Protokoll der Sitzung vom 08.12.2016

Das hat mehrere Gründe: Zum einen lassen sich die psychosozialen Prozessbegleiter doch mit anderen Berufsgruppen vergleichen, die für ihre Tätigkeit im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vergütet werden, wie etwa die Verfahrensbeistände in Kindschaftssachen oder aber auch Betreuer. Weitere Beispiele ließen sich nennen. Alle diese Personen erhalten eine bundesgesetzlich geregelte Vergütung, weil sie eine bundesgesetzlich geregelte Leistung erbringen. Eine stellenbezogene Förderung ist in diesem Bereich auch kein Thema. Zum anderen erscheint das auch mit Blick auf den Haushalt vernünftig, den durchschnittlichen Aufwand für den einzelnen Fall zu vergüten. Das sehen fast alle anderen Bundesländer übrigens genauso und werden sich nach dem derzeitigen Stand ebenfalls auf die bundesgesetzlich geregelte Fallpauschale vereinbaren. Lediglich zwei Bundesländer gehen einen anderen Weg. SchleswigHolstein hat sich für eine stundenweise Vergütung entschieden und Niedersachsen beabsichtigt, zwar die bundesgesetzliche Fallpauschale zu zahlen, aber zusätzlich einen Zuschuss von jährlich 9.000 Euro je Stelle zu finanzieren.

Sie sehen, meine Damen und Herren, von einer Vollfinanzierung durch stellenbezogene Förderung ist in keinem anderen Bundesland die Rede und das werden wir voraussichtlich auch nicht tun können. Andererseits, meine Damen und Herren, ist nicht zu übersehen, dass es keine vier Wochen mehr sind bis zum Inkrafttreten des

gesetzlichen Anspruchs. Keiner will, dass bisherige Strukturen einfach wegbrechen, und im Übrigen ist eines selbstverständlich: Der gesetzliche Anspruch muss auch erfüllt werden können. Ich habe daher gleich zu Beginn meiner Amtszeit mit den bislang im Rahmen unseres Projektes tätigen vier Prozessbegleiterinnen gesprochen, die sich – das sei ausdrücklich unterstrichen – in sehr hohem Maße verdient gemacht haben in dem Projekt und deren Fachwissen auch künftig gebraucht wird.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Aber wenn die entlassen sind?!)

Außerdem habe ich in den vergangenen Wochen mit den Trägervereinen gesprochen und mit ihnen Folgendes vereinbart: Wir sehen es gemeinsam als notwendig an, eine finanzielle Übergangsregelung zu treffen. Ich möchte daher die bisher stellenbezogene Finanzierung bis zum 30. Juni 2017 fortsetzen, um die Möglichkeit zu eröffnen, dem Gesetzgebungsverfahren ausreichend Raum zu geben. Ich bin zuversichtlich, dass letzte Abstimmungen hierzu in den nächsten Tagen intern abgeschlossen werden können. Eine Reihe von Prozessbegleiterinnen hat im Übrigen bereits das Interesse bekundet, ihre Arbeit auch über den 1. Januar 2017 hinaus fortzusetzen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Dinge sind auf dem Weg. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE hingegen ist aus meiner Sicht nicht zustimmungsfähig.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Doch, im ersten Punkt, haben Sie gesagt. Doch, haben Sie gesagt. – Peter Ritter, DIE LINKE: Richtig.)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Simone Oldenburg, DIE LINKE: Dann können wir ja die getrennte Abstimmung beantragen.)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Tegtmeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Also den Zwischenruf, dann lassen wir das getrennt abstimmen, finde ich, ehrlich gesagt, lächerlich.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Warum?)

Wir stehen seit Jahren hinter diesem Projekt,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Dann können Sie unserem Antrag ja im Ganzen zustimmen, das ist auch gut.)

wir haben das mehrmals hier thematisiert und immer wieder betont und auch immer wieder die ehemalige Justizministerin dafür gelobt, denn letztendlich ist diesem Modellprojekt praktisch ein Quantensprung im Opferschutz gelungen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ach, Frau Tegtmeier, seien Sie doch mal ein bisschen entspannter!)

Ich darf daran erinnern, vor dem Jahr 2000 war das Wort „Opferschutz“ eher eine leere Hülse, da gab es nicht viel,

worauf Opfer pochen konnten und wo sie sich Unterstützung staatlicherseits herholen konnten.

Ich denke mal, die beiden Reden, die von Frau Bernhardt und die von Frau Justizministerin Hoffmeister, haben eigentlich genau die Krux hervorgebracht: Auf der einen Seite haben wir ein Modellprojekt, das die psychosoziale Prozessbegleitung für besonders hilfebedürftige Opfer hier im Land sicherstellt, auf der anderen Seite haben wir einen bundeseinheitlich geregelten Rechtsanspruch, der ab dem 01.01.2017 gilt. Dieser Rechtsanspruch ist eng an die Prozessbegleitung als solche angelehnt. Unser Modellprojekt geht weit darüber hinaus. Das geht ja sogar so weit, wenn Sie sich mal die wissenschaftliche Auswertung in 2012 angeschaut haben – das werden Sie sicherlich im Vorfeld dieser Debatte getan haben –, dann ist durchschnittlich kritisch bewertet worden, wie das zurzeit läuft, wo es hapert, wer besondere Bedarfe hat, um überhaupt aufgeschlossen zu werden.

Seinerzeit wurde das gerade bei den Staatsanwaltschaften sehr kritisch gesehen. Es galt zu dem Zeitpunkt, überhaupt erst mal ein Netz aufzubauen. Es galt, alle notwendigen Stellen zu informieren, sie zu sensibilisieren. All das musste erst mühsam aufgebaut werden, das gab es ja noch gar nicht.

Ein ganz großer Anteil der Arbeitszeit Ende 2012 – das ist auch in dem Bericht dokumentiert – fiel der Aufgabe anheim, dass man sich intensiv um die Angehörigen gekümmert hat. Selbstverständlich haben auch Angehörige Bedarfe, was aber natürlich nicht in diesen Rechtsanspruch fällt, über den der Gesetzentwurf des Prozessbegleitungsausführungsgesetzes hier Bestimmungen trifft. Deswegen kommt man da nicht umhin zu fragen: Wenn wir diesen Rechtsanspruch mit einem Ausführungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern einführen, reicht uns das aus? Das haben Sie infrage gestellt. Reicht uns das aus? Sollen alle anderen Dinge aus unserem Modellprojekt wegfallen? Darüber muss man diskutieren. Darüber muss man wirklich diskutieren und deswegen bin ich der Justizministerin sehr dankbar, dass sie ein halbes Jahr praktisch Diskussions- und Erörterungszeit hier draufgelegt hat, um tatsächlich uns selbst noch mal klar darüber zu werden, ob es uns nun ausreicht, ob die Vernetzung in dem ausreichenden Maße stattgefunden hat, dass auch tatsächlich jede Polizeidienststelle weiß, hier ist ein Opfer, vielleicht seelisch noch ein bisschen unreif, ich mache es darauf aufmerksam, dass es jetzt eine Prozessbegleitung an die Hand bekommt.

Ich kenne Fälle, da läuft das ganz anders. Ich kenne Fälle, da ist es so gewesen, dass eine junge Frau ganz im Gegenteil nicht darauf aufmerksam gemacht wurde. Sie wurde nicht nur darauf nicht aufmerksam gemacht, sondern auch ihre Vertrauensperson aus der sie betreuenden Einrichtung durfte nicht während der Aussage anwesend sein. Also ob der Beratungsbedarf, ob der Bedarf an Sensibilisierung aller zuständigen Stellen wirklich abgeschlossen ist, das müsste man in der Tat erörtern.

Aber, Frau Bernhardt, Sie haben uns vorhin die Zahlen auf den Tisch gelegt von den Fällen, die im Laufe des Projektes betreut wurden, die begleitet wurden, und wenn Sie das getan haben, dann haben Sie auch ganz genau gesehen, wie unterschiedlich unsere Prozessbegleiterinnen aufgestellt sind, wie es sich entwickelt hat. Auch heutzutage haben sie noch unterschiedliche Stel

lenanteile, aber vor allen Dingen haben sie eine vollkommen unterschiedliche Anzahl von Fällen, die sie betreuen. Das differiert dermaßen, dass es so, wie es jetzt ist, überhaupt nicht gerecht sein kann. Es kann nicht gerecht sein, einfach weiter diese Stellen auszufinanzieren. Sie sprachen vorhin selbst von einer erforderlichen Aufstockung, wenn wir den Rechtsanspruch hier einführen, aber ich denke, das reicht auch noch nicht aus.

Auch in dem Bericht von 2012 können Sie lesen – zu dem Zeitpunkt gab es ja erst zwei Prozessbegleiterinnen, das war hier in Schwerin und in Neubrandenburg –, da wurde festgehalten, dass es absolut unmöglich ist, diese riesigen Gebiete abzugrasen. Das würde der Sache nicht gerecht werden. Nun haben wir vier übers ganze Land verteilt, aber ich würde behaupten, auch das wird der Sache nicht gerecht, weil immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Wohnortnähe gegeben sein muss und nicht die Zeit von langen Wegezeiten aufgezehrt werden darf, weil diese Fälle einer unglaublichen Sensibilität bedürfen.

Ich glaube, wir müssen uns auf wesentlich breitere Füße stellen, wir brauchen mehr Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter beziehungsweise Menschen, die dazu ausgebildet wurden. Auch darum dreht sich ja das Gesetz, wie ich die Anerkennung erreiche, Prozessbegleiterin oder Prozessbegleiter zu werden.

Und dann kann man natürlich auch noch mal gucken, wie diese angedachten Pauschalen entstanden sind. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah meiner Kenntnis nach ganz andere Pauschalen vor. Erst der sechste Ausschuss des Bundestages hat da noch mal kräftig etwas draufgelegt, als man beispielhaft die anfallenden Kosten unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern mit zugrunde legte.

Deswegen sage ich: Nein, man kann nicht einfach eins zu eins sagen, wir müssen unbedingt die stellenbezogene Förderung so beibehalten. Ich finde, man kann sogar darüber diskutieren, ob wir für alle Betroffenen eine einheitliche Fallpauschale brauchen. Wir wissen ja, dass es von Fall zu Fall auch vollkommen unterschiedlich ist. Es ist etwas ganz anderes, wenn ich eine junge Erwachsene habe, als wenn ich vielleicht jemanden aus einer Opfergruppe habe, die leider besonders oft betroffen sind, Kinder, die körperlich oder geistig behindert sind. Ich denke mal, dass der Betreuungsaufwand für diese Gruppe größer ist als für andere Altersgruppen oder Kinder, die noch nicht so – ich sage mal, vorsichtig ausgedrückt – vorgeschädigt sind. Da hat man sicherlich jede Menge Gesprächsbedarf, was man noch gründlich diskutieren müsste. Einzelpunkte oder generell die Fallpauschalen abzulehnen und die stellenbezogene Förderung einfach so fortzusetzen, halte ich erst mal für falsch.

Das hat auch noch einen anderen ganz großen Pferdefuß – ich glaube, die Ministerin hat es auch schon gesagt –, der Gesetzentwurf lässt es zwar zu, dass wir stellenbezogen weiter fördern oder weiter finanzieren, aber er schließt aus, stellenbezogene Kosten auf die Gerichtskosten umzulegen. Das sieht dieser Gesetzentwurf nur für diese Fallpauschalen vor. Und das ist ein Grund, warum man den Antrag zu diesem Zeitpunkt, so, wie er formuliert ist, nur ablehnen kann. Lassen Sie uns noch mal gründlich diskutieren! Sicherlich haben wir das eine oder andere hier noch aufzuarbeiten, aber dieser Antrag findet unsere Zustimmung zurzeit nicht.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Echt schade.)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Professor Weber.

Liebe Bürger von MecklenburgVorpommern! Wertes Präsidium! Werte Kollegen! Liebe Gäste! Vieles von dem, was zu der psychosozialen Prozessbegleitung zu sagen war, ist in dem Einbringungsvortrag von Frau Bernhardt und in den Worten der Justizministerin schon gesagt worden. Bei Frau Tegtmeier, muss ich sagen, habe ich mit großem Interesse zugehört, wundere mich aber über Ihre Beschlussempfehlung.

(Martina Tegtmeier, SPD: Dann haben Sie mir nicht zugehört.)

Ich hätte eigentlich gedacht, nach dem Vortrag hätte Zustimmung zum Antrag als logische Konsequenz kommen müssen.

(Martina Tegtmeier, SPD: Dann haben Sie mir nicht zugehört.)

Meine Damen und Herren, Sie alle kennen den viel zitierten Satz, der während und nach der Wende in jedermanns Munde war: „Wir haben Gerechtigkeit erwartet und den Rechtsstaat bekommen.“ Ein Teil dieses Rechtsstaates …

(Thomas Krüger, SPD: Ich habe die Wende mitgemacht. Ich weiß nicht, ob Sie über die Wende reden können.)

Ich habe sie auch mitgemacht, zwar von der anderen Seite, aber mit viel Freude und mitgemacht.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der SPD)

Jedenfalls ist ein Teil des Rechtsstaates, den man bekommen hat, eine einseitig auf Tätersicht und Täterbetreuung ausgerichtete Justiz gewesen, sodass es sehr zu begrüßen ist, dass nach und nach Opferschutzgesichtspunkte nachgebessert worden sind. Ein wesentlicher Teil des Opferschutzes ist auch diese psychosoziale Prozessbegleitung, über die wir hier sprechen. Die ganze Zeit ging es um Verbrechensopfer, Kinder und Jugendliche, die Opfer von sexueller Gewalt und/oder sexuellen Gewalttaten geworden sind. Ich glaube, schon das allein macht die Brisanz des Themas deutlich.

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass das Modellprojekt, das hier in Mecklenburg-Vorpommern gestartet wurde, so erfolgreich war, dass es sich zu einem bundesgesetzlichen Anspruch verdichtet hat, der sich jetzt in Paragraf 406 Ziffer g der StPO wiederfindet. Aber keine Rose ohne Dornen, oder man muss hier vielleicht noch besser sagen: so viele Dornen, dass das ganze Modellprojekt daran zu ersticken droht – die Finanzierung.

Meine Damen und Herren, das Modellprojekt war durch eine Vollfinanzierung des Landes gekennzeichnet. 90 Prozent der erforderlichen Mittel wurden vom Land finanziert, 10 Prozent haben die Trägervereine, also der Kinderschutzbund, Caritas und der Verein „Hilfe für Opfer von Straftaten“ aufgebracht. Dafür waren im Haushalt 2016

200.000 Euro eingestellt und diese finden sich auch im Haushalt für das Jahr 2017.

Der bundesweite Gesetzesvorschlag sieht stattdessen – wir haben das bei den Worten der Justizministerin gehört – eine Finanzierung durch Fallpauschalen vor. Die Höhe der Fallpauschalen ist auch genannt worden, das waren diese besagten 570 Euro für die vorprozessuale Begleitung, insbesondere also die Hinweise, die erforderlich sind an die Opfer solcher Taten und an die die Familien Begleitenden, im Umfeld Mitbetroffenen, wie man sich auf Zeugenaussagen, auf die Angriffe eventuell, die von den Verteidigern der Täter vorgebracht werden, vorbereiten muss, dann die eigentliche Prozessbegleitung und eine Nachbegleitung.

Insgesamt, das wurde gesagt, gibt es Fallpauschalen in Höhe von 1.100 Euro. Wenn man sich die in der Tat unterschiedlichen Zahlen aus Mecklenburg-Vorpommern anschaut, dann war der Zeitbedarf etwa 50 Stunden pro Einzelfall mit einer zeitabhängigen Berechnungshöhe von knapp unter 2.000 Euro. Hier klafft jetzt also zu der bisherigen Vollfinanzierung und dem Fallpauschalensystem eine Lücke von etwa 900 Euro in der Finanzierung. Das ist der Pferdefuß der Neuregelung, aber der Bundesgesetzgeber hat die Öffnungsklausel eingebaut, damit die Länder entweder durch Zuschüsse oder durch Abkehr von dem Fallpauschalensystem bei der bisherigen Vollfinanzierung bleiben können.

Und, Frau Ministerin, wenn Sie gesagt haben, eine Reihe von bisherigen Prozessbegleiterinnen – es waren ja vier Damen – hat sich bereits dafür ausgesprochen, das weiterzumachen, also zwei wurden gekündigt. Bei diesen haben die Trägervereine die Verträge zum Ende des Jahres gekündigt. Wenn eine Reihe weniger als vier betrifft, und das ist der Fall, dann droht schon ein erheblicher Ausfall an Prozessbegleitern.

Hintergrund ist, dass mit dem Fallpauschalensystem der bisherige intensive Einsatz der Prozessbegleiterinnen für die Opfer solcher Straftaten nicht mehr zu finanzieren ist. Das liegt insbesondere an den relativ geringen Opferzahlen hier im Lande, sodass das Fallpauschalensystem bei den Prozessbegleiterinnen zu finanziellen Ausfällen in einer Form führen würde, dass die Existenz der Damen auf dem Spiel steht.

Deswegen, denke ich, ist es ein wichtiges Zeichen, gerade auch im Sinne des Opferschutzes, dass dieses Land vor allem die Opfer von Straftaten und nicht immer nur die Täter in den Blick nimmt. Wir sollten deshalb wenigstens die Zuschussfinanzierung, wenn nicht gar die Landesvollfinanzierung beibehalten. Deswegen werden wir dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zustimmen. – Danke schön.