(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wo waren Sie denn da? – Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Im Busch, oder wie?)
Für mich ist es nach wie vor ein großer Glückfall, dass die friedliche Revolution am Ende friedlich geblieben ist, und es gibt tatsächlich viele Menschen, die einen Beitrag dazu geliefert haben. Es sind die Kirchen, die in den Andachten immer wieder auf die Gewaltlosigkeit hingewiesen haben. Es sind auch besonnene Menschen bei den Staats- und Sicherheitsorganen gewesen, die mit dafür gesorgt haben, heißblütige Kollegen zurückzuhalten. Es ist unterm Strich ein großer Glücksfall. Es hat viele Situationen gegeben, wo es hätte eskalieren können. Ich habe selber solche Situationen in Rostock vor der Staatssicherheit erlebt.
Wenn man darüber nachdenkt – jetzt, lange Zeit zurückliegend, es ist über 26 Jahre her –, dann spielen auch die vielen Gespräche eine Rolle, die es gegeben hat zwischen Kirche und Staat. Die Mitglieder der Kirche, die diese Gespräche geführt haben, sind später auch schwer dafür kritisiert worden, weil man das als eine unzulässige Annäherung angesehen hat. Aber diese Gespräche haben immer wieder auch dafür gesorgt, neben kritischen Seiten, dass es ein Verständnis füreinander gab. Und wenn man über Verständnis redet und über die Fragen, wie man sich angesichts totaler Unterschiede bei allen wichtigen politischen Fragen – welche Berechtigung hat die Mauer, wie steht man zur Demokratie, zu Gerichten, zur Frage des Unrechtstaates und so weiter – verständigen konnte, wenn es trotzdem eine Klammer gegeben hat – das finde ich interessant und wichtig –, dann ist es das Thema Antifaschismus gewesen. Das war die Klammer zwischen Kirche, Bürgerbewegung und dem Staat, den wir heute klar als Unrechtsstaat bezeichnen.
Übrigens, das will ich deutlich hinzufügen, Unrechtsstaat bedeutet nicht, dass die Menschen, die in diesem Staat Verantwortung übernommen haben, Unrecht begangen haben.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gab es 1990, am Anfang jedenfalls noch nicht. Wir sind als Bündnis 90 in die Volkskammerwahl am 18. März gegangen.
Wir waren vom Tisch gewischt, weil – und das war das zentrale Thema – wir zum Thema deutsche Einheit letztendlich keine wirkliche Beziehung hatten.
Diese Wahl am 18. März hat eine kleine Entsprechung gefunden in einer anderen Wahl, und zwar am 18. März 2012. Nämlich der Kandidat, der aus den Nordbezirken für Bündnis 90 in die Volkskammer einzog – das war nur ein Einziger –, war Joachim Gauck,
und an diesem 18. März 2012 wurde er zum Bundespräsidenten gewählt – für uns ein Zeichen von „angekommen“.
Ich möchte an einen anderen Menschen erinnern, an Irmgard Rother. Ich habe das hier schon einmal getan, da ging es um eine Aussprache zum Thema „Volksaufstand 1953“. Irmgard Rother hat damals mitgemacht bei den Demonstrationen in Rostock und konnte sich daran erinnern. Sie hat das Neue Forum mit aufgebaut und das ist unsere Verbindung zu dem Thema „Verfassung vor 25 Jahren für dieses Land“. Sie hat nämlich an dieser Verfassung mitgeschrieben. Und das Thema 1953 – Irmgard Rother hatte das große Glück, dass sie die Wende miterlebt hat und dass sie dieses neue Land mitgestalten konnte. Viele Menschen, die sich in dieser Zeit, ab 1953 und davor, für Demokratie und Freiheit engagiert hatten, hatten dieses Glück nicht. Sie sind Opfer eines Unrechtsstaates geworden und haben oft vergeblich auf Anerkennung für diese Leistungen, die sie gebracht haben, gewartet. Sie haben sogar einen Dienst an uns geleistet, nämlich einen schwierigen Dienst. Angesichts des Wunsches nach Versöhnung mussten ihre Wut und ihr Gefühl, dass das irgendwie gerechtfertigt werden muss, was sie erlitten haben, zurückstehen. Deswegen sind wir diesen Menschen ausdrücklich dankbar.
Ich möchte auch den Menschen danken, die aus dem Westen und anderen Ländern in den Osten gekommen sind. Das war nicht einfach, hier Fuß zu fassen,
Ja, ich denke an Menschen, die es auch aufgegeben haben. Ich kenne konkret eine Familie in Bützow, die irgendwann gesagt hat, wir halten die Angriffe nicht mehr aus, wir gehen zurück. Deswegen bin ich dankbar für die, die durchgehalten haben und dieses Land mit uns gestaltet haben.
Und wenn ich über Menschen aus dem Westen rede, dann möchte ich ausdrücklich an zwei Personen erinnern: Das ist einmal Willy Brandt mit dem Thema „Wandel durch Annäherung“, der dafür viel Kritik im Westen erhalten hat, aber auch an Helmut Kohl,
dem ich ehrlich dankbar bin für die Tatsache, dass er damals das Thema „deutsche Einheit“ wirklich angenommen und es vorangetrieben hat. Es sind solche Einzelpersonen,
ohne die dieses Thema untergegangen wäre im Streit über die Fragen, wie kann man das gestalten, ist es wirklich notwendig und so weiter.
Aber 1990, die Vereinigung, war ein wichtiges Datum. Die Schwierigkeit ist 1992 deutlich geworden in RostockLichtenhagen an der ZAst. Dort hat die Zivilgesellschaft insgesamt versagt. Ich will jetzt nicht lange darüber debattieren, was da alles im Hintergrund gelaufen ist. Es waren Kompetenzstreitigkeiten zwischen Land und Stadt, und jeder hatte gute Gründe, das Problem hin- und herzuschieben. Und auch auf Bundesebene hat man wahrscheinlich das Gefühl gehabt, die Diskussion, die Schwierigkeit der Diskussion vor Ort trägt dazu bei, bundespolitisch Änderungen, zum Beispiel beim Asylrecht, hinzubekommen.
Was vor Ort in Rostock passiert ist, ist für alle, die es erlebt haben, eine totale Katastrophe für die Demokratie gewesen. Ich bin den Menschen dankbar, die damals in Rostock dagegen auf die Straße gegangen sind, am Donnerstag, aber auch bei der großen Demonstration bundesweit am Samstag nach den Ausschreitungen in Lichtenhagen. Ich bin auch den Polizeibeamten dankbar, die letztendlich ihre Gesundheit und ihr Leben eingesetzt und sich durchaus in der ersten Reihe mit hingestellt und gesagt haben, wir wollen versuchen, dieses Haus zu schützen.
Wenn ich – und da haben wir heute viel gehört – über die vielen rede, die aus unterschiedlichen Gründen Verlierer der deutschen Einheit sind, die mit uns in diesem Land leben, dann können wir diese nicht alle rechtfertigen und müssen uns darum bemühen, dass diese Menschen mitgenommen werden. Ich glaube, dass das zentrale Thema ist, dass Menschen das Signal brauchen, gebraucht zu werden, dass ihr Leben, das sie für eine Gesellschaft mit einsetzen können, wirklich angenommen wird. Es reicht nicht, ihnen genügend Hartz IV zu zahlen, sondern wir brauchen das Signal und Möglichkeiten für diese Menschen, sich am Aufbau dieser Gesellschaft zu beteiligen.
Wenn ich gefragt werde, warum ich die deutsche Einheit für einen Glücksfall halte, dann möchte ich zum Abschluss drei Punkte nennen. Ich habe ja genannt, was ich durchaus an kritischen Sachen sehe und dass die Menschen das Gefühl brauchen, wirklich angekommen zu sein und gebraucht zu werden.
Der erste Punkt ist für mich: Gucken Sie sich die Situation der Heimkinder, der Behinderten, der Menschen in Pflegeheimen und der Kranken in der DDR und jetzt nach der deutschen Einheit an! Sie werden einen Riesenunterschied erkennen können. Das stellt nicht die Leistungen der Menschen infrage, die sich zu DDRZeiten für Behinderte, Kranke und Alte eingesetzt haben. Die haben ihr Möglichstes getan, aber die Gesellschaft konnte nicht mehr leisten für diese Menschen und wollte es zum Teil auch nicht, weil sie andere Schwerpunkte gesetzt hat.
Der zweite für mich wichtige Punkt – oft vergessen, das ist übrigens auch eine Leistung der Volkskammer, der ersten frei gewählten Volkskammer – ist, dass wir jüdische Gemeinden in Rostock und Schwerin haben. Das ist für mich ein großer Glücksfall.
Der dritte Punkt ist das Thema Flüchtlinge. Es ist für uns auch ein Zeichen, dass Menschen aus der ganzen Welt sagen: Dieses Land ist Hoffnung, dieses Land gibt uns Schutz und Sicherheit, und wir wollen mithelfen, dieses Land zu gestalten.