Protokoll der Sitzung vom 03.06.2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als ich das Thema der Aktuellen Stunde gelesen habe, habe ich mir zuerst die Frage gestellt, warum kann DIE LINKE ein einfaches Thema nicht in einfache Worte auch für einfache Leute packen.

(Udo Pastörs, NPD: Das machen Sie!)

Mit Ihrem Versuch, einem bundespolitischen Thema einen Landesbezug zu geben, haben Sie die deutsche Sprache gehörig gequält.

(Udo Pastörs, NPD: Ja.)

„Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen mittels Streik auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht diskreditieren – Einschränkung des Streikrechts entgegentreten“, so der

sperrige Titel der heutigen Aktuellen Stunde. Gute Politik geht meiner Meinung nach anders. Sie sollte verständlich sein für alle Menschen, sie sollte klar und eindeutig sein und sich einfacher Sprache bedienen, ohne die Sachverhalte zu stark zu vereinfachen. Zugegeben, auch meine Fraktion hinkt manchmal diesem Anspruch hinterher.

(Martina Tegtmeier, SPD: Hö! Hö! – Peter Ritter, DIE LINKE: Das war jetzt nicht abgesprochen. – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Das, was Sie hier aber machen, liebe LINKE, ist das genaue Gegenteil.

(Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

Sie vereinfachen den Sachverhalt ein bisschen zu sehr, malen die Welt komplett schwarz und weiß und verwenden dafür auch eine komplizierte Sprache.

(Regine Lück, DIE LINKE: Wir werden mal bei euch ein paar Zitate aussuchen.)

Das eigentliche Thema, von dem wir heute sprechen, ist das Tarifeinheitsgesetz.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das eigentliche Thema sind die Streiks.)

Im Mittelpunkt steht die Vermutung der LINKEN, wie sich dieses Gesetz zukünftig auf Streik als völlig legitimes Mittel des Arbeitskampfes auswirken wird. Ich darf betonen, was Sie von den LINKEN gern überhören: Das Tarifeinheitsgesetz ändert das Streikrecht in Deutschland an keiner Stelle!

Das, was DIE LINKE auch in Ihrem Bundestagsantrag unter der Drucksache 18/4184 als Argument gegen die Tarifeinheit vorgebracht hat, kann man kurz und einfach folgendermaßen zusammenfassen: Das Gesetz verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitglieder kleiner Gewerkschaften für Einzelinteressen von ausgewählten Beschäftigungsgruppen streiken werden. Ehrlich, ich kann darin nicht den großen Skandal erkennen, den Sie heraufbeschwören wollen, im Gegenteil.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Aber Sie kennen Absatz 3 Grundgesetz? – Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

Es gibt einen geflügelten Spruch bei den Gewerkschaften im englischsprachigen Raum, der da heißt: „United we stand, divided we fall.“

(Zurufe von Vincent Kokert, CDU, und Udo Pastörs, NPD)

Das heißt, sinngemäß übersetzt, vereint werden wir standhalten, vereinzelt werden wir untergehen. Der gelernte DDR-Bürger kennt noch einen Spruch, der da heißt: „Einen Finger kann man brechen, eine Faust niemals.“

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Und wir wissen, von wem das kam, vom Genossen Ernst Thälmann.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Helmut Holter, DIE LINKE: Das hätte ich dir auch sagen können.)

Ich sagte ja, der gelernte Bürger weiß es. Dieser Spruch ist an Richtigkeit also nicht auf Großbritannien oder die USA beschränkt, er gilt genauso für Deutschland.

Auch bei uns sollten die Arbeitsbedingungen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens im Mittelpunkt stehen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten für ihre Interessen möglichst auch gemeinsam streiken. Sicher gibt es einige Berufsgruppen, die herausragende Positionen einnehmen. Ärzte entscheiden oft genug über Leben und Tod, verdammt richtig, aber wenn in einer Klinik das Reinigungspersonal schlechte Arbeitsbedingungen vorfindet und nicht ordentlich arbeitet, dann werden auch die dort tätigen Ärzte deutlich häufiger nur über den Tod entscheiden.

(Vincent Kokert, CDU: Ei, jei, jei! – Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Die gelebte Praxis in Deutschland bis zum Jahr 2010 war, dass es die Tarifpartner mit großen und kleinen Gewerkschaften nebeneinander trotzdem geschafft haben, einheitliche Tarifverträge für Unternehmen zu verhandeln.

(Vincent Kokert, CDU: Ich möchte mal fragen, welcher Referent von euch das aufgeschrieben hat. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Warum? – Vincent Kokert, CDU: Er schweift ein bisschen ab.)

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, kurz GDL, besteht seit 1867, die Vereinigung Cockpit gibt es seit 1969, den Marburger Bund seit 1947. Die drei bekanntesten Spartengewerkschaften in Deutschland waren also schon längst aktiv, als der Grundsatz „Ein Unternehmen – ein Tarifvertrag“ in der Bundesrepublik Deutschland galt und notfalls auch gerichtlich umgesetzt wurde. Streik war in all diesen Jahren immer ein mögliches Mittel des Arbeitskampfes und Streik, liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, wird vom Tarifeinheitsgesetz weder eingeschränkt noch verhindert,

(Helmut Holter, DIE LINKE: Aber doch!)

nur Egoismus wird in ganz besonderen Situationen und Betriebsgruppen deutlich unwahrscheinlicher.

Auch Ihr Bundestagsfraktionsvize Klaus Ernst liegt falsch, wenn er behauptet,

(Vincent Kokert, CDU: Na, der muss gerade rumschreien! Das ist auch so ein Hobbyarbeitnehmer.)

dass Streiks durch das Gesetz ausgeschlossen wären.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Weil wir gerade über Diskreditierung gesprochen haben: Hören Sie auf mit der Diskreditierung von Personen! – Unruhe vonseiten der Fraktion der CDU – Zurufe von Torsten Renz, CDU, und Helmut Holter, DIE LINKE)

Es ist also mitnichten so, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Streikes vorweg einfach angenommen werden kann, dass der beabsichtigte Tarifvertrag einer kleinen Gewerkschaft wegen einer möglichen Tarifkollision keine Gültigkeit erlangen würde. Das Tarifeinheitsgesetz sieht nämlich vor, dass eine mögliche Tarifkollision immer durch Einvernehmen der beteiligten Gewerkschaften und auch im Guten bereinigt werden kann. Das Gesetz greift erst, wenn tatsächlich eine Tarifkollision vorliegt. Selbst bei ver.di ist man überzeugt, dass dieser Fall kaum eintreten wird, schreibt zumindest das „Neue Deutschland“. Aber das ist linke Politik in diesem Land: Sie rufen bereits den Wolf, wenn lediglich die Schafe auf der Weide stehen! Wie die Geschichte mit dem kleinen Jungen ausging, ist Ihnen sicherlich bekannt.

Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Tarifeinheitsgesetzes werden uns die Gerichte eine Antwort geben. Juraprofessoren haben dem Gesetz zum jetzigen Zeitpunkt bereits beides bestätigt, sowohl verfassungskonform als auch verfassungswidrig zu sein. Das werden wir hier im Landtag Mecklenburg-Vorpommern nicht beantworten können. Viele der betroffenen Gewerkschaften – Sie haben es erwähnt, Herr Holter – haben bereits Klage in Karlsruhe angekündigt. Die Vereinigung Cockpit möchte mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung das Inkrafttreten des Gesetzes verhindern. Am Ende werden wir Klarheit haben.

Ich darf mir an dieser Stelle erlauben, die SPD und ihre Position auch deutlich von unserem Koalitionspartner abzugrenzen.

(Torsten Renz, CDU: Hä?)

Eine Einschränkung des Streikrechts ist mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen!

(Torsten Renz, CDU: Guck dir mal die Abstimmung im Bundestag an, bevor du weiterredest! Da waren bei uns 16 Gegenstimmen und bei euch 1.)

Unionsfraktionsvize Michael Fuchs hat in einem Interview in der „Passauer Neuen Presse“ festgestellt – hören Sie gut zu! –, dass das Tarifeinheitsgesetz Arbeitskämpfe wie den Streik der GDL überhaupt nicht verhindern könne. Die Union will aber über das Tarifeinheitsgesetz hinaus eine Ankündigungsfrist für Streiks und Zwangsschlichtungen einführen, und dafür sehen wir keine Notwendigkeit.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Richtig.)

In einem Punkt hat DIE LINKE in ihrem Bundestagsantrag übrigens recht: Schwerwiegender als die Möglichkeit von zwei parallel in einem Unternehmen gültigen Tarifverträgen ist der Fakt, dass wir in vielen Bereichen in Deutschland tarifvertragsfreie Zonen haben und Flächentarifverträge arbeitgeberseitig durchlöchert werden. Aber an diesem Zustand sind hier nicht die Unternehmer völlig allein schuld, wie DIE LINKE behauptet. Sie sind auch nicht schuldlos, das gebe ich zu, aber gute Arbeit hat sich in der Geschichte der industrialisierten Welt selten von selbst ergeben, sie wurde meistens erkämpft.

Wir brauchen also im Idealfall gesellschaftlich verantwortlich agierende Unternehmer, die Streiks eigentlich überflüssig machen,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

weil sie aus innerer Einsicht bereits gute Arbeitsbedingungen schaffen werden. Wir brauchen Gewerkschaften, die sich das Wohl aller Arbeitnehmer auf die Fahne schreiben und nicht zum Schutz der eigenen Klientel an anderer Stelle die Augen verschließen. Wir benötigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bereit sind, für bessere Arbeitsbedingungen etwas zu tun: aktiv den Aufbau eines Betriebsrates unterstützen, Gewerkschaftsmitglied werden, im Konfliktfall auch mal für die eigenen Interessen auf die Straße gehen.

Für uns Sozialdemokraten ist der Wohlstand, den wir heute in Deutschland genießen dürfen, nicht gottgegeben, sondern hart erkämpft. Damit das auch in Zukunft so bleibt, wird der Streik als scharfes Schwert des Arbeitskampfes sehr wichtig bleiben.

(Vincent Kokert, CDU: Donnerwetter, große Worte! Mensch, Mensch!)

Wir wären ja bekloppt, wenn wir das Streikrecht einschränken würden.

(Vincent Kokert, CDU: Steht das auch in der Rede?)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.