einem Land, in dem 14-Jährige aus dem Unterricht geholt wurden, um sie zu einer Unterschrift zu pressen, die sie auf lange Zeit in der NVA binden sollte. Und ich weiß, von welchem perfiden Druck ich rede, denn ich habe das damals selbst miterlebt.
Wir kommen aus einem Land, in dem jeder Arbeit hatte, aber auch einem Land, in dem ein Lehrer seine Arbeit verlor, weil sein Sohn in den anderen Teil Deutschlands ausreisen wollte, oder einem Land, in dem die geplante Staatswirtschaft so ineffektiv organisiert war, dass es pleitegehen musste. Wir kommen aus einem Land, in dem die Institutionen gleichgeschaltet waren, in dem die ideologische Indoktrination in allen Lebensbereichen wirken sollte. Das ging von den Parteien, den Massenorganisationen, der Kita, der Schule, dem Kollektiv, der Hausgemeinschaft bis hin zu allen öffentlichen Aktivitäten, die sich irgendwo regten.
Wir kommen aus einem Land, in dem der Staat den Bürgern vielfach die Last der Entscheidung abgenommen hat, die Bürger aber auch ihre Entscheidung eben nicht frei treffen konnten. Wir kommen aus einem Land, in dem Misstrauen auf der Tagesordnung war, denn dein Gartennachbar, mit dem du deinen Geburtstag gefeiert hast, könnte ja bei der Stasi sein, dich denunzieren und deinen ganzen weiteren Lebensweg kaputt machen.
Meine Damen und Herren, meine Eltern haben mit mir und meinem Bruder schon sehr früh über Politik disku
tiert. Und immer wenn es um Mauer, Solidarność, freie Rede, freie Wahlen und Ähnliches ging, hieß es hinterher immer: Das dürft ihr aber nicht in der Schule erzählen.
Diese staatlich erzwungene Doppelzüngigkeit, dieses Unterdrücken der öffentlichen Diskussion über gesellschaftliche Widersprüche war einer der Sargnägel der DDR. Weitere waren die Unfreiheit, die eigene Entwicklung selbst in die Hand nehmen zu können, die Unfreiheit, der Möglichkeiten beraubt zu sein, sich frei zu entwickeln, die Unfreiheit, über die Grenzen des eigenen Staates hinausschauen und sich bewegen zu können. Und vergessen Sie nicht die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung der DDR und noch vieles andere.
Meine Damen und Herren, ich will nicht so tun, als wäre in der DDR alles schlecht gewesen. Das will ich ausdrücklich sagen. Richtig ist, wer sich in der DDR in seine Privatnische zurückgezogen hat und sich mit den Einschränkungen arrangiert hat, konnte ein durchaus ruhiges Leben führen.
Aber, meine Damen und Herren, das kann ein Wellensittich in seinem Käfig ja auch. Unter diesen damals oft widrigen Umständen haben die DDR-Bürger sich eingerichtet. Und ja, sie haben damit den Staat und das System am Laufen gehalten. Was blieb ihnen auch anderes übrig? Richtig ist, die Menschen verdienen Respekt und Anerkennung für ihre Leistung, die sie unter oftmals schwierigen Bedingungen erbringen mussten.
Es gab aber auch jene Menschen, die sich nicht im System einrichten wollten und konnten. Sie und oftmals auch ihre Familienmitglieder bekamen dann die volle Härte des Systems zu spüren. In der Endkonsequenz hieß das mitunter Bautzen. Und ich will hier eine Zahl nennen: In der DDR waren immerhin mehr als 200.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Und auch diesen Menschen zollen wir Anerkennung und Respekt.
Anerkennung verdienen die vielen Menschen, die für die friedliche Revolution in der DDR gesorgt haben, denn diese Leute haben viel riskiert. Sie haben beispielsweise in Leipzig nicht gewusst, ob auf sie geschossen werden würde. Der Einsatzbefehl lautete damals, die Montagsdemonstration mit allen Mitteln zu unterbinden. Nur gegen 70.000 mit Kerzen in der Hand und dem Ruf „Wir sind das Volk! Keine Gewalt!“ war eben die Volkspolizei und waren die Kampfgruppen machtlos.
Ich selbst bin 1989 bereits vor dem Fall der Mauer Mitglied der damals noch verbotenen Sozialdemokratischen Partei geworden und habe an Runden Tischen mitgearbeitet. Mir ist erzählt worden – ich kenne es leider nur aus Erzählungen, ich kann es nicht beweisen –, dass es seinerzeit einen ausgearbeiteten Verhaftungsplan gegeben haben soll, der die Internierung der, wie hieß es damals so schön, konterrevolutionären Kräfte beinhalte
te. Die Internierung sollte, so wurde es mir jedenfalls berichtet, im Dorf Peenhäuser in den Pferdeställen erfolgen, gut zu überwachen, weitab von größeren Siedlungen und in fest verschließbaren einzelnen Boxen.
Meine Damen und Herren, die politische Wende ist gelungen. Den vielen engagierten Menschen sei Dank. Das bedeutete für Millionen Ostdeutsche Freiheit und eben nicht die Pferdebox in Peenhäuser und die Möglichkeit, ihr Leben in die eigenen Hände nehmen zu können. Das bedeutet, frei seine Meinung sagen zu können. Das bedeutet, frei die politische Richtung wählen zu können, die man für richtig hält. Das bedeutet, frei das lesen, sehen und hören zu können, was man für wichtig, richtig und interessant hält.
Die wirtschaftliche Wende zu schaffen, war viel schwerer. Für Millionen Ostdeutsche bedeutete die Wende, dass sie mehr Geld im Portemonnaie hatten, aber auch, dass sich die Preise an die wirtschaftliche Realität angepasst haben. Damit waren die Mieten eben nicht mehr bei 50 Mark der DDR, sondern sehr schnell bei 350 D-Mark und mehr. Dazu kam, dass wir auch in unserem Land eine Massenarbeitslosigkeit von ungeahntem Ausmaß bekamen mit all den negativen Folgen für die Menschen.
Ich sehe zwei Ursachen für die Massenarbeitslosigkeit: Die erste ist eine in großen Teilen marode Staatswirtschaft, die einfach auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig war, und zweitens die Privatisierungspolitik der damaligen Treuhand. „Privatisierung vor Konsolidierung“ war eben eher ein Abbauprogramm für ostdeutsche Betriebe als ein Programm zu deren Erhalt.
Leidtragende waren die Menschen, die nicht das Glück hatten, einer Arbeit nachgehen zu können. Leidtragende waren vielfach aber auch die Menschen, denen Niedriglöhne gezahlt wurden mit der Begründung: Wenn es dir nicht passt, dann kannst du ja gehen, vor dem Tor warten noch hundert andere.
Aber, meine Damen und Herren, wir befinden uns im Jahr 2012. Die Arbeitslosigkeit sinkt Jahr für Jahr. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt Jahr für Jahr.
Die maroden und grauen Innenstädte der DDR sind Vergangenheit. Und hier gestatte ich mir den Einschub: Ich rate jedem, der Stralsund vor der Wende kennt, mal nach Stralsund zu fahren. Da hielt ein Haus nur noch das andere. Wir haben heute ein UNESCO-Welterbe-Projekt dort in Stralsund stehen und diese Stadt erstrahlt so, wie sie nie hätte erstrahlen können.
Und wäre die Wende nicht gekommen, wäre die Innenstadt, diese historisch wertvolle Innenstadt, in sich zusammengebrochen. Das Gleiche gilt für unsere Dörfer. In der DDR hätten sie niemals so erstrahlen können, wie sie heute erstrahlen. Wir sind besser durch die Finanzkrise
gekommen als andere Länder. Und wir wirtschaften in Mecklenburg-Vorpommern solide. Wir machen seit 2006 keine neuen Schulden mehr.
Und ja, es sind immer noch nicht alle Probleme gelöst. Hier haben Sie recht. Hier habe Sie ausdrücklich recht.
Es sind immer noch nicht alle Probleme gelöst. Als Beispiel haben Sie genannt die Arbeitslosigkeit. Auch wenn sie sinkt, auch wenn sie die niedrigste seit der Wende ist, es ist immer noch ein Problem. Gleichzeitig laufen wir in einen Fachkräftemangel. Und auch das Problem der Niedriglöhne ist nicht wirklich gelöst. Wir haben auf Landesebene das getan, was wir auf Landesebene tun konnten mit dem Vergabegesetz. Das, finde ich, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Aber die eigentliche Lösung liegt woanders. Das wissen wir auch.
Meine Damen und Herren von den LINKEN, mit Ihrem Antrag lösen wir die Probleme nicht. In Ihrem Antrag fordern Sie uns im zweiten Abschnitt unter Punkt 1 auf, ein Programm aufzulegen, das die Wirtschaftsleistung Mecklenburg-Vorpommerns an den Bundesdurchschnitt ranführen soll. Meine Damen und Herren, den Versuch macht Schleswig-Holstein seit 67 Jahren, und die hatten keine DDR-Vergangenheit. Und wir arbeiten auch jeden Tag daran.
(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, und wir tun das auch jeden Tag. – Helmut Holter, DIE LINKE: Auch acht Jahre lang.)
Bislang habe ich geglaubt, dass DIE LINKE einen durchaus tief greifenden Erkenntnisprozess durchgemacht hat.
Was Sie hier aber fordern, vermittelt mir zumindest den Eindruck, dass Sie ein Zurück zur staatlich gelenkten Wirtschaft wollen. Wohin das führen würde, habe ich eben beschrieben. Dahin wollen wir jedenfalls nicht zurück.
Sollten Sie aber meinen, dass wir hier in MecklenburgVorpommern Landesgeld in die Hand nehmen, um Konjunkturprogramme aufzulegen, würde ich mich schon mal dafür interessieren, über welche Summen wir hier reden und woher das Geld kommen soll.
Oder wollen Sie vielleicht die Null-Schulden-Politik, die wir gemeinsam unter Rot-Rot erfolgreich, gemeinsam unter Rot-Rot erfolgreich begründet haben, beenden? Wenn ja, auch das würde mich interessieren, sagen Sie es hier offen.
Zur wirtschaftlichen Dynamik, sehr geehrter Herr Holter, haben Sie schon zitiert die Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der „WirtschaftsWoche“,
wobei Mecklenburg-Vorpommern auf den fünften Platz beim Dynamisierungsranking kommt und insbesondere bei den Kriterien „Struktur“ und „Standort“ Spitzenwerte erzielt.
Unser Wirtschaftsminister hat dazu gesagt: „Mecklenburg-Vorpommern beißt sich bei der Dynamik im oberen Drittel fest. Die gute Bewertung zeigt, dass wir mit unseren Schwerpunkten auf dem richtigen Weg sind.“ Zitatende.
Ja, Herr Minister, ich teile Ihre Einschätzung. Ich bin mir sicher, Mecklenburg-Vorpommern ist auf dem richtigen Weg. Das, was DIE LINKE mit Vorlage eines Regierungsprogramms fordert, haben wir bereits getan. Wir nennen das Koalitionsvertrag
und tägliche Arbeit. Und ich spare mir jetzt einfach mal, die ganzen Maßnahmen aufzuzählen. Ich glaube, Minister Glawe hat das in ausreichendem Maße hier gemacht.
Richtig ist, dass Ostdeutschland im vergangenen Jahr bei 71 Prozent des bundesweiten Bruttoinlandsprodukts gelegen hat. Es ist richtig, dass der Osten um 2 Prozent zurückgefallen ist. Auch das ist richtig. Das hat mit einer dynamischeren Entwicklung in den alten Bundesländern zu tun. Hier ist die Wirtschaft deutlich exportorientierter. In den Vorjahren hat es aufgrund der Weltwirtschaftskrise deutliche Exporteinbrüche gegeben. Diese wurden wieder aufgeholt. Und damit entstand eine zusätzliche Dynamik. Es bleibt dabei: Der Osten holt auf. Nur müssen wir alle miteinander aufpassen, dass die Rahmenbedingungen verlässlich bleiben.
Der Solidaritätspakt geht bis 2019. Dabei muss es bleiben. Der Länderfinanzausgleich ist unerlässlich, um den Prozess der Angleichung der Lebensverhältnisse vorantreiben zu können. Ich finde es, ich sage es mal ganz vorsichtig, ich finde es schlimm, dass es Bundesländer gibt, die viele Jahre Nehmerländer waren und die jetzt darüber reden, dass sie klagen wollen gegen den Länderfinanzausgleich. Vielleicht kann da in den betreffenden Parteien einfach mal solidarisch über die Landesverbände hinweg miteinander gesprochen werden.