklusiv vorbehalten? Meine Damen und Herren, bei allem Respekt, ich finde, so geht das nicht mit dem Meinungsstreit in der Demokratie, auch nicht in der direkten Demokratie.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig, Frau Ministerin. – Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Und nun zum Ergebnis des Volksentscheides.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben nicht die alleinige Deutungshoheit, was das Ergebnis des Volksentscheides angeht. Fest steht, dass die weit überwiegende Zahl der Bürgerinnen und Bürger keinen Anlass gesehen hat, sich gegen die Gerichtsstrukturreform zu wenden.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Genau so.)

Das muss man eben zur Kenntnis nehmen. Und ich wiederhole: Die Bürgerinnen und Bürger haben das durch ein ausdrückliches Nein bei der Abstimmung gezeigt oder dadurch, dass Sie der Abstimmung ferngeblieben sind.

(Michael Andrejewski, NPD: Totaler Quark!)

Mit dieser Ansicht bin ich nicht allein.

(Stefan Köster, NPD: Die Erde ist eine Scheibe. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Glaubst du das immer noch?)

Ich zitiere aus der gemeinsamen Pressemitteilung,

(Michael Andrejewski, NPD: Nicht hingehen heißt: Hurra! – Glocke der Vizepräsidentin)

ich zitiere aus der gemeinsamen Pressemitteilung von Richterbund und dem Verein Pro Justiz vom 04.09., also zwei Tage vor dem Volksentscheid. Da heißt es: „Nicht zur Abstimmung zu gehen ist gleichbedeutend mit einer ,Neinʻ-Stimme...“

Also bitte schön, dieser Interpretation kann ich nur zustimmen, und das hat sich im Ergebnis auch so gezeigt.