Die Diskussion heute hatte teilweise die Züge einer juristischen, akademischen Diskussion. Damit werden wir das Problem nicht lösen. Das hilft uns überhaupt nicht. Sich gegenseitig Gutachten vorzuhalten, ist ziemlicher Unsinn. Wir können auf Straßburg verweisen, die dazu irgendetwas gesagt haben. Es geht um politische Lösungen, völlig klar. Es geht um politische Lösungen!
Inzwischen ist Allgemeingut, glaube ich, ziemlich weitgehend in der Gesellschaft, dass sich so etwas wie 2015 nicht wiederholen darf. Das hat viele Facetten, warum sich das nicht wiederholen darf, was sich auf keinen Fall wiederholen darf. Ich stehe hier auch als jemand, der viele Jahre Asylrichter war. Was sich überhaupt nicht wiederholen darf, ist, dass wir Menschen ins Land winken, ohne sie anzuhören, ohne zu klären, wer sie eigentlich sind. Das ist völlig unmöglich. Das darf niemals wieder passieren!
Wie kann man das unter einen Hut bringen, was ich eben gesagt habe, was wir im Grunde alle als Zwiespalt in unserer Brust verspüren: helfen zu wollen, aber nicht allen helfen zu können. Ich glaube, wir werden unser Asylrecht, unser Verfahrensrecht überarbeiten müssen. Das fällt uns sehr schwer in Deutschland, weil das Asylrecht das Ergebnis bestimmter politischer Zustände in Deutschland war, wobei man ganz deutlich sagen muss, den Vätern des Grundgesetzes hat nicht vorgeschwebt, dass Millionen von Menschen auf der Welt auf der Flucht sind,
sondern sie haben an die während der Nazizeit verfolgten Sozialdemokraten und Kommunisten gedacht, die
Können wir uns anlässlich der großen Zahl davon verabschieden, dass wir – wir reden jetzt über Europa und dass Europa auseinanderzubrechen droht –, dass wir eine Wertegemeinschaft sind, die den Grundsatz, den Artikel hochhält, den wir eben schon besprochen haben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“? Das ist nichts Abstraktes. Mit der Würde des Menschen ist nach unserer Auffassung nicht vereinbar, jemanden zu foltern, jemanden zum Tode zu verurteilen und vieles andere mehr, was Menschen in dieser Welt droht. Deshalb sind wir als Wertegemeinschaft dazu verpflichtet zu sagen, wir müssen versuchen, jedem zu helfen. Das ist Nummer eins.
Aber ich glaube, wir müssen auch die Einsicht haben, dass wir sagen, wir können nicht jedem dadurch helfen, dass wir ihn in Deutschland aufnehmen. Ja, auch das gilt.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der AfD, BMV und Sebastian Ehlers, CDU – Bernhard Wildt, BMV: Richtig!)
Deshalb unterstreiche ich, unterstütze ich – das ist schwierig, in allen Parteien werden unterschiedliche Auffassungen diskutiert, auch bei Ihnen wird diskutiert –, deshalb unterstütze ich das, was sich da in Europa jetzt abzeichnet, eine Lösung, bei der wir dazu stehen, dass wir politisch Verfolgten helfen, aber gleichzeitig versuchen, Lösungen zu finden, die sagen, ja, aber außerhalb unserer Grenzen müssen wir ein Angebot machen.
Und was wir auch sagen müssen: Es hat ja in der politischen Diskussion interessante Ausschläge gegeben die letzten Jahre. Die Diskussion darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört – ich finde den Satz ziemlich dumm, ich finde, der wird nur noch übertroffen von dem dummen Satz: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ –, das ist völlig unsinnig, diese Diskussion. Unser Staat heute, natürlich haben wir ein christliches Fundament, eine christliche Geschichte, aber wir sind geprägt durch die Aufklärung. Das ist das, was uns charakterisiert.
Und deshalb ist es völlig egal, welcher Religion jemand, der in Deutschland lebt, angehört, sondern jede Religion muss sich unter unser Grundgesetz beugen und das anerkennen. Unsere Regeln gelten, völlig klar.
Insofern ist das eine unsinnige Diskussion. Aber wenn wir sagen, wir fußen auf der Aufklärung, dann ist ja einer
der wichtigsten Sätze der Aufklärung von Kant – ich kann ihn nicht vollständig zitieren, nur aus der Erinnerung –, wie wir handeln, soll so sein, dass es ein allgemeines Gesetz sein kann, dass alle so handeln wie wir. Und deshalb gilt, wenn unsere Werte uns gebieten, Flüchtlingen, allen Flüchtlingen zu helfen, soweit das irgendwie möglich ist, dann, glaube ich, dürfen wir auch daran appellieren, dass das auch für andere gilt. Deshalb halte ich für wichtig, dass wir immer versuchen, andere Regionen, andere Länder dafür zu gewinnen, dass sie mit uns gemeinsam Pläne entwerfen, wie man Flüchtlingen helfen kann.
60 Millionen, sagt man, sind im Moment auf der Flucht, und zwar unter Verhältnissen, die furchtbar sind. Das kann man nicht einfach tolerieren, da muss man etwas machen.
Ich will etwas sagen zu den Zurückweisungen an der Grenze. Das berührt unseren Rechtsstaat. Ich war ein paar Jahre Justizminister, und es ist nichts schwieriger, als Bürgerinnen und Bürgern die abstrakten Vorteile des Rechtsstaates zu vermitteln – die sind einfach völlig abstrakt –, sondern man muss jetzt versuchen zu erklären, worum es denn in der Sache geht. Deshalb sollten Paragrafen, finde ich, heute in dieser Diskussion überhaupt keine Rolle spielen, sondern es geht darum zu sagen, wie kann ich denn jemanden überzeugen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, das bedeutet für uns, dass nicht nur unsere staatliche Gewalt, die an das Grundgesetz gebunden ist, niemandem die Würde absprechen kann, sondern im Laufe der Jahre hat sich unsere feste Überzeugung herausgebildet, dass wir aktiv dafür arbeiten müssen, dass niemand in dieser Weise verletzt wird. Johannes Rau hat vor Jahren schon in seiner Antrittsrede darauf hingewiesen, dass dieses Grundrecht nicht heißt, die Würde jedes deutschen Menschen ist unantastbar,
So, und jetzt kommen wir zu der schwierigen Frage, dass der Rechtsstaat immer wieder herausgefordert wird von Leuten, die sich seiner Regeln exzessiv bedienen. Wie kann man dem begegnen? Zum Beispiel, das hat uns damals viel bewegt: Was ist mit Sexualstraftätern, die lange im Gefängnis waren und die wir wieder rauslassen müssen, wenn die Strafe zu Ende ist, und wo wir aber das Gefühl haben, die sind nach wie vor gefährlich? Da war dann die Diskussion zu sagen, ja, aber der Gefängniswärter, der Aufseher, der ist doch die ganzen Jahre mit dem umgegangen, der kann das am besten beurteilen. Das geht nicht, wir brauchen eine richterliche Entscheidung in solchen Fragen. Wenn an der Grenze jetzt jemand auftaucht, der nicht wieder einreisen darf, weil sein Antrag abgelehnt worden ist, gibt es das Instrument des Folgeantrages. Dann kann ich sagen, ja, die Gründe, die mich damals zur Flucht bewogen haben, die habt ihr abgelehnt, aber inzwischen war ich zu Hause und es gibt neue Gründe. Und wenn der an der Grenze vorträgt,
„Asyl, neue Gründe“, dann kann das nicht der Grenzer entscheiden, dann kann das nicht der Polizist entscheiden.
Dann kann das übrigens erst recht kein Polizist entscheiden wie Herr Kramer. Ja, das muss man auch mal sagen.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Bernhard Wildt, BMV – Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)
Meine Damen und Herren, in dieser Diskussion spielt ja der Begriff „Rechtsbruch“ eine Rolle. Da liegt mir doch sehr daran, sehr deutlich zu machen, dass die Geschichte, die Herr Kramer immer vorträgt und die von Rechtsbruch redet, völliger Unsinn ist. Dazu kann man viele Zitate anführen, die ihn wahrscheinlich auch noch nicht überzeugen werden, aber ich kann vielleicht auf Herrn Förster verweisen als Zeugen für mich. Beim letzten Mal haben hier beide nacheinander gesprochen und Herr Kramer hat wortreich erklärt, warum die jetzige Rechtslage von der Kanzlerin gebrochen worden sei. Und dann kam Herr Förster und hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass das, was ihm vorschwebt – und über das wir reden müssen, völlig klar –, dass das eine Rechtsänderung erfordert. Da müssen Sie ihm mal erklären, dass eine Rechtsänderung natürlich bedeutet, dass die bisherige Rechtslage das eben genau so zugelassen hat.
Ich will eins vielleicht noch mal sagen: Die AfD war heute, fand ich, besonders aggressiv, und ich kann mir das eigentlich ganz gut erklären. Ich kann mir das ganz gut erklären. Die AfD war eine ganz kleine Partei und dann kam 2015 die Flüchtlingsfrage, die ungelöste Flüchtlingsfrage in Deutschland. Die haben sie zum Anlass genommen, daraus politisch Kapital zu schlagen. Jetzt wird in Brüssel eine Lösung gefunden, die sich abzeichnet, eine Lösung gefunden, die das Problem löst.
(Beifall und Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Bernhard Wildt, BMV – Dr. Ralph Weber, AfD: Solche Äußerungen bringen uns wieder neue Prozente.)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin unserem ehemaligen Ministerpräsidenten sehr dankbar für seine klugen Worte, die er hier gewählt hat, um auch die Debatte etwas zu versachlichen und die Emotionen herunterzufahren, auch wenn ich nicht alle Inhalte teile. Zum Beispiel sehe ich nicht, dass mit den Festlegungen, die jetzt in
Das Problem wird lediglich verschoben, und zwar an unsere Außengrenzen. Das Problem der Flucht und Vertreibung, das Problem von Hunger und Elend wird damit nicht gelöst. Also der Schutz der Außengrenzen oder der verschärfte Schutz der Außengrenzen, Frontex, Auffanglager in Afrika, das kann keine Problemlösung sein.
Sie haben vielleicht alle die Bilder gesehen, wie in Algerien mit Flüchtlingen umgegangen wird, mit Menschen, die auf der Flucht sind. Die werden in der Wüste abgekippt. Ist das die Problemlösung, die wir wollen? Ich glaube, nicht. Also ich glaube, wir brauchen, außer dass jetzt sozusagen eine Beruhigungspille gefunden worden ist für bestimmte Diskussionen, die in der Bundesrepublik stattfinden, eine weitergehende Diskussion. Wir müssen uns ernsthaft mit den Schicksalen der Menschen auseinandersetzen, die auf der Flucht sind, und wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, wie wir die Fluchtursachen bekämpfen.
Karen Larisch hat das ja gestern auch schon in einem Antrag deutlich gemacht. Es muss also wirklich endlich an der Zeit sein, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nachkommt, was die Entwicklungshilfe angeht. Über Jahrzehnte zahlt Deutschland nicht den festgelegten Beitrag für Entwicklungshilfe. Das ist kein Zustand auf Dauer.