Protokoll der Sitzung vom 08.09.2015

Vielen Dank, Frau Finanzministerin.

Interfraktionell ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 360 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat der Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE Herr Holter das Wort. Bitte schön.

Danke, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nun ist es wieder so weit. Wir steigen in die Haushaltsberatungen ein und wieder hören wir, haben wir auch gerade gehört, wie schwierig die Zeiten waren, wie schwierig die Zeiten sind und wie schwierig sie in Zukunft noch sein werden. Und wieder hören wir, welch ein großer Kraftakt es doch gewesen sei, diesen Haushalt aufzustellen. Und wieder hören wir, dass das Land keine großen Sprünge machen könne und die Sparsamkeit und nichts als die Sparsamkeit regieren müsse.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ich habe nichts Falsches gehört. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Und täglich grüßt das Murmeltier! Es ist genau dieselbe alte Leier, die wir zu den zurückliegenden Haushalten bereits gehört haben. Jedes Mal hören wir von der Finanzministerin, diese Landesregierung finanziere in die Zukunft und setze eine solide Finanzpolitik fort.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Ich sehe die Koalitionäre, sie sagen zu allem Ja und Amen und werden der Landesregierung erneut blind folgen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, weil es vernünftig ist.)

Meine Damen und Herren, für die Beurteilung des vorliegenden Haushaltes und der heutigen Debatte ist eine andere Perspektive erforderlich,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ah ja!)

eine Perspektive, die das wirkliche Leben nicht aus dem Blick verliert.

(Torsten Renz, CDU: Und die tragen Sie jetzt vor?!)

Ich könnte auch sagen, von unten sieht man besser.

(Heiterkeit bei Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ah, das ist richtig.)

Wird sich das Leben einer 50-jährigen arbeitslosen Frau in Vorpommern mit diesem Haushalt ändern? Nein! Werden in den ländlichen Räumen mehr Busse fahren? Nein! Wird der Existenzgründer in der Mitte des Landes einen schnellen Internetanschluss erhalten? Nein!

(Vincent Kokert, CDU: Natürlich!)

Wird es für langzeitarbeitslose Menschen eine bessere Perspektive geben? Nein!

(Vincent Kokert, CDU: Natürlich!)

Werden die Kita-Beiträge für die Gemeinden und die Eltern sinken? Nein! Werden die Kreise ihre Straßen und Brücken reparieren können? Nein!

(Vincent Kokert, CDU: Doch!)

Ändert sich überhaupt die Unterfinanzierung der Kommunen? Nein, meine Damen und Herren! Und diese Latte ließe sich fortsetzen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU: Machen Sie mal weiter!)

Seit 25 Jahren, meine Damen und Herren, engagieren sich die Menschen für den Aufbau unseres Landes und sie sind mit Recht stolz auf das Erreichte. Aber in vielen Gesprächen im Land sagen mir die Menschen und sie fragen sich das auch: Wie wird es denn in Zukunft aussehen? Werden wir das Erreichte auch halten können? Ja, es geht um notwendige Investitionen, darum, Straßen und Brücken instand zu setzen und zu modernisieren. Es geht um Wohnungen, die bezahlbar sind, und um die Schule, den Arzt und den Konsum im Dorf. Und es geht um die Frage, wer sich heute und in Zukunft um die alten Menschen kümmert, denn sie haben einen würdevollen Lebensabend verdient. Auf diese Fragen des Heute und des Morgen gibt die Große Koalition mit diesem Haushaltsentwurf keine Antworten.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Da klatscht nicht mal die eigene Fraktion.)

Meine Damen und Herren, die Menschen haben die Sorge, dass sie und ihre Lebensqualität nicht mehr wichtig sind. Diese Sorgen sind nicht aus der Luft gegriffen. Die Fakten Ihrer Politik sprechen für sich. Mit der Kreisgebiets-, Polizei- und Gerichtsstrukturreform hat sich die Landesregierung immer weiter von den Menschen entfernt.

(Zurufe von Dr. Norbert Nieszery, SPD, und Jochen Schulte, SPD)

Sie hat für einen spürbaren Rückzug des Staates aus der Fläche gesorgt. Wenn dann noch Bahnstrecken stillgelegt werden, Busse seltener und gar nicht mehr fahren, die Arztpraxis nicht wieder besetzt wird, die Sparkasse oder die Bank weit weg ist, online die Angelegenheiten aber nicht zu erledigen sind, weil kein schneller Internetanschluss da ist,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Jaja.)

dann fühlen sich viele alleingelassen und packen die Koffer.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, ja, genau.)

Ich will, Herr Nieszery, Fritz Reuter zitieren,

(Heinz Müller, SPD: So erklärt sich der Bevölkerungszuwachs.)

der seinerzeit,

(Zurufe von Heinz Müller, SPD, und Vincent Kokert, CDU)

der seinerzeit dieses Land so beschrieben hat: „Ja, Mecklenburg, du bist in sozialer Beziehung das Land der Extreme,“

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

„du hast Güter, auf denen man darauf studieren muß, die Erträge eines Jahres in einem Jahre aufzufressen, und du hast Büdnereien, in denen man darauf studieren muß, die Erträge eines Jahres nicht an einem Tage aufzufressen.“

Genau. Darum geht es. Wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie wir auf solche Zustände, die von Fritz Reuter beschrieben wurden, zusteuern.

(Heinz Müller, SPD: Ach, Fritz Reuter!)

Das soziale Oben und Unten, Reich und Arm fallen immer weiter auseinander und Sie leisten nicht einen Beitrag, um diese Schere zu schließen.

Mit diesem Haushaltsentwurf, meine Damen und Herren und Herr Ministerpräsident, setzen Sie keinerlei Akzente. Es fehlt Ihnen an Zukunftsideen für unser Land und Sie packen die wirklich wichtigen Probleme erst gar nicht an. Wir sind der Überzeugung, dieser Haushaltsentwurf ist in Zahlen gegossene Stagnation.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Er ist Ausdruck Ihrer Politik: ideenlos, arrogant und ignorant.

Und wissen Sie …

(Vincent Kokert, CDU: Das ist auch das Einzige, was Sie bisher gesagt haben.)

Und wissen Sie …

(Zuruf von Minister Harry Glawe – Regine Lück, DIE LINKE: Kommentare von der Regierungsbank sind nicht gestattet.)

Das glaube ich sehr wohl, Herr Minister.

(Zurufe von Dr. Norbert Nieszery, SPD, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Wissen Sie, wozu das führt? Es führt dazu, dass immer weniger Menschen wählen gehen, dass immer weniger ihre demokratischen Möglichkeiten nutzen. Und wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie sicherlich dem Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas,