Protokoll der Sitzung vom 12.12.2014

Das ist eine ganz andere Herangehensweise als Ruckzuckeingliederungen, die schon nach wenigen Monaten erneut in der Arbeitslosigkeit enden, wie das leider in rund 50 Prozent der Fälle bundesweit passiert. Um diese Wiederholungsschleife zu durchbrechen, sind individuell angelegte Unterstützung nötig, ausreichend Zeit und eine angemessene Finanzierung.

Das im Bundesprogramm angebotene Coaching ist nicht die echte Ware, es ist vielmehr eine Begleitung light. Und so verhält es sich leider mit dem gesamten Bundesprogramm. Es reicht nicht aus. Es ist nicht solide. Was im Bundesprogramm fehlt, ist die Flexibilisierung des sozialen Arbeitsmarktes, was fehlt, ist der Passiv-AktivTransfer, was fehlt, sind realistische Angebote auch für diejenigen langzeitarbeitslosen Menschen, die nicht innerhalb knapp bemessener Zeiträume für den ersten Arbeitsmarkt durchgestylt werden können. Es hat der Bundesministerin offensichtlich an dem notwendigen Mut gefehlt, den Schritt ganz zu gehen und nicht nur Versatzstücke aus dem Gesamtkontext des sozialen Arbeitsmarktes herauszulösen.

Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, sich an geeigneter Stelle und im Einvernehmen mit anderen Bundesländern für die Etablierung eines dauerhaften sozialen Arbeitsmarktes auf Bundesebene einzusetzen,

(Torsten Renz, CDU: Und wenn das Einvernehmen nicht zustande kommt, dann machen wir nichts, oder wie?)

sozusagen für die echte Ware, für ein sinnvolles arbeitsmarktpolitisches Gesamtpaket. Parallel und flankierend dazu muss eine Erprobung des sozialen Arbeitsmarktes auf Landesebene erfolgen. Die aktuell 31.909 offiziell in unserem Bundesland langzeitarbeitslosen Menschen sollten Argument genug für ein entsprechendes Handeln sein. Es geht hier in vielen Fällen um Menschen, die nicht ein oder zwei Jahre, sondern bereits deutlich länger arbeitslos sind.

Im Rahmen der Fachtagung der bündnisgrünen Landtagsfraktion zum sozialen Arbeitsmarkt im Oktober dieses Jahres wurden teilweise erschütternde Praxisbeispiele benannt, aber es wurde auch deutlich, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, Menschen, die Mitte 50 und seit 16 Jahren arbeitslos sind, wieder Teilhabechancen zu eröffnen. Es geht darum, eine Brücke zu schlagen für Menschen, die zwar erwerbsfähig im Sinne des SGB II sind, die aber im Sinne des Arbeitsmarktes aktuell keine realistische Einsatzmöglichkeit haben. Diese Brücke kann der soziale Arbeitsmarkt sein.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Den Kritikern, die sich gern darauf zurückziehen, dass ein solches Modell nicht in unser Bundeland passe, Herr Renz, will ich deutlich sagen: Erstens haben wir es angesichts unserer Arbeitsmarktsituation sicher nötiger als Baden-Württemberg, Konzepte zur Überwindung verfestigter Arbeitslosigkeit auf den Weg zu bringen, und zweitens nimmt mit Thüringen jetzt auch ein ostdeutsches Bundesland ganz aktiv den Ball auf und macht sich auf den Weg,

(Torsten Renz, CDU: Haben Sie den Koalitionsvertrag in Thüringen mal gelesen, was da drinsteht?)

um langzeitarbeitslosen Menschen aktiv Möglichkeiten der Teilhabe am Erwerbsleben zu erschließen

(Zuruf von Patrick Dahlemann, SPD)

und sich, ich zitiere noch mal, „auf Bundes- und Landesebene für einen öffentlich geförderten sozialen Arbeitsmarkt“ einzusetzen. Das war ein Zitat aus dem Koalitionsvertrag.

(Egbert Liskow, CDU: Wir sind aber nicht bei den Kommunisten. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Die Thüringer Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, wagen das, was ein breites Bündnis aus Arbeitsmarktexpertinnen und -experten seit Jahren fordert. An dieser Konsequenz sollte sich auch unsere Landesregierung ein Beispiel nehmen und eine entsprechende Erprobung auf Landesebene initiieren.

(Vizepräsidentin Regine Lück übernimmt den Vorsitz.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, an Lippenbekenntnissen, ich sagte es eingangs, fehlt es nicht, es fehlt an konsequenten Maßnahmen. Wir Bündnisgrünen

sagen: Das Thema „Überwindung der Langzeitarbeitslosigkeit“ muss endlich ernsthaft auf die politische Agenda. Es muss zum Schwerpunkt des arbeitsmarktpolitischen Handelns in unserem Bundesland werden. Es gehört als Schwerpunktthema in das Bündnis für Arbeit im Jahr 2015.

Was langzeitlose Menschen jetzt endlich brauchen,

(allgemeine Unruhe – Patrick Dahlemann, SPD, und Beate Schlupp, CDU: Langzeitarbeitslose.)

sind keine neuen Kurzzeitprogramme.

(Egbert Liskow, CDU: Langzeitarbeitslose.)

Was habe ich gesagt?

(Zurufe aus dem Plenum: Langzeitlose.)

Oh nein, Entschuldigung. Aber Sie passen auf!

(Heiterkeit bei Patrick Dahlemann, SPD: Ja, wir passen auf.)

Was langzeitarbeitslose Menschen jetzt endlich brauchen, sind keine Kurzzeitprogramme, sondern sozialversicherungspflichtige, öffentlich geförderte Jobs, begleitet durch individuelle Unterstützungsangebote.

Der Arbeitsmarkt ist kein Markt wie jeder andere. Er ist einer der Garanten für soziale Gerechtigkeit und dauerhaften gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Frau Hesse. Bitte.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Berufseinsteiger, Berufsumsteiger, Akademiker, Geringqualifizierte, Ältere, alleinerziehende Mütter und Väter – der Arbeitsmarkt hat viele Gesichter. Ihnen allen Zugang zum Erwerbsleben zu ermöglichen, gelingt uns in Mecklenburg-Vorpommern immer besser.

Blicken wir auf die Arbeitsmarktzahlen, bleibt nur ein Schluss: Hinter uns liegt ein gutes Jahr 2014 – die geringste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. In allen Monaten lag die Arbeitslosigkeit unter den jeweiligen Vorjahreswerten. Im Oktober sank die Arbeitslosenquote sogar unter die 10-Prozent-Schwelle. Der Wirtschaftsminister hatte hierzu bereits ausgeführt. Und ja, wir sehen das als unseren gemeinsamen Erfolg hier an, auch wenn er mir gerade den Rücken zuwendet.

(Torsten Renz, CDU: Das stand da auch schon? – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Wir konnten einen weiteren Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verzeichnen, besonders in den Bereichen Gesundheits- und Sozialwesen, Gastgewerbe, Handel und wirtschaftsnahe Dienstleistungen. Laut den vorläufigen Daten vom September vermerken wir ein Plus von 3.000 Beschäftigten auf nun rund 555.000. Außerdem haben wir bereits Ende Oktober als erstes ostdeutsches Bundesland und als eine der ersten Regionen in Europa die Genehmigung für unser neues Operationelles Programm bekommen. Und ein Teil, das ist Ihnen bekannt, dieser ESF-Mittel ist auch für die Förderung der Langzeitarbeitslosen vorgesehen. Diese gute Bilanz sollten wir erst einmal als solche hinnehmen und nicht gleich wieder mit einem eiligen Aber zerreden.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh nee, wir sind da jetzt schon lange dran, Frau Hesse.)

Neben den erfreulichen Fakten gibt es seit Jahren auch diesen: Manche Menschen gehen dauerhaft leer aus auf der Suche nach Arbeit. Auch hier ist die Zahl der Betroffenen innerhalb des Jahres zwar leicht rückläufig, aber die sonst so gute Entwicklung macht sich hier zu wenig bemerkbar, da gebe ich Frau Gajek recht. Wenn es darum geht, unseren Arbeitsmarkt zukunftsfest zu gestalten, dürfen wir diese Gruppe der Langzeitarbeitslosen nicht aus dem Auge verlieren, und ich kann Ihnen versichern, wir tun das auch nicht.

Meine Damen und Herren, zur Wahrheit gehört, dass unser Handlungsspielraum, und ich betone das immer wieder gerne, an dieser Stelle zunächst durch den Bund definiert ist. Das heißt aber nicht, dass sich die Länder nicht einmischen. Zum Beispiel haben wir mit anderen Bundesländern eine Initiative gestartet, um für ältere Beschäftigte weiterhin bis zu drei Jahre lang Eingliederungszuschüsse gewähren zu können. Über 50 zu sein, zählt zu den sogenannten Vermittlungshemmnissen. Wie entscheidend aber die ältere Generation gerade hier in MV ist und sein wird, wissen wir alle. Außerdem unterstützen wir das Ziel, Langzeitarbeitslose umfassend nachzubetreuen, wenn sie eine Stelle gefunden haben. Schließlich verbessern sich die Chancen, eine neue Stelle langfristig zu behalten, wenn Menschen, die lange ohne Job waren, für eine bestimmte Zeit begleitet werden.

Das Thema Langzeitarbeitslosigkeit ist auch in Berlin in den Fokus gerückt.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das wurde auch Zeit!)

Auch das wurde schon berichtet. Die Bundesregierung will mit zwei neuen Programmen insgesamt 43.000 Langzeitarbeitslose durch Lohnkostenzuschüsse oder komplette öffentliche Förderung wieder an das Arbeitsleben heranführen. Wie nachhaltig sich dieses zeitlich befristete Projekt auswirken wird, müssen wir in der Tat kritisch begleiten.

Ein Projekt, das sich bereits bewährt hat, ist eines des Landes. Ich habe es hier auch schon mehrfach vorgetragen, der sogenannte Familiencoach.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genau.)

Diese Coaches beraten nicht den einzelnen Arbeitslosen oder die einzelne Arbeitslose, sondern nehmen die ge

samte Familie in den Blick. Wir wollen verhindern, dass sich Arbeitslosigkeit durch Nachahmung und erlerntes Verhalten in der nächsten Generation fortsetzt. Wir wollen die Chancen auf Bildung, Beruf und Teilhabe erhalten. Das Projekt ist auf regionaler Ebene gut angelaufen, sodass wir es in der nächsten ESF-Förderperiode landesweit etablieren werden. Mit dieser Idee haben wir schon das Interesse einiger anderer Bundesländer geweckt, und wir setzen genau das um, Frau Gajek, was Sie vorhin gefordert haben.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Genau.)

Wir setzen hier in M-V einen Schwerpunkt auf integrative Angebote und ich sage Ihnen hier auch ganz klar, was wir tun. Das Land wird kein eigenes Programm „Öffentlich geförderte Beschäftigung“ ins Leben rufen und auch nicht einen Modellversuch zum Aktiv-Passiv-Transfer machen. Auch das ist wiederum Sache des Bundes.

Im Übrigen stelle ich mir an dieser Stelle immer wieder die Frage, ob eigentlich jedem bewusst ist, was der AktivPassiv-Transfer eigentlich bedeutet. Das bedeutet nämlich ein Geldverschieben: Geld an der einen Stelle wegnehmen und an einer anderen Stelle einsetzen.

(Martina Tegtmeier, SPD: Und was drauflegen.)

Wer das fordert, muss genau wissen, was er da fordert.

Im Übrigen können die Länder nicht ständig in die Ersatzvornahme für den Bund gehen. Zudem müssten wir ein solches Modell alleine und zusätzlich finanzieren. Ausgehend von den Zahlen aus Baden-Württemberg – und ich finde, damit muss man sich einfach mal intensiv befassen,

(Heiterkeit bei Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das haben wir.)