Protokoll der Sitzung vom 26.10.2012

An diese Ereignisse wollen wir anlässlich des 60. Jahrestages des 17. Juni mit einer Veranstaltung durch den Landtag erinnern. Dieser Antrag ist auch deshalb bitter notwendig, denn der 17. Juni 1953 verliert zusehends an Bekanntheit. Er verliert an Bekanntheit, obwohl er Gegenstand des Unterrichts ist und die Landeszentrale und die Bundeszentrale für politische Bildung alljährlich Veranstaltungen zur Thematik des Volksaufstandes ausrichten. Er verliert seine Bekanntheit nicht nur, weil er seit 1991 kein Feiertag mehr ist, denn dieser Trend begann schon vor 1990.

Der 17. Juni 1953 war übrigens ein Feiertag, der nicht von Anfang an von allen gewollt war. Es war Herbert Wehner, der den 17. Juni als Feiertag ins Gespräch gebracht hat. Es war Willy Brandt, der am 1. Juli 1953 im Bundestag den Antrag der SPD in einer Rede begründet hat, als andere Fraktionen sich noch dagegen aussprachen. Der 17. Juni 1953 wurde am 3. Juli 1953 doch zum Feiertag erklärt, nachdem letztendlich die damaligen Regierungsfraktionen umgeschwenkt sind. Es haben dann dem Antrag der SPD alle Parteien mit Ausnahme der KPD zugestimmt.

Für uns von der SPD war und ist der 17. Juni 1953 schon immer ein sehr wichtiges Ereignis gewesen. Ernst Reuter hat es in seiner Rede am 24. Juni 1953 anlässlich der Trauerveranstaltung für die Gefallenen des Aufstandes wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Der 17. Juni 1953 ist, das ist unsere gemeinsame Überzeugung, das größte Ereignis der Geschichte, das wir seit langem erlebt haben. Niemand kann sagen, ob es uns heute oder morgen oder übermorgen zum Ziele führen wird, aber das wissen wir: Dieser elementar-wuchtige Aufstand unseres Volkes, dieser Marsch der deutschen Arbeiter, diese revolutionierende, entflammende Wirkung der deutschen Jugend unter dem totalitären System, dies alles hat die Welt aufgerüttelt, und die Bahn ist frei gemacht für eine bessere Zukunft. Keine Macht der Welt, niemand wird auf die Dauer uns Deutsche voneinander trennen können, wir werden zusammen kommen, wir werden zusammenwachsen“, Zitatende.

Dieser kurze Ausschnitt sagt vieles über die Bedeutung des 17. Juni 1953. Es war der erste Versuch von Menschen in der DDR, ihre Fesseln der Diktatur abzustreifen. Und wie die Ereignisse von 1989/90 zeigen, hat Ernst

Reuter recht behalten, auch wenn es 36 Jahre lang gedauert hat, bis wir hier in Demokratie und Freiheit leben konnten. Wir haben im Osten zweimal für Demokratie und Freiheit gestritten und zweimal viel riskiert. Wir haben mit beiden Ereignissen die deutsche Geschichte geprägt, indem wir uns die Demokratie und Freiheit erkämpft haben. Darauf können wir alle im Osten und Westen stolz sein.

Damit der erste und leider gescheiterte Versuch nicht in Vergessenheit gerät, wollen wir im Landtag der Arbeiter gedenken, die sich für diese unsere Werte eingesetzt und viele Opfer gebracht haben. Wir wollen auch daran erinnern, welche Folgen die Niederschlagung hatte, denn danach hat die SED ihr Überwachungs- und Bespitzelungssystem auf- und ausgebaut, ein System, das ihnen aber letztendlich 1989 nicht geholfen hat. Wir wollen an den Volksaufstand und seine Niederschlagung auch erinnern, weil es für uns das Ende der Legitimation der SED als Vertreter der Arbeiterschaft markiert.

Letztlich ist diese Gedenkveranstaltung notwendig, da wir heute immer wieder Versuche sehen, den Volksaufstand in seiner Bedeutung zu marginalisieren und delegitimieren, indem die sozialen Forderungen in den Vordergrund gestellt werden. Dieser Geschichtsklitterung wollen wir mit der Gedenkveranstaltung ebenfalls entgegenwirken.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und die Proteste der Bauarbeiter wegen der erhöhten Norm, Herr Ritter, das ist der Anlass gewesen und nicht die Ursache. Das habe ich noch gelernt in der Schule.

Die SPD-Landtagsfraktion wird diesem Antrag zustimmen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordnete Herr Jaeger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Landeszentrale für politische Bildung führt ein Seminar durch am 01.11.2012. Es geht um die Verfassung der neuen Länder und die Väter und Mütter des Grundgesetzes. Dabei wird auch eine Frau vorkommen, nämlich Irmgard Rother. Irmgard Rother war damals die einzige Frau, die an der Landesverfassung hier mit- geschrieben hat. Ich habe Irmgard Rother 1989 kennengelernt bei der Gründung des Neuen Forums und sie erzählte mir damals vom Volksaufstand 1953. Das ist tatsächlich eine der wenigen Verbindungen, die ich persönlich erlebt habe zu diesem Volksaufstand 1953. Ich selber bin durch das Bildungssystem der DDR gegangen und habe damit auch wahrgenommen und musste wahrnehmen, wie die DDR diesen Volksaufstand dargestellt hat.

Ich lese zwei Sätze aus einer Rede eines Abgeordneten auf der Sondersitzung des Bezirkstages Schwerin vom 9. Juli 1953. Dort wird der Volksaufstand aus Sicht der damals Herrschenden geschildert. Und zwar sagt er, Zitat: „Am 17. Juni sind faschistische Rowdys zu Tausenden in den demokratischen Sektor von Berlin einge

drungen. Sie nutzten die Unzufriedenheit breiter Teile der Bevölkerung aus, die infolge einer fehlerhaften Maßnahme entstanden. Sie steckten HO-Kioske in Brand, verbrannten Autos und versuchten, faschistische Kriegsverbrecher aus den Gefängnissen zu holen. Unsere Arbeiter und die übergroße Mehrheit der Werktätigen erkannten sehr schnell, dass diese sinnlosen Zerstörungen, die von faschistischen Rowdys angefangen wurden,“

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

„nichts mit dem Willen der ehrlich arbeitenden Menschen unserer Republik zu tun hatten.“ Zitatende. So also wurde der 17. Juni in der DDR auch weiterhin dargestellt.

Ich will auch vorlesen aus einem Dokument, und zwar ist es die BDVB Rostock, die dieses damals an alle VPKA-Leiter verschickte am 18. Juni 1953. Dort sagt der Chefinspekteur oder schreibt er: „Ich weise noch einmal darauf hin, wenn Anzeichen vorhanden sind, eine Demonstration zu organisieren, ist jeglicher Widerstand rücksichtslos zu brechen. Provokateure oder sonstige Personen, die versuchen sollten, dennoch eine Demonstration zu organisieren, laufen Gefahr, erschossen zu werden.“

(Vincent Kokert, CDU: Toll! Dokumentierter Schießbefehl nennt man das.)

Das war die Stimmung 1953 in der DDR und das war auch die Tradierung dieses Ereignisses in die DDRGeschichte hinein.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich möchte einen Satz vorlesen aus der Broschüre der Landesbeauftragten und sie sagt dort, sie nimmt Bezug auf den Volksaufstand vom 17. Juni: „Ohne ihn sind weder friedliche Revolution noch Deutsche Einheit denkbar.“ Und dieser Satz ist absolut richtig, auch wenn ich ihn 1989 so nicht erkannt habe und so nicht gesehen habe. Der Grund ist, dass wir uns 1989 immer wieder korrespondierend zu 1953 verhalten haben und über dieses Ereignis nachgedacht haben. Uns war wichtig Gewaltlosigkeit. Dies schien 1953 nicht der Fall zu sein.

Die Position der Sowjetunion war völlig unterschiedlich. Sie hat 1953 den Volksaufstand niedergeschlagen, 1989 ging die Perestroika unter Gorbatschow voraus. Ich kenne Berichte aus Wismar ganz konkret, wo 1989 der Kommandeur der sowjetischen Truppen in Wismar den Vertretern des Neuen Forums angeboten hat, falls es zu Schwierigkeiten kommt, wird er die Kasernentore öffnen. Auch das ist ein ganz großer Unterschied zwischen 1989 und 1990. Aber richtig ist, ohne den Volksaufstand 1953 hätte es das ehrende Gedenken vor allem in der Bundesrepublik West nicht gegeben, und das ist ein ganz wesentlicher Punkt, warum im Westen Deutschlands das Thema Deutsche Einheit immer wieder lebendig gehalten wurde,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

dies ist auch ein Punkt, die Deutsche Einheit, die wir 1989 ja auch erst – die Akteure jedenfalls oder ein Teil der Akteure, muss man ehrlicherweise sagen – relativ spät als ein positives Ergebnis des Herbstes 1989 wirklich angenommen haben. Viele von uns haben es kritisch gesehen, haben an einen dritten Weg geglaubt, sind

meiner Meinung nach zu spät in diese Gestaltung der Deutschen Einheit mit eingestiegen. Das alles gehört mit zur Geschichte des 17. Juni 1953 dazu.

Ich persönlich finde es auch sehr wichtig, dass DIE LINKE hier ihre Haltung deutlich positioniert hat und mit den demokratischen Fraktionen in eine gemeinsame Willensbildung eintritt. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal an die Menschen, gerade auch in unserem Bundesland, dass wir diesen Tag ehrenvoll im nächsten Jahr begehen können.

Ich möchte noch zwei konkrete Fälle nennen, weil sie damals mit prägend waren, und zwar ist es einmal der Fall von Erna Dorn. Erna Dorn ist eine der beiden Menschen, die unter dem Fallbeil in Dresden starben, die als Rädelsführerin verurteilt worden war. Erna Dorn ist ein sehr schwieriger Fall, weil sie war verurteilt worden, sie sei eine KZ-Aufseherin gewesen. Dies ließ sich praktisch nicht nachweisen und hing nur mit ihren eigenen Aussagen zusammen. Man vermutet, dass sie psychisch krank war.

(Udo Pastörs, NPD: Oder sie wurde erzwungen, diese Aussage.)

Es kam dann zu ihrer Verurteilung. Sie ist befreit worden in Halle, sie ist in Halle aus dem „Roten Ochsen“ befreit worden, hat an Demonstrationen teilgenommen, wurde später als Rädelsführerin verurteilt und hingerichtet. Sie spielte in der DDR-Propaganda eine sehr große Rolle, weil sie war der Beleg dafür, dass dieser Aufstand ein faschistischer Aufstand gewesen sei, weil eben Akteure des Dritten Reiches sich daran aktiv beteiligt hätten.

Ein anderer Fall ist Ernst Jennrich. Ernst Jennrich ist auch unter dem Fallbeil in Dresden hingerichtet worden. Er war beteiligt an der Befreiung von Gefangenen in Magdeburg in einer Haftanstalt. Dort ist es zu tödlichen Schüssen gekommen auf Wachhabende. Dort sind insgesamt zwei Volkspolizisten gestorben und auch ein weiterer Sicherheitsbeamter. Und er wurde verurteilt, er habe diese tödlichen Schüsse abgegeben. Dies ließ sich tatsächlich nicht nachweisen. Er wurde auch zu 15 Jahren Haft deswegen verurteilt, nur muss man sagen, es war die damalige Justizministerin Hilde Benjamin,

(Udo Pastörs, NPD: Ja, die „Rote Guillotine“.)

die dieses Urteil kassiert hat und angewiesen hat, dass er zum Tode zu verurteilen ist.

All diese Fälle schildern aus meiner Sicht auch deutlich, warum man sagen kann, dass die DDR – und das trifft ganz sicher auf diese Zeit zu – definitiv ein Unrechtsstaat gewesen ist.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das müssen wir gemeinsam feststellen, denke ich, und auch gemeinsam bekennen für die nächsten Generationen, die immer weniger Zugang zu diesen Daten von 1953 haben.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Also ich möchte mich noch mal deutlich dem Satz anschließen: Der 17. Juni ist wirklich Voraussetzung für die

friedliche Revolution in Deutschland, auch wenn wir das damals nicht alle richtig erkannt haben, und er ist tatsächlich eine der ganz wesentlichen Voraussetzungen für die Deutsche Einheit. Die ist nicht denkbar ohne den 17. Juni. Deswegen danke ich den Menschen, die sich damals engagiert haben. – Danke.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Köster.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich habe einen sehr persönlichen Bezug zum 17. Juni 1953. Die Familie meines Vaters verließ aufgrund der gesamten Zustände in der DDR in den 50er-Jahren Aschersleben und somit auch die DDR. Mein Vater kam dann in den 60er-Jahren als Arbeiter wieder in die DDR zurück, weil er den naiven Glauben hatte, dass die DDR der sozialere und auch nationalere Staat war. Er musste diesen naiven Glauben mit fast vier Jahren Gefängnisstrafe dann bezahlen.

17. Juni – die CDU möchte im nächsten Jahr diesem Tag gedenken. Was ist das für ein heuchlerischer Antrag? Denn es war die NPD-Fraktion, die bereits im Jahre 2008 hier an dieser Stelle forderte und verlangte, dass der 17. Juni generell jedes Jahr hier in Mecklenburg-Vor- pommern als Gedenktag gehandelt wird.

Im Angesicht des von vielen mit Mut und Freiheitsdrang getragenen Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 verhielt sich der Westen einmal abgesehen von der propagandistischen Unterstützung durch Radiosender regierungsseitig eher passiv. Nun wird mancher einwerfen, dass ein aktives Eingreifen zu einem kriegerischen Konflikt in der Mitte Europas mit weitreichenden Folgen geführt hätte. In Wahrheit aber hatten sich die maßgeblichen Kreise jenseits von Elbe und Werra längst für eine Westanbindung beziehungsweise Integration entschieden. Besser noch, die Westintegration der im September 1949 gegründeten BRD war zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen. Die Frauen und Männer des 17. Juni waren de facto auf sich allein gestellt.

Ich nenne Ihnen hier ein paar Fakten: Am 9. August 1950 plädierte der Dresden-Zermalmer Winston Churchill auf einer Tagung des Europarates in Straßburg für die Aufstellung einer westeuropäischen Armee. Acht Tage darauf forderte Konrad Adenauer in einem Memorandum,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

das am Bundestag vorbei an die Westalliierten ging, deutsche Streitkräfte in ein westliches Militärbündnis zu integrieren. Dafür sprach sich auch Frankreich aus.

Am 26. Oktober 1950 wurde durch Ernennung von Theodor Blank zum Beauftragten des Bundeskanzlers

(Udo Pastörs, NPD: Das Amt Blank.)

für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen das Amt Blank gegründet. Hieraus entstand später die Bundeswehr. Mit seinen Noten vom März, April, Mai und August 1952 schlug Stalin den drei westlichen Hauptsiegermächten vor, zu

sammen mit einer gesamtdeutschen Regierung über einen Friedensvertrag mit Deutschland zu verhandeln.