Protokoll der Sitzung vom 04.06.2015

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ist das die Koalitionsmeinung oder wäre auch eine Enthaltung möglich?)

Es ist überfällig, dass sie wieder eingeführt wird. Die Koalitionsvereinbarung ist im Bund getroffen worden, und im Bund ist vereinbart worden, dass die Vorratsdatenspeicherung,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nein, die Frage war ja, wenn wir zuständig wären.)

dass die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt wird und wir uns dementsprechend konform der Entscheidung zwischen Bund und Land bei den Koalitionsverträgen verhalten. Das ist ja keine neue Erkenntnis, Kollege Ritter, das ist schon immer so.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Der Eingang war, wenn wir zuständig wären im Bundestag, würden Sie zustimmen.)

Deswegen begrüße ich auch ausdrücklich die Initiative …

Sie können ja nachher reden,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, sicher.)

also insofern lassen Sie sich Zeit, heben Sie sich das für nachher auf.

Ich begrüße die Initiative der Bundesregierung, dass ein gesetzeskonformer Text auf den Weg gebracht worden ist, ausdrücklich.

Meine Damen und Herren – ja, Herr Saalfeld, ich gebe Ihnen recht –, die Vorratsdatenspeicherung ist ein Eingriff in die Grundrechte der Bürger. Das ist unstrittig. Aus diesem Grund muss die Eingriffsintensität aber auch entsprechend angepasst werden. Die Bundesregierung schlägt hier meines Erachtens eine praktikable Lösung vor. Die elektronische Post wird von der Regelung ausgenommen und die Speicherfristen werden für Standorte oder Standortdaten, wie es ganz konkret heißt, auf vier und für Verbindungsdaten auf zehn Wochen verkürzt.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit soll die Verfassungskonformität gewährleistet sein. Nach allem, was passiert ist, und nach all den Diskussionen, habe ich immer gesagt, kann ich mit dem Kompromiss grundsätzlich leben. Ich will aber nicht verschweigen, bei den Kollegen in den Ermittlungsbehörden, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Landespolizei hält sich die Freude über die Kompromisslösung sehr in Grenzen, denn im Gegensatz zu dem einen oder anderen Abgeordneten wissen die Ermittler sehr wohl, welchen konkreten Nutzen die Vorratsdatenspeicherung hat oder eben auch nicht.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Immer wieder gibt es Frust, weil mangels entsprechender Daten schwere Straftaten nicht aufgeklärt werden können. LINKE und GRÜNE hantieren dann gerne mit Aufklärungsquoten, das war in der Einbringungsrede auch wieder der Fall, oder mit bundesweiten Statistiken. Ich kann da nur staunen. Was ist los mit Ihnen?

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Alles in Ordnung.)

Überall, überall, lieber Kollege Ritter, sind Ihnen die Einzelschicksale wichtig. Asylfragen, Arbeitnehmerschutz, Diskriminierung – es gibt keinen Missstand und kein Problem, zu dem Sie nicht ein passendes Gesicht präsentieren können. Nur dort, wo es Ihnen nicht genehm ist, verzichten Sie darauf.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da machen wir auch ein passendes Gesicht.)

Sie verzichten großzügig auf die Herangehensweise. Aber kein Problem, ich helfe gerne aus.

Unmittelbar nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil im Jahr 2010 haben wir mehrere Fälle registriert, die aufgrund des Wegfalls der Vorratsdatenspeicherung nicht aufgeklärt werden konnten. Ein Fall betraf einen Phishingangriff. Mittels gefälschter E-Mails konnten die Emissionshandelskonten mehrerer Unternehmen ausgespäht werden. Es wurden daraufhin illegale Transaktionen vorgenommen, natürlich zulasten der betroffenen Unternehmen. Die Angriffe erfolgten auch aus Deutschland. Das konnte anhand der IP-Adressen festgestellt werden. Mangels Vorratsdatenspeicherung konnten die Täter jedoch nicht ermittelt werden.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Wo NSA und BND so eng zusammenarbeiten, klappt das nicht?)

Sehen Sie, Kollege Saalfeld, selbst vor dem Emissionshandel machen die Verbrecher nicht halt. Das müsste doch zumindest Ihre Fraktion nachdenklich machen, nicht?

Dann nehmen wir das Thema Kinderpornografie. Es sollte jedem einleuchten, dass hier die Vorratsdatenspeicherung nützlich ist.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Natürlich gibt es auch hier verschiedene Beispiele. Ich habe ein typisches herausgesucht. In einem Internetchat wurde ein Nutzer auffällig, der über ein privates PGPNetzwerk kinderpornografisches Material bezog. Die IPAdresse konnte festgestellt werden, der Nutzer jedoch nicht. Der Provider, dessen Namen ich hier lieber nicht nennen möchte, speicherte die Daten nicht mal einen Tag lang.

Herr Saalfeld, in Ihren Reihen sind doch sicherlich einige Computerexperten.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Lassen Sie sich von denen erklären, wie einfach man solche Netzwerke errichten und Daten jeglicher Art austauschen kann! Das kann doch nicht ernsthaft Ihre Vorstellung sein! Jetzt müssen Sie nur noch den richtigen Provider finden, der nichts speichert, und Sie können machen, was Sie wollen, und das vor den Ermittlungsbehörden. Ist das die Welt, in der Sie leben möchten?

Oder ein Unterstützungsantrag der Polizei Wien, die festgestellt hatte, dass in einem Forum – am 06.05. damals eingestellt – eine vermeintliche Mutter mitteilt, dass ihr Sohn vom Stiefvater missbraucht und in Teilen zu diesem Zweck sogar mit Medikamenten ruhiggestellt wurde. Der Username wurde anonym genutzt. Die IP

Adresse war ermittelbar, aber wir konnten die Daten nicht verwenden. Wir konnten denjenigen oder die Betreffenden nicht ermitteln, weil die Daten nicht nutzbar waren. Gehen Sie zu der Mutter, sagen ihr,

(Zurufe von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Udo Pastörs, NPD)

wir hätten sie gerne ermittelt, aber wir konnten das aufgrund der fehlenden Vorratsdatenspeicherung nicht tun. Ich glaube, das gehört zur Ehrlichkeit dazu, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den öffentlichen Behörden der Länder auch Verantwortung haben, dass wir ihnen diese Verantwortung zugestehen müssen und dass wir nicht ständig nur die Elektronikfußfessel als Tyrannisierungsmodell an die Decke malen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich kann Ihnen noch ein anderes Beispiel geben: Verbreitung und Erwerb kinder- und jugendpornografischer Schriften innerhalb einer Tauschbörse. Auch da wurde in dem Bereich ein Nutzer auffällig, von welchem anschließend über ein privates Netzwerk Dateien heruntergeladen werden konnten. Bei diesen Dateien handelte es sich um kinderpornografische Dateien. Der einzige Ansatz zur Täteridentifizierung liegt hier regelmäßig bei der festgestellten IP-Adresse des Anbieters. Diese IPAdresse wurde durch die Protokollierung der Downloadvorgänge durch das Netzwerkanalyseprogramm festgestellt. Durch die fehlende Möglichkeit der Zuordnung zur IP-Adresse und der damit verbundenen Speicherung ist der Nutzer und derjenige, der solche Schweinereien – anders kann man es ja nicht bezeichnen –

(Udo Pastörs, NPD: Verbrechen.)

ins Netz stellt, nicht ermittelbar. Das finde ich skandalös und dem müssen wir Rechnung tragen.

Deswegen begrüße ich es außerordentlich, dass die Kollegen von SPD und CDU im Bund sich auf einen, wenn auch für mich sicherlich noch umfangreicher vorstellbaren, aber auf einen Kompromiss geeinigt haben und Herr Maas ein Gesetz auf den Weg bringen kann, womit allen Konflikten, die hier angesprochen worden sind, dementsprechend Rechnung getragen wird.

Und weil dies so ist, glaube ich, dass die Entscheidung, die hier getroffen wird, dem Rechnung trägt, was Sie angesprochen haben, nämlich der elektronischen Welt. Ja, wir leben in einer durchdigitalisierten Welt. Das Internet ist, ob uns das passt oder nicht, auch ein Tummelplatz für Kriminalität und für Extremismus. Es ist eben nicht nur ein Platz für Amazon und für andere Dinge, es ist auch ein Platz für Kriminalität, für terroristische Gefährdung, für andere Sachen. Dem müssen wir uns stellen. Wir können doch nicht so tun, als wenn uns die Entwicklung nichts angeht. Ja, wir werden uns auch im Bereich der Sicherheit auf Veränderungen einstellen. Natürlich werden wir elektronische Kennzeichenlesegeräte, um mal so ein Beispiel zu nehmen, die die Polizeien der Länder zur Verfügung haben, im Grenzbereich zum Einsatz bringen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Wie sollen wir denn im Zweifelsfall die Straftaten verhindern? Wenn Autos gestohlen werden, können wir bis zu

5.000 Fahrzeuge in der Stunde über so ein Kennzeichenlesegerät einlesen, und nur das, was einen Treffer erhält, wird angezeigt, alle anderen Daten werden sofort gelöscht. Was, bitte schön, ist verwerflich an einem solchen Gerät, was als Unterstützung dafür dient, dass wir dem Diebstahl oder der organisierten Kriminalität weltweit Einhalt zu gebieten versuchen?

Deswegen werbe ich sehr dafür, dass wir uns natürlich auch innerhalb der inneren Sicherheit mit der Entwicklung im elektronischen Zeitalter bewegen müssen. Es werden Daten gespeichert und nach einer bestimmten Zeit gelöscht, ohne dass sie sich jemals jemand angesehen hätte. Inhalte – und das ist hier auch allen bekannt – werden ja sowieso nicht gespeichert. Wo, bitte, wird da jemand ausgeforscht? Und nur dort, wo der Verdacht auf eine schwere Straftat vorliegt und ein Richter – auch das gehört dazu –, ein Richter sein Okay gibt, dürfen die Daten überhaupt gesichtet werden. Keine andere staatliche Behörde interessiert sich sonst für diese Daten und würde sie ohne eine richterliche Zustimmung auch nicht erhalten.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Bei uns sitzen keine Polizisten gelangweilt vor dem Rechner und erstellen mittels der gesammelten Stand- ortdaten ein Bewegungsprofil von Ihnen, Herr Saalfeld. Ich habe Ihnen das eingangs gesagt, die haben sowieso keine Zeit, weil wir ständig Ihre Kleinen Anfragen zu dem Thema beantworten müssen.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Na, das ist ja ein gutes Argument, was Sie da sagen. Man hat sowieso keine Zeit, das ist ja ein Argument, Herr Minister! – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Woher also rührt das Misstrauen gegen die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst oder gegen die Justiz? Ich weiß, dass man zu dem Thema unterschiedlicher Auffassung sein kann, aber ich glaube, die Paranoia gegenüber einem Überwachungsstaat kann man durchaus ablegen. Wir leben in einem anderen System. Jeder kann gegen alles Widerspruch einlegen, gegen jeden Vorgang, kann auch Anträge stellen an den Verfassungsschutz im Rahmen von möglichen Überwachungen.

(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Siehe Bundesnachrichtendienst.)

Jeder, mit dem Sie sprechen, wird Ihnen sagen, die Vorratsdatenspeicherung ist kein Allheilmittel und schon gar nicht die große Wunderwaffe. Da gebe ich Ihnen beiden, den Vorrednern, recht. Aber sie ist ein unverzichtbares Instrumentarium bei der Ermittlung von Straftaten. Wir dürfen darauf einfach nicht verzichten. Und die Kollegen sind frustriert, dass ihnen dieses wichtige Instrument seit Längerem nicht zur Verfügung steht. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Law and Order zu tun, das ist einfach nur gesunder Menschenverstand,

(Udo Pastörs, NPD: Was ist schlecht an Law and Order?)

dem Sie, liebe Kollegen von LINKEN und GRÜNEN, in diesem Fall nach meiner festen Überzeugung nur mit plumper Ideologie gegenübertreten.

Ich habe keinen Zweifel, mit der Totalverweigerung – und über nichts anderes reden wir in dem ganz konkreten Fall – werden Sie total scheitern. Die Vorratsdatenspeicherung, wenn auch in abgespeckter Form, wird kommen. Bundesregierung und Bundestag sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Und an dem Tag, an dem das neue Gesetz in Kraft tritt, wird nicht der Überwachungsstaat eingeleitet,