Protokoll der Sitzung vom 14.09.2018

desregierung verpflichtet sehen, im Wege einer Normenkontrollklage die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juni 2017, der sogenannten Ehe für alle, durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Der Landtag soll feststellen, dass gegenüber diesem Gesetz erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, die eine Überprüfung des Gesetzes auf seine Verfassungsgemäßheit geboten erscheinen ließen.

Nun, meine Damen und Herren, die Landesregierung ist dieser Auffassung nicht.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Und auch ich bin dieser Auffassung im Ergebnis nicht und will Ihnen natürlich sagen, warum. Mit der Verabschiedung des am 1. Oktober 2017 in Kraft getretenen Gesetzes hat der Deutsche Bundestag zu der in der Gesellschaft, der Politik und der Rechtswissenschaft diskutierten Frage der Ehe für alle eine gesetzgeberische Entscheidung getroffen. Damit verknüpft ist die für die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes maßgebliche Frage, ob denn das Grundgesetz dem zur Ausgestaltung der Ehe zuständigen parlamentarischen Gesetzgeber verbindliche Strukturmerkmale eines Eheverständnisses vorgibt.

Etwas juristisch verknappt: Es ist die Frage, ob das Grundgesetz vorgibt, dass eine Ehe nur von Mann und Frau geschlossen werden kann. In der Rechtswissenschaft ist diese Frage unterschiedlich beantwortet worden. Der Deutsche Bundestag hat sich mit der gesetzgeberischen Entscheidung in dieser Frage zugunsten der Wandelbarkeit verfassungsrechtlicher Grundbegriffe entschieden, ohne – das sei ausdrücklich betont – die Institutsgarantie der Ehe infrage zu stellen.

Angesichts der Dynamik und Komplexität dieser verfassungsrechtlichen Thematik waren die Auffassungen, die im Vorfeld der Entscheidung des Bundesgesetzgebers eine klarstellende, verfassungsändernde Regelung in Artikel 6 des Grundgesetzes bevorzugt hätten, durchaus von Gewicht. Sowohl der Bundesrat als auch die Mehrzahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben diesen Weg nicht beschritten und die Entscheidung dem als ausreichend erachteten Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers unterstellt. Die Bundesregierung bereitet gerade weitere Umsetzungsgesetze vor.

Die im vorliegenden Antrag unter Ziffer 1 unterstellte Prämisse, dass das Gesetz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, verkürzt geradezu die an eine abstrakte Normenkontrolle zu stellenden Anforderungen.

(Der Abgeordnete Marc Reinhardt niest. – Thomas Krüger, SPD: Gesundheit!)

Gesundheit!

Die abstrakte Normenkontrolle ermöglicht zwar grundsätzlich unter anderem jeder Landesregierung, das Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen zu lassen, ja, die im Erfolgsfall angestrebte Nichtigkeits- oder

Unvereinbarkeitserklärung setzt jedoch in prozessualer Hinsicht voraus, dass der Antragsteller das angegriffene Gesetz definitiv für nichtig hält.

Diese Voraussetzungen, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind nicht erfüllt. Auch diejenigen, die dem Gesetzgebungsverfahren unter verfassungsrechtlichen Aspekten skeptisch gegenüberstanden – und zu denen gehörte ich auch, wie Sie sich in der Plenardebatte aus dem Mai 2017 sicherlich erinnern –, auch diejenigen müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die verfassungsrechtliche Diskussion inzwischen weiterentwickelt hat. So hatte die Bayerische Staatsregierung gerade mit Blick auf die hohen Anforderungen, die an ein solches abstraktes Normenkontrollverfahren zu stellen sind, zur Vorbereitung des Verfahrens zwei renommierte Rechtswissenschaftler mit entsprechenden Gutachten beauftragt. Nach Vorlage der Gutachten von Herrn Professor Wollenschläger und Frau Professor Coester-Waltjen hat das bayerische Kabinett jedoch am 6. März 2018 beschlossen, wegen unzureichender Erfolgsaussichten von einer Erhebung einer abstrakten Normenkontrolle abzusehen.

Meine Damen und Herren, wenn Sie diese beiden sehr eingehenden Gutachten interessiert, die ich Ihnen ans Herz lege, dann sind beide Gutachten über die Seite der Bayerischen Staatsregierung öffentlich zugänglich. Ich will mich auf die Kernaussagen konzentrieren. Die Kernaussage ist, dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in diesem Fall nicht überschritten wurde. Vor dem Hintergrund des in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgebildeten gesellschaftlichen Wandels sei die Verschiedengeschlechtlichkeit kein exklusives und damit kein prägendes Strukturelement der Ehe mehr.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Als Ausgangspunkt: Zwar verstehe das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Verschiedengeschlechtlichkeit als Kernelement des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs. Auch könne die Ehe als Institut nicht ohne Verfassungsänderung abgeschafft oder in ihren wesentlichen Strukturprinzipien verändert werden. Zugleich betont es aber infolge der gesetzgeberisch erfolgten und verfassungsgerichtlich angemahnten Angleichung die sogenannte Strukturparallelität von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe. Trotz des Festhaltens am herkömmlichen Ehebegriff habe das Bundesverfassungsgericht die Sonderstellung der verschiedengeschlechtlichen Ehe gegenüber der gleichgeschlechtlich eingetragenen Lebenspartnerschaft sukzessive abgebaut.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz, der wegen des Diskriminierungsverbotes strikt anzuwenden sei, erfordere eine umfassende Angleichung beider Institute. Hinsichtlich der für eine Privilegierung der Ehe angeführten Gründe, Ehe als dauerhafte, umfassende und rechtlich verbindliche Verantwortungsgemeinschaft sowie Familienbezug der Ehe, bestünden keine rechtserheblichen Unterschiede zu eingetragenen Lebenspartnerschaften mehr. Insoweit erinnere ich auch an die Diskussion und vor allem exemplarisch an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Öffnung der sogenannten Sukzessivadoption, wonach Ungleichbehandlung der Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe gemessen an Artikel 3 Absatz 1 schnurstrengen Anforderungen unterliegen würde.

Allein die Berufung auf den besonderen Schutz der Ehe, Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz, rechtfertige keine Ungleichbehandlung. Nach dieser Rechtsprechung sind Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft gleichermaßen auf Dauer angelegt und durch eine verbindliche Verantwortungsübernahme geprägt. Damit binde, so der Gutachter, das Bundesverfassungsgericht bestimmte für den Ehebegriff strukturbildende Merkmale nicht mehr ausschließlich an die Verschiedengeschlechtlichkeit und nehme ausdrücklich auf den Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und die zunehmende rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften Bezug.

Wenn man diese Linie der sukzessiven Angleichung weiterdenkt, führt die Strukturparallelität am Ende dazu, dass sich die Ungleichbehandlung der Rechtsinstitute auf die formale Bezeichnung beschränkt, so im Ergebnis Professor Wollenschläger weiter. Der Gutachter formuliert daher, dass sich die verfassungsrechtlich zu entscheidende Frage darauf reduzieren ließe, ob der Gesetzgeber befugt sei, zwei inhaltlich identische Rechtsinstitute unter der Bezeichnung „Ehe“ zusammenzufassen. Auch sei dies bei der Frage nach dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu berücksichtigen.

Nach alledem lässt sich die gesetzgeberische Öffnung der Ehe als lineare Fortschreibung der sogenannten Gleichstellungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der sich schließlich anschließenden Gesetzgebung werten. Eine solche lineare Fortschreibung entspricht im Übrigen auch der internationalen Entwicklung, wie ein begleitendes rechtsvergleichendes Gutachten eingehend belegt.

Meine Damen und Herren, unter Zugrundelegung dieser in dem Gutachten sehr ausführlich begründeten rechtlichen Beurteilung kann ich eine abstrakte Normenkontrolle gleichfalls nicht empfehlen und deswegen ist der Antrag aus meiner Sicht abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Beifall Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr gut!)

Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt das Wort der Abgeordnete Ritter.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Peter, denk daran, ne?! – Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke der Justizministerin für die weitgehende juristische Aufklärung zum Sachverhalt. Das erspart mir, hier vieles noch einmal vorzutragen. Ich will deshalb etwas anders einsteigen mit einem Zitat aus dem „Spiegel“ aus dem August 2016. „Ein kleiner Test: Von welcher Partei stammen diese Parolen, AfD oder NPD?“

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Oha!)

„1. ‚Asylchaos beenden‘, 2. ‚Terror in Deutschland. Wir müssen endlich das deutsche Staatsgebiet schützen‘, 3. ‚Volk braucht Zukunft – keine Einwanderung!‘, 4. ‚Heimat braucht Kinder – Keine Homo-Ehe!‘. Sie wissen es nicht? Kann passieren, in Mecklenburg-Vorpommern kann man derzeit schon einmal durcheinanderkommen.“

(Jens-Holger Schneider, AfD: Hass und Hetze, Herr Ritter.)

„Rechts von der CDU verschwimmen die Grenzen zunehmend. Wahlplakate der rechtspopulistischen AfD und der rechtsextremen NPD unterscheiden sich teils nur noch durch Namen und Farben – blau für AfD und rotweiß für NPD.“ Zitatende. So viel auch zu Ihren vielfachen persönlichen Erklärungen heute Morgen

(Thomas Krüger, SPD: Ja, ja.)

im Zusammenhang mit einem anderen Tagesordnungspunkt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Thomas Krüger, SPD: Ja, ja. – Jens-Holger Schneider, AfD: Zum Thema!)

Zum Thema: Ich hätte ja gedacht, dass auch andere Kollegen hier sprechen, aber das ist mir relativ egal.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Antrag sendet eine unmissverständliche Botschaft aus. Die AfD will keine gleichgeschlechtliche Ehe. Verfassungsrechtliche Bedenken oder auch das Interesse der Betreffenden auf einen sicheren rechtlichen Status in der Antragsbegründung sind nur vorgeschoben. Das zeigt schon der Titel, der die Wunschwelt der AfD widerspiegelt, aber nicht die Realität. Ginge es Ihnen nur um Rechtssicherheit, Herr Rechtsprofessor Weber, könnte der Antrag auch lauten, darauf hinzuwirken, das Grundgesetz explizit um den Passus „gleich- und verschiedengeschlechtliche Ehe“ zu präzisieren. Dann wäre alles geklärt und alle könnten wieder in Ruhe schlafen.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Darum geht es uns nicht.)

Die AfD …

Ja, darum geht es der AfD nicht.

Die AfD will uns nämlich erklären, wie das Grundgesetz zu verstehen ist. In Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes steht, ich zitiere: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Zitatende.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Ehe und Familie werden im Grundgesetz unter besonderen Schutz gestellt, werden dort aber nicht definiert oder eingegrenzt.

(Jens-Holger Schneider, AfD: Natürlich!)

Natürlich nicht!

Ehe und Familie sind als Institutionen der Gesellschaft Gegenstand ihrer Entwicklung und werden im Gesetzgebungsprozess dieser dynamischen Entwicklung entsprechend ausgestaltet. Von Frau und Mann, Herr Schneider, von Frau und Mann ist in Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes jedenfalls nicht die Rede, eine Geschlechterverschiedenheit daher nicht festgeschrieben.

(Zuruf von Dr. Gunter Jess, AfD)

Die Ehe wurde mit Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts im Bürgerlichen Gesetzbuch neu definiert und ist dort seitdem explizit als verschieden- und gleichgeschlechtlich festgeschrieben.

Ich möchte mich in meiner Rede auf die Darlegungen von Professor Dr. Hubertus Gersdorf – Herr Professor Dr. Weber, vielleicht kennen Sie ihn, der ist am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Uni Leipzig unterwegs, also ein ehemaliger Professorenkollege von Ihnen – beziehen. Er hat sich zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eindeutig geäußert und widerlegt damit Ihren Antrag vollständig. Als das Grundgesetz beschlossen wurde, war männliche Homosexualität noch strafbar, eine gleichgeschlechtliche Ehe gesellschaftlich noch nicht vorstellbar. Der Verfassungsgeber hatte demnach im Kontext der Ehe nur Mann und Frau im Blick.

„Jedoch ist der subjektive Wille des Verfassungsgebers dann nicht maßgeblich, wenn er sich nicht der Norm, d. h. nicht objektiv niedergeschlagen hat: Weder dem … Wortlaut noch der Systematik sowie Sinn und Zweck lassen sich entnehmen, dass mit Ehe im Sinne des Art. 6“ des Grundgesetzes „nur die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau gemeint ist“. Zitatende. Das kommt etwas aufgesetzt daher, ist aber offensichtlich Juristendeutsch, dessen ich mich hier mal bediene. Und weiter führt Ihr Professorenkollege aus, ich zitiere: „Im Gegensatz zu natürlichen Freiheiten gibt es die Ehe im Naturzustand nicht. Ehe ist ein Rechtsinstitut, das vom Gesetzgeber erst geschaffen und ausgestaltet werden muss. Im Rahmen der Ausgestaltung des Ehegrundrechts ist der Gesetzgeber nicht an die Werte und Moralvorstellungen gebunden, die in der Geburtsstunde des Grundgesetzes herrschten.“ Zitatende. Damit ist Ihr Antrag im Kern erledigt, meine lieben Kollegen der AfD-Fraktion.

Im Jahr 2001 wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Sie sollte der Ehe ähnlich sein. Sukzessive wurden mit den Jahren maßgeblich auch durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts die Rechte in der eingetragenen Lebenspartnerschaft immer weiter verbessert, sodass sie sich der Ehe bis auf wenige Baustellen angeglichen hat. Nur noch der Name auf der Verpackung war ein anderer. Das machte dann auch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, die im Jahr 2017 beschlossen wurde, überfällig.

Bereits im Jahr 2013 hat DIE LINKE im Bundestag einen Gesetzentwurf für die gleichgeschlechtliche Ehe vorgelegt. 2015 legten die GRÜNEN nach. Im September 2015 kam dann der Bundesratsbeschluss auf Initiative von neun Bundesländern. Mecklenburg-Vorpommern war leider nicht unter den Antragstellern. Der Gesetzgebungsprozess dauerte zwei Jahre, war aber holprig und die Debatten waren kontrovers. Auch wir hier im Landtag haben uns mehrfach mit dieser Thematik auseinandergesetzt und können uns gut an die Diskussionen erinnern. Bundesrat, Bundestag, der Rechtsausschuss des Bundestages waren an der Entstehung des Gesetzes beteiligt.

Am 30. Juni 2017 schließlich wurde das Gesetz zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in dritter Bera

tung im Bundestag mit einer Stimmenmehrheit von 393.220 Stimmen beschlossen. Im gleichen Atemzug wurde das Bürgerliche Gesetzbuch geändert, das bis dahin Ehepartner verschiedenen Geschlechts vorschrieb. Es heißt nun in Paragraf 1353 BGB, ich zitiere: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.“ Zitatende. Und das Füreinander-Verantwortung-Tragen ist doch eigentlich das Entscheidende im Zusammenleben zweier Menschen,