Protokoll der Sitzung vom 21.10.2015

anschließend in einem Kombinat beziehungsweise in einer LPG gearbeitet. Wir alle wissen, dass viele Menschen sich in der ehemaligen DDR in ihren Nischen eingerichtet

(Udo Pastörs, NPD: Wie heute wieder.)

und ein glückliches Leben geführt haben.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ja, genau, nehme ich zurück.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich weiß aber auch, dass die DDR alle Freiheitsbestrebungen konsequent und mit Gewalt unterdrückt hat. Sie war eben unstrittig kein Rechtsstaat.

(Udo Pastörs, NPD: Heute auch nicht.)

Das wissen wir alle, die im Osten groß geworden sind.

Meine Damen und Herren, umso größer waren aber auch die Hoffnungen, die durch die Montagsdemonstrationen,

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

die Bürgerbewegungen, den Fall der Mauer und letztendlich auch durch die Wiedervereinigung geweckt wurden. Freiheit und Wohlstand – das war die große Verheißung für Millionen Ostdeutsche, auch für mich.

Ich hatte das große Privileg, von Anfang an den Prozess der Wiedervereinigung sowie die Gründung und den Aufbau des Landes Mecklenburg-Vorpommern zunächst in der letzten frei gewählten Volkskammer und später im Landtag mit begleiten zu können. Ich weiß noch, wie es am Anfang war. Ich weiß, welche Zusammensetzung die Parlamente hatten. Ich weiß, es war eine sehr spezielle, eine emotionale und eine ungemein spannende Zeit. Viele der Kollegen, dazu zähle ich mich auch, hatten keine oder kaum Erfahrung auf der politischen Bühne, und plötzlich sollten wir gemeinsam wichtige, zukunftsträchtige Entscheidungen treffen.

Als dann endlich die Wiedervereinigung kam und das Land Mecklenburg-Vorpommern gegründet wurde, ging für viele, glaube ich, ein Traum in Erfüllung, den die Menschen ein halbes Jahr oder ein Jahr vorher sich nicht ansatzweise hätten träumen lassen. Es war ein toller Tag für das Land. Viele Menschen haben damals mitgeholfen

und ihren Beitrag dazu geleistet, dass wir dieses Ereignis miterleben konnten. Darauf kann man auch heute noch sehr stolz und darüber können wir sehr glücklich sein. Ich bin allen dankbar, die dazu beigetragen haben, dass es so gekommen ist, wie es vor 25 Jahren gekommen ist.

(Udo Pastörs, NPD: Das kommt aber auch mal anders.)

Aber jetzt, meine Damen und Herren, ging für alle die Arbeit erst richtig los. Alles war im Umbruch: Lebensläufe brachen, Strukturen lösten sich auf, die Menschen waren glücklich, sie waren frei und sie waren vor allem voller Hoffnung. Aber viele waren natürlich auch verunsichert, sie hatten Angst vor der Zukunft, Angst vor der Ungewissheit, wie es weitergehen wird.

(Udo Pastörs, NPD: Zu Recht.)

Gewiss war erst mal nur eines: Die Freiheit war da, sie war vollumfänglich, sie war grenzenlos und sie war für jeden erlebbar. Niemand wurde verhaftet, weil er sich kritisch zu politischen Themen äußerte,

(Udo Pastörs, NPD: Ah, das ist aber heute wieder so. – Heiterkeit bei Michael Andrejewski, NPD)

und niemand wurde mehr erschossen, nur weil er in den anderen Teil Deutschlands wollte.

Wir fühlten uns befreit, aber wir fühlten bereits in der damaligen Zeit die große Verantwortung. Der Staat, der Wohnungen und Arbeit zuteilte, der den Konsum regulierte, der in nahezu alle Lebensabläufe hineinregierte, vieles vereinheitlichte und vieles vorgab, war nicht mehr da. Wir mussten lernen, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das war für uns eine neue, eine ganz schwierige Erfahrung. Die vollen Regale in den Kaufhallen brachten unsere Augen zum Leuchten, genauso wie uns die große Auswahl an Versicherungsverträgen schier zur Verzweiflung brachte. Die Bürger der neuen Länder mussten viele Entscheidungen plötzlich selbst fällen. Wie wir alle wissen, kam nicht jeder damit vollends zurecht. Hier war die Politik gefragt, den Menschen zu helfen und sie beim Start in die Freiheit zu unterstützen – die gleiche Politik, die selbst in einem Lernprozess war. Dass das nicht fehlerfrei abgehen konnte und auch nicht fehlerfrei abgegangen war, ist selbstverständlich.

Meine Damen und Herren, als sich der Landtag am 26. Oktober 1990 konstituierte – der Ministerpräsident verwies bereits darauf –, waren Kollege Backhaus, Kollege Seidel und ich diejenigen, die damals schon mit dabei waren. Eine der ersten Entscheidungen war ja die Entscheidung, wo der Landtag seinen Sitz erhält. Damals ist es mehrheitlich für Schwerin ausgegangen. Ich denke, es war eine kluge und richtige Entscheidung.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Vincent Kokert, CDU: Was für eine richtige Entscheidung!)

Aber es gab auch andere Bewerber, das vergisst man heute immer wieder in dem Zusammenhang – auch das gehört zur Geschichte dazu.

Meine Damen und Herren, wenn man 25 Jahre Revue passieren lässt, müssen wir feststellen, das Land Meck

lenburg-Vorpommern hat sich bemerkenswert entwickelt. Das wird umso bemerkenswerter, wenn wir uns vor Augen führen, wie alles begann.

(Udo Pastörs, NPD: Mal sehen, wann alles endet.)

Ich kann mich noch gut an die Zusammensetzung des ersten Landtages erinnern. Die wenigsten von den damaligen Abgeordneten waren Politprofis. Wir hatten überhaupt keine rechte Vorstellung darüber, was uns erwartet. Wir waren motiviert, wir waren engagiert, wir waren entscheidungsbereit. Aber zur Wahrheit gehört auch, wir waren ungemein hemdsärmelig. Rechtsvorschriften waren nicht in jedem Fall so vorgesehen, wie man sich das vielleicht heutzutage vorstellt. Und nicht jeder Berater, der uns zur Seite stand, war unbedingt mit der besten Qualifikation ausgestattet. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Doch es half alles nichts. Wir mussten staatliche Strukturen neu aufbauen: Die Kommunen, die Polizei, die Feuerwehr, die Justiz, das Sozialwesen, das Bildungssystem, die Verwaltung, den Sport, die Verkehrsinfrastruktur – alles wurde umgekrempelt oder gleich neu geschaffen. Natürlich haben alle, egal wie die Regierungskonstellation aussah, dabei Fehler gemacht. Einige Entscheidungen – das würde ich mit Sicherheit behaupten, und das kann, glaube ich, jeder aus der damaligen Zeit – würde man so heute nicht wieder treffen. Aber ich denke, das ist ganz normal und man muss zu solchen Entscheidungen im Kontext der damaligen Zeit stehen und sie auch so betrachten.

Wir standen vor der gewaltigen Herausforderung, die DDR zu überwinden und das Land neu zu erfinden. Wir mussten zahlreiche wichtige Entscheidungen treffen. Dafür hatten wir weder viel Zeit noch die Erfahrungen und gleich gar nicht hatten wir einen doppelten Boden. Trotz dieser Unwägbarkeiten haben wir gemeinsam viele entscheidende Weichen für eine erfolgreiche Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern stellen können. Darauf können alle, die dazu beigetragen haben, stolz sein.

Meine Damen und Herren, die meisten in MecklenburgVorpommern haben unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unseren Rechtsstaat schnell verinnerlicht und schätzen gelernt.

(Michael Andrejewski, NPD: Da glaubt doch keiner mehr dran.)

Die großen, vor allem die wirtschaftlichen Umwälzungen nach der Wiedervereinigung führten aber mancherorts auch zu Verbitterung und Ablehnung. Es zeigte sich, die Einführung demokratischer Strukturen macht noch nicht aus jedem Bürger einen Demokraten,

(Udo Pastörs, NPD: Ja, das schafft ihr noch.)

wie man es nicht zuletzt eindrucksvoll hier im Plenarsaal rechts außen sehen kann.

(Udo Pastörs, NPD: Ja, das schaffen Sie noch. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Den traurigen Höhepunkt dabei bildeten ohne Zweifel –

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

auch darauf wurde bereits kurz eingegangen – die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992.

Fremdenhass, Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit bildeten damals eine gefährliche Mischung.

(Udo Pastörs, NPD: Polizeiversagen, würde ich sagen.)

Nur knapp sind wir einer größeren Katastrophe entkommen. Die Ereignisse rund um das Sonnenblumenhaus zeigten uns, dass noch nicht alle Menschen in dem vereinten Deutschland angekommen waren.

(Gelächter bei Udo Pastörs, NPD)

Hier mussten Politik, Wirtschaft und Gesellschaft etwas tun. Sie standen vor einer großen Bewährungsprobe. Und wir müssen alles dafür tun, aber auch wirklich alles,

(Udo Pastörs, NPD: Da war Ihr Parteikollege Innenminister. Fragen Sie den mal!)

dass sich solche Ereignisse wie in Rostock-Lichtenhagen niemals wiederholen, weder in Deutschland noch in Mecklenburg-Vorpommern, meine Damen und Herren.

Wenn Sie heute die Deutschen danach fragen, was sie bewegt, dann bekommen Sie ganz unterschiedliche Antworten: die Flüchtlingssituation, der Ukrainekonflikt, die Eurokrise, das Bildungssystem. Das sind typische Antworten in den Jahren 2014/2015. Es ist aber noch gar nicht so lange her, da hatten die Deutschen ganz andere Sorgen. Zwei Jahrzehnte lang galt nur das Thema Arbeitslosigkeit als oberster Wert in der Befragung.

(Vincent Kokert, CDU: Ja.)

Die, die arbeitslos waren, wollten einen Job, und die, die einen hatten, wollten ihn nicht verlieren.

Die Wiedervereinigung Deutschlands zeigte uns schmerzlich, dass ostdeutsche Unternehmen in großen Teilen in keiner Weise konkurrenzfähig waren. Die DDR bot zwar alle Kräfte auf, um ihre Betriebe vor dem Untergang zu bewahren, doch irgendwann musste das Kartenhaus einstürzen. Die Folgen waren verheerend.