Protokoll der Sitzung vom 15.10.2014

Um Ihnen diese Argumente zu entziehen, haben wir unseren Dringlichkeitsantrag eingebracht, der nun heute aufgrund der Ablehnung in der letzten Landtagssitzung auf der Tagesordnung steht.

Mit dem Gesetzentwurf wollen wir erreichen, dass die Umsetzung der vom Landtag beschlossenen Reform um zwei Jahre verschoben wird, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir meinen, dieser Antrag ist berechtigt. Immerhin haben mittlerweile über 133.000 Menschen das Volksbegehren unterschrieben. Aus unserer Sicht gebietet es der Respekt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die sich bewusst an diesem Volksbegehren beteiligt haben, das geplante Vorhaben zu stoppen und bis zur verfassungsmäßigen Behandlung des Volksbegehrens auszusetzen.

Und, meine Damen und Herren, es macht auch keinen Sinn, hier in diesem Hohen Haus über die Gründe des Einzelnen zu debattieren, warum sich wer mit seiner Unterschrift wann beteiligt hat. Die über 133.000 Bürgerinnen und Bürger haben das formell richtige Formular für das Volksbegehren unterschrieben, Punkt. Damit steht auch fest, dass in unserem Land trotz der hohen formellen Hürden das erste Volksbegehren den Landtag erreichen wird – ein Volksbegehren, das alle demokratischen Parteien in den Regionen aktiv unterstützt haben. Dafür an dieser Stelle noch mal ein herzliches Dankeschön!

Bevor Sie mir in der Debatte vorwerfen, dass die Initiatoren die Unterschriften immer noch nicht bei der Landeswahlleiterin eingereicht haben, einige Bemerkungen dazu. Ja, es wird noch weitergesammelt, um auf Nummer sicher zu gehen. Denn wir gehen davon aus, dass die Landeswahlleiterin alle Listen akribisch überprüfen wird. Und wir wollen doch nicht, dass am Ende 119.999 Stimmen vorliegen und damit die Hürde nicht erreicht werden kann. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis.

Meine Damen und Herren, in den Kommunen, in einigen Kommunalverfassungen, ist festgeschrieben, dass die Entscheidung der Volksvertretung ausgesetzt wird, wenn Bürgerbegehren stattfinden. Diese Regelung gibt es leider in unserem Volksabstimmungsgesetz nicht. Aus unserer Sicht sollten wir mal darüber nachdenken, denn genau das wäre der Weg, um über diese Einzelfalllösung, die wir jetzt versuchen, ein Gesetz auszusetzen. Wir müssen also den Weg der Einzelfallprüfung und der Einzelfallregelung gehen.

Bedauerlich ist, dass durch Ihre Einstellung die ersten Tatsachen geschaffen worden sind. Aber es ist noch nicht zu spät, sich zu besinnen. Wer am 6. Oktober an den Veranstaltungen anlässlich des Inkrafttretens des Gerichtstrukturneuordnungsgesetzes teilgenommen hat, wird beeindruckt gewesen sein, wie entschlossen die Bürgerinnen und Bürger weiter gegen diese Reform vorgehen. Unverständnis war allerorts darüber zu hören, wie Sie im September mit unseren Anträgen umgegangen sind.

Meine Damen und Herren, ganz bewusst sind wir mit unseren Anträgen, auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, nicht in die inhaltliche Debatte zur Sinnhaftigkeit eingestiegen. Wir haben inhaltlich nichts an der Zielrich

tung des Gerichtstrukturneuordnungsgesetzes geändert. Wir haben lediglich alles um gut zwei Jahre hinausgeschoben, sowohl die Schließungen der Standorte kommen darin vor als auch die Umwandlungen zu Zweigstellen. Nur die Zeitschiene soll Rücksicht auf das Volksgesetzgebungsverfahren nehmen. Wir wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einem möglichen Volksentscheid eine Chance geben, denn wir gehen davon aus, dass, wenn das Volksbegehren den Landtag erreichen wird, Sie mit Ihrer Mehrheit das Volksbegehren ablehnen und es dann automatisch zu einem Volksentscheid kommen wird.

Warum, das wird sich der eine oder andere fragen, haben wir den Zeitraum von zwei Jahren gewählt? Diesen Zeitraum halten wir angesichts der im Gesetz festgeschriebenen Fristen für angemessen. Dabei gehen wir davon aus, dass die notwendigen Unterschriftenlisten im November der Landeswahlleiterin übergeben werden.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Na, das ist aber optimistisch.)

Diese hat dann drei Monate Zeit, die Zulässigkeit zu prüfen, bevor sie der Landtagspräsidentin das Volksbegehren zur weiteren Bearbeitung übergibt. Die Landtagspräsidentin hat wiederum die Verpflichtung, das Anliegen in die nächste mögliche Landtagssitzung einzubringen. Der Landtag hat dann sechs Monate Zeit, eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Sollte der Landtag, und davon gehen wir aus, das Volksbegehren ablehnen, muss innerhalb von sechs Monaten ein Volksentscheid auf den Weg gebracht werden. Insgesamt sind wir also bei rund 15 Monaten.

Meine Damen und Herren, Sie können feststellen, dass die zwei Jahre realistisch sind. Zu den inhaltlichen Diskussionen kommen wir, wenn wir das Volksbegehren debattieren werden. Dann werden wir Ihnen einmal mehr vorhalten, warum diese Reform den Rechtsstaat gefährdet und finanzieller Irrsinn ist,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist doch gar nicht wahr.)

aber erst dann.

(Heinz Müller, SPD: Blödsinn.)

Meine Damen und Herren, geben Sie dem Volksbegehren eine Chance!

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ein Horrorszenario tut sich auf. – Heinz Müller, SPD: Immer wieder die gleiche Platte. Tausendmal wird das verhackstückt.)

Zeigen Sie mit Ihrer Überweisung unseres Gesetzentwurfes in die entsprechenden Ausschüsse, dass Sie vor den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die sich am Volksbegehren beteiligt haben, Respekt haben, auch wenn Sie inhaltlich einer anderen Auffassung sind! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Um das Wort gebeten hat zunächst die Justizministerin Frau Kuder.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Vor allem meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition! Auf Sie passt der Filmtitel „… denn sie wissen nicht, was sie tun“.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Zuruf aus dem Plenum: Sehr gut.)

Denn, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, Ihr Gesetzentwurf ist schlichtweg überholt. Der Gesetzestext, die Gesetzesbefehle sind in wesentlichen Teilen nicht mehr passend und unlogisch. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass der Gesetzentwurf nicht rechtzeitig vor Inkrafttreten des Gerichtsstrukturneuordnungsgesetzes beraten und beschlossen wurde, denn offensichtlich ist er schlicht mit heißer Nadel gestrickt und nicht wirklich durchdacht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ist es.)

Das kann man nicht nur daran erkennen, dass er im September erst mal nicht rechtzeitig vorgelegt werden konnte, das merkt man auch an anderer Stelle.

Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn das von Ihnen vorgeschlagene Gesetz am 6. Oktober tatsächlich in Kraft getreten wäre, dann gäbe es heute den Gerichtsstandort Anklam nicht mehr, weder als selbstständiges Gericht noch als Zweigstelle.

(Michael Andrejewski, NPD: Reststandort.)

Wenn ich hier erstaunte Gesichter sehe, kann ich nur sagen, es ist so, das hat etwas mit Gesetzestechnik zu tun. Man spricht insoweit von der Änderung einer schwebenden Änderung mit einer parallelen Inkrafttretensregelung. Wir alle, speziell aber die Anklamer, können also geradezu froh sein, dass Sie, liebe Opposition, im September nicht weitergekommen sind.

Dann behaupten Sie, dass mit dem Gesetzentwurf nur das Inkrafttreten der Regelungen zur Zuständigkeitsveränderung formal hinausgeschoben werden soll. Das haben Sie, Frau Borchardt, gerade wieder einmal getan. Und ich sage Ihnen ganz klar: Das stimmt nicht.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ist es.)

Auch hierzu einige Beispiele: Ein Teil der Reform, wie beispielsweise die Zuständigkeitsverschiebung bei den Verwaltungsgerichten, wird durch Ihren Entwurf gar nicht angetastet. Ein anderer Teil, nämlich die Aufhebung des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg und die Sitzverlegung des Landessozialgerichtes, soll dagegen – nach Ihrem Entwurf – endgültig außer Kraft gesetzt werden.

Haben Sie sich eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, was das Ergebnis Ihres Entwurfes wäre? Ich denke, nicht. Ich will es Ihnen dennoch sagen: Die Amtsgerichtsstruktur würde, abgesehen vom Fall Anklam, so wie von uns vorgeschlagen, wenn auch zeitlich verzögert, in Kraft treten. Ich finde das immerhin bemerkenswert, denn das ist doch das, was Sie gerade immer kritisieren. Eine Änderung der Arbeitsgerichtsstruktur gäbe

es dagegen nicht, und das, obwohl gerade die Notwendigkeit der Umstrukturierung in der Arbeitsgerichtsbarkeit allgemein anerkannt ist, und das, obwohl der gefundene Weg der Auflösung des Arbeitsgerichts Neubrandenburg bei gleichzeitiger Einrichtung einer auswärtigen Kammer des Arbeitsgerichtes Stralsund in Neubrandenburg ausdrücklich von allen Seiten begrüßt wird. Ihr Gesetzentwurf ist daher geradezu widersinnig.

Ein weiteres Beispiel: Nach Ihrem Gesetzentwurf, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, verbliebe das Landessozialgericht weiter in Neubrandenburg. Das würde dazu führen, dass wir in Neustrelitz eine sanierte Landesliegenschaft in großen Teilen leer stehen lassen würden, während wir in Neubrandenburg neu bauen müssten.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Und jetzt zum dritten Teil, der Verschiebung des Zeitplanes für die Aufhebung der Amtsgerichte und die Errichtung der Zweigstellen:

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Ein solches Hinausschieben macht unter keinem Gesichtspunkt Sinn, auch nicht unter Kostengesichtspunkten. Vielmehr sprechen alle Gründe dafür, die bereits weit fortgeschrittenen Maßnahmen wie vorgesehen zum Abschluss zu bringen. Denn anders als Sie suggerieren, wäre auch ein solcher Stopp nicht zum Nulltarif zu haben. Viele der bereits umgesetzten Maßnahmen sind nicht mehr oder jedenfalls nicht ohne wesentliche Nachteile umkehrbar.

Auch hierfür will ich Ihnen einige Beispiele nennen. Übergangsweise sind in Greifswald für das Finanzgericht neue Räume angemietet worden. Das Finanzgericht ist bereits dorthin gezogen. Außerdem wird auch schon das Grundbuchamt gebaut. In Anklam und Pasewalk sind Teilumzüge erfolgt und bauliche Veränderungen vorgenommen worden. In Hagenow und Bad Doberan sind die Mietverträge wirksam gekündigt. Und auch für das Grundbuchamt in Wismar und die Außenstelle in Demmin laufen die Mietverträge aus.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Aber das ist nicht alles. Bliebe alles beim Alten, müssten an einigen Standorten für einen Übergangszeitraum zusätzliche Investitionen in die Sicherheit erfolgen, Investitionen, die wir beim bisherigen Zeitplan vermeiden konnten. Da wagen Sie es, meine Damen und Herren von der Opposition, in den Gesetzentwurf zu schreiben, dass dessen Umsetzung kostenneutral ist? Das Gegenteil ist vielmehr richtig.

(Heinz Müller, SPD: Das muss man nicht so eng sehen.)

Das gilt beispielsweise auch für den IT-Bereich. Hier sind bereits weitgehende technische Umstellungen vorgenommen und weitere vertragliche Verpflichtungen mit externen Dienstleistern eingegangen worden. Schließlich müssten auch alle Personalmaßnahmen wieder zurückgenommen werden, Personalmaßnahmen, die im Interesse der Beschäftigten nahezu vollständig ausgesprochen sind. Damit haben wir den Mitarbeitern frühzeitig Sicherheit bezüglich ihres zukünftigen Einsatzortes gegeben.

Meine Damen und Herren, noch entscheidender ist aber eines: An den Gründen, die dieses Hohe Haus vor einem Jahr bewogen haben, das Gerichtsstrukturneuordnungsgesetz zu beschließen, hat sich in den letzten 52 Wochen nichts, aber auch gar nichts geändert.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ist es.)

Ich werde nicht müde zu wiederholen: Wir müssen heute die Weichen stellen, damit unsere Gerichte auch morgen und übermorgen noch effizient, bedarfsgerecht und in hoher Qualität arbeiten können.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: So ist es.)

Der Handlungsbedarf ist seit Längerem unverkennbar. Und eines will ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen: Der Handlungsbedarf ist auch unumstritten. Selbst Sie wollen in Ihrem Gesetzentwurf die Amtsgerichte schließen, wie wir es vorgesehen haben. Auch die Initiatoren des Volksbegehrens sehen Handlungsbedarf, auch wenn sie bei den Unterschriftensammlungen suggerieren, alles müsse und könne so bleiben, wie es ist.

Tatsache ist und bleibt, dass in unserem Land zukünftig weit weniger Menschen leben werden als bisher. Das lässt sich auch nicht schönreden. Diese Entwicklungen werden die Gerichte spüren, so, wie sie sie schon heute spüren und wie sie sie auch in der Vergangenheit gespürt haben. Die Eingangszahlen gehen zurück, wenn auch mit gewissen Schwankungen. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass sie tendenziell noch weiter zurückgehen werden. Das ist der eine Faktor.

Ein anderer Faktor sind die Finanzmittel. Auch da ist ein weiterer Rückgang gewiss, nicht erst im Jahre 2019. Sinken aber die Fallzahlen, so sinkt auch der Personalbestand und damit ist eines sicher: Unsere schon jetzt kleinen Gerichte werden in den nächsten Jahren noch kleiner werden. In solchen kleinen Einheiten kann aber weder die notwendige Vertretung noch eine sinnvolle Spezialisierung gewährleistet werden. Das müsste eigentlich jedem einleuchten, auch der Opposition.