Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrages der Volksinitiative gemäß Artikel 59 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern „Zur Wiedereröffnung der Abteilungen Kinder- und Jugendmedizin sowie Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Kreiskrankenhaus Wolgast“, Drucksache 6/5357, hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Gleichstellung, Gesundheit und Soziales, Drucksache 6/5477.
Antrag der Volksinitiative gemäß Artikel 59 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern „Zur Wiedereröffnung der Abteilungen Kinder- und Jugendmedizin sowie Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Kreiskrankenhaus Wolgast“ – Drucksache 6/5357 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Gleichstellung, Gesundheit und Soziales (9. Ausschuss) – Drucksache 6/5477 –
Das Wort zur Berichterstattung hat die Vorsitzende des Sozialausschusses Martina Tegtmeier. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Landtag hat den Antrag der Volksinitiative gemäß Artikel 59 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vor- pommern in seiner 118. Sitzung am 21. April 2016 beraten und federführend an den Sozialausschuss über- wiesen. Hintergrund der Volksinitiative ist, dass durch Bescheid des Ministeriums für Arbeit, Gleichstellung und Soziales das Ausscheiden der Fachabteilungen Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Kinder- und Jugendmedizin am Kreiskrankenhaus Wolgast aus dem Krankenhausplan 2012 des Landes Mecklenburg-Vor- pommern festgestellt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die durchschnittliche Auslastung in diesen Abteilungen im Jahr 2014 nur noch etwas mehr
Der Sozialausschuss hat zu dem Antrag der Volksinitiative in seiner 90. Sitzung am 18. Mai 2016 eine öffentliche Anhörung von Sachverständigen durchgeführt. Im Rahmen dieser Anhörung hatte eine Vertreterin der Volksinitiative die Gelegenheit, diese zu erläutern. Sie hat in ihrer Stellungnahme zunächst den Werdegang der Volksinitiative bis zum Tag der Anhörung dargestellt und im Anschluss Stellung zu den Feststellungsbescheiden des Ministeriums für Arbeit, Gleichstellung und Soziales genommen. Sie hat betont, dass für sie die Zahlen zur Auslastung unter Berücksichtigung der Verweildauer und die Feststellung der Fallzahlen der betroffenen Stationen im Feststellungsbescheid des Ministeriums nicht nachvollziehbar seien. Sie gehe von einer prozentualen Auslastung aus. Jedenfalls stelle sie eine Auslastung von unter 75 Prozent fest. Sie hat zugleich auf eine steigende Entwicklung hingewiesen.
Der zurückliegende Einbruch der Fallzahlen sei im Wesentlichen auf die Kündigung des Chefarztes zurückzuführen. Auch habe es eine Anweisung an die Rettungsstellen gegeben, Kinder, aber auch andere Patientinnen und Patienten an Wolgast vorbei an die Universitätsmedizin Greifswald zu überweisen. Schon frühzeitig habe das Bundeskartellamt davor gewarnt, dass Wolgast ein Portalkrankenhaus für die Universitätsmedizin Greifswald werden könne. Diese Aspekte würden sich auf die Fallzahlen auswirken. Der direkte Zusammenhang von Fallzahlen zur Qualität sei unbestritten.
Allerdings zeige sich an dem mit 21 Prozent deutlich unterdurchschnittlichen Anteil von Kaiserschnitten an der Gesamtzahl der Geburten ein hohes Qualitätsniveau am Krankenhaus Wolgast.
Die medizinische Versorgung einschließlich der ambulanten Sprechstunden im Bereich Kinderchirurgie und Sonografie seien auf qualitativ optimale fachliche und räumliche Weise erfolgt. Verschiedene ambulante Angebote durch das Kreiskrankenhaus Wolgast seien im Betrachtungszeitraum mit der Folge einer Verschlechterung beendet worden.
Die Schließung der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe ziehe das Ende der Weiterbildungsbefugnis nach sich. Der Standort Wolgast sei darüber hinaus geografisch der sinnvollere Standort als Anklam, weil die bedarfsgerechte Versorgung der Menschen vor Ort, aber auch der Touristen in der Region einschließlich der Insel Usedom ortsnah und gut erreichbar sei. Die Verlagerung der Betten nach Anklam werde zu deutlich erhöhten Wegezeiten und Entfernungen für Frauen und Kinder in besonders belasteten Situationen führen. Ein erforderliches Notfallkonzept liege nicht vor.
Die Arbeitssituation in Wolgast sei im Sinne der Zukunftssicherung problematisch, da die bisherigen Arbeitsbedingungen, zum Beispiel die Reduzierung der Wochenarbeitszeit, gegen den Willen der Mitarbeiter verändert worden und Überstundenansammlungen zu verzeichnen seien und gleichzeitig Leistungseinbrüche festgestellt werden müssten. Dies seien unzumutbare Verhältnisse für die Mitarbeiter. Verunsicherung sowie Mobbing seien an der Tagesordnung. Die Zukunftsfähig
keit werde anhand einer Gutachtenanalyse des Institutes für betriebswirtschaftliche und arbeitsorientierte Beratung GmbH nunmehr festzustellen sein. Das dem Finanzministerium vorgelegte Sanierungskonzept beinhalte jedenfalls keine Schließung von Stationen, sondern strukturelle Veränderungen.
Darüber hinaus hat die Volksinitiative dargestellt, dass die gesamte Entwicklung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Kommunikation mit der Geschäftsführung und unter starker Belastung der Arbeitsmoral stattgefunden habe. Der mit ver.di abgeschlossene Zukunftssicherungsvertrag beinhalte Gehaltseinbußen von bis zu sieben Prozent. Dabei sei ungeklärt, wie weit dies von den Mitarbeitern autorisiert worden sei. Sektorenübergreifende Versorgung sei dringend notwendig, da ansonsten eine Unterversorgung im ambulanten Bereich zu erwarten sei. Greifbare Ergebnisse zur Modellregion Vorpommern seien nicht ersichtlich. Hinsichtlich der weiteren Ergebnisse der öffentlichen Anhörung verweise ich auf Punkt 2 meines schriftlichen Berichts. Vor allen Dingen verkneife ich es mir an dieser Stelle, noch mal eine Zusammenfassung der Äußerungen der Fraktionen wiederzugeben. Ich denke, dafür wird die Zeit gleich noch ausgiebig genutzt werden.
Der Sozialausschuss empfiehlt im Ergebnis seiner Beratungen, den Antrag der Volksinitiative, die Landesregierung aufzufordern, den Bescheid über das Ausscheiden der Fachabteilungen Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Kinder- und Jugendmedizin am Kreiskrankenhaus Wolgast aus dem Krankenhausplan 2012 des Landes Mecklenburg-Vorpommern aufzuheben und sich mit allen geeigneten Mitteln für den Weiterbetrieb beziehungsweise die Wiedereröffnung dieser Abteilungen am Kreiskrankenhaus Wolgast einzusetzen, abzulehnen und einer umfangreichen Entschließung zuzustimmen.
Mit dieser im Sozialausschuss auf Grundlage der Bera- tungen und insbesondere der Anhörungsergebnisse erarbeiteten Entschließung werden die Bestrebungen des Ministeriums für Arbeit, Gleichstellung und Soziales unterstützt, durch eine verantwortliche Krankenhausplanung die Standorte in Wolgast und Anklam zu stärken und für die Zukunft zu sichern. Gleichzeitig werden damit die Veränderungen in der Struktur als wichtige Beiträge für den Erhalt der ärztlichen Versorgung insgesamt betont. Mit der Entschließung wird auch der weitere Handlungsbedarf in der Region um Anklam und Wolgast benannt. Dabei wird an alle Beteiligten appelliert, eine konstruktive Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung anzustreben und das Patientenwohl in den Mittelpunkt zu stellen. Ziel sei unter anderem, die notwendige medizinische Versorgung ganztägig auch für Kinder zu gewährleisten.
Hinsichtlich der Einzelheiten verweise ich auf meinen Bericht zur Beschlussempfehlung und gehe davon aus, dass die Fraktionen im Verlauf der heutigen Beratung ihre Position zur Volksinitiative darlegen, sodass ich das an dieser Stelle, wie ich es eben bereits sagte, nicht tun muss. Ich bitte Sie daher, der Beschlussempfehlung zuzustimmen. – Vielen Dank.
Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Veränderungen, erst recht, wenn sie mit einem Verlust verbunden sind, lösen oft Sorgen und Ängste aus. Deshalb habe ich auch großes Verständnis für all jene, die wegen der geschlossenen Krankenhausabteilungen in Wolgast ihre Bedenken äußern, und auch dafür, dass sie das öffentlich tun. Die Bürgerinnen und Bürger in der Region, die sich besonders hartnäckig für den Erhalt der Station am Kreiskrankenhaus eingesetzt haben, haben in Teilen einen harschen und radikalen Ton gewählt,
Das gehört zu einer demokratischen Gesellschaft dazu, das muss die Geschäftsführung des Krankenhauses aushalten, das muss die Politik aushalten, das muss auch ich aushalten.
Dass die Debatte an manchen Stellen mit Verschwörungstheorien und Gerüchten angereichert wurde, hat eine sachliche Auseinandersetzung zwar erschwert, aber es ändert nichts an der Sache.
Oberstes Ziel war und ist es, die beiden Krankenhausstandorte Anklam und Wolgast in der Region zu halten und zu stabilisieren. Ich werde auch nicht müde, das immer wieder zu betonen, dass das unser Ziel und die Maxime unseres Handelns waren und sind. Und dafür war es eben dringend notwendig, die Leistungsspektren der beiden Häuser untereinander abzustimmen. Das haben die Planungsbeteiligten nach sorgfältiger Abwägung getan, und zwar keineswegs auf der Grundlage irgendwie gefälschter oder uns untergemogelter Zahlen. Ich wiederhole das hier gerne, so oft es nötig ist.
Meine Damen und Herren, es ist völlig klar, dass unabhängig von geschlossenen Fachabteilungen die Notfall- versorgung für die Region um Wolgast gesichert sein muss. An dieser Stelle möchte ich aus einem Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpom- mern an das Kreiskrankenhaus zitieren: „Als Kassenärztliche Vereinigung sind wir uns selbstverständlich bewusst, dass die Sicherstellung der ambulanten Versorgung auch außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten zu gewährleisten ist. Auch wenn die stationäre kinderärztliche Versorgung in Wolgast durch die Schließung der Kinderklinik einen deutlichen Einschnitt erfährt, so ist die ambulante Versorgung jedoch auch weiterhin gewährleistet. … Außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten wird die Versorgung durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst der niedergelassenen Ärzte sichergestellt. Sollte diese Versorgung an Kapazitätsgrenzen gelangen, so können selbstverständlich auch die ermächtigten Ärzte künftig herangezogen werden.“ Zitatende.
Wolgast vorgestellt. Die allermeisten davon, nämlich rund 4.300, waren ambulant zu behandeln. Hier wäre also im Prinzip der ärztliche Bereitschaftsdienst zu konsultieren gewesen. Und genau darauf weist auch das Krankenhaus Wolgast auf seiner Internetseite hin, indem sie schreiben: „Wichtiger Hinweis für die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen außerhalb der Öffnungszeiten von Kinderarztpraxen sowie im Notfall“. Dort finden Sie einen Katalog von Nummern, die gewählt werden können, um letztendlich die Kinder im Notfall versorgen zu lassen.
Ich weiß, dass es sich eingebürgert hat, lieber die Notaufnahme der Krankenhäuser anzulaufen, und ich weiß auch, dass es jetzt vor allem von der Mitte der Insel Usedom aus schwieriger geworden ist, ein pädiatrisches Angebot zu erreichen. Genau deshalb setze ich mich auch so vehement dafür ein, zusätzliche ambulante Angebote in Wolgast zu installieren.
Inzwischen ist klar, ab Oktober soll es nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung dort eine Anlaufpraxis geben. Und auch für die Insel Usedom bemühen wir uns weiter um Verbesserung.
Es ist meinem Haus gelungen, einen Gesprächsfaden zu spinnen zwischen den außerordentlich kompetenten Kinderrehakliniken – Kinderrehakliniken! – auf der Insel und der Kassenärztlichen Vereinigung. Es macht mich – und das möchte ich an dieser Stelle auch deutlich sagen – einigermaßen fassungslos, wenn ich höre, dass ausgerechnet der Ärztekammerpräsident den dort tätigen Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin – Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin! – die Kompetenz abspricht, eine Anlaufstelle für Kinder mit einem akuten Gesundheitsproblem einzurichten. Wir reden hier über eine gestärkte ambulante Versorgung und nicht über die Behandlung lebensbedrohlicher Notfälle. Die müssen und mussten in Greifswald oder Neubrandenburg behandelt werden, denn auch auf der Wolgaster Kinderstation gab es keinen zur pädiatrischen Intensivbehandlung qualifizierten Kinderarzt.
Aus meiner Sicht wäre es der völlig falsche Weg, die Entscheidung, die wir getroffen haben, zurückzunehmen. Dafür sehe ich auch keine Grundlage. Ich hätte es mir an dieser Stelle auch einfach machen können und das zitieren können, was die Juristen aufgeschrieben haben: „Ein rechtmäßig begünstigter Verwaltungsakt kann nur unter besonderen Voraussetzungen widerrufen werden. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.“ Vielmehr sollte es allen, denen am Krankenhaus Wolgast und an der Infrastruktur der Region gelegen ist, darum gehen, nach vorne zu schauen und konstruktiv an den weiteren Schritten mitzuwirken. Denn wer die Krankenhausstandorte Wolgast und Anklam jetzt im Affekt schlechtredet, erweist der Region einen Bärendienst.
Abschließend gestatten Sie den Hinweis, dass ich gestern bei dem Hauptstadtkongress in Berlin war, wo es auch genau um diese Punkte ging und wo von dem G-BAVorsitzenden Hecken vorgetragen wurde, dass die Lösung der Zukunft in der Krankenhauslandschaft darin bestehen
wird, zu konzentrieren und zu kooperieren, also genau das, was wir in der Region gemacht haben. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 19.096 Bürgerinnen und Bürger haben für den Erhalt des Wolgaster Krankenhauses unterschrieben. Wir danken den Beteiligten der Volksinitiative für ihr Engagement und für die klaren Forderungen, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben.
Die Anhörung im Sozialausschuss mit einer Dauer von fünfeinhalb Stunden zeigte, wie ernst und wichtig die Debatte ist. Die Experten waren unterschiedlicher Meinung. Für die CDU-Fraktion waren die Aussagen der Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, der Krankenkassen und der Unimedizin Greifswald plausibel und nachvollziehbar. Letztlich wurde durch die Anhörung noch einmal deutlich, dass die Träger den Anstoß zu der Umstrukturierung gaben.
Wir haben Verantwortung – Verantwortung für unsere gesamte Bevölkerung, und die nehmen wir auch wahr. Die CDU-Fraktion hat sich zu allen Krankenhausstandorten bekannt und zu unserem Wort stehen wir. Mit uns werden alle Krankenhausstandorte erhalten,
aber der medizinische Fortschritt, die Bevölkerungsentwicklung und auch wirtschaftliche Aspekte machen Veränderungen notwendig. Zudem halte ich Spezialisierungen, ein strukturiertes Leistungsspektrum beziehungsweise ein Angebot ambulanter Angebote für medizinisch sinnvoll. Ohne die Spezialisierung wäre ein langfristiger Erhalt der Krankenhäuser Anklam und Wolgast nicht möglich. Das bestätigen uns auch die Krankenkassen.
Laut der Ärztekammer ist die Schließung der Abteilungen in Wolgast eine Katastrophe. Aus meiner Sicht wäre es eine Katastrophe, wenn am Ende beide Krankenhausstandorte verloren gingen. Wir haben die Verantwortung, die medizinische Qualität in unserem Land aufrechtzuerhalten. Bei einer zu geringen Auslastung kann der medizinische Standard bei einem Fortbestand, in diesem Fall der Fachabteilungen Kinder- und Jugendmedizin und der Geburtshilfe, an beiden Standorten kaum gehalten werden. Dafür gibt es auch anderenorts Beispiele.
Sicherlich spielt der soziale Aspekt eine große Rolle. Wer verabschiedet sich schon gern von Dingen, die man gewohnt ist?