Protokoll der Sitzung vom 12.03.2015

Etwas anderes bliebe uns nämlich nach dem Kompromiss vom 27. Februar nicht zu tun. Da einigten sich Kirchen und Bundesamt darauf, die Tradition des Kirchenasyls zunächst nicht infrage zu stellen. Zugleich erkennen die Kirchen an, dass das Kirchenasyl kein eigenständiges, neben dem Rechtsstaat stehendes Institut ist. Beide Seiten gehen davon aus, dass das Kirchenasyl nur in Einzelfällen als Ultima Ratio, als letzte Möglichkeit in Betracht kommt. Das entsprechende Überprüfungsverfahren wird zunächst bis Herbst erprobt, darüber hat der Innenminister bereits gesprochen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, führen wir uns noch einmal das Ziel des Kirchenasyls vor Augen. In einem „Gemeinsamen Wort der Kirchen“, herausgegeben vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, heißt es dazu: „Nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel durch die Betroffenen sehen manche in der Gewährung eines solchen ‚Kirchenasyls‘ häufig die letzte Möglichkeit, um in einem konkreten Einzelfall Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden und eine drohende Gefahr für Leib und Leben im Rückkehrland abzuwenden.“ Es geht also um Menschenrechtsverletzungen und um Gefahr für Leib und Leben. Unter diesen Prämissen kann auch ich die Notwendigkeit des Kirchenasyls erkennen.

(Udo Pastörs, NPD: Das Gericht muss das auch erkennen.)

Wenn es aber um die Dublin-Fälle geht, also um Überstellungen nach Polen, nach Frankreich, nach Italien oder nach Malta, dann kann ich beim besten Willen in diesen Ländern keine Anhaltspunkte für Menschenrechtsverletzungen oder Gefahr für Leib und Leben der Flüchtlinge erkennen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Dass die Gemeinschaftsunterkünfte nicht immer dem deutschen Standard entsprechen, das mag sein. Aber auch bei uns verschärft sich die Lage zusehends. Nicht umsonst haben wir das Thema täglich in den Medien und seit Monaten hier im Landtag. Als Mitglied der CDU stelle ich das Kirchenasyl ausdrücklich nicht infrage. Ich orientiere mich allerdings auch streng an der langen Tradition des Kirchenasyls in Deutschland. Früher ist es lediglich nach einem negativen Ausgang eines Asylverfahrens zur Anwendung gekommen und nur in wenigen Einzelfällen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kirchenasyl basiert auf keiner gesetzlich festgelegten Grundlage.

(Michael Andrejewski, NPD: Das ist Mittelalter pur.)

Kirchenasyl ist vielmehr ein gelebter humanitärer Grundsatz,

(Udo Pastörs, NPD: Das ist rechtsfreier Raum.)

der von den deutschen Behörden aufgrund seiner Tradition geduldet

(Udo Pastörs, NPD: Absolut rechtsfreier Raum.)

und respektiert wird.

(Udo Pastörs, NPD: Rechtsbruch ist das. Absoluter Rechtsbruch, was Sie da verlangen.)

Das Kirchenasyl in Deutschland hat seit der Einführung der Härtefallkommission in Deutschland aber auch an praktischer Bedeutung verloren.

So wie in anderen Bundesländern haben auch in Mecklenburg-Vorpommern Vertreter der Landeskirche Sitz und Stimme in dem Gremium und können jederzeit kirchliche Gesichtspunkte in die Beratung über ein Aufenthaltsrecht einbringen. Wenn es um Kirchenasyl in den Fällen geht, in denen das eigentliche Asylverfahren noch gar nicht begonnen hat, also bei den Dublin-Fällen, dann sehe ich damit die EU-rechtlichen Bedingungen ausgehebelt. Und das sehe ich in der Tat kritisch.

Das Asylrecht wird aufgrund seines Einflusses auf das Leben von Menschen seit jeher eng von der Rechtsprechung begleitet. In einem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom September letzten Jahres wurden die zu erfüllenden Erfordernisse bei Rückführungen in sichere Drittstaaten klar definiert. Da in diesen Fällen meist nicht auf verwandtschaftliche Hilfe oder ein soziales Netzwerk zurückgegriffen werden kann, hat die deutsche Seite bei Überstellungen in Drittstaaten, die bekanntermaßen Kapazitätsprobleme haben, diese Probleme zu beachten und diesen entsprechend Rechnung zu tragen.

Am Beispiel Italiens möchte ich Ihnen den Ablauf einer Überstellung einmal verdeutlichen: Der Dublin-Rückkehrer wird am Flughafen von der italienischen Polizei empfangen und erkennungsdienstlich behandelt. Dann erfolgt die Feststellung, welche Behörde örtlich zuständig ist und wie der Stand des Verfahrens ist. Danach werden die Ausländer noch am Flughafen von der zuständigen Hilfsorganisation betreut und über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet.

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Dabei sind Dolmetscher anwesend.

(Michael Andrejewski, NPD: Das ist ja der reinste Horror! – Udo Pastörs, NPD: Das müsste mal deutschen Familien zuteilwerden.)

Diese Hilfsorganisationen sind auch für die Suche nach einer Unterkunft verantwortlich.

Die Ausländer können, sofern noch nicht gestellt, jederzeit einen Asylantrag stellen. Praktisch stellt sich vor Ort aber das Problem, dass viele Dublin-Rückkehrer diesen Asylantrag gar nicht stellen, weil sie nicht in Italien bleiben wollen. Damit stehen ihnen dann aber auch nicht mehr die staatlichen Aufnahmezentren offen und Leistungen zur Verfügung.

(Udo Pastörs, NPD: Da können Sie mal sehen, wie die verfolgt sind.)

Es kann dem italienischen Staat nicht zugerechnet werden, wenn sich Flüchtlinge bewusst dafür entscheiden, keinen Asylantrag zu stellen, und sich damit bewusst außerhalb des Systems aufhalten.

Es geht also bei dem Kirchenasyl, welches wir hier problematisieren, nicht um das traditionelle Kirchenasyl, es geht nicht um den Schutz vor Tod und Folter, es geht darum, ob Menschen in ein anderes europäisches Land geschickt werden, wenn auch mit niedrigeren Standards als in Deutschland.

(Michael Andrejewski, NPD: Schutz vor Spaghetti.)

Aber diese Standards sind eben nicht menschenfeindlich. Wenn Sie das behaupten – und dieser Zungenschlag schwingt in den Diskussionen immer unterschwellig mit –, dann lebt, um zu meinem Beispiel zurückzukommen, ganz Italien in unmenschlichen Verhältnissen.

(Michael Andrejewski, NPD: Ja.)

Denn ein Asylsuchender in Italien hat Anspruch auf Unterbringung, Anspruch auf Verpflegung und Anspruch auf medizinische Versorgung.

(Udo Pastörs, NPD: Das ist zu wenig.)

Als anerkannte Flüchtlinge genießen sie schließlich dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige.

Ich möchte in diesem Zusammenhang nochmals eindringlich auf das Gremium der Härtefallkommission hinweisen. Die Härtefallkommission wird ausschließlich im Wege der Selbstbefassung tätig. Ein Fall kann demnach nur beraten werden, wenn mindestens ein Mitglied der Kommission diesen als Vorschlag zur Beratung einbringt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Vertreter des Parlamentes waren vor Kurzem in einem Flüchtlingslager im Libanon. Auch wenn diese Verhältnisse mit den europäischen überhaupt nicht vergleichbar sind, so muss auch dort niemand hungern. Es gibt Obdach und es gibt medizinische Versorgung. Und besser, als sich im Kriegsgebiet zu befinden, ist es allemal. Gerade wenn man die dortigen Verhältnisse sieht und wenn man weiß, dass die Flüchtlinge Schutz vor Krieg und Terror finden, dann ist es meines Erachtens wichtiger denn je, vor Ort zu helfen.

(Udo Pastörs, NPD: Richtig.)

Es muss doch verhindert werden, dass Schlepper ihr Geld damit verdienen,

(Udo Pastörs, NPD: Richtig.)

arme Menschen auf desolate Schiffe zu verfrachten und diese ihrem Schicksal auf hoher See zu überlassen. Deshalb muss die Idee der Flüchtlingsaufnahmezentren beispielsweise in Nordafrika offen diskutiert werden.

Lassen Sie uns doch nach übereinstimmenden humanitären Gesichtspunkten ausgestattete Aufnahmezentren errichten, nicht um diese Menschen in Deutschland zu verhindern, sondern um ihnen schnell Hilfe zu gewähren, ihnen einen sicheren Weg nach Europa zu garantieren

(Udo Pastörs, NPD: Und sie in Deutschland nicht reinzulassen.)

und ihnen Odysseen durch halb Europa zu ersparen! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Vielen Dank, Frau Friemann-Jennert.

Das Wort hat jetzt noch einmal die Abgeordnete und Vizepräsidentin Frau Silke Gajek von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Zum Kirchenasyl: Frau Friemann-Jennert, ich denke, diese Aussprache sollte zeigen, dass das Kirchenasyl eine Schutzlücke im europäischen Asylsystem aufweist. Das sollte man und das möchte ich hier auch vertiefen. Um noch mal zwei Zahlen zu nennen: Insgesamt sind es derzeit bundesweit 226 Kirchenasyle mit 411 Menschen. Das Verwaltungsgericht Schwerin hat mehrfach festgestellt, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber insbesondere in Italien systematische Mängel aufweisen. Ich denke, das sollte zur Kenntnis genommen werden. Und von daher möchte ich dort anknüpfen, wo Sie aufgehört haben, nämlich beim Dubliner System.

Das sogenannte Dubliner System zielt darauf ab zu verhindern, dass Asylsuchende in Europa mehr als ein Asylverfahren betreiben. Die Dublin-III-Verordnung besagt im Wesentlichen, dass der Staat, welcher die Einreise einer oder eines Asylsuchenden ermöglicht hat, auch für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(Michael Andrejewski, NPD: Wäre schön, wenn das respektiert würde.)

Das bedeutet, dass Asylsuchende dazu gezwungen – gezwungen! – sind, ihr Asylverfahren im Land ihrer Ankunft in Europa zu betreiben.

(Michael Andrejewski, NPD: Was ist daran so schlimm?)

Durchgesetzt wird diese Zuständigkeitsregelung durch innereuropäische Abschiebungen, die sogenannten Überstellungen. Von Überstellungen betroffen sind in Deutschland insbesondere Asylsuchende, deren Land der ersten Ankunft Italien ist. So wurden im Jahr 2014 mehr als ein Viertel der einer Überstellung vorausgehenden Übernahmeersuchen, insgesamt 9.102, an Italien gerichtet.