Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

sind bei vielen Gemeinden Zweifel an ihrer Zukunftsfähigkeit in den vorhandenen Strukturen geboten.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund, vor dieser dramatischen Situationsbeschreibung ist der vorgelegte Gesetzentwurf geradezu verantwortungslos.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vor diesem Hintergrund ist es ebenso verantwortungslos, wenn der Generalsekretär der Landes-CDU und Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Vincent Kokert, seit Jahren öffentlich posaunt, dass es mit der CDU keine Gemeindestrukturreform geben wird, definitiv nicht.

(Marc Reinhardt, CDU: Ich glaube, das hat er nie gesagt.)

Meine Damen und Herren, genauso sieht das Ergebnis auch aus. So ein Gesetz braucht dieses Land nicht!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Das Gesetz lässt völlig offen, was mit der als problematisch charakterisierten kleinteiligen Gemeindestruktur geschehen soll, wenn die freiwilligen Handlungsmöglichkeiten nicht genutzt werden. Hierzu hat ihnen im Rahmen der Anhörung das angeblich als Beispiel dienende Land Steiermark der Republik Österreich eine Lektion ins Stammbuch geschrieben.

(Heiterkeit bei Vincent Kokert, CDU)

Die angestrebte Reform lässt sich mit der ausschließlichen Freiwilligkeit nur schwer erreichen. Auch wenn im Gesetzentwurf angeführt wird, sich an der Freiwilligkeit der Steiermark-Reform zu orientieren, so sei doch ein maßgeblicher Unterschied anzumerken. In der Steiermark hat es mit der Vorschlags- und Verhandlungsphase zwar eine Freiwilligkeitsphase von circa einem Jahr gegeben, an die hat sich jedoch die Entscheidungs- und Umsetzungsphase angeschlossen.

(Unruhe bei Vincent Kokert, CDU, und Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Eine ausschließlich auf Freiwilligkeit aufgebaute Reform, Herr Kollege Kokert, Herr Kollege Ringguth, hat zwar den Vorteil,

(Vincent Kokert, CDU: Was wollen Sie ständig von mir?)

politischen Widerstand zu vermeiden, aber den gravierenden Nachteil, dass die gewünschte Anzahl an Vereinigungen nicht erreicht wird.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Woher wissen Sie das denn jetzt schon?)

Das Ergebnis wäre bestenfalls ein Flickenteppich.

Dazu komme ich noch.

(Vincent Kokert, CDU: Aha!)

So weit der Gruß aus der Steiermark.

Meine Damen und Herren, neben diesem praktischen Widersinn, auf dem der Entwurf beruht, sprechen aus meiner Sicht folgende drei Gründe gegen diesen Gesetzentwurf:

Erstens. Ein konzeptioneller Widerspruch – Herzstück des Gesetzes ist die Selbsteinschätzung ihrer Zukunftsfähigkeit durch die Gemeinden. Das Innenministerium als der eigentliche Verfasser hat nun betont, dass ein gesetzgeberischer Zwang für Fusionen nicht vorgesehen ist. Entscheidend ist vielmehr die Selbsteinschätzung der Gemeinden, welche finanzielle Situation sie nach dem Inkrafttreten des neuen FAG erwartet.

Das ist vollkommen richtig und genauso vollkommen widersinnig. Ein neues FAG, dessen Gutachten noch nicht einmal vorliegt, ist bestenfalls ab dem Jahre 2018 zu erwarten.

(Regine Lück, DIE LINKE: Völlig richtig.)

2019 aber soll schon in neuen Kommunalstrukturen gewählt werden. Damit ist dieses Gesetz bereits vor der Verabschiedung mausetot.

Zweitens ergeben sich aus dem Gesetz beziehungsweise aus dem Gesetzgebungsprozess offene Rechtsfragen. Paragraf 3 Absatz 1 regelt, dass „amtsfreie Gemeinden mit Unterstützung der in § 6 geregelten Koordinierungsstellen anhand des Leitbildes eine von der Gemeindevertretung zu beschließende Selbsteinschätzung ihrer Zukunftsfähigkeit als amtsfreie Gemeinde vorzunehmen (haben)“. Paragraf 3 enthält also ein Gebot für die amtsfreien Gemeinden, und zwar theoretisch für alle. Vom Innenministerium haben wir dann erfahren, dass die großen Gemeinden eigentlich keine Selbsteinschätzung vorzunehmen brauchen. Wer aber ist das und wer nicht?

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Gägelow.)

Das Gesetz sagt also etwas anderes aus, als der Gesetzgeber meint geregelt zu haben.

Nach Paragraf 8 Absatz 1 kann das Innenministerium „erprobungsweise die Bildung von Verbandsgemeinden zulassen“. Damit wird den Gemeinden neben dem Modell des Amtes und der amtsfreien Gemeinde ein drittes Modell eröffnet, theoretisch. Praktisch scheinen auch die Verfasser nicht so richtig an ihr eigenes Gesetz zu glauben. Auf notwendige Folgeänderungen der Kommunalverfassung zur Verbandsgemeinde jedenfalls wird vorausahnend gleich verzichtet.

Drittens. Schließlich hat der Gesetzentwurf ein eigenwilliges Verständnis von Rechtsverordnungen. So ist für die Fraktionen der CDU und SPD eine „Definition der eingeschränkten dauernden Leistungsfähigkeit“ im Ursprungs

entwurf nunmehr „entbehrlich“, und zwar mit Blick auf eine irgendwann in Kraft tretende Verwaltungsvorschrift. Hier schreibt also der Verordnungsgeber dem Gesetzgeber vor, wo es langgeht. Nach meinem Verständnis ist dies eigentlich anders herum richtig.

Der geänderte Paragraf 5 Absatz 1 ermächtigt das Innenministerium, „das Nähere“, etwa „zur Beurteilung der Zukunftsfähigkeit“, per „Rechtsverordnung“ zu regeln, allerdings jetzt „mit Zustimmung des Finanzausschusses“. Da stellt sich schon die Frage, warum bei der Beratung dieses Gesetzes der Innenausschuss der federführende Ausschuss war.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Polizeistellen werden auch im Finanzausschuss entschieden, am Innenausschuss vorbei.)

Meine Damen und Herren, vieles mehr an diesem Entwurf ist kritikwürdig, insbesondere die Finanzierung der Fusionsprämien aus Mitteln des kommunalen Aufbau- fonds. Der Städte- und Gemeindetag hat das als größtes Manko bezeichnet.

(Regine Lück, DIE LINKE: Eine nette Formulierung.)

Ich zitiere kurz aus der Stellungnahme des Städte- und Gemeindetages zu dieser Frage, Zitat: „Für die kommunale Seite ist es absolut inakzeptabel, dass diese Mittel teuer aus dem kommunalen Aufbaufonds gezahlt werden und kreditfinanziert werden sollen, während sich das Land überhaupt nicht beteiligt.“ Zitatende.

Kritisch zu hinterfragen sind auch Fragen der rechtlichen Bindungswirkung der Selbsteinschätzung, welche die Kommunen vorzunehmen haben.

Kritisch war und bleibt der Zeitpunkt dieses Gesetzes, da es mit seiner Zeitschiene fusionsbereite Gemeinden unter erheblichen Zeitdruck setzt. Die Gebietsänderungen mit all ihren politischen, organisatorischen, administrativen und rechtlichen Anforderungen müssen spätestens am Tag der Kommunalwahlen 2019 wirksam werden, um überhaupt fusionsbringend verwalten zu können. Wie der Städte- und Gemeindetag haben wir Zweifel, ob Gemeindefusionen überall Gemeinden der Zukunft schaffen werden.

(Vincent Kokert, CDU: So?!)

Meine Damen und Herren, Selbsteinschätzung unter Beteiligung der Koordinierungsstelle, Beschlussfassung darüber durch die Vertretung, Sondierungsgespräche, notwendige Gesamtlösungen im Amtsbereich und im Gebiet des Landkreises, Grundsatzbeschluss der Vertretung zur Aufnahme von Fusionsverhandlungen, Fusionsverfahren, Gebietsänderungsverträge und so weiter und so fort – auch von hier aus betrachtet ist wohl durch die Koalition dafür gesorgt worden, dass dieses Gesetz weitgehend leerläuft. Verantwortungsvolle Gesetzgebung sieht aus unserer Sicht anders aus. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Rösler.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Reinhardt für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Liebe Frau Abgeordnete Rösler! Sie verfahren wohl nach dem Motto oder würden gern nach dem Motto verfahren „Wer nichts macht, der macht nichts falsch“, denn wie eine nicht weitere Behandlung dieses Gesetzes zur Problemlösung auf der kommunalen Ebene beitragen soll, wird wahrscheinlich Ihr Geheimnis bleiben. Das würde ja am Ende bedeuten, dass wir nach der Landtagswahl mit einem komplett neuen Gesetzgebungsverfahren anfangen und dann wahrscheinlich nicht vor Ende 2017/Anfang 2018 zu einer Beschlussfassung kommen. Und das würde bedeuten, dass erneut sehr viel Zeit ungenutzt ins Land geht. Insofern ist das, was Sie da vorschlagen, aus unserer Sicht keine Alternative. Wir würden sehr gern an diesem Gesetzentwurf festhalten.

Wie Sie wissen, Frau Rösler, hat es durchaus schon freiwillige Fusionen in dieser Legislaturperiode gegeben und auch diese wurden durch das Land finanziell unterstützt. Die CDU-Fraktion hat sich immer gegen Zwangsfusionen ausgesprochen. Da sollten Sie bei der Wahrheit bleiben. Und wenn Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, in Zukunft auch dafür sind, dass es nach einer gewissen Freiwilligkeitsphase zu verordneten Fusionen kommt, dann dürfen Sie das gerne jeden Tag der kommunalen Ebene mitteilen. Wir werden Sie nicht daran hindern. Wir halten das nicht für das geeignete Mittel.

Die CDU-Fraktion hat immer deutlich gemacht, dass allein die Schaffung größerer Strukturen die Strukturprobleme, vor allem im ländlichen Raum, nicht lösen wird. Der Gesetzentwurf verzichtet deshalb ausdrücklich darauf, ein Idealbild einer Gemeinde aufzustellen, was in unserem Land sicherlich auch schwierig ist, da wir unterschiedliche Strukturen, ob nun im Westen, im Norden, im Osten oder im Süden, haben. Vielmehr sollen die Gemeinden – wir haben das heute schon gehört – eine Selbsteinschätzung vornehmen und sich anhand eines Prüfrasters selbst definieren. Bewusst wurde auf eine Matrix und auf die Gewichtung durch K.-o.-Kriterien verzichtet. Jede Gemeinde soll also selbst einschätzen, wo ihre speziellen Eigenheiten liegen und was ihre speziellen Probleme sind.

Das Leitbild orientiert sich dabei an der Gemeindereform im österreichischen Bundesland Steiermark. Dort gab es zwei wichtige Säulen: einmal die finanzielle Förderung und die intensive Beratung durch Landeskoordinatoren. Und, wir haben es heute schon gehört, beides wird in diesen Gesetzentwurf übernommen. Wir haben zum einen die Fusionsprämie von 200.000 Euro, die über mehrere Jahre ausgezahlt wird. Sie kommt, wie schon gehört, mit 40 Millionen Euro, wenn es denn so weit kommt, auf den Kommunalen Aufbaufonds. Und da, Frau Rösler, haben wir als CDU-Fraktion mit der Fraktion DIE LINKE vielleicht eine Gemeinsamkeit. Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass auch wir uns gewünscht hätten, dass das Land hier deutlich stärker in die Verantwortung geht. Das war jetzt so in der Koalition nicht umzusetzen,

(Jochen Schulte, SPD: Gibts noch mehr, was Sie in den letzten fünf Jahren nicht durchsetzen konnten?)

aber ich sage mal, im Verfahren gibt es nach der Landtagswahl vielleicht durchaus noch die Möglichkeit, etwas nachzusteuern.

Die Landeskoordinatoren – mein Kollege Müller ist darauf eingegangen – werden bei den Landkreisen angesiedelt.

(Regine Lück, DIE LINKE: Die Möglichkeit hätten sie jetzt schon gehabt.)