Protokoll der Sitzung vom 26.09.2012

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wenn in diesem Landtag über Pflege geredet wird, dann ist es doch auffällig, dass es in aller Regel darum geht, was sein könnte. Bestes Beispiel ist Ihr Antrag. Er gleicht einer regelrechten Pflegenebelkerze: viel weißer Rauch, aber nichts Konkretes.

Interessant wird es erst bei der Novellierung des Landespflegegesetzes. Worum geht es hier konkret? Um die Streichung des Pflegewohngeldes zum Jahresende. Und hier liegt auch der Knackpunkt. Wir Bündnisgrünen befürworten die Strategie „ambulant vor stationär“. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen auch im Alter und im Pflegefall möglichst lange in ihrem gewohnten sozialen Umfeld leben können. Wir fordern gute ambulante und vor allem erreichbare Versorgungsstrukturen. Sie können verhindern, dass von einer Behinderung betroffene Menschen gegen ihren Willen in ein Heim umziehen müssen. Insofern ist unser Ziel dauerhaft ein veränderter Ansatz der Pflegepolitik im Land.

Das Pflegewohngeld, meine Damen und Herren, kommt primär den Einrichtungen zugute. Wer aber mehr am- bulante Betreuung fordert, der darf keine zusätzlichen Anreize für stationäre Betreuung schaffen. Der vorgelegte Gesetzentwurf entbehrt insofern nicht einer gewissen Logik, als die Förderung von ambulanten und stationären Strukturen angeglichen werden soll. Dennoch ist er aus unserer Sicht in der vorgelegten Form unbefriedigend, weil er zahlreiche Fragen unbeantwortet lässt.

Sehr geehrte Damen und Herren, was enthält der Gesetzentwurf nicht?

Erstens. Hilfen im Vor- und Umfeld der Pflege werden nicht mit einbezogen. Im Sinne der Weiterentwicklung der Versorgung und der Stärkung einer möglichst umfassenden Angebotsstruktur ist dies aus unserer Sicht jedoch sehr sinnvoll.

Zweitens. Die Ausführungen zur Zusammenarbeit aller Akteurinnen und Akteure gerade im regionalen Bereich sind sehr dünn. Es fehlen unter anderem wichtige zivilgesellschaftliche Partner/-innen wie Seniorenvertreter und -vertreterinnen, Selbsthilfeverbände, Vertreterinnen und Vertreter für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke, Beratungs- und Vermittlungsstellen.

Drittens. Es fehlt eine explizite Festlegung gemeinsamer Verantwortung und Zusammenarbeit.

Viertens. Hinweise auf angemessene lokale Pflegestrukturen sind im Gesetz nicht enthalten.

Fünftens. Es fehlen weitere Aspekte wie Pflegekonferenzen, die Erprobung neuer Formen versorgerischer Angebote und Verbesserung der Ausbildung und somit auch der Fachkräftesicherung.

Die bisherige Regelung zum Pflegewohngeld sieht vor, dass jede und jeder Pflegebedürftige in einer stationären Pflegeeinrichtung ab der Pflegestufe 1 gemäß Paragraf 72 SGB XI Anspruch auf monatlichen Zuschuss zur anteiligen Kostendeckung hat, wenn sie oder er die Kosten nicht selbst tragen kann. Die Gewährung erfolgt einkommensabhängig, eigenes Vermögen bleibt unberücksichtigt, Unterhaltsansprüche der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner gegen Dritte ebenfalls, mit Ausnahme von Ehe- beziehungsweise Lebenspartner/-in. Und hierin liegt der große Unterschied zur Sozialhilfe, bei deren Beantragung die Einkommens- und Vermögensverhältnisse offengelegt werden müssen und auch die Unterhaltsansprüche Dritter, namentlich der Kinder.

Laut Auskunft des Sozialministeriums bezogen im Dezember 2010 rund 5.650 Menschen in unserem Bundesland Pflegewohngeld in einer durchschnittlichen Höhe von knapp 103 Euro monatlich. Der Wegfall des Pflegewohngeldes wird zu kommunalen Mehraufwendungen führen. Laut Gesetzentwurf sollen diese bei den Landeszuweisungen an die Kommunen im Rahmen des Sozialhilfefinanzierungsgesetzes berücksichtigt werden.

An dieser Stelle ergeben sich weitere Fragen: Auf welchen Berechnungsgrundlagen basieren die im Gesetzentwurf veranschlagten Kosten? Welche finanziellen Folgen ergeben sich in den nächsten Jahren aus der Beibehaltung des Landespflegegeldes im stationären Bereich? Und besteht die Gefahr einer zusätzlichen Belastung der Kommunen?

Sehr geehrte Damen und Herren, wichtig ist uns Bündnisgrünen, alle diese Fragen seriös zu klären, bevor es zu womöglich übereilten Entscheidungen kommt. Die Zeitschiene bis Ende des Jahres ist denkbar kurz, das sollte aber ehrlichen und vor allem gründlichen Diskussionen nicht im Wege stehen. Klar ist für uns Bündnisgrüne schon heute: Einer ersatzlosen Streichung des Pflegewohngeldes werden wir nicht zustimmen. Vielmehr werden wir uns dafür einsetzen, wie bisher die für das Pflegewohngeld veranschlagten Summen in die konkrete Unterstützung und Etablierung ambulanter Einrichtungen zu investieren. Denkbar wäre zum Beispiel auch ein

Modell, bei dem wie bisher die für das Pflegewohngeld veranschlagten Gelder zukünftig verstärkt für den Aufbau und die Verbesserung nicht stationärer Einrichtungen wie alternative Wohngruppen und Pflegegemeinschaften eingesetzt werden. Auch eine Fondslösung sollte in diesem Zusammenhang geprüft werden, denn gute Pflege zeichnet sich vor allem durch eines aus: Sie ist nutzerorientiert.

Lassen Sie mich an dieser Stelle daher auch noch kurz auf den hier mitverhandelten Antrag der Regierungsfraktionen eingehen, denn dieser ist eines ganz sicher nicht: nutzerorientiert, maximal nutzt er Ihrer politischen Profilierung. Das wird aber weder den Pflegenden noch den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen gerecht. Sicherlich ist nichts falsch, was Sie in diesem Antrag fordern.

(Heinz Müller, SPD: Aha!)

Es geht aber auch nicht über das hinaus, was die Ministerin in ihrer Rede zur letzten Aktuellen Stunde bereits erwähnt hat.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist die Wiedergabe der Koalitionsvereinbarung.)

Sie reihen in Ihrem Antrag schlicht fünf Punkte politischer Selbstverständlichkeiten aneinander. Die Ministerin hat in ihrer sehr ausführlichen Rede in der letzten Plenarsitzung zur Aktuellen Stunde doch bereits klargemacht, dass sie einen Strategiewechsel plant. Ich darf zitieren: „Wir haben in den letzten Jahren ganz stark die stationäre Pflege unterstützt und wir wollen in Zukunft Angebote unterstützen, die dafür Sorge tragen, dass der Wunsch der Menschen Wirklichkeit wird, so lange wie möglich zu Hause bleiben zu können.“ Zitatende.

Damit dürfte sich der erste Spiegelstrich Ihres Antrages bereits erledigt haben, wobei er natürlich einen wunden Punkt der Ministerin offenlegt. Es ist doch so, dass es die Landesregierung bisher schlicht verpasst hat, Versorgungsstrukturen konsequent nutzerorientiert auszugestalten. Bei den Pflegebedürftigen besteht schließlich nicht erst seit diesem Jahr der Wunsch, so lange wie möglich im gewohnten sozialen Umfeld leben zu können. Aber – und das ist die gute Nachricht – die Erkenntnis, dass wir einen Ausbau der ambulanten Versorgungsangebote brauchen, ist endlich da, zwar spät, aber die Erkenntnis ist da.

Wie weit hingegen Ihre Erkenntnisse im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements gelangt sind, kann ich diesem Antrag nicht entnehmen. Da sich hier leider kein Wort darüber findet, mit welchen Anreizen Sie welche Strukturen im bürgerschaftlichen Engagement wie fördern wollen, möchte ich darauf hier und heute auch nicht weiter eingehen.

Genauer beleuchten möchte ich allerdings die Pflegestützpunkte. Auch hier lese ich Ihre Forderung und möchte Sie fragen, ob das tatsächlich schon alles ist, was Ihnen zu den Pflegestützpunkten einfällt. Sie treffen ja den richtigen Kern. Natürlich ist es so, dass der Ausbau der Pflegestützpunkte nicht in der Form voranschreitet, wie es die Landesregierung geplant hat.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Aber daran sind nur die anderen schuld, nicht die Regierung.)

Derzeit gibt es gerade mal 4 von 18 geplanten Pflegestützpunkten. Allerdings werden aus dem offensichtlichen Unterschied zwischen Planungswunsch und Pflegerealität nicht die richtigen Konsequenzen gezogen. Statt mit den Fingern auf die Kommunen zu zeigen, sollten Sie überlegen, wie der Beratungsbedarf gerade im ländlichen Bereich gedeckt werden kann. Hier greift das Konzept der Pflegestützpunkte zu kurz und muss dringend weiterentwickelt werden,

(Harry Glawe, CDU: Sie bringen ja alles durcheinander.)

hin zu einer zunehmend unabhängigen und individuellen Pflege- und Wohnberatung auf dem Land und in der Stadt, Herr Glawe.

(Harry Glawe, CDU: Ja.)

Und es ist ja schön und gut, dass Sie noch einmal die unbestrittene Notwendigkeit für die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffes aufgreifen. Aber vier Wochen nachdem Ihre Ministerin sich genau zu diesem Punkt lang und breit erklärt hat, nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung genau diese zentrale Reformnotwendigkeit nicht angepackt hat, wem nutzen diese warmen Worte, wenn keine Konsequenzen folgen?

(Harry Glawe, CDU: Den Demenzkranken der Bundesrepublik Deutschland. Das müssen Sie mal nachlesen.)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Novellierung des Landespflegegesetzes bietet die Chance, Pflegepolitik in diesem Land ein kleines bisschen stärker an den Bedürfnissen der Menschen auszurichten. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir auch die Überweisung des Antrages, weil er bei aller gebotenen Skepsis an seiner Notwendigkeit die richtigen Signale setzt. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harry Glawe, CDU: Ja, ja. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Köster.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landespflegerechts nimmt sich die Landesregierung das in Teilen zum 31. Dezember 2012 und im Übrigen zum 31. Dezember 2013 auslaufende Landespflegegesetz vor und schafft damit eine Verlängerung des herkömmlichen Gesetzes mit Änderungen. Weiter wolle man mit diesem neuen Gesetz dem sogenannten demografischen Wandel, also der Vergreisung unseres Volkes, Rechnung tragen. So stellt die Landesregierung fest, dass sich allein von 2005 bis 2009 im Land die Anzahl der Pflegebedürftigen von 51.000 auf 61.000 deutlich erhöht hat. Ferner wird eine Verdopplung der Zahl hochbetagter Menschen mit einem Alter von 80 Jahren und mehr bis zum Jahre 2030 erwartet.

Der Schwerpunkt des Entwurfs richtet sich nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ im ambulanten beziehungsweise nach dem Grundsatz „teilstationär vor vollstationär“ im teilstationären Bereich aus. Diese

Grundsätze sind zu begrüßen, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Zuge der Änderungen des Landespflegegesetzes das Pflegewohngeld teilweise gestrichen wird. Die Landesregierung sieht genau dies vor. Sie stellt für die bis zum 31. Dezember 2012 neu eingereichten Anträge und die bestehenden Zahlungsempfänger einen Bestandsschutz aus, will die Zahlungen aber ab dem 1. Januar 2013 für neue erstmalige Anträge auf Gewährung von Pflegewohngeld einstellen, angeblich ohne dass negative Auswirkungen für den Betroffenen entstehen. Wer glaubt das wohl noch?

Des Weiteren ist das erklärte Ziel der Landesregierung, dass Pflegehilfskräfte nicht unter einem Mindestlohn von 8,50 Euro vergütet werden. Diese Forderung lehnen wir von der NPD-Fraktion ab, da auch dieser Stundenlohn wie die bisherigen, 2012 zum Beispiel 7,75 Euro und 2013 dann 8,00 Euro, nicht ausreicht, um die Arbeit und Leistung der Pflegekräfte widerzuspiegeln,

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

und gleichzeitig auch kein Leben in Würde im Rentenalter sicherstellt. Wir werden alle älter.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Deshalb 8,80 Euro.)

10 Euro, da gehen wir mit Ihnen sogar konform, Herr Ritter.

Wir werden alle älter,

(allgemeine Unruhe – Peter Ritter, DIE LINKE: Das hat Ihr Vorsitzender aber nicht gesagt bei der Anhörung. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

wir werden alle älter und irgendwann, bei dem einen früher, bei dem anderen später, kommt der Tag, an dem wir froh sind, wenn man im Alter die nötige Pflege erhält, ganz gleich, wie hart das Alter bei jedem Einzelnen zuschlägt. Es kommt der Moment, an dem wir nicht mehr aus eigener Kraft das eigene Leben bewerkstelligen können. Wohl dem, der sich von seinen Angehörigen helfen lassen kann. Doch wehe dem, der auf die unsichere Pflege von außen angewiesen ist.

Nur wenn jetzt der derzeitigen Entwicklung im Pflegebereich entgegengesteuert wird, können viele Betroffene künftig auf eine angemessene Pflege hoffen. Es geht hierbei nicht um gute Löhne und gute Pflege – was das auch immer ist –, sondern um die bestmögliche Pflege und leistungsgerechte Löhne. Wer sein Leben lang in die Sozialkassen eingezahlt und somit für das Gemeinwohl gearbeitet hat, verdient es nicht, am Ende nur gepflegt zu werden. Und die Menschen, die diese Pflege zu erbringen haben, müssen dafür leistungsgerecht entlohnt werden, und hiervon sind wir in Mecklenburg-Vorpommern vielerorts noch weit entfernt.

Der vorliegende Antrag von SPD und CDU ist nicht im Geringsten dazu geeignet, diese simple Forderung zu erfüllen. Er besitzt gerade einmal die Eignung für den Papierkorb. Hier soll den Bürgern mal wieder Sand in die Augen gestreut werden, indem man vonseiten der SPD und der CDU Tatendrang vorgaukelt. Beide Parteien hatten jahrzehntelang Zeit, um dem Super-Pflege-GAU entgegenzuwirken. Man hat diese Zeit nicht nur unge

nutzt verstreichen lassen, die politische Klasse trägt die Hauptschuld an der demografischen Katastrophe und demzufolge an der Überalterung unseres Volkes. Und jetzt auf einmal geht Ihnen doch noch ein Licht auf und Sie müssen erkennen, dass es so nicht weitergehen kann und die nächste sozialpolitische Katastrophe bevorsteht.

Ihr Interesse, und das ist heute mal wieder ganz deutlich geworden, gilt nur Ihnen selbst und ist nicht auf eine würdevolle Zukunft aller Generationen unseres Volkes ausgerichtet, denn dieses haben Sie ja schon lange verraten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Aber vielleicht haben Sie ja das Pech, eines Tages in Ihrem Stuhlgang sitzen bleiben zu müssen,

(Dr. Ursula Karlowski, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Och!)

und keiner ist mehr da, der Ihnen hilft. Vermutlich sind dann aber genügend Fremde da, die Sie für einen Hungerlohn aus dieser schwierigen Situation befreien werden.