Protokoll der Sitzung vom 21.06.2012

(Thomas Krüger, SPD: Der NSU ist keine Fantasie. Dafür braucht man auch einen Geheimdienst. – Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Argumente, Sachlichkeit, Öffentlichkeit und Transparenz, das wären die Kernelemente der politischen Auseinandersetzung. Mir ist natürlich klar, dass Sie damit allein nicht weit kommen würden. Von daher ist es logisch nachvollziehbar, dass Sie sich zum Erhalt der eigenen Macht und der installierten Netzwerke eines Geheimdienstes bedienen, der den politischen Gegner bekämpft und kriminalisiert.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Nein, zum Schutz vor Mörderbanden wie dem NSU.)

Das ist kein Zeichen, kein Ausdruck einer wehrhaften, einer starken Demokratie, das ist im Grunde nur Schwäche und Hilflosigkeit. Wäre der, in Anführungsstrichen, „demokratische Staat“ tatsächlich so stark wie immer behauptet, dann bräuchte er den Verfassungsschutz nicht. Wer der politischen Bedrohung mit einem Geheimdienst begegnet, stellt sich abseits jeder Moral, ganz gleich,

(Heinz Müller, SPD: Sie müssen gerade von Moral reden. Das ist ja wohl das Schärfste hier!)

welche Gesetze die Gesinnungsverfolgung ermöglichen.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Das natürliche Rechtsempfinden wird immer auf der Seite der Freiheit sein.

Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel stellt einen unkontrollierbaren und für die Betroffenen nicht hinterfragbaren Eingriff in die Grund- und Bürgerrechte dar.

(Zuruf aus dem Plenum: Heul doch!)

Die Werte, die Bürgerrechte, die Ihnen angeblich so wichtig sind, wie informelle Selbstbestimmung, Kernbereichsschutz, Schutz von Geheimnisträgern, auf alles das pfeift ein Geheimdienst.

Durch das Ausspähen von Abgeordneten und Journalisten stellen Sie und Ihr System sich an eine Seite mit Ländern wie Nordkorea. Und dann gibt es da noch dieses Blablabla von wegen parlamentarischer Kontrolle. Wie soll die aussehen? Geheime Treffen mit geheimen Tagesordnungen und, wenn überhaupt, geheimen Protokollen?

(Dr. Margret Seemann, SPD: Ja, das möchte er gerne wissen. Da darf er nicht mitmachen.)

Durch so was werden Abgeordnete bestenfalls zum Mitwisser von Exklusivinformationen, aber nicht zu Aufklärern und Kontrolleuren.

(Jochen Schulte, SPD: Das weiß er doch gar nicht. Er ist ja nie dabei.)

Der Dienst wird immer nur so viel preisgeben, wie er für angemessen hält.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Da möchten Sie gerne mal mitmachen, ne? Aber Sie dürfen ja nicht.)

Einfach mal zuhören, da können Sie noch was lernen, Frau Seemann.

(Manfred Dachner, SPD: Wir wollen ja gar nicht zuhören.)

Das, was wir als ständige Skandale mit Verfassungsschutzbeteiligung wahrnehmen, wird der Dienst nie freiwillig rausrücken. Entweder, und das sind wohl die meisten Fälle, kommen derartige Affären ans Licht, weil irgendein inkompetenter Schlapphut Fehler begeht oder der öffentliche Druck die Entscheidungsträger in die Enge treibt. Parlamentarische Kontrolle ist Selbstbetrug und eine Täuschung der Öffentlichkeit. Alle Beteiligten tun so, als hätte man den Geheimdienst im Griff,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Und warum sitzen Sie dann hier als Opposition?)

und in den meisten Fällen wird das tatsächlich geglaubt.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

So ähnlich war es auch in dem Antrag für die Landesdelegiertenkonferenz der GRÜNEN in Güstrow formuliert. Mal abgesehen von der Begründung, waren die beantragten Punkte doch richtig. So heißt es dort, der Landesverfassungsschutz sei eine demokratisch nicht zu kontrollierende Einrichtung und abzuschaffen.

Da Sie leider in der letzten Sitzung der Möglichkeit benommen wurden, den Ausführungen meines Fraktionsvorsitzenden zu folgen,

(Heinz Müller, SPD: Da waren wir auch sehr traurig.)

will ich Ihnen einen kleinen Einblick in das Treiben des Verfassungsschutzes geben.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Ach, war er wieder rausgeflogen, der Herr Pastörs, wie immer?)

So, und jetzt aufpassen, Frau Seemann!

(Stefan Köster, NPD: Man merkt, dass Sie nicht da waren, Frau Doktor.)

Um es gleich vorwegzunehmen, es handelt sich um Tatsachen, was natürlich nicht bedeutet, also es ist Ihnen unbenommen, abermals durch unqualifizierte Zwischenrufe vorhandene Geistesarmut herauszustellen.

Unmittelbar nach der Gründung des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Jahr 1950 gab es gleich den ersten Vorfall. 1953 wurden im Rahmen der „Operation Vulkan“ über 30 Verdächtigte verhaftet, weil sie Wirtschaftsspionage für die DDR betrieben hätten. Die Informationen, an denen nichts dran war, lieferte der Verfassungsschutz. Eines der Opfer hielt dem Druck nicht stand und erhängte sich in der Untersuchungshaft.

Zehn Jahre später deckte die Zeit auf, dass der Inlandsgeheimdienst das tat, was er konnte: Es wurden reihenweise Telefone abgehört und Post kontrolliert, auch von prominenten Politikern – und, Überraschung, die Aktion war verfassungswidrig.

Nur fünf Jahre später, im Jahr 1968, trat dann Peter Urbach auf den Schirm. Der V-Mann der Berliner Behörde lieferte im Auftrag des Innensenators Molotowcocktails an aufgebrachte Studenten und an die ein Jahr später entstehende RAF Waffen. Terroristen ohne Waffen, das geht ja auch schlecht. Mit den ersten Waffen organisierte man Geld und so weiter – und endlich gabs echten Terrorismus. Eine Bombe, die Urbach lieferte, um ein jüdisches Gemeindehaus in die Luft zu jagen, versagte. Die Täter wurden nicht zur Rechenschaft gezogen, um Urbach zu schützen. Als er dann dennoch aufflog, versah man ihn mit einer neuen Identität und brachte ihn ins Ausland.

Den Radikalenerlass dürften die meisten von Ihnen als Vorlage für heutige Schikanen gegen die nationale Opposition kennen. In den 80ern wurden 1,4 Millionen Bürger auf ihre Verfassungstreue überprüft. Das Klima der Gesinnungsschnüffelei hatte im Vergleich, hatte, na, Moment,...

(Dr. Magret Seemann, SPD: Üben! Üben!)

... hatte im vorgeblich demokratischen Rechtsstaat zeitweise DDR-Niveau erreicht. Ironischerweise wurde mit dem Fall der Mauer bekannt,

(Thomas Krüger, SPD: Woher kennen Sie denn die DDR? – Dr. Magret Seemann, SPD: Das hat man ihm aufgeschrieben.)

dass die DDR eine Terrortruppe von DKP-Mitgliedern im Westen steuerte, die im Konfliktfall losschlagen sollte. 40 Jahre schlichen die Schlapphüte jedem KPD-Mitglied hinterher, aber das haben sie dann doch nicht rausbekommen.

Also nicht, dass Sie glauben, das sind Einzelfälle. Mal abgesehen davon, dass es immer noch eine sogenannte Dunkelziffer gibt, ist meine Aufzählung hier nicht abschließend.

1978 sprengte das Niedersächsische Landesamt ein Loch in die Mauer der JVA Celle. Es sollte so aussehen, als wollte man einen inhaftierten RAF-Terroristen befreien, um mit der Aktion einen V-Mann in die RAF zu bringen.

1991 erreichte der Skandal um den ermordeten Ulrich Schmücker seinen Höhepunkt. Der Student war Mitglied der Bewegung 2. Juni, wurde verurteilt und in Haft als V-Mann angeworben. Unter falschem Namen spionierte er dann die linke Szene aus. 1974 wurde er erschossen im Grunewald aufgefunden. Der Prozess gegen sechs Angeklagte wurde 15 Jahre später mit der Begründung eingestellt, der Verfassungsschutz habe bei der Tat mitgewirkt und auf den Prozess eingewirkt. Die Tatwaffe blieb im Panzerschrank des Verfassungsschutzes, Verteidiger wurden überwacht und Zeugen erhielten Aussageverbote.

Eine tolle Inszenierung bot sich mit der sogenannten Sauerlandgruppe an. Der Mentor der Sauerlandgruppe

war zwischen 1995 und 2002 als V-Mann tätig. Bei dessen Sohn fand man genau die Anleitung für Sprengstoff, mit dem später die Sauerlandbomber experimentierten. Vater und Sohn haben sich inzwischen abgesetzt nach Arabien und von Auslieferungsersuchen der BRD hörte man nichts.

Kommen wir mal nach Mecklenburg. Trotz des Beiseins des V-Manns auf RAF-Kommandoebene Steinmetz konnte Wolfgang Grams in Bad Kleinen nicht festgenommen werden, sondern musste sterben.

Die notwendige Distanz zwischen Agieren und Beobachten bekam man mit dem V-Mann, Kreisvorsitzenden der NPD, stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Mathias Meier auch nicht hin. Dieser war 1998 bis 2000 als V-Mann tätig. Der Mitbegründer der Wehrsportgruppe „Kampfgruppe Nord“ oder „Kampfbund Nord“ selbst verstand sich als Doppelagent, der keine brisanten Informationen geliefert haben will. Erst als er Persönlichkeitsprofile seiner Kameraden abliefern sollte, wurde er von mitwissenden Parteikameraden geoutet und dadurch abgeschaltet.

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Ganze drei Jahre stand Michael Grube von 1997 bis 1999 im Spitzeldienst für das Landesamt für Verfassungsschutz. Wozu Grube fähig war, zeigte sich im März 99, als er sich an der Planung und Durchführung eines Brandanschlages auf eine Pizzeria in Grevesmühlen beteiligte. Mal unterstellt, der Verfassungsschutz weiß, was für Leute er da anwerben lässt, warum hat er dann Grube eine Liste mit Namen vermeintlicher Linker aus Wismar und Umgebung übergeben? Dem tollen Typen, der einen anderen Jugendlichen zuvor schon fast totgeprügelt hatte.

Offensichtlich weiß man, dass der eigene Dienst nicht in der Lage ist, sich zu halten, wenn schon Straftaten begangen werden. So kann ich mir jedenfalls die Anheuerung des britischen Undercoveragenten Mark Kennedy zum G 8 erklären, um dessen Einsatz das Land ausdrücklich gebeten hat. Seine Weggefährten berichteten, er sei eindeutig ein Agent Provocateur gewesen. In mindestens einem Fall habe er angeboten, er könne britische Freunde herbeiholen, die antifaschistische Gruppen in ihrem Kampf gegen deutsche Rechtsextremisten unterstützen würden. Zeitgleich wurde eine entsprechende Liste mit Anschlagszielen für Mecklenburg-Vorpommern in einschlägigen linken Netzwerken in Umlauf gebracht. Auch an Übergriffen auf Polizisten soll Kennedy beteiligt gewesen sein.

Eine Glanzleistung nach der anderen, und das sind nur die, von denen wir wissen. Hinter dem wohlklingenden Tarnnamen „Verfassungsschutz“ verbirgt sich ein skandalträchtiger Geheimdienst, der weder transparent noch kontrollierbar ist. Ihm gehört die Lizenz zum Infiltrieren, Schnüffeln und zur Gesinnungskontrolle entzogen.

Übrigens, mal abgesehen davon, dass es die BRD bis heute nicht geschafft hat, sich eine ordentliche Verfassung zu geben,