Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Verfassung enthält nicht nur einen staatsorganisatorischen Teil, sondern sie enthält – das ist nicht selbstverständlich, es ist nicht bei jeder Landesverfassung so – inhaltliche Vorgaben, insbesondere in Form von expliziten Staatszielen. Man kann sich natürlich die Frage stellen, ob das sinnvoll ist. Die niedersächsische Verfassung beispielsweise verzichtet auf derartige inhaltliche Vorgaben. Und manche kluge Kritiker halten solche Staatsziele für – das Wort findet man in der Literatur gelegentlich – Staatslyrik oder Staatsziellyrik.
Die Präsidentin unseres Landesverfassungsgerichts hat bei ihren Ausführungen zum 25-jährigen Bestehen des Landkreistages vor wenigen Tagen – wir haben nebeneinandergesessen, Herr Holter – diese Kritik an solchen Staatszielen deutlich zurückgewiesen. Und ich finde, sie hat recht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Staatsziele sind etwas sehr Vernünftiges. Sie gehören in eine Verfassung, aber sie gehören so verstanden, dass dies nicht Ziele sind, die man irgendwann erreicht hat, und sagt, das war es, abgehakt, sondern es sind Staatsziele, wie etwa die Ziele: soziale Gerechtigkeit, Schutz der Umwelt, Schaffung von Arbeitsplätzen. Das sind sozusagen dauerhafte Maxime des Regierungshandelns und in dieser Art und Weise sind sie richtig, wichtig und vernünftig.
Da ich von den kommunalen Verbänden spreche, Herr Holter, Sie haben es selbst erwähnt, beide hatten ihr 25-jähriges Bestehen: Beim Städte- und Gemeindetag hat Herr Dr. Dettmann – Sie konnten leider nicht mehr dabei sein, Sie hatten die Versammlung wegen eines anderen Termins verlassen – aus seiner Sicht, aus Sicht der Städte und Gemeinden auf etwas verwiesen, was ich sehr wichtig finde. Er hat nämlich die Entwicklung unserer Städte und Gemeinden in den letzten 25 Jahren aus seiner Sicht angesprochen. Es hieß ja „25 Jahre Städte- und Gemeindetag“. Dr. Dettmann als Repräsentant der Städte und Gemeinden in diesem Land hat es sehr deutlich gemacht und es explizit gesagt, andere – gemeint waren diejenigen außerhalb unseres Bundeslandes – beneiden uns um die Entwicklung unserer Städte und Gemeinden.
Ja, meine Damen und Herren, da kann man Herrn Dettmann nur zustimmen. Jeder von uns, der noch die Bilder unserer Städte und Gemeinden aus den frühen 90er-Jahren im Kopf hat
und heute durch diese Städte und Gemeinden fährt, der kann gar nicht anders, als zu sagen, hier hat eine außerordentlich gute Entwicklung stattgefunden, hier haben sich teilweise Träume realisiert.
Das gilt auch für Vorpommern, das gilt natürlich auch für Mecklenburg. Hier sind wir ausgesprochen erfolgreich gewesen.
Aber ich will Ihnen auch zu dieser Frage, lieber Kollege Holter, nachtragen, was Herr Dettmann gesagt hat. Ich darf mit Genehmigung der Präsidentin zitieren: „Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass man die großen Entwicklungen nicht aufhalten kann. Denen, die glauben, man müsse die betroffenen Räume und Einrichtungen mit Kraft stabilisieren, sage ich, dass es nicht gelingen wird, alles Liebgewonnene zu konservieren. Wir wollen doch kein Heimatmuseum werden.“ Zitatende.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Position des Vorsitzenden des Städte- und Gemeindetages. Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir uns dieser Position anschließen und sagen, ja, es gibt Entwicklungen, es gibt auch Entwicklungen, die wir nicht aufhalten können, die wir aber gestalten müssen, und ja, wir haben in den letzten 20 oder 25 Jahren sehr, sehr viel, sehr, sehr erfolgreich gestaltet. Das kann man, wenn man durch unsere Städte und Gemeinden geht, auch sehen.
(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig, Herr Müller. Es wäre auch schön, wenn die Opposition das mal zur Kenntnis nimmt. – Zurufe von Helmut Holter, DIE LINKE, und Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein nächster Punkt, meine Damen und Herren, den ich zum Thema Verfassungswirklichkeit ansprechen möchte, ist das Thema „Arbeit und Arbeitsmarkt“. Ich glaube, ich muss hier nicht unsere Zeit verschwenden, indem ich auf die Bedeutung der Tatsache verweise, dass möglichst viele Menschen Arbeit haben, Arbeit, von der man auch leben kann, gute Arbeit. Aber zunächst einmal Arbeit insgesamt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch im Jahre 2005, also vor zehn Jahren, betrug die Arbeitslosenquote im Land Mecklenburg-Vorpommern 20,3 Prozent. Sie betrug 2014 im Durchschnitt nur noch 11,2 Prozent. Das heißt, innerhalb von neun Jahren hat sich die Arbeitslosigkeit in diesem Land fast halbiert. Sie beträgt zurzeit – wir haben das vor wenigen Tagen den Medien entnommen – noch 9,6 Prozent. Das heißt, wir haben mehr als eine Halbierung der Arbeitslosigkeit innerhalb von zehn Jahren in diesem Land erreicht. Dies, lieber Kollege Holter, sollten Sie nicht kleinreden, sondern das sollten wir alle als einen Erfolg ansehen.
Nun wird von den klugen Kritikern gerne gesagt, dass ein Teil des Erfolges auf die demografische Entwicklung zurückgeht. Ja, meine Damen und Herren, das stimmt. Das muss man auch realistischerweise sehen,
ein Teil geht auf die demografische Entwicklung zurück. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, dass dies eben
nur ein Teil ist und dass ein Teil dieser erfreulichen Entwicklung auf eine tatsächliche Entwicklung der Wirtschaft in unserem Lande zurückgeht. Das wäre nur die halbe Wahrheit, wenn man sagt, es ist die demografische Entwicklung. Nein, es ist auch eine positive Wirtschaftsentwicklung in unserem Land.
Und wenn wir über Arbeitslosigkeit sprechen und über den dramatischen Rückgang der Arbeitslosigkeit, dann, Herr Holter, haben Sie, wie ich finde, sehr zu Recht angesprochen, dass es Problemgruppen gibt – ja, die gibt es –, allen voran die Gruppe der Langzeitarbeitslosen. Dazu kann ich nur sagen, dass auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen im Jahresvergleich um mehr als 4.300 zurückgegangen ist.
Nun wird jeder von Ihnen sagen, ja, aber es gibt noch sehr viele Langzeitarbeitslose. Auch das stimmt. Aber wenn wir eine realistische Betrachtung der Situation in unserem Land wollen, Herr Holter und liebe Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, dürfen wir nicht immer nur das Problem sehen, sondern dann müssen wir auch sehen, dass große Schritte hin zur Lösung der Probleme getan worden sind, denn das ist für mich ebenso ein wichtiger Teil der Wirklichkeit.
Und wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: Wenn ich sehe, dass die Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten und der den Schwerbehinderten gleichgestellten Menschen von 2003 12.700 auf 2012 17.500 angestiegen ist, dann gilt hier genau das Gleiche. Wir haben sehr viel erreicht und wir haben es geschafft. Ich finde das im Sinne von sozialer Gerechtigkeit außerordentlich wichtig, dass wir auch behinderten Menschen die Möglichkeit schaffen, von der Arbeit ihrer Hände und ihres Kopfes zu leben. Das ist ein großer, wichtiger Schritt.
Natürlich gibt es noch viele, bei denen wir dies erreichen müssen. Ich glaube, niemand sagt hier, es ist bereits alles in Ordnung, alle Probleme sind gelöst. Aber es sollte auch niemand sagen, wir bestehen nur noch aus Problemen und nur aus Schwierigkeiten. Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben von den Problemen bereits sehr viele gelöst.
Wenn wir uns in die Wirtschaft begeben, Arbeit hat ja etwas mit Wirtschaft zu tun, dann möchte ich Ihnen einige wenige Zahlen sagen. Ich habe sie übrigens aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE. Sie können sie also dort nachlesen, insbesondere in der Antwort auf die Frage 48. Ich weiß nicht, ob sich Ihre Aussage, Herr Holter, dass die Antworten der Landesregierung so dürftig und so ausweichend seien, auch auf die Antwort auf diese Frage bezieht. Ich sehe dort, dass wir 1990 beim nominalen Bruttoinlandsprodukt je Einwohner gegenüber dem nominalen Bruttoinlandsprodukt je Einwohner der Bundesrepublik einen Stand von 38,9 Prozent hatten. Wir haben 2013 einen Stand von 68,4 Prozent. Und hier sage ich Ihnen wieder, natürlich sind 68,4 Prozent zu wenig, natürlich müssen wir auf 100 Prozent kommen.
Wenn wir – auch das finden Sie in dieser Frage – die wirtschaftliche Eigenleistungsfähigkeit des Landes abfragen, dann finden Sie auch hier, dass sich die Eigenleistungsfähigkeit in Relation zur Eigenleistungsfähigkeit in Gesamtdeutschland massiv erhöht hat. Und wenn Sie auf das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen abheben, dann haben wir eine Produktivität von 78,8 Prozent, also eine Lücke zum gesamtdeutschen Niveau von 21 Prozent. Diese Lücke hat vor wenigen Jahren noch weit über 30 Prozent betragen. Auch hier haben wir einen realen Aufholprozess, der noch nicht am Ende ist,
Wenn wir uns das Verhältnis von Lohnkosten und Produktivität gegenüber der gesamtdeutschen Zahl angucken,
Diese Lücke schließt sich und wir werden als Land zunehmend wirtschaftlich konkurrenzfähig mit Gesamtdeutschland.
Die Einkommensverhältnisse haben sich wesentlich verbessert, wenn man nicht nur Löhne nimmt, sondern auch andere Einkommen, insbesondere Renten. Ich könnte Sie hier mit Zahlen traktieren, ich will das nicht tun. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lesen Sie doch mal die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE! Sie werden hier eine Fülle solcher Zahlen finden.
Auf das Thema Ausbildung, das mehrfach Gegenstand der Diskussion gewesen ist, will ich jetzt gar nicht eingehen. Noch vor wenigen Jahren hatten wir ein Verhältnis, dass auf einen Ausbildungsplatz viele, sehr viele junge Leute kamen, die einen Ausbildungsplatz gesucht haben. Heute hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Wir haben genau die umgekehrte Situation.
ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, das Problem der Zukunft wird nicht, zumindest nicht mehr vorrangig sein, dass wir Arbeitslose in Arbeit bringen – natürlich muss auch diese Aufgabe erfüllt werden –, aber das Hauptproblem der Zukunft wird sein, ob wir noch genügend Fachkräfte