Sehr geehrte Damen und Herren, in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in ganz Deutschland die Synagogen. Am Samstag vergangener Woche jährten sich die Novemberpogrome zum 75. Mal. Viele jüdische Mitbürger erlebten den Tag als eine Zäsur in ihrem Leben. Für viele bedeutete dieser Tag das Ende ihres Lebens, ihrer Kultur, ihrer Arbeit, ihrer Familie, und für die Kinder das Ende ihrer Kindheit.
Schicksalhaft sollte jene Nacht auch für alle Deutschen sein, denn es war wieder ein 9. November, der maßgeblich die Geschichte unseres Landes beeinflusste. Der erste geschichtsträchtige 9. November deutscher Historiografie war der im Jahr 1918. Reichskanzler Maximilian von Baden verkündete die Abdankung Kaiser Wilhelms II. Er läutete damit die Abschaffung der Monarchie auf deutschem Boden ein. Philipp Scheidemann rief vom Reichstagsgebäude die „Deutsche Republik“ aus. Der zum Teil blutigen Novemberrevolution des Jahres 1918 folgte Jahrzehnte später die weit friedvollere Revolution im Herbst 1989.
Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer und markierte damit das Ende des Kalten Krieges. Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit entfalteten sich mithin in ganz Deutschland als die bestimmenden Werte unseres Gemeinwesens.
Sehr geehrte Damen und Herren, während 1918 und 1989 die Moderne in Deutschland Einzug hielt, erlebte unser Land im Jahr 1938
einen 9. November, der uns in die dunkelsten Abgründe menschlichen Daseins stürzen ließ. Die Nationalsozialisten organisierten einen staatlich akzeptierten Gewaltausbruch gegen das Leben und Eigentum seiner jüdischen Bürger. Unzählige Geschäfte wurden zerstört, Friedhöfe geschändet, Synagogen in Brand gesetzt und jüdische Familien verhaftet und ermordet. Brandspuren jener Nacht finden sich auch in vielen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern. Meist erinnern nur noch Mahnmale an jene Nacht der Gewalt und des Hasses.
Noch zwei Jahre vor den Novemberpogromen, während der Olympischen Spiele, verbargen die Nationalsozialisten ihre eigentlichen Ziele hinter bunter Propaganda. Mit dem 9. November 1938 trat der seit 1933 herrschende Terror gegen jüdisches Leben indes öffentlich für alle Welt zutage. Judenhass duldete der deutsche Staat nach 1938 nicht nur, sondern rassistische Ressentiments so- wie Völkermord wurden – und das belegen die Quellen – staatlich befördert. Schadlos blieben fortan nur diejenigen deutschen Staatsbürger, die der Ideologie der Nazis genehm waren.
Gleichwohl viele Deutsche die Verbrechen des 9. November 1938 ablehnten, machten sie sich dennoch mit
ihrem Nichtstun und Wegsehen mit schuldig. Viele Polizisten und Feuerwehren griffen nicht ein. Sie folgten blind ihrer Befehlsgewalt. Bürgersinn oder gar Zivilcourage des Einzelnen stellten sich der Naziideologie nur in wenigen Ausnahmen in den Weg.
Aber auch das Ausland erfuhr nun auf bittere Art und Weise, dass mit einer Beschwichtigungspolitik HitlerDeutschland nicht länger zu bändigen war. Spätestens jetzt sah die Weltöffentlichkeit Deutschland nicht mehr nur als Land der Dichter und Denker, sondern auch als rassistischen Kriegstreiber.
Sehr geehrte Damen und Herren, insbesondere vor diesem geschichtlichen Hintergrund sind wir alle aufgerufen, den Feinden der Demokratie die Stirn zu bieten und uns gegen Extremismus und Gewalt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu wehren.
in der Gesellschaft für Frieden, Demokratie und Toleranz zu werben und zugleich aktiv für die Grundwerte unserer Landesverfassung einzustehen, denn die Demokratie ist der beste Garant für Frieden und Freiheit.
Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern hat aus der Geschichte gelernt. Die Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen sich den ernsten Bedrohungen, die sich aus Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus ergeben, und treten diesen Tendenzen aktiv entgegen.
Die demokratischen Fraktionen bekräftigen die Grundrechte jedes in Mecklenburg-Vorpommern lebenden Menschen und treten insbesondere dafür ein, dass Menschen in unserem Land frei von Diskriminierung und Verfolgung aufgrund von nationaler oder ethnischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Behinderung oder Weltanschauung leben können. In unserer Landesverfassung haben wir dies durch die Einfügung des Artikels 18a zur Friedensverpflichtung und Gewaltfreiheit in aller Deutlichkeit festgeschrieben. Dort heißt es, ich zitiere: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker oder der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns zu stören und insbesondere darauf gerichtet sind, rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten, sind verfassungswidrig.“ Zitatende.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir gedenken heute der Opfer nationalsozialistischen Terrors am 9. November 1938. Ich bitte Sie, sich zu einer Gedenkminute zu erheben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet. Die vorläufige Tagesordnung der 53., 54. und 55. Sitzung liegt Ihnen vor. Wird der vorläufigen Tagesordnung widersprochen? – Ich sehe keinen Widerspruch, damit gilt die Tagesordnung der 53., 54. und 55. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.
Die Fraktion DIE LINKE hat einen Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 6/2371 zum Thema „Erfolgreiche Arbeit der Produktionsschulen sichern – Produktionsschulkonzept nicht aushebeln“ sowie einen Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 6/2372 zum Thema „Theatererlass unverzüglich auf den Weg bringen“ vorgelegt. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat einen Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 6/2376 zum Thema „Der Energiewende im Norden nicht den Wind aus den Segeln nehmen – Beschlüsse der Arbeitsgruppe im Rahmen der Koalitionsgespräche dringend nachverhandeln“ vorgelegt. Wir werden diese Vorlagen, um die die Tagesordnung erweitert werden soll, nach angemessener Zeit für eine Verständigung innerhalb und zwischen den Fraktionen nach der Mittagspause aufrufen. Ich werde das Wort zur Begründung dieser Dringlichkeitsanträge erteilen sowie die Abstimmung über deren Aufsetzung durchführen. – Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Hochschulen stärken, aufgaben- und bedarfsgerechte Finanzierung sicherstellen“ beantragt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich für die sehr bewegenden Worte der Präsidentin zum Gedenken an den 9. November.
In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass sich am vergangenen Sonnabend viele Menschen in Friedland friedlich der braunen Schar der ewig Gestrigen entgegengestellt haben
und dem martialischen Aufzug der Sozialneider und Volksverhetzer ein menschenfreundliches Antlitz entgegengestellt haben.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Stefan Köster, NPD)
Und ich freue mich ganz besonders, dass ich dort in Friedland auch wieder viele Studierende und Hochschul
angehörige bei der Gegendemonstration angetroffen habe. Die 40.000 Studierenden im Land und weit über 7.000 Hochschulangehörige haben sich zu einer bedeutenden Stütze unserer Zivilgesellschaft entwickelt. Sie beleben unsere Städte, engagieren sich in Kunst und Kultur, leben Internationalität und Völkerverständigung und gehen auch für unsere Demokratie und für unsere freie Gesellschaft auf die Straße und kämpfen für sie.
Und damit sind wir beim Thema der Aktuellen Stunde. Wenn das Land seine Zukunft gewinnen will, dann muss es die jungen Menschen und die hervorragenden, ausgebildeten Köpfe aus Europa und der ganzen Welt für sich gewinnen. Wir stehen vor gewaltigen demografischen Herausforderungen, denen wir aber nicht gerecht werden, wenn wir alles im Land nur ordentlich alters- und seniorengerecht ausbauen. Nein, wir stehen in einem Wettbewerb um junge Menschen, um gut und exzellent qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Zukunftsfähigkeit unseres Landes hängt eng vom Erfolg unserer Hochschulen ab.
Und deswegen erfüllt es mich mit großer Sorge, wenn ich sehe, wie die Landesregierung derzeit mit den Hochschulen umgeht. Spätestens seit der Anhörung vor dem Finanzausschuss vor einer Woche wissen alle im Land, wie dramatisch die Lage unserer Universitäten und Fachhochschulen ist. Sie beziffern ihre Defizite auf rund 28 Millio- nen Euro jährlich. Wenn das so kommt, dann bleiben im dreistelligen Bereich Personalstellen von Professoren und Wissenschaftlern unbesetzt, Lehrveranstaltungen in erheblichen Größenordnungen würden ausfallen, die Qualität in Forschung und Lehre würde beeinträchtigt. Schon heute fehlen den Hochschulen die nötigen Eigenmittel, um weitere große Drittmittelprojekte an Land zu ziehen,
und das muss man sich vergegenwärtigen: Uns fehlen die Eigenmittel, um weitere Drittmittel an Land zu ziehen.
Und da helfen auch nicht die Nebelkerzen, die der Bildungsminister beständig zündet. Mag der Minister noch so häufig vorrechnen, dass unser Land im bundesdeutschen Vergleich in der Spitzengruppe bei den Hochschulausgaben pro Einwohner liegt, entscheidend ist doch, wie die Ausgaben pro Studierenden im Land sind, und diese sind unterdurchschnittlich.
Es war die politische Entscheidung des Landes, so viele Studierende aufzunehmen, und das war auch eine richtige Entscheidung. Aber nun muss die Landesregierung auch die volle Verantwortung dafür übernehmen und die Hochschulen nicht im Stich lassen.
Meine Damen und Herren, wir haben die 40.000 Studierenden im Land gewollt. Nun kommt es darauf an, die Verantwortung für sie zu übernehmen. Deswegen muss die Landesregierung die Hochschulen aufgaben- und bedarfsgerecht ausfinanzieren.
Im Übrigen halte ich die Argumentation des Bildungsministers für absurd, dass die bisherige Finanzausstattung schon deswegen ausreichen müsse, weil die Hochschulen bereits jetzt weit mehr Studienplätze vorhalten, als es für unsere Landeskinder notwendig wäre. Da frage ich Sie doch: Was wäre denn die Alternative? Wir müssen doch, und das muss doch allen klar sein, wir müssen doch bei der schlechten Geburtenrate im Land natürlich in Größenordnungen Studierende von außerhalb ins Land holen.
Außerdem frage ich Sie: Mit welchen Pfunden will die Landesregierung eigentlich in den bevorstehenden Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich wuchern? Wollen Sie etwa mit leeren Händen in die Verhandlungen gehen? Wollen Sie für unser Land betteln gehen? Ist das Ihr politischer Plan? Oder gehen wir lieber mit vielen Studierenden in die Verhandlungen und fordern einen Hochschullastenausgleich zwischen den Ländern? Dann haben wir nämlich beides, Studierende im Land und zusätzliche Finanzmittel.