Wir sind gespannt, welche Argumente Sie uns in der Aussprache liefern. Seien Sie gespannt, was wir später noch zu sagen haben! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Sebastian Ehlers, CDU: Das ist ja nicht mehr zu toppen. Das kann ja nur besser werden.)
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
das Thema Fluchtursachen ist wirklich so breit, dass ich mich frage, wie Sie es geschafft haben, das Thema im Kern auf nur einen Teilaspekt zu konzentrieren. Ein Feld, so breit, dass wir uns als Innenminister regelmäßig die Haare raufen dürfen, trotz nicht vorhandener Zuständigkeit am Ende dann doch die Symptome bekämpfen zu müssen. Entwicklungszusammenarbeit, Außenwirtschaft und so weiter und so fort werden bekanntermaßen durch andere Stellen bearbeitet. Also lassen Sie mich an dieser Stelle auf das konzentrieren, was ich aus europäischer Sicht, was wir als Landesregierung aus europäischer Sicht zu diesem Thema beisteuern können.
Grundsätzlich möchte ich aber eine persönliche Bemerkung voranstellen. Das Agieren internationaler, auch nationaler Konzerne ist nur ein Teilaspekt einer riesigen Gesamtproblematik. Der pauschale Vorwurf in Richtung westlicher Konzerne greift viel zu kurz und verkennt außerdem total die Ausbeutung durch chinesische, durch russische, aber auch durch amerikanische Unternehmen in Afrika.
Im Übrigen entscheiden gerade auch die Verbraucher über ihr Verhalten mit, dass „Fairtrade“, „bio“ und „local“ gehandelt und gewirtschaftet wird. Was Unternehmen sicherlich nicht sind, sind Nichtregierungsorganisationen mit einem humanitären Auftrag. Das sind Unternehmen nicht! Das mag hart formuliert sein, entspricht aber letztendlich den Tatsachen. Das kann Ihnen passen oder nicht passen, das ist aber die Realität.
Ansonsten kann ich nur sagen, und das werden Sie genauso gut wissen, dass es über das Agieren von Konzernen hinaus natürlich noch zahlreiche andere Fluchtursachen gibt: knappe Ressourcen oder zu viele wertvolle Ressourcen, Klimawandel, Gewalt oder unfairer Handel, aber auch Verfolgung und Diskriminierung, religiöse Konflikte und, und, und. Deshalb war ich beim Lesen Ihres Antrages auch ziemlich erstaunt, dass dessen Kern (böse Konzerne) ziemlich wenig mit der fulminanten Überschrift „Fluchtursachen bekämpfen“ zu tun hat. Sie arbeiten sich hier einseitig an einem Teilaspekt der Gesamtproblematik ab und suchen wie immer die Ursache allen Übels wahlweise im Westen, in Deutschland oder beim bösen Kapitalismus. Das ist schon eine Denkweise, die Ihnen sehr eigen ist. Aber Sie haben ja selbst beim Einfall der Russen auf der Krim die Schuld beim Westen gesucht.
Insofern sollte mich die Einseitigkeit Ihres Antrages in der Frage auch nicht besonders überraschen.
Meine Damen und Herren, ich sehe eine ganz große Grundproblematik bei diesem gesamten Themenkomplex. Obwohl wir oft bereits Monate im Voraus wissen, dass in Ländern wie dem Jemen, Nigeria und anderen humanitäre Katastrophen drohen, wird nicht agiert, sondern erst reagiert, nachdem in den Abendnachrichten die Bilder von unterernährten Kindern und andere schreckliche Bilder gezeigt werden. Auch vor den großen Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 haben die UN ausdrücklich davor gewarnt, dass genau so etwas bevorsteht. Getan wurde wenig bis nichts und heute sind so viele Menschen wie noch nie auf der Flucht. In Ländern wie dem Libanon sind bis zu einem Viertel aller Menschen Flüchtlinge.
Der Libanon ist vielleicht auch ein gutes Beispiel, einmal konkret auf den Punkt zu bringen, wie sich die Grundproblematik äußert. Anfang 2015 bin ich im Bekaa-Tal unweit von Aleppo in den Libanon gereist, um mich vor Ort über die Situation der aus Syrien geflüchteten Menschen zu überzeugen. Es war erschreckend zu sehen, wie trotz der Hilfe einer Organisation mit humanitärem Auftrag, dem UNHCR, Menschenmassen in teils selbst aus Plastikplanen zusammengeschusterten Zelten gehaust hatten, für die sie selbst noch Miete zahlen mussten. Die Schicksale dieser Menschen sind dort unstrittig furchtbar. So habe ich unter den Flüchtlingen auch eine Familie getroffen, die kurz zuvor Drillinge zur Welt gebracht hatte, von denen aber bereits zum Zeitpunkt unseres Gespräches eins gestorben war. Besonders hat mich beeindruckt, dass trotz all dem Leid, das diese Familie durchgemacht hat, sie sich nichts sehnlicher wünschten, als nach dem Krieg nach Syrien zurückzukehren. Das wünschen sich nahezu alle Flüchtlinge in den Lagern.
Und doch haben sich wenige Monate später so unendlich viele Syrier auf den Weg nach Europa gemacht. Warum? Weil in den Lagern die Not auch immer größer wurde. Die Leiterin der UNHCR-Mission vor Ort hat mir schon damals gesagt, dass allein durch die angekündigten Mittelkürzungen der USA die Mittel pro Flüchtling von knapp 13 Dollar auf 9 Dollar zurückgehen werden. Auch Deutschland und andere haben ihre Mittel gekürzt. Bereits Ende 2014 hat das Welternährungsprogramm dringend zu Spenden aufgerufen. Statt zu reagieren, haben alle EU-Länder mit der Ausnahme der Niederlande die
Zahlungen in das Welternährungsprogramm 2015 heruntergefahren. Deutschland fuhr die Hilfe von 301 Millionen auf 143 Millionen herunter.
An der Stelle sei mir erlaubt, wenn man schon sehr unterschiedlicher Auffassung in Ungarn sein kann über das Verhalten, was die Flüchtlingsaufnahme betrifft, aber bei der Flüchtlingshilfe auch gar keinen Cent zu zahlen, dann muss sich die EU wirklich fragen, ob solche Länder noch Empfänger von Geldern aus der Europäischen Union sein dürfen.
Die Warnungen der UN und anderen, die Leute können nicht versorgt werden und würden sich irgendwann auf den Weg nach Europa machen, waren allerorts da, auch bei uns in Deutschland. Und nur wenige Monate später, nach der Reise ins Bekaa-Tal, trat dann auch genau das ein, wovor lange im Voraus immer gewarnt wurde.
Meine Damen und Herren, Geld kann wahrlich nicht alles regeln. Dafür sind die Fluchtursachen – und das habe ich eingangs bereits erwähnt – viel zu vielfältig. Aber zumindest kann mit Geld dafür gesorgt werden, dass Aktion statt Reaktion möglich ist und diejenigen, die auf der Flucht sind, vernünftig versorgt werden. Es bedarf eines weltweiten Krisenfonds bei den UN, der entsprechend der Wirtschaftskraft der Länder finanziert wird. 10 Milliarden Dollar pro Jahr würden erst einmal reichen, um zumindest die Notversorgung in solchen Krisen und das Überleben der Menschen sicherzustellen. Im besten Fall sorgt Geld auch dafür, dass nachhaltige Strukturen aufgebaut werden, den Menschen Perspektiven zu geben. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung fördert beispielsweise Projekte, um Kleinstunternehmen bei der Verwirklichung ihrer Unternehmensideen zu helfen. Aber all das sind immer noch Tropfen auf den heißen Stein und sie dürfen vor allem nicht an anderen Stellen durch eigene Politik konterkariert werden, beispielsweise auf dem Feld der Agrarmarktpolitik. Die EU hat in den Jahren 2015 bis 2017 insgesamt 17,7 Milliarden aus dem EU-Haushalt für die Bewältigung der Migrationskrise bereitgestellt. Damit werden 10,3 Milliarden Euro außerhalb der EU eingesetzt, einschließlich 2,7 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe, 600 Millionen Euro für den Treuhandfonds für Syrien und 2,4 Milliarden Euro für den Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika.
Die EU leistet auch in Ländern außerhalb der EU, wie dem Irak, Jordanien, dem Libanon, der Türkei, humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Migranten. Um den von der Türkei aufgenommenen Flüchtlingen zu helfen, haben die EU und ihre Mitgliedsstaaten bereits mehr als 2 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe wie auch für andere Hilfsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Die EU ist auch einer der größten Geldgeber im Rahmen der internationalen Anstrengungen zur Bewältigung der Krise in Syrien und hat bereits mehr als 9 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe bereitgestellt.
In der mittelfristigen Finanzplanung für die EU-Außen- und Entwicklungspolitik sieht die EU nunmehr zusätzlich 1 Milliarde Euro mehr pro Jahr vor. Aber auch hier be
zweifeln Experten, dass das in der Gesamtschau reichen wird. Der Bundesentwicklungshilfeminister warnt im Übrigen, dass die EU und seine Mitgliedsstaaten Afrika endlich als Jahrhundertaufgabe begreifen müssen. Es braucht eine ernst gemeinte europäische Afrikaoffensive, für die der Bundesentwicklungshilfeminister mit seinem Marshallplan mit Afrika ein Konzept vorgelegt hat. Es bleibt viel zu tun für eine kohärente ganzheitliche Entwicklungspolitik, die über Lippenbekenntnisse und reine Geldtransfers hinausgeht.
Wenn ich mir allerdings aktuell ansehe, wie wir trotz europäischer Probleme zunehmend in nationales Denken zurückfallen, bin ich offen gestanden eher skeptisch. Was diese Unterstützung aber nicht einschränkt, ist natürlich, dass wir als europäische Staaten die Verpflichtung des Schützens der Außengrenze haben, dass wir dafür Sorge tragen müssen, dass diejenigen, die verfolgt sind, hier aufgenommen werden können, aber diejenigen, die als Wirtschaftsflüchtlinge kommen, auch dementsprechend nicht in die Länder einreisen können. Das sind nun mal unterschiedliche Auffassungen. Ich weiß, da hat DIE LINKE eine andere Auffassung. Wir haben da auch eine andere Auffassung.
Als Innenminister habe ich mit meinen Kollegen das Recht und das Gesetz einzuhalten. Deswegen werden wir da dementsprechend alles dafür tun, dass geltendes Recht auch in Zukunft umgesetzt wird und weiter eingehalten wird.