Protokoll der Sitzung vom 20.06.2013

Änderungsantrag der Fraktion der NPD – Drucksache 6/2024 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Foerster.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Bezeichnung „Generation Praktikum“ dürfte jedem hier im Saal geläufig sein. Sie steht seit Ende der 90er-Jahre für ein von Unsicherheit geprägtes und daher häufig als negativ empfundenes

Lebensgefühl bei Teilen der jüngeren Generation, die vermehrt schlecht oder gar unbezahlten Tätigkeiten nachgehen muss und dabei oft auch in unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt wird.

(Torsten Renz, CDU: Wo sind denn die Teile?)

Im Onlineportal „kattascha.de“ las ich jüngst einen Artikel zu diesem Thema, darin heißt es sinngemäß: „Meine Generation hat viele Namen: Generation Praktikum. Generation Burnout.“

(Harry Glawe, CDU: Oh!)

„Generation Altersarmut. … Viele meiner Freunde haben zwei oder mehr unbezahlte Praktika gemacht.“ Das ist leider mittlerweile völlig „normal“. Aber was einen danach erwartet, sind nicht selten prekäre Beschäftigungsverhältnisse, und das oft jahrelang. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen sinken, „aber was sind das für Jobs, die uns erwarten?“ Auch „viele gut ausgebildete junge Leute hangeln sich von einem Zeitvertrag und Honorarjob zum nächsten“, viele „systematisch ausgebeutet“. In der Konsequenz dieses Hamsterrades aus „durchstrukturierter Bildungslaufbahn“, unbezahltem Praktikum und „Jobs auf Probe“ steigt unter anderem auch die Zahl psychischer Erkrankungen. Noch nie gab es „so viele junge Menschen, die aufgrund psychischer und psychosomatischer Beschwerden krankgeschrieben“ waren.

Ich denke, besser als diese Betroffene kann man den Sinn und die Notwendigkeit, heute hier über dieses Thema zu sprechen, nicht wiedergeben.

Sie können es dem vorliegenden Antrag entnehmen, wir stellen nicht infrage, dass Praktika während der Schulzeit, der Ausbildung oder des Studiums hilfreich sein können.

(Torsten Renz, CDU: Das ist ja schon großzügig.)

Worüber wir heute diskutieren, sind deshalb sogenannte „Scheinpraktika“ nach dem Abschluss von Studium und Berufsausbildung, und dies eingebettet in den Gesamtkontext eines insgesamt immer prekärer werdenden Berufseinstiegs.

(Torsten Renz, CDU: Das sind ja Kampfbegriffe.)

Diese Art von Praktika ist mehr als kritisch zu sehen. Je länger sie dauern, desto wahrscheinlicher ist, dass die Betroffenen als billige Arbeitskraft ausgebeutet werden

(Torsten Renz, CDU: Nennen Sie doch mal konkret Zahlen, damit wir wissen, worüber wir sprechen!)

und sich ein echter Berufseinstieg verzögert.

Herr Renz, ich komme noch zu den Zahlen.

(Torsten Renz, CDU: Okay, das ist gut.)

Damit einher geht die latente Gefahr, dass reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse verdrängt werden. Der DGB beobachtet seit Längerem kritisch, dass junge Menschen Praktika absolvieren, die eigentlich

gar keine berufliche Orientierung mehr brauchen. Bei solchen Praktika handelt es sich nach Auffassung der Gewerkschaften folglich auch nicht mehr um ein Lernverhältnis, sondern ganz klar um verdeckte reguläre Beschäftigungsverhältnisse, deshalb auch der gewählte Begriff „Scheinpraktika“.

(Torsten Renz, CDU: Dagegen muss man vorgehen.)

Und diese Entwicklung ist Teil eines insgesamt prekärer werdenden Berufseinstiegs. Im DGB-Index Gute Arbeit werden ja regelmäßig junge Beschäftigte befragt, und schaut man sich dann an, wie die Antworten der Generation unter 30 auf Fragen zum Bruttoeinkommen und zur Art des Beschäftigungsverhältnisses ausfallen, stellt man fest, dass nur etwa ein Drittel über ein Bruttoeinkommen jenseits von 2.000 Euro verfügen kann und dabei dann gleichzeitig auch im Normalarbeitsverhältnis, also Vollzeit unbefristet tätig ist.

Mehr als die Hälfte der Befragten befindet sich dagegen in einer schwierigen Situation. Sie müssen nämlich nicht nur mit einem niedrigeren Einkommen zurechtkommen, sondern häufig auch noch mit einem Arbeitsverhältnis leben, das nur noch einen eingeschränkten Kündigungsschutz bietet. Und dass es den betroffenen jungen Leuten unter solchen Umständen dann schwerfällt, über die Gründung einer Familie nachzudenken, kann man, glaube ich, sehr gut nachvollziehen.

Herr Renz, immer wenn das Thema Scheinpraktika aufgerufen wird, beginnt der Streit um die tatsächliche Betroffenheit und damit um die Zahlen von Neuem,

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

und ich bin mir schon ganz sicher, dass wir auch von Ihnen hier nachher etwas dazu hören werden.

Warum ist das so? Das liegt unter anderem daran, dass die letzte repräsentative Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales noch aus der Zeit der Großen Koalition von CDU und SPD stammt. Sie unterstrich damals, dass Praktika nach erfolgreich absolvierter Ausbildung oder absolviertem Studium weit verbreitet sind, und sie wies einen, wie ich finde, unerfreulichen Trend nach. Zumindest damals war es so: Je jünger die Personen waren, desto häufiger standen am Anfang der Erwerbstätigkeit ein oder gar mehrere Praktika.

Demnach hatten 25 Prozent der 18- bis 24-jährigen, 20 Prozent der 25- bis 29-jährigen und 17 Prozent der 30- bis 34-jährigen Frauen und Männer bundesweit Erfahrungen mit oft ungewollten, aber mangels Alternativen dennoch ausgeführten Praktika nach Abschluss ihrer Berufsausbildung oder ihres Studiums. Dabei variierte die Anzahl der Praktika nach Bildungsabschluss und Ausbildungsart. 24 Prozent der Befragten hatten eine Hochschulausbildung absolviert, 19 Prozent eine betriebliche Ausbildung abgeschlossen. Und obwohl die Zahlen aus dem BMAS aus meiner Sicht eine Beobachtung der Entwicklung durch den Gesetzgeber eigentlich zwingend erfordert hätten, ist unter der jetzigen schwarz-gelben Bundesregierung diesbezüglich nichts Substanzielles mehr passiert.

(Vincent Kokert, CDU: Wie auch bei der Rekordbeschäftigung!?)

Offensichtlich hat man sich hier die Auffassung einiger Arbeitgeber zu eigen gemacht, dass trotz der angesprochenen Rekordbeschäftigung, Herr Kollege Kokert, die Einstellung von Praktikantinnen und Praktikanten

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

zum Berufseinstieg weiter notwendig sei,

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

weil der Arbeitsmarkt vermeintlich immer noch zu unflexibel ist. Und zudem sieht man offensichtlich kein Massenphänomen, sondern immer mal wieder nur bedauerliche Einzelfälle.

(Vincent Kokert, CDU: Wie viele Betroffene gibts denn jetzt?)

Angesichts der auch in unserem Land weit verbreiteten prekären Beschäftigungsverhältnisse ist eine solche Argumentation aus meiner Sicht nur schwer nachzuvollziehen. Man könnte zudem entgegnen, dass die Beschäftigung von Dauerpraktikanten auch unternehmensseitig Nachteile haben kann, denn Einarbeitungsphasen binden Ressourcen von angestellten Mitarbeitern. Und wenn in regelmäßigen Abständen immer wieder neue Praktikanten eingestellt werden, sinkt nach meiner Kenntnis auch die Motivation der fest angestellten Mitarbeiter, deren Ressourcen ja für ihre eigentliche Aufgabe nicht mehr zur Verfügung stehen. Und da befinde ich mich im Einklang mit Wirtschaftswissenschaftlern, zum Beispiel Christian Scholz von der Uni Saarbrücken.

Der DGB geht bundesweit von mehreren Hunderttausend Praktikanten im Dauereinsatz aus. Verschiedene Studien stützen die Vermutung, dass Scheinpraktikanten voll in den Betriebsablauf integriert sind und sich diese Form der Ausbeutung von Arbeitskraft mittlerweile etabliert hat.

Nun zur Situation hier im Land: Eine realistische Einschätzung der Lage in Mecklenburg-Vorpommern ist aus der Sicht meiner Fraktion nur möglich, wenn repräsentative Daten für unser Land erhoben werden. Folgerichtig finden Sie diese Forderung als ersten Spiegelstrich auch unter dem Antragspunkt 2.

Eine solche Untersuchung könnte zum Beispiel in Form einer Befragung von Studierenden und Absolventinnen und Absolventen unserer Fachhochschulen und Universitäten sowie in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit durchgeführt werden.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Und auch die Aufnahme diesbezüglicher Fragen in die Befragung zum IAB-Betriebspanel wäre denkbar, denn in Kapitel 4 wird dort traditionell in jedem Befragungsturnus die atypische oder, wie ich es ausdrücke, die prekäre Beschäftigung in den Betrieben unseres Landes erhoben.

Wenn der Ruf nach dem Gesetzgeber ertönt, greifen insbesondere bei der CDU und FDP schnell die bekannten Mechanismen.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Man verweist dann richtigerweise darauf, dass die Betroffenen, über die wir hier reden, im rechtlichen Sinne keine Praktikanten sind. Wer auf diese Art und Weise um ein reguläres Entgelt gebracht werde, könne seinen Anspruch gemäß Paragraf 611 und 612 BGB geltend machen.

(Torsten Renz, CDU: Sehr richtig.)

Das ist formal zwar richtig, allerdings gibt es auch das wirkliche Leben und das zeigt, dass Praktikantinnen und Praktikanten nur selten vor die Arbeitsgerichte ziehen, um nachträglich eine korrekte Vergütung zu erwirken. Und es ist auch relativ klar, warum sie das machen. Denn wenn das Gericht Lohnwucher gemäß Paragraf 138 Absatz 2 BGB feststellt, dann würde der Praktikumsvertrag für nichtig erklärt und dem Kläger das Recht auf ein wohlwollendes Arbeitszeugnis und die Nachzahlung des Arbeitslohnes zugestanden – das wäre der positive Effekt –,

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

allerdings werden Scheinpraktikanten trotz Maßregelungsgebot, was ja auch für sie gilt, gemäß Paragraf 612a BGB dann in der Konsequenz eines solchen Arbeitsgerichtsprozesses rausgeschmissen. Ich glaube, Sie alle können sich ausmalen, wie realistisch eine Übernahme in einem Unternehmen ist, das man kurz vorher wegen Lohnwucher verklagt hat.

Problematisch ist auch, dass zu wenige Praktikanten gewerkschaftlich organisiert sind. Deswegen werben Vereine wie fairwork e. V., ausdrücklich dafür, eine solche Mitgliedschaft einzugehen, gerade für den Fall der eben beschriebenen arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung.

Aus der Sicht meiner Fraktion muss man den missbräuchlichen Einsatz von Scheinpraktikanten beim Berufseinstieg auch vor dem Hintergrund der tatsächlichen Realitäten wirksam gesetzlich eindämmen. Daher wäre es beispielsweise hilfreich, Praktika, die nicht integraler Ausbildungsbestandteil sind, zeitlich zu begrenzen.

DGB, fairwork e. V. und auch die Interessengemeinschaft der Freien Zusammenschlüsse von StudentInnenschaften gehen davon aus, dass ein Unternehmen nach drei Monaten Praktikum an und für sich in der Lage sein müsste zu beurteilen, ob es einem Praktikanten ein Übernahme- oder Arbeitsangebot unterbreitet oder nicht. Und alle drei fordern – ähnlich wie meine Fraktion mit dem heutigen Antrag –, Praktika im BGB gesetzlich als Lernverhältnis zu definieren, um eben gerade klarzustellen, dass sie vordergründig dem Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen dienen sollen. Und dabei geht es darum, Praktika besser von regulären Beschäftigungsverhältnissen abgrenzen zu können.