Protokoll der Sitzung vom 26.01.2018

(Peter Ritter, DIE LINKE: Später? Ach, später! – Tilo Gundlack, SPD: Ah! Wann ist denn später bei Ihnen?)

Bei dem schon hohen Anteil der Migranten besteht für neu hinziehende Personen

(Peter Ritter, DIE LINKE: Früher oder später.)

weder die Notwendigkeit noch der Anreiz, eventuell bereits vorhandene Deutschkenntnisse einzusetzen und durch Übung zu vertiefen. Im Einzelhandel und bei den Dienstleistern vor Ort werden verstärkt die verschiedenen Sprachen und Dialekte der Hinzugezogenen wahrgenommen.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, mit den Dialekten ist es schwierig, das habe ich auch gemerkt. – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Wenn dann noch der ab März 2018 rechtlich wieder mögliche Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten Realität wird, kann davon ausgegangen werden, dass die Zuzüge in die bereits stark nachgefragten Stadtteile erfolgen und damit der Bevölkerungsanteil der Migranten unverhältnismäßig weiter ansteigen wird.

In der uns nun vorliegenden Anzahl der leerstehenden Wohnungen für die Jahre 2014 und 2016 haben wir im Gesamtüberblick einen Rückgang des Wohnungsbestandes um knapp 14 Prozent zu verzeichnen. Demnach gab es im Stadtteil Neu Zippendorf 2016 nur noch 272 leerstehende Wohnungen, Tendenz fallend. Nach der Festnahme des Terrorverdächtigen Yamen A. führten wir am 13.11.2017 ein von der AfD-Fraktion organisiertes Treffen zur aktuellen Lage der Integration in Neu Zippendorf mit unterschiedlichsten Akteuren und Interessenvertretern durch. Dort wurde uns von der Wohnungsgesellschaft Schwerin mitgeteilt, dass der Bestand an freien 1-, 2- und 5-Raum-Wohnungen gleich null ist.

Neben dem Wunsch der Flüchtlinge nach Anmietung einer eigenen Wohnung prägt die Wohnsitznahme die räumliche Nähe zu Verwandten. Was passiert jetzt, wenn dies nicht mehr möglich ist? Soweit ein Zuzugsverbot nur auf einzelne Stadtteile Schwerins beschränkt würde, wäre eine Verdrängung in die nicht unter das Zuzugsverbot fallenden Stadtteile zu befürchten, sodass auch dort eine soziale und gesellschaftliche Ausgrenzung der Migranten einträte,

(Zuruf von Eva-Maria Kröger, DIE LINKE)

diese unter sich blieben und sie Deutsch nicht als wesentliche Verkehrssprache nutzen würden.

Meine Damen und Herren, unter Annahme weiterer Zuzüge durch die Binnenmigration, sei es durch die räumliche Nähe zur Metropole Hamburg

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

oder durch die kulturelle und familiäre Nähe bestimmter Stadtteile Schwerins, befördern wir soziokulturelle Segregation, verbunden mit einer Gettoisierung und Entfremdung unserer Landeshauptstadt, so, wie wir sie kennen und lieben. Dieser Gefahr werden wir von der AfD-Fraktion uns konsequent entgegenstellen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Die Stadt Schwerin mit ihren knapp 99.000 Einwohnern zählt mit Stichtag zum 30.11.2017 nach Angaben des Ausländerzentralregisters 7.292 ausländische Staatsangehörige. Wir haben insgesamt 2.041 Personen in der Stadt, die als Asylberechtigte, Flüchtlinge oder subsidiär Schutzbedürftige anerkannt sind. Zwar ist die Arbeitslosenquote von 10,4 Prozent (Stand Oktober 2014) auf 8,7 Prozent (Stand Oktober 2017) zurückgegangen, jedoch wird im Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm 2018 vom Jobcenter Schwerin Folgendes angemerkt, Zitatbeginn:

„Mit dem Rückgang des Kundenpotenzials nimmt der Anteil von Kunden mit marktfernen Integrationsprognosen zu. Gleichzeitig ändert sich die Kundenstruktur dahingehend, dass ein immer größer werdender Anteil der Kunden Migrations- bzw. Flucht- und Asylhintergrund hat.

Ein hoher Anteil der Arbeitslosen hat Qualifizierungsdefizite (ohne Berufsabschluss, Ungelernte). Es bedarf eines immer höheren Aufwandes, das Kundenpotenzial auf die vorhandenen Chancen des Arbeitsmarktes auszurichten. Die Zahl der Zugänge aus Erwerbstätigkeit geht wesentlich stärker zurück als die Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit.“ Zitatende.

Des Weiteren sind drei wesentliche Zahlen für die Sozialstruktur Schwerins alarmierend. Die gegenwärtige SGB-IIQuote liegt bei 17 Prozent, das heißt, zumindest jeder Sechste in Schwerin. Die gegenwärtige Kinderarmutsquote – Kinder unter 15 Jahren im Sozialgesetzbuch II – liegt bei 26,3 Prozent, das heißt, zumindest jedes vierte Kind. Und von den insgesamt 9.061 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Sozialgesetzbuch II haben 2.796 einen Migrationshintergrund, das heißt, fast jeder Dritte von den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten.

Nach meiner Einschätzung sprechen diese Zahlen Bände. Die Stadt Schwerin und das Jobcenter sind, um eine adäquate Qualifizierung und Betreuung für eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt erreichen zu können, an der Belastungsgrenze. Dabei erweist sich die – bezogen auf die Gesamtbevölkerung und die Gruppe der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte – überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit in der Stadt Schwerin als zusätzliches Hindernis für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Handeln wir deshalb jetzt!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Yamen A. war kein Einzelfall,

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

sondern die Spitze des Eisberges, der den Namen Parallelgesellschaft trägt und durch ein „Wir schaffen das“ in unserer Landeshauptstadt getragen worden ist.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Als Lokalpatriot und Stadtvertreter Schwerins möchte ich den sozialen Frieden und inneren Zusammenhalt meiner Heimatstadt nicht weiter in Gefahr sehen. Als Landtagsabgeordneter möchte ich nicht – wie im Fall Salzgitter, wo die negative Wohnsitzauflage durch den Innenminister zu spät erlassen worden ist – vor einem finanziellen Scherbenhaufen stehen.

Herr Lerche, ich habe Ihnen eine halbe Minute länger gegeben und schalte jetzt das Mikrofon ab.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat zunächst der Minister für Inneres und Europa Herr Caffier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten!

Lieber Kollege Lerche, Sie haben mal wieder unterschiedliche Begrifflichkeiten durcheinandergeworfen, Sie haben Zahlen durcheinandergeworfen. Sie müssen das schon ertragen, dass man auch das eine oder andere richtigstellt. 20 Prozent der Flüchtlinge in Schwerin untergebracht –

(Peter Ritter, DIE LINKE: Fachkräftepotenzial im Landtag!)

also es tut mir leid, im Gegenteil, Schwerin hat sogar einen Verrechnungsfaktor, weil es Stern Buchholz mit als Außenstelle/Aufnahmeeinrichtung hat, die ihnen weniger zuweist.

(Dirk Friedriszik, SPD: Genau.)

Und jetzt sage ich Ihnen mal, sozialen Unfrieden stiften Sie, indem Sie hier mit Begrifflichkeiten und Zahlen umherhantieren, die so nicht stimmen. Deswegen ist das eher,

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

eher die Gefahr, die ich sehe. Ich gehe in meiner Rede auf die Dinge noch mal ein.

Sie haben, wie gesagt, den Antrag gestellt, von der Wohnsitzregelung im Paragrafen 12a Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes Gebrauch zu machen und für die Landeshauptstadt einen Erlass zu erwirken, der ein Verfahren und Regelungen zu einer Zuzugsbeschränkung für Schwerin erlässt. Dabei sind Sie gerade am Ende Ihrer Rede auf die Entstehung von sozialen Brennpunkten eingegangen und darauf, dass durch einen hohen Anteil an Flüchtlingen und Migranten in diesem Gebiet für neu hinzuziehende Personen kein Anreiz bestände, Deutsch zu lernen oder zu vertiefen.

Lieber Herr Lerche, meine Kollegen von der AfD, dies ist nichts weiter als ein bürokratischer Versuch einer Symptombekämpfung, etwas, was Sie anderen ja im Übrigen gerne immer selbst vorwerfen oder unterstellen. Aber

durch Ihren Vorschlag werden doch keine Integrationsherausforderungen gelöst. Im Übrigen sehe ich persönlich die Gefahr in dem Ausmaß, wie Sie es beschreiben, nicht. Stattdessen hilft das Land – und hier jetzt auf Schwerin bezogen insbesondere auch die Stadt – denjenigen bei der Bewältigung der im Antrag erwähnten Probleme. Doch hierauf komme ich noch zu sprechen.

Zunächst ist für mich besonders wichtig, dass wir mit der Begrifflichkeit sauber umgehen und nicht in der schon schwierigen, komplexen Lage der Bevölkerung noch falsche Begriffe und falsche Zahlen vermitteln. In Punkt 1 Ihres Antrages sprechen Sie richtigerweise noch von „Asylberechtigten“, Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und sogenannten „subsidiär Schutzberechtigten“. Beim eigentlichen Kernpunkt Ihres Antrages – Sie warnen vor soziokultureller Segregation und einer Gettoisierung – sprechen Sie aber schon wieder von „Flüchtlingen und Migranten“,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

schmeißen also die Begrifflichkeiten in einen Topf und schüren damit letztendlich eben Ängste.

Warum ist die Trennung dieser Begrifflichkeiten denn so wichtig? Asylbewerber unterfallen nicht der Wohnsitzregelung – das sollten Sie oder Ihr Redenschreiber wissen, das ist das Aufenthaltsgesetz –,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Der hat nicht die richtige Rede gefunden zum Abschreiben.)

sondern haben auf der Grundlage des Asylgesetzes eine grundsätzliche Verpflichtung zum Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung oder später in den Unterkünften, die ihnen zugewiesen werden. Die entsprechende Zuweisung an die Landkreise und kreisfreien Städte erfolgt nach einem Verteilungsschlüssel, auf den wir uns gemeinsam mit den Landesverbänden verständigt haben, der sich eben nach dem Verhältnis der Einwohnerzahl der Landkreise und kreisfreien Städte zur Einwohnerzahl des Landes ergibt. Dazu gibt es noch die eine oder andere Verrechnung für die Landkreise beziehungsweise Städte – in dem Fall Schwerin beziehungsweise Ludwigslust-Parchim –, die durch die Erstaufnahmeeinrichtungen besondere Faktoren erhalten, die die Belastungen, die sie durch die Erstaufnahmeeinrichtungen haben, berücksichtigen.

Wir reden aber im Zusammenhang mit den aufenthaltsrechtlichen Wohnsitzregelungen von anerkannt Schutzberechtigten und somit im Falle von Schwerin nicht von 7.000 „Flüchtlingen und Migranten“, wie Sie es pauschal im Antrag betiteln, sondern eben nur von den rund 2.000 Personen, die Sie hier noch mal erwähnt haben.

Sie fordern nun, den Paragrafen 12a Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes anzuwenden. Der Gesetzgeber geht von einer Prognoseentscheidung der Ausländerbehörde aus, ob die Gefahr sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung besteht. Wichtig dabei ist die Frage, ob ein Betroffener weitgehend ohne Kontakt zur Aufnahmegesellschaft lebt. Das ist hier nicht gegeben. Bei den von Ihnen beschriebenen Gettos gibt es sicherlich in Deutschland das eine oder andere Gebiet, wo man aufpassen muss, ob man über viele Jahrzehnte die richtige Entscheidung getroffen hat, aber das trifft nun nicht für unser Land und gleich gar nicht für Schwerin zu, zumal

bei uns bisher keine Zahlen vorliegen, die die von Ihnen beschriebenen Gefahren mit sich bringen.

Auf dem Dreesch hatten nach der Wiedervereinigung zunächst Spätaussiedler eine Wohnung gefunden. Nun finden dort anerkannte Flüchtlinge eine Aufnahme. Das ist an sich doch völlig in Ordnung. Natürlich, auch das wird keiner bestreiten, läuft das nicht immer vollkommen reibungslos ab, weder in Schwerin noch in anderen Regionen, aber das gehört dazu, dass wir bei so einer Frage auch mit Problemen umgehen müssen. So leben auf dem Dreesch überproportional viele Personen und Familien mit geringen Einkommen. Dass sich das auch auf das soziale Gefüge vor Ort auswirkt, liegt natürlich auf der Hand, das darf man nicht negieren. Trotzdem ist der Dreesch eben absolut keine No-go-Area. Stadt und Zivilgesellschaft in Schwerin sind auf dem Dreesch außerordentlich aktiv und haben in den zurückliegenden Jahren viel getan, um genau diesen sozialen Zusammenhalt in unterschiedlichen Formen gestalten zu können. Auch wird Deutsch – jedenfalls, wenn ich auf dem Dreesch unterwegs bin – nicht als Verkehrssprache abgelöst, dafür ist die Herkunft der zugezogenen Menschen viel zu unterschiedlich.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Richtig! – Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Ganz wichtiger Punkt.)