Protokoll der Sitzung vom 09.03.2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 114. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungs- gemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 114., 115. und 116. Sitzung liegt Ihnen vor. Die Beratung des Tagesordnungspunktes 24 entfällt, da die Antragsteller zwischenzeitlich ihren Antrag zurückgezogen haben. Wird der so geänderten vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 114., 115. und 116. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.

Gemäß Paragraf 4 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung benenne ich für die 114., 115. und 116. Sitzung die Abgeordneten Andreas Texter, Dr. Hikmat Al-Sabty, Dr. Ursula Karlowski und Johann-Georg Jaeger zu Schriftführern.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Abgeordneten Johannes Saalfeld ganz herzlich zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gratulationen)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion DIE LINKE hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Übergriffe auf Flüchtlinge sind Schande für das ganze Land“ beantragt.

Aktuelle Stunde Übergriffe auf Flüchtlinge sind Schande für das ganze Land

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE hat der Fraktionsvorsitzende Herr Helmut Holter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich Anfang der 1970er-Jahre das erste Mal in die Sowjetunion fuhr,

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

schämte ich mich, ein Deutscher zu sein.

(Udo Pastörs, NPD: Tja, das können Sie heute noch.)

Ich fühlte mich mitschuldig an den brennenden Synagogen, dem Massenmord an den Völkern Europas und den anderen vielen schrecklichen Verbrechen des faschistischen Deutschlands.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich hatte meine Heimat Mecklenburg, mit der ich mich sehr verbunden fühlte und natürlich verbunden fühle, aber ein Nationalgefühl hatte ich nicht.

Mit der deutschen Einheit und dem sich einenden Europa änderte sich das. Die Einheit begriff ich als Chance für ein demokratisches, friedliches und weltoffenes Deutschland. Nicht erst seit den brennenden Häusern in Solingen und Rostock-Lichtenhagen war mir klar, dass uns ein solches Deutschland nicht geschenkt wird. Für ein sol

ches Land müssen wir uns engagieren und kämpfen. Die Grundlage dafür brachte ich in dieses neue größere Deutschland mit: den tief in mir verwurzelten Antifaschismus. Denn Faschismus bedeutet Auschwitz, bedeutet Krieg, bedeutet Gewalt, bedeutet Völkermord. Brennende Unterkünfte, in die Flüchtlinge einziehen sollen, und noch schlimmer, in denen bereits Flüchtlinge wohnen, Angriffe und Übergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer sind nichts anderes als Faschismus, Fremdenhass und Rassismus. Sie sind eine Schande für unser ganzes Land.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So titelte der „Focus“ am 20. Februar dieses Jahres zu Recht: „Die Schande von Clausnitz“. Die Tageszeitung „Die Welt“ titelte nur zwei Tage später: „Das fremdenfeindliche Pegida-Bündnis solidarisiert sich mit dem Mob von Clausnitz. Pegida-Frontfrau Festerling skandiert in Dresden, sie habe ‚Verständnis und respektiere den Mut‘ dieser Bürger.“

Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat die Aktuelle Stunde unter dem Thema „Übergriffe auf Flüchtlinge sind Schande für das ganze Land“ beantragt, um unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen: Wir haben nichts gemein mit denen, die Misstrauen, Zwietracht und Hass verbreiten. Wir haben nichts gemein mit allen politischen Kräften, die für eine Politik des Misstrauens, der Zwietracht und des Hasses stehen. Wir haben nichts gemein mit deren Helfern und Helfershelfern.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Wir müssen auch klar feststellen: Fremdenfeindliche Übergriffe sind nicht nur in Sachsen ein großes Problem, deutschlandweit nehmen die Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte dramatisch zu.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Meine Damen und Herren, das Bundeskriminalamt hat kürzlich eine erschreckende Statistik veröffentlicht, die wird Ihnen sicherlich bekannt sein. Ich will kurz die Zahlen sagen: Gab es 2013 noch 69 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, waren es 2014 schon 199 und im letzten Jahr, 2015, sogar 924 Angriffe. Der Chef des BKA, des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sagte dazu, Zitat: „Der dramatische Anstieg der Straftaten gegen Asylunterkünfte bereitet uns große Sorgen. … Die Taten müssen genauso konsequent verfolgt und bestraft werden wie rechtsextremistische Hetze in sozialen Netzwerken. Denn sie ist der Nährboden für Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit.“ Ende des Zitats.

Die Zahl der Attacken auf Asylunterkünfte hat sich binnen eines Jahres verfünffacht. Die Hemmschwelle für Gewalt ist deutlich gesunken und Sicherheitsbehörden warnen vor einer gefährlichen Entwicklung. Ist das das neue Deutschland? Ist das mein Deutschland? Gibt es bald wieder Pogrome? Gibt es bereits eine Pogromstimmung gegen Flüchtlinge, Ausländerinnen und Ausländer? Meine jüdischen Freunde fragen mich besorgt, ob sie den gepackten Koffer wieder griffbereit haben müssen.

Meine Damen und Herren, wir haben in MecklenburgVorpommern das brennende Sonnenblumenhaus in

Rostock-Lichtenhagen noch in trauriger Erinnerung. Weltweit haben die ausländerfeindlichen Angriffe, bei denen Brandsätze in das bewohnte Haus geschleudert wurden und nur durch Zufall kein Mensch ums Leben gekommen ist, für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt. Das alles ist über 20 Jahre her und doch aktueller denn je. Brennende Asylunterkünfte gibt es heute wieder. Übergriffe auf Flüchtlinge gibt es auch heute und dabei ist die Tendenz steigend. Das alles geschieht auch in unserem Land, in Mecklenburg-Vorpommern.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Meine Damen und Herren, Herr Köster, um es vorwegzusagen, Straftaten von Flüchtlingen gibt es leider auch. Die sind nicht totzuschweigen, ich will sie nicht kleinreden und will sie auch nicht verdrängen. Auch diese Straftaten – wir haben hier im Landtag schon darüber gesprochen – sind selbstverständlich mit aller Konsequenz aufzuklären und zu bestrafen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtextremisten das Bild verzerren und so tun, als brächten die Flüchtlinge die Kriminalität nach Deutschland.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Udo Pastörs, NPD: Das tun sie.)

Tatsache ist, der übergroße Anteil der Flüchtlinge ist friedlich.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Sie müssen vielmehr fürchten, Opfer von Gewalttaten von Deutschen zu werden, Herr Pastörs. Das ist die traurige Wahrheit!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, nur einige Beispiele aus dem letzten Jahr nennen, die die Propaganda von NPD, AfD und Pegida Lügen strafen. Ich beziehe mich dabei auf verschiedene Medienberichte. Acht Unbekannte überfielen in Wismar am 4. April, wie gesagt, 2015 unweit des Asylbewerberheims zwei ägyptische Asylsuchende. Sie wurden geschlagen und rassistisch beleidigt.

(Zuruf von David Petereit, NPD)

In Laage kam es am Vormittag des 20. September zu einem Brandanschlag auf eine geplante Asylbewerber- unterkunft, bei dem der Dachstuhl zerstört wurde. In Trassenheide wurden am Morgen des 11. Oktober zwei mit brennender Flüssigkeit gefüllte Glasflaschen gegen die Hauswand eines Bürogebäudes geworfen, in dem 15 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. In der Nacht zum Montag, dem 12. Oktober, brannte in Boizenburg ein leer stehendes Mehrfamilienhaus aus, welches für die Unterbringung von syrischen Flüchtlingen gerade erst saniert wurde.

(Udo Pastörs, NPD: Wie die Kindergärten.)

In Kruckow warfen am 5. November Unbekannte ein Fenster einer von syrischen Flüchtlingen bewohnten Unterkunft mit Glasflaschen ein. Auf ein Bürogebäude in Trassenheide, das demnächst als Flüchtlingsunterkunft benutzt wer

den sollte, wurde am 15. November erneut ein Brandanschlag verübt, wodurch das Gebäude unbewohnbar wurde. Am 12. Dezember bewarfen Unbekannte eine Asylunterkunft in Güstrow mit Steinen und zerstörten dabei Scheiben. In der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 warfen vier Jugendliche Böller auf eine Flüchtlingsunterkunft in Sellin auf Rügen. Dabei wurden fremdenfeindliche Parolen gerufen.

Meine Damen und Herren, Ihnen allen sind weitere Beispiele bekannt, auf die ich jetzt hier verzichten möchte. Auch in diesem Jahr gibt es bereits wieder Übergriffe. Die Übergriffe und Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte reißen einfach nicht ab. Deswegen ist es gut, das Thema in der Aktuellen Stunde zu erörtern. Besser wäre es noch gewesen, wenn der Landtag auf Grundlage eines gemeinsamen Antrages aller demokratischen Fraktionen heute klar Farbe bekannt hätte. Wohl wissend, dass wir unterschiedliche Auffassungen zu den Themen Asyl, Migration und Integration haben, wollten wir ein klares Zeichen gegen Gewalt setzen. Wir hatten einen entsprechenden Antrag formuliert. Ich bedanke mich bei den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass sie unseren Vorschlag mit kleinen redaktionellen Änderungen mitgetragen haben.

Leider, Herr Kokert, wollte Ihre Fraktion in diesen Antrag einen Satz aufgenommen wissen, der die schnellere Abschiebung von Flüchtlingen ohne Bleiberecht betraf.

(Udo Pastörs, NPD: Die Forderung ist schon faschistisch.)

Ungeachtet der Tatsache, dass wir dazu unterschiedlicher Auffassung sind,

(Vincent Kokert, CDU: Geltende Rechtslage!)

hat das in diesem Antrag nichts zu suchen.

In einem hätten die demokratischen Fraktionen heute eng zusammenstehen können und sollen: bei der Ächtung von Gewalt. Das hätte heute der Landtag als starkes, geeintes Signal beschließen können,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

ein Signal, dass wir alle Gewalttaten gegen Flüchtlinge verurteilen,

(David Petereit, NPD: Alles Faschisten, außer Ihnen!)

ein Signal, dass für uns an Artikel 1 des Grundgesetzes nicht zu rütteln ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So weit der Artikel 1.

Wir hätten auch signalisiert, dass wir alle Ängste, Bedenken und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger im Zusammenhang mit den Themen Asyl, Flüchtlinge und Migration ernst nehmen. Forderungen und Handlungen hingegen, die menschenverachtend sind und gesellschaftliche Konflikte gewaltsam austragen und lösen wollen, werden entschieden abgelehnt.