Protokoll der Sitzung vom 15.03.2018

Antrag der Fraktion der BMV Verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse an Schulen – Drucksache 7/1810 –

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion der BMV der Fraktionsvorsitzende Herr Wildt.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich sehr, dass ich heute so einen weiteren wichtigen und guten Antrag vorstellend darf, über den auch in der Presse berichtet wurde, und die Regierungsfraktionen haben sozusagen teilweise schon über die Presse geantwortet.

(Andreas Butzki, SPD: Ja.)

Das ermöglicht mir sogar jetzt schon, bei der Einbringung darauf einzugehen, welche dürren Argumente da von der anderen Seite gekommen sind.

(Egbert Liskow, CDU: Was?!)

Ich möchte erst noch mal sagen, was wir nun eigentlich beantragen, denn auch da ging schon einiges verkehrt in der Diskussion, in der Vordiskussion. Wir beantragen, dass die Landesregierung aufgefordert wird, ein Konzept vorzulegen, wie obligatorische Erste-Hilfe-Kurse für alle Schüler und Lehrkräfte in Mecklenburg-Vorpommern in die Lehrpläne für weiterführende Schulen zu integrieren sind. Wir fordern also lediglich die Regierung auf, ein Konzept vorzulegen. Und das sage ich jetzt hier direkt ganz am Anfang: Ich wünsche mir, dass wir das im Bildungsausschuss gemeinsam diskutieren, dass wir dieses

Konzept gemeinsam letzten Endes erstellen, und ich kann mir, ehrlich gesagt, beim besten Willen überhaupt kein Argument vorstellen, was dagegenspricht.

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Denn worum geht es? Worum geht es im Einzelnen? In Deutschland verunglücken pro Jahr circa zehn Prozent der Bevölkerung, das ist also eine nennenswerte Anzahl, manche verunglücken sogar mehrfach. Diese sind dann sozusagen Unglückspilze, weil sie mehrere haben,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Das heißt Unglücksraben und Glückspilze. – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und BMV – Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

aber insgesamt kommen wir auf zehn Prozent.

Glückspilze und Unglücksraben, ja, vielen Dank, Frau Oldenburg! Richtig, das sind dann die Raben.

Zehn Prozent Unglücksfälle sind eine nennenswerte Anzahl. Das sind noch nicht die sogenannten Herzstillstände, über die auch immer wieder im Vorfeld gesprochen wurde, das sind etwa 100.000 Herzstillstände pro Jahr, die noch obendrauf. Da gibt es ganz genaue Zahlen von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, die kann jeder noch mal genau recherchieren, wie sich diese Zahlen verändern, aber letzten Endes bleibt es Pi mal Daumen bei dieser Größenordnung. 15 Prozent dieser Unfälle passieren in der Schule und die weitaus meisten Unfälle passieren zu Hause beziehungsweise in der Freizeit.

(Andreas Butzki, SPD: Richtig!)

Damit möchte ich noch mal ganz kurz auf die Arbeitswelt kommen. Ich war ja jahrzehntelang in Unternehmen tätig, auch in führender Position, und ich weiß, wie wichtig die Arbeitssicherheit ist. Das haben wir ganz groß aufgebaut. Die Arbeitssicherheit ist ein wesentliches Thema. Viele Firmen geben sich sehr viel Mühe, die Arbeitsprozesse sicher zu gestalten, und die Unfallzahlen sind tatsächlich über die Jahrzehnte deutlich zurückgegangen. Da haben wir also Riesenerfolge erzielt. Umso wichtiger ist es jetzt, auch im Freizeitbereich, im Schulbereich und im häuslichen Bereich nachzuziehen und zu überlegen, wie man da noch zu Verbesserungen kommen kann, denn da ist im Moment unsere Schwachstelle.

Das Deutsche Rote Kreuz macht regelmäßig Untersuchungen darüber, wie viele Menschen Erste-Hilfe-Kurse besucht haben und wie viele sich davon auch in der Lage sehen, tatsächlich Erste Hilfe zu leisten. Mich hat ein bisschen überrascht, dass lediglich 79 Prozent tatsächlich mal einen Kurs gemacht haben laut der Umfrage, die ich gefunden habe. Ich hätte eigentlich mit 100 Prozent gerechnet, aber offensichtlich gibt es Menschen, die gar keine Fahrerlaubnis haben, oder wie auch immer, jedenfalls sich an keinen Kurs mehr erinnern können. Von denen, die einen Kurs gemacht haben, trauen sich aber zwei Drittel der Menschen nicht zu, tatsächlich Erste Hilfe zu leisten. Und das ist ein Punkt, bei dem man nachfragen muss, warum das so ist. Wie können wir diese Quote erhöhen? Wie können wir es schaffen, dass die Bereitschaft, Erste Hilfe im Notfall zu leisten, ansteigt?

Bei der Wiederbelebung komme ich noch mal auf diesen zusätzlichen Aspekt, wie gesagt, kein Unfall, sondern es geht um den Herzstillstand. Gerade da zählt wirklich jede Sekunde. Es kommt auf die ersten fünf Minuten an. Pro Minute, die nicht eingegriffen wird, geht die Sterblichkeit um zehn Prozent nach oben oder, andersherum gesagt, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent.

In den USA – Sie wissen das noch von gestern, ich schaue immer ganz gern mal über den Tellerrand hinaus – hat man sich dieser Aufgabe schon sehr früh gestellt und es gibt in den Schulen, sogar schon in den Kindergärten Maßnahmen, dem Alter und der Entwicklung entsprechend, um die Kinder an die Erste Hilfe, wie gesagt, altersgerecht, heranzuführen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Falls mal wieder geschossen wird an der Schule, ist das auch notwendig.)

Das ist insofern tatsächlich besonders wichtig, weil die Kinder im Laufe der Jahre durch dieses ständige Wiederholen, durch dieses Trainieren jegliche Scheu vor der Ersten Hilfe verlieren, denn bei den zwei Dritteln der Menschen, die sich nicht in der Lage sehen, Erste Hilfe zu leisten, ist es die Angst, etwas verkehrt zu machen. Viele von ihnen, denke ich mal, dürften wissen, dass unterlassene Hilfeleistung eine strafbare Handlung ist, und viele haben Angst, einen Fehler zu machen und vielleicht dem Verletzten oder dem Hilfebedürftigen sogar noch zu schaden. An dieser Stelle müssen wir eingreifen. Bei den gleichen Umfragen ist übrigens auch herausgekommen, dass 95 Prozent der Deutschen gemäß dem Deutschen Roten Kreuz dafür sind, die Integration der Erste-Hilfe-Kurse an den Schulen vorzunehmen. 95 Prozent!

Wie die Schulung nun aussehen soll, ist offen. Das haben wir bewusst in unserem Antrag offengelassen, um Ihnen eigentlich eine Brücke zu bauen und zu sagen, das müssen wir tatsächlich erst noch herausfinden, wie wir das machen. Das ist natürlich auch eine Geldfrage, wie stark man da herangehen will. Aber noch mal, ganz wichtig: Wir müssen etwas tun, altersgerecht und entwicklungsgerecht zu den Kindern. Diese Schulung könnte zum Beispiel in Form von regelmäßigen Projekttagen stattfinden. Sie könnte auch stattfinden in Form von zwei Schulstunden pro Jahr. Also es gibt eine Fülle von Ideen und Vorschlägen und darüber möchten wir natürlich gern mit Ihnen sprechen.

(Andreas Butzki, SPD: Gern.)

Noch mal: Es geht letzten Endes darum, Menschenleben zu retten.

Sie werden mir sicherlich gleich entgegnen oder dagegenhalten, dass es das in Mecklenburg-Vorpommern schon gibt.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Gibt es nicht.)

Das ist ja das, was Sie dann eigentlich immer tun.

(Andreas Butzki, SPD: Nein.)

Ja, okay. Sie reden die Situation eigentlich sonst immer recht gern schön.

Ich habe mich darüber informiert, …

(Andreas Butzki, SPD: Wir hören weiter zu.)

Herr Butzki vielleicht nicht, das ist eine löbliche Ausnahme.

Ich habe mich darüber informiert, was es schon in Mecklenburg-Vorpommern gibt. Es gibt ja freiwillige Maßnahmen. Es gibt insbesondere die Kurse von der Björn Steiger Stiftung.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Die gibt es eben nicht mehr.)

Also die gab es, muss man sagen, und die sind sehr gut angekommen. Aber leider haben wir es nicht geschafft, diese Kurse zu verstetigen, obwohl sich Eltern das gewünscht haben und die Ergebnisse so gut waren.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau.)

Ich möchte allerdings bei der Gelegenheit auch mal an Björn Steiger persönlich erinnern. Das war ein kleiner Junge, der acht Jahre alt war.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Neun.)

Er wurde vom Auto überfahren, und bis der Krankenwagen eintraf, verging eine Stunde. Er starb nicht an den Folgen des Autounfalls, sondern am Schock. Das heißt, man hätte ihm ganz leicht helfen können, aber es war niemand da, der ihm helfen konnte. Das ist schon lange her, aber leider hat sich die Situation tendenziell nicht verbessert. Sie hat sich eher verschlechtert. Wie gesagt, die Hilfsbereitschaft ist eher zurückgegangen. Das war 1968, Herr Ritter.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Das ist so lange her, wie ich alt bin, das war 69.)

Also ich habe hier stehen 68.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: 69!)

Aber darüber brauchen wir uns, glaube ich, nicht zu streiten, Frau Oldenburg. Es gibt viel wichtigere Dinge.

Andere Länder – ich sagte gerade schon, die USA, aber auch bei uns ganz in der Nähe – haben daraus die Lehren gezogen. Dänemark zum Beispiel hat eine Pflichteinheit an den Schulen eingeführt und dort stieg anschließend innerhalb von fünf Jahren die Wiederbelebungsrate von 20 auf 45 Prozent, die Überlebensrate verdoppelte sich. Das sind Tatsachen und Fakten, die man nicht einfach vom Tisch wischen darf. Und am 30.06.2014 hat der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau.)

die Einführung von Modulen über das Thema Wiederbelebung in dem vorgesehenen Zeitumfang von zwei Unterrichtsstunden pro Jahr ab der Jahrgangsstufe 7 befürwortet und den Ländern empfohlen, die Lehrkräfte auch entsprechend schulen zu lassen.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau.)

Leider ist das, wie gesagt, zum größten Teil noch nicht umgesetzt worden. Es gab aber schon diverse Versuche. Also ich bin hier nicht der Erste, der für dieses Thema spricht, auch daran möchte ich erinnern. In Hamburg war das die SPD, Herr Butzki und Herr Krüger. Viel mehr sind ja leider von Ihrer Fraktion gerade nicht da, die ich ansprechen könnte.

In Hamburg hat die SPD diesen Antrag gestellt, einen ähnlichen Antrag, im Saarland waren das die Piraten, die gab es da auch mal, in Bayern waren es die GRÜNEN, wobei die Bayern, das überrascht mich persönlich nicht, da natürlich wieder Vorreiter waren. Die haben schon seit 20 Jahren entsprechende Richtlinien. Da gibt es das Programm der Juniorretter. Diese werden dort schon in der 3. und 4. Klasse ausgebildet, wie gesagt, immer altersgerecht. Sie können natürlich noch nicht die Herzdruckmassage lernen, das geht erst ab der 7. Klasse laut Empfehlung des Verbandes.

In Hamburg haben dann noch mal die LINKEN einen ähnlichen Antrag gestellt. In Nordrhein-Westfalen finden wir das im Koalitionsvertrag des letzten Jahres zwischen der CDU und FDP. Auf besonderen Wunsch der FDP ist das dort reingekommen, entspricht zwar nicht ganz dem, was wir uns vorstellen, aber alles, was in die richtige Richtung zeigt, rettet Menschenleben. In Bayern, das habe ich gerade erwähnt, gibt es schon seit 1997 ähnliche Kurse.

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es auch einen Rahmenplan. In dem Rahmenplan ist das als freiwilliges Angebot durchaus vorgesehen, aber freiwillig ist eben nicht verpflichtend. Dieses Argument, was mir auch im Vorfeld schon zugetragen wurde, wir möchten das gern, dass das im Rahmen der gebundenen Ganztagsschule als freiwilliges Angebot weiter mit aufgehoben wird, ist ja nicht zielführend. Dann ist es eben nur freiwillig und das hat einmal den Vorteil, der schon im Wort liegt. Der große Nachteil ist aber der, dass es dem Schulträger obliegt, diese Kurse durchzuführen, zu organisieren und vor allen Dingen auch zu finanzieren, denn ganz ohne Geld kann man das natürlich nicht machen.