Protokoll der Sitzung vom 21.03.2013

Ja, aber ich glaube, diesen Vorwurf kann man den LINKEN ganz schlecht machen.

(Heinz Müller, SPD: Beim Zukunftsvertrag, habe ich gesagt, lasst den Kommunen Zeit.)

Herr Müller, nun haben wir also, Sie haben es selbst angesprochen, sehr viele kommunale Hilfspakete vor uns liegen. Ich zähle vier, und zwar innerhalb von zweieinhalb Jahren, vier Hilfspakete in zweieinhalb Jahren: erst der kommunale Ausgleichsfonds, den zähle ich dazu, über 137 Millionen Euro, dann der Konsolidierungsfonds über 100 Millionen Euro, dann der Kofinanzierungsfonds über 50 Millionen Euro und nun also ein neues, bisher namenloses Hilfspaket über voraussichtlich 100 Millio- nen Euro. Dass dieses neueste Hilfspaket noch keinen wohlklingenden Namen trägt, finde ich im Übrigen bezeichnend,

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, ist das denn so schlimm?)

denn der einzig ehrliche Name wäre aus meiner Sicht „Notfonds für strukturelle Defizite und Planungsfehler bei der Kreisgebietsreform und Aufgabenübertragung“.

Meine Damen und Herren, wir stehen also hier vor vier kommunalen Hilfspaketen innerhalb von zweieinhalb Jahren. Ich komme auf insgesamt 387 Millionen Euro und finde das, wie Herr Müller eben gerade das schon dargestellt hat, auch eine enorme Summe,

(Heinz Müller, SPD: Richtig.)

allerdings interpretiere ich das Zeichen völlig anders, denn Hilfspakete sind niemals Ausdruck solider Finanzpolitik, sondern Hilfspakete sind immer Ausdruck dafür,

(Egbert Liskow, CDU: Fragen Sie mal den Rechnungshof!)

dass Fehlentwicklungen zu lange ignoriert wurden. Hilfspakete sind ausschließlich Kriseninterventionen, um die schlimmsten Auswirkungen von Fehlplanungen abzumildern. Wer Hilfspakete braucht, hat zuvor etwas falsch gemacht. Deswegen kann ich es auch nicht verstehen,

wenn sich Herr Sellering und Herr Caffier jedes Mal für ein Hilfspaket öffentlich feiern lassen, schließlich ist jeder Hilfsfonds ein Eingeständnis, dass die bisherige Politik nicht gefruchtet hat.

(Zurufe von Egbert Liskow, CDU, und Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Und im Übrigen, meine Damen und Herren Abgeordneten, Herr Müller hat das angesprochen, sollten zunächst die bereits beschlossenen Hilfspakete ausgezahlt werden, bevor neue Pakete versprochen werden. Ich erinnere hier daran, dass aus dem 100 Millionen Euro starken Konsolidierungsfonds zum Abbau der kommunalen Altschulden bis zum heutigen Tag kein einziger Euro abgeflossen ist. Auch der Kofinanzierungsfonds ist noch nicht hinreichend ausgeschöpft.

(Beate Schlupp, CDU: Woran liegt denn das?)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen wegkommen von den großen Beruhigungspillen. Und dazu bedarf es einer guten Vorbereitung, einer Evaluation der tatsächlichen Kosten- und Aufgabenlasten für die Kreise und Kommunen.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, und genau das läuft.)

In der Antwort auf meine Kleine Anfrage erklärt die Landesregierung noch schmallippig, dass sie die tatsächlichen Kosten für die übertragenen Aufgaben an die Kreise nicht kenne.

(Egbert Liskow, CDU: Woher denn auch?)

Meine Damen und Herren, wie will man denn eigentlich sicherstellen, ob eine Aufgabe ausreichend finanziert ist, wenn man nicht einmal weiß, was sie kostet? Deswegen fand ich es auch sehr eigentümlich, dass die Landesregierung lieber eine runde Summe von 100 Millionen Euro in den Raum stellt und die Sache damit für erledigt erklärt. Ich finde das schwierig. Wie kommen Sie eigentlich auf genau 100 Millionen Euro? Das müssen Sie mir mal erklären. Wie kommen Sie auf 100 Millionen Euro?

(Egbert Liskow, CDU: Schöne Nullen.)

Richtig, Herr Liskow, schöne Nullen. Das sagte... Nein, das sage ich jetzt nicht.

So kann und sollte es aber nicht funktionieren, meine Damen und Herren. Wir GRÜNEN fordern daher eine genaue Evaluation der Kosten der Landkreisneuordnung und einen angemessenen und auskömmlichen Kostenausgleich für die anfallenden Aufgaben.

In diesem Sinne, Herr Ringguth, begrüße ich auch das Ergebnis des Kommunalgipfels vom 7. März, nämlich, dass die Defizite und Probleme einmal zusammengetragen werden und ein Gutachten zur Novellierung des Finanzausgleichs in Auftrag gegeben werden soll. Das Gutachten wird jedoch leider nur den horizontalen Finanzausgleich zwischen den Kommunen untersuchen. Aber meines Erachtens darf nicht nur der horizontale Finanzausgleich zwischen den Kommunen, sondern es muss auch der vertikale Finanzausgleich zwischen Bund, Land und Kommunen untersucht werden.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja, und genau das läuft.)

Darum darf sich das Land nicht drücken.

(Heinz Müller, SPD: Das wird erfolgen.)

Also Moment, das wurde uns bisher auch im Innenausschuss anders dargestellt.

(Zuruf von Minister Lorenz Caffier)

Sicher hat der Landesrechnungshof recht, wenn er darauf hinweist, dass in Mecklenburg-Vorpommern die Zuweisungen vom Land an die Kommunen bereits sehr hoch sind. Diese Signale hören wir ja, aber wir dürfen uns die Finanzausstattung nicht nur in der Relation, sondern auch in ihrer absoluten Höhe müssen wir sie uns vor Augen führen. Wir müssen uns erinnern, wo einmal früher die Ausstattung der Kommunen in Deutschland lag, denn die Geschichte der Kommunalfinanzen in den letzten Jahrzehnten lässt es einem eigentlich kalt den Rücken herunterlaufen.

Vier Entwicklungen will ich einmal kurz nachzeichnen: Sie wissen alle, dass der Anteil der Sozialleistungen an den kommunalen Ausgaben stetig gestiegen ist, kontinuierlich. In den 1950er-Jahren, ich mache mal die Rückschau, lag der Anteil noch bei 6 Prozent der kommunalen Ausgaben. Heute liegt der Anteil bei rund 23 Prozent.

Zweitens. Während das Bruttosozialprodukt in den letzten 30 Jahren um 220 Prozent anstieg, wuchsen im gleichen Zeitraum die kommunalen Steuereinnahmen nur um 130 Prozent. Hier geht eine Entwicklung auseinander. Die Zuweisungen von Bund und Land stiegen sogar nur um 120 Prozent, obwohl die Sozialausgaben im gleichen Zeitraum um 300 Prozent anwuchsen. Die Finanzausstattung der Kommunen schrumpft also in Relation gesehen ganz erheblich.

Drittens. In den letzten 15 Jahren haben die Kommunen in Deutschland ihr Personal um durchschnittlich 29 Prozent reduziert. Das entspricht ziemlich genau einer halben Million Beschäftigten. Hier wurden enorme Konsolidierungsleistungen erbracht und dennoch reicht die Finanzausstattung vielerorts nicht aus. Über 500.000 Arbeitsplätze wurden dem deutschen Arbeitsmarkt entzogen. Dass sich die Kommunen nicht angestrengt haben, auch hier in Mecklenburg-Vorpommern, kann eigentlich niemand ernsthaft behaupten.

Viertens. Während 1980 die Kommunen noch rund 30 Prozent ihrer Ausgaben für Investitionen einsetzten, sind es derzeit nur noch 12 Prozent. Während die Sozialausgaben also kontinuierlich steigen, sinken die Investitionen beständig.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Diese Entwicklung hat der Landesrechnungshof auch im aktuellen Kommunalfinanzbericht für Mecklenburg-Vorpommern eindrücklich nachgezeichnet.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, diese vier Entwicklungen sollten uns alle nachdenklich stimmen. Wenn man sich die historische Entwicklung der Kommunalfinanzen in Deutschland wie auch in Mecklenburg-Vor- pommern anschaut, gelangt man sehr schnell zu der

Erkenntnis, dass sich unsere Kommunen durchschnittlich auf dem Niveau der grundgesetzlich zugesicherten Mindestausstattung bewegen.

Dieses Niveau der Mindestausstattung sollte jedoch nicht der Standard, sondern der Ausnahmefall sein. Wir befinden uns deutschlandweit also in einem völlig unterfinanzierten System. Wir müssen daher eine gut vorbereitete und ehrliche Debatte um die vertikale Verteilung von Finanzen zwischen Bund, Land und Kommunen führen.

(Zurufe von Manfred Dachner, SPD, und Egbert Liskow, CDU)

Vor allem müssen wir auch einmal die Bedarfe der Kommunen aufgrund ihrer Aufgaben neu berechnen.

(Manfred Dachner, SPD: Haben Sie einmal in diesem Bereich gearbeitet?)

Es ist ja beim Konnexitätsprinzip nur so, dass man einmal am Anfang berechnet. Und wie sich die Kosten in Zukunft entwickeln, das wird nie wieder evaluiert, und das finde ich problematisch.

(Heinz Müller, SPD: Das stimmt nicht, Herr Saalfeld. – Zurufe von Manfred Dachner, SPD, und Beate Schlupp, CDU)

Nur so können wir auch fundiert Position gegenüber der Bundesebene einnehmen und zum Beispiel eine Bundesratsinitiative zu den Kommunalfinanzen anschieben.

Auch sollte die Landesregierung regelmäßig überprüfen, ob und wie der pflichtige Aufgabenkatalog der Kommunen reduziert werden kann. Das ist eine Empfehlung des Landesrechnungshofes. Zudem sollte das Konnexitätsprinzip, wie ich es eben gerade schon andeutete, in Zukunft nicht nur formal, sondern auch tatsächlich eingehalten werden. Wir sollten das Konnexitätsprinzip daher auf eine neue, qualitativ höhere Stufe heben und bei jeder übertragenen Aufgabe nicht nur die Kosten einmalig berechnen, sondern eben immer wieder evaluieren.

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

Dem vorliegenden Antrag der Fraktion DIE LINKE werden wir GRÜNE zustimmen, obwohl der vorliegende Antrag keinen konstruktiven Beitrag zur Verbesserung der Situation der Kommunen liefert. Weder soll die Ausdehnung des Gutachtens zur Reform des FAGs auf die vertikale Finanzverteilung ausgedehnt werden, noch wird die Landesregierung aufgefordert, das Konnexitätsprinzip auf eine qualitativ höherwertige Stufe zu heben, noch wird die Landesregierung aufgefordert, regelmäßig zu überprüfen, ob und wie der pflichtige Aufgabenkatalog der Kommunen reduziert werden kann.

All das haben wir GRÜNEN vergangene Woche im Finanzausschuss im Zuge der Beratungen zum Kommunalfinanzbericht beantragt. Wie wir alle wissen, wurde unser Antrag im Finanzausschuss von der Koalition abgelehnt. Wir wissen es übrigens deshalb, weil das der Teil der Finanzausschusssitzung war, der gnädigerweise von SPD und CDU nicht zur Verschlusssache gemacht wurde.

(Egbert Liskow, CDU: Glücklicherweise wurde das abgelehnt.)

Aber wenn der Kommunalminister schon mal erklärt, dass die gesamte Regierung über die verschiedenen Ressorts hinweg Kommunalpolitik macht, dann kann und sollte der Ministerpräsident nach vier Hilfspaketen und der großen Unruhe auf der kommunalen Ebene auch eine Regierungserklärung abgeben. Deshalb stimmen wir dem Antrag zu. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)