Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

Aussprache zum Thema NSU als rechtsextremes Terrornetzwerk – eine Gefahr für Mecklenburg-Vorpommern

Im Ältestenrat ist beantragt worden, eine Aussprache mit einer Dauer von 165 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der SPD Herr Dr. Nieszery.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute auf An

trag aller demokratischen Fraktionen mit den furchtbaren Taten rechtsextremer Kapitalverbrecher, die Deutschland seit Tagen in Atem halten und zutiefst beschämen. Ich denke, ich darf hier im Namen aller Demokraten sagen, dass ich große Trauer für die Opfer empfinde, und möchte deren Familien meine tiefe Anteilnahme aussprechen.

Meine Damen und Herren, die Vorkommnisse um die Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund – NSU – haben eine neue Qualität des rechtsextremen Terrors offenbart. Jetzt ist deutlich geworden, dass die Neonazis vor kaltblütigen Morden an ausländischen Mitbürgern und Polizeibeamten nicht zurückschrecken. Auch in unserem Bundesland wurde offenbar ein solcher Mord verübt. So wurde im Februar 2004 der damals 25-jährige türkische Döner-Verkäufer Yunus Turgut im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel mutmaßlich von der NSU ermordet.

Die Radikalisierung der drei im Untergrund lebenden NSU-Terroristen hat ein erschreckendes Ausmaß angenommen, das uns alle bestürzt und sprachlos macht. Doch es darf uns nicht sprachlos machen. Wir Demokraten haben die Verpflichtung, uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die abscheulichen Verbrechen dieses rechten Terrors zur Wehr zu setzen.

Auch wenn die neuesten Erkenntnisse unsere Vorstellungskraft übersteigen, so mahnen und warnen wir nicht ohne Grund schon seit vielen Jahren vor den Umtrieben der rechtsextremen Szene. Es muss endlich ins öffentliche Bewusstsein dringen, dass wir in Deutschland annähernd 10.000 – 10.000! – gewaltbereite Neonazis haben. Wohin diese Gewaltbereitschaft führen kann, haben uns die jüngsten Ereignisse schmerzlich vor Augen geführt.

Meine Damen und Herren, doch die Gewalt und die Straftaten sind vielschichtiger. Dazu zählen neben Hakenkreuzschmierereien auch feige Anschläge auf Wahlkreisbüros – Herr Petereit ist leider nicht da –, aber auch brutale Körperverletzungen.

(Stefan Köster, NPD: Da ist doch überhaupt nichts nachgewiesen worden. – Zurufe von Helmut Holter, DIE LINKE, und Udo Pastörs, NPD)

Bei einer Gesamtzahl von fast 16.000 Delikten im Jahre 2010 müssen wir endlich begreifen, dass rechtsextreme Taten leider traurige Realität

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

unseres Alltags sind, Herr Pastörs.

(Udo Pastörs, NPD: Ja, hören Sie zu!)

Diese müssen konsequent bekämpft werden. Wir dürfen sie weder verharmlosen noch verschweigen.

(Michael Andrejewski, NPD: Kämpfen Sie gegen Ihre V-Männer!)

Wir dürfen sie aber auch nicht hysterisch überbewerten. Wir hier in M-V tun dies schon lange nicht mehr, denn wir verfügen leider über umfangreiche Erfahrungen mit rechtsextremistischen Umtrieben.

(Udo Pastörs, NPD: Ha! Umtrieben!)

Eine gewaltbereite Neonaziszene verübt seit Jahren nicht nur Anschläge auf unsere Wahlkreisbüros oder schüchtert ganze Dorfgemeinschaften ein,

(Vincent Kokert, CDU: Richtig, so ist es.)

nein, wir haben es dazu auch noch tagtäglich mit den geistigen Vätern dieser Terroristen hier im Landtag zu tun, Herr Pastörs.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Köster, NPD: Soll ich Ihnen ein Taschentuch reichen?! – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Gleichwohl, meine Damen und Herren, stellen die NSUTaten eine bislang nicht gekannte Dimension rechts- extremer Gewalt dar. Zurzeit ist gesichert, dass sich mindestens drei Personen seit den 90er-Jahren in eine Spirale der Gewalt begeben haben,

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

die von Banküberfällen und Sprengstoffattentaten bis hin zu rücksichtslosen und kaltblütigen Morden reichte. Ihr ideologisches Fundament war eine extrem rassistische, menschenverachtende und gewaltverherrlichende Gesinnung. Diese führte sie von der Neonazigruppierung „Thüringer Heimatschutz“

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

zu ihrer eigenen Terrorvereinigung, dem Nationalsozialistischen Untergrund. Alle Mitglieder der NSU waren in der Neonaziszene aktiv, die beiden Männer und die Frau in der „Kameradschaft Jena“. Es verdichten sich derzeit die Hinweise, dass eines der Mitglieder eben dieser „Kameradschaft Jena“ später der NPD beigetreten ist. Er agierte sogar zeitweise als stellvertretender Landesvorsitzender.

(Heinz Müller, SPD: Ah ja! – Michael Andrejewski, NPD: Vielleicht war er ja V-Mann.)

Die Frage, wie weit und wie lange der Kontakt der NSUMitglieder über ihr Abtauchen in den Untergrund hinaus zu den ehemaligen Neonazikameraden ging, muss aus meiner Sicht ein wesentlicher Ermittlungsschwerpunkt sein.

(Jochen Schulte, SPD: Sollte man mal untersuchen, ne?!)

Interessant sind geradezu die panischen Versuche der Neonaziszene, jeden Kontakt, jede Verstrickung weit von sich zu weisen. In einschlägigen Internetforen wird, wie bei den Neonazis üblich, von einer Verschwörung fabuliert oder gleich lapidar festgestellt, dass die Mitglieder der NSU die rechte Szene bereits 1998 verließen und in der Folgezeit lediglich als Bankräuber agierten.

Dazu passt auch der gestern eingereichte Dringlichkeitsantrag der NPD. Hier wird in heuchlerischer Weise der Versuch unternommen, von der eigenen geistigen Brandstiftung abzulenken.

(Michael Andrejewski, NPD: Der Verfassungsschutz ist der Brandstifter.)

Stattdessen werden verschwörungstheoretische Ansätze vorgetragen,

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

die in zynischer Weise die Täter und Mittäter zu Opfern stilisieren wollen. Das, meine Herren von der NPD, wird Ihnen jedoch niemals gelingen.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Köster, NPD: Selbst der „Stern“ glaubt Ihre Märchen nicht mehr.)

Wie sich der Werdegang der Rechtsterroristen im Einzelnen entwickelt hat, werden die Ermittlungen der nächsten Tage und Wochen ergeben. Was uns aber jetzt schon Einblick in das extremistische Menschen- und Weltbild dieser Täter gibt, sind die DVDs, die in der zerstörten Wohnung gefunden worden sind.

(Michael Andrejewski, NPD: Von wem wurden die wohl produziert?!)

Darauf bekennt sich die Gruppe zu den Morden an insgesamt neun ausländischen Mitbürgern und einer Polizistin. Auf diesen DVDs, meine Damen und Herren, wird die ganze menschenverachtende Gesinnung der Rechtsterroristen deutlich. Sie feiern ihre Taten, ver- höhnen und verachten ihre Opfer und machen sich lustig über die Sicherheitsbehörden, die trotz intensi- ver Ermittlungen keinen Fahndungserfolg vorweisen konnten.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Hier offenbart sich der ganze perverse Zynismus dieser Gruppe.

Die Ermittlungen, meine Damen und Herren, sind noch nicht abgeschlossen und die bisher bekanntgewordenen Ergebnisse sollten nicht einseitig bewertet werden.

(Stefan Köster, NPD: Und das aus Ihrem Mund!)

Ich warne daher ausdrücklich davor, sich nun in Schuldzuweisungen zu ergehen und die Sicherheitsbehörden vorschnell an den Pranger zu stellen. Wichtig und richtig ist eine lückenlose Aufarbeitung der Verbrechen, die Antworten auf viele Fragen liefern wird. Erst dann kann man beurteilen, ob es Versäumnisse oder Fehlverhalten gegeben hat.

Meine Damen und Herren, allerdings dürfen und müssen wir uns jetzt Gedanken darüber machen, woher diese Menschen ihre Gesinnung bezogen, wer sie verleitete und was sie radikalisierte, Herr Pastörs.

(Heinz Müller, SPD: Sehr richtig. – Udo Pastörs, NPD: Tja, das ist das Interessante.)

Seit vielen Jahren fordert nicht nur die SPD-Landtagsfraktion die Aufnahme eines NPD-Verbotsverfah- rens.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass wir diese Forderung hier und heute erneuern, geschieht ganz unabhängig davon, ob und welche Verbindung zwischen der NPD und diesen Rechtsterroristen nachgewiesen werden kann.

(Michael Andrejewski, NPD: Sicher ist sicher.)