Protokoll der Sitzung vom 21.11.2018

(Peter Ritter, DIE LINKE: Tja, hätte, hätte.)

Es gibt Länder, in denen die Löhne offen und transparent sind.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Wer hat denn regiert?)

Lohnunterschiede werden dort augenfällig und können sofort hinterfragt werden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist doch kein „Wünsch dir was“.)

Warum eigentlich nicht bei uns?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist Regierungshandeln und kein „Wünsch dir was“.)

Warum werden 80 Prozent der Teilzeitstellen von Frauen besetzt? Haben wir hier wirklich Gleichberechtigung?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nee!)

Wie kann es sein, dass 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts wieder Politiker von rechts außen davon reden, dass Frauen sich zuerst um Kinder kümmern sollen? Wie passt es in diesen Zusammenhang, dass beispielsweise Herr Kramer von der AfD sagt, Männer sind mehr für die Politik gemacht?

Nein, meine Damen und Herren, es ist noch viel zu tun – sowohl in den Köpfen als auch bei der ganz realen Chancengleichheit selbst. Wir Sozialdemokraten wollen eine gerechte und eine menschliche Gesellschaft.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Und wer eine gerechte und menschliche Gesellschaft will, der muss eine männlich dominierte Gesellschaft überwinden. Genau das wollen wir. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Torsten Renz, CDU)

Danke, Herr Fraktionsvorsitzender.

Ehe die Ministerpräsidentin als Nächste ihr Wort erhält, möchte ich Sie darüber informieren, dass zwischenzeitlich ein weiterer Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 7/2868 eingegangen ist unter dem Thema „Müllentsorgung auf dem Ihlenberg zukunftsfähig ausrichten“. Wir werden auch diese Vorlage, um die die Tagesordnung erweitert werden soll, nach angemessener Beratung für die Verständigung innerhalb und zwischen den Fraktionen nach dem Tagesordnungspunkt 2 aufrufen. Ich werde ebenfalls das Wort zur Begründung dieses Dringlichkeitsantrages erteilen sowie die Abstimmung über deren Aufsetzung durchführen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann werden wir auch hier so verfahren.

Jetzt, Frau Ministerpräsidentin, haben Sie das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „100 Jahre Frauenwahlrecht, 100 Jahre Gleichstellung – Vieles wurde erreicht, Vieles ist noch zu tun“ – das ist ein aktuelles Thema, weil die Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männern jeden Tag ein aktuelles Thema ist, ganz konkret im Familienalltag, im Arbeitsalltag, bei der Frage von Frauen in Führungspositionen, ja, auch hier im Parlament. Sind denn hier im Parlament genug Frauen oder muss man nicht auch mehr tun dafür, dass Frauen wirklich überall gleichberechtigt vertreten sind?

Deshalb danke ich der SPD-Fraktion und insbesondere dem Fraktionsvorsitzenden Thomas Krüger, weil es auch gut ist, dass ein Mann das Thema „Gleichberechtigung von Frauen“ auf die Tagesordnung setzt.

(Torsten Renz, CDU: So ist es.)

Vielen Dank dafür!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Torsten Renz, CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir haben am 12. November mit einem großen Festakt der Bundeskanzlerin und der Bundesfrauenministerin in Berlin „100 Jahre Frauenwahlrecht“ gefeiert, aber es ging nicht nur um eine Feier, sondern auch um die Ermahnung, dass diese letzten 100 Jahre zeigen, dass Rechte für Frauen nicht von allein kommen, dass sie jeden Tag erkämpft und auch geschützt werden müssen.

Das Frauenwahlrecht war im November 1918 ein großer Meilenstein, damals die Revolution, die große soziale und kulturelle Veränderungen bewirkt hat: neue Bürgerrechte, Gewerkschaften, Betriebsräte. Tarifverträge wurden anerkannt, der Achtstundentag wurde eingeführt. Und am 12. November 1918 verkündete die damalige Übergangsregierung: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen,

direkten, allgemeinen Wahlrecht … für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen“.

100 Jahre, meine Damen und Herren, sind in der Geschichte keine lange Zeit. Erst vor dieser kurzen Zeit ist dafür gesorgt worden, dass Frauen auch ihr Grundrecht haben, ihr Wahlrecht. Damals haben die Frauen die Chance zur Mitbestimmung genutzt: 82 Prozent der wahlberechtigten Frauen stimmten im Januar 1919 über die Kandidaten zur Deutschen Nationalversammlung ab. Die sozialdemokratische Abgeordnete Marie Juchacz sprach aus, was das Frauenwahlrecht bedeutete, ganz klar und ohne Pathos. Zitat: „Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Und noch ein Satz: „Wir Frauen sind uns sehr bewußt, daß in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht in der Gleichberechtigung sind.“ Das Wahlrecht war erst der Anfang. Damals haben 82 Prozent dieses Wahlrecht genutzt und ich will heute daran erinnern, wir haben es alle in den letzten Tagen selbst noch mal sehen können im Fernsehen und im Internet, dieses Wahlrecht kam nicht von allein. Es waren mutige, starke Frauen, die dafür auf die Straße gegangen sind, die dafür angefeindet worden sind, und es waren zum Glück einige kluge Männer dabei, die diese Forderung unterstützt haben. Deshalb sage ich heute, dieses Wahlrecht ist keine Selbstverständlichkeit, und wir Frauen, die heute dieses Recht haben, was andere für uns hart erkämpft haben, sollten dieses nicht auf der Straße liegen lassen, sondern bei jeder demokratischen Wahl auch unser Wahlrecht nutzen, um mitzubestimmen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Seitdem ist einiges passiert. Es ist angesprochen worden, die Gleichstellung von Männern und Frauen steht seit 70 Jahren im Grundgesetz, ein schlichter Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Wir alle wissen, dass die Gleichberechtigung in unserer Verfassung steht, aber noch lange nicht Lebensrealität ist. Es ist immer noch so, dass Frauen im Durchschnitt weniger Einkommen haben. Es ist immer noch so, dass Frauen weniger in Führungspositionen sind. Gerade in dieser Woche, in der Woche „Gegen Gewalt gegen Frauen“ hören wir, dass immer noch Frauen zu großen Teilen von Gewalt in ihren eigenen vier Wänden betroffen sind, und das zeigt, dass es noch viel zu tun gibt.

Deshalb ist es gut – es ist eine große Errungenschaft –, dass mit der Deutschen Einheit ein zweiter Satz zugefügt worden ist: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Dieser Satz gibt uns in der Politik den Auftrag, laut Verfassung dafür zu sorgen mit unserem Handeln, dass nicht nur die Gleichberechtigung im Grundgesetz steht, sondern in der Lebensrealität ankommt. Ich erinnere mich, dass unser Ministerpräsident a. D., Erwin Sellering, bei der Frage der Debatte um Frauen und Führungspositionen hier sehr klug deutlich gemacht hat, dass es genau um diesen Auftrag geht. Ich erlebe immer wieder, wenn man sich genau dafür einsetzt, dass es dann hefti

gen Gegenwind gibt, dass sofort, wenn man sagt, brauchen wir nicht mehr Frauen in Führungspositionen, müssen wir nicht für Frauen mehr tun, ja, aber nur dann, wenn sie auch gut genug sind, unterstellt wird, Frauen sind nicht gut und deswegen will man sich für sie einsetzen.

Ich fordere uns alle auf, natürlich die Regierung, aber auch gemeinsam das Parlament, dass wir überall, wo wir unsere Möglichkeiten haben, diesen Satz aus dem Grundgesetz wirklich folgen, dass wir mit dafür Sorge tragen, dass es echte Gleichberechtigung gibt. Gleichberechtigung heißt, Frauen und Männer zusammen, nicht gegeneinander, sondern miteinander auf Augenhöhe.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Torsten Renz, CDU)

Aus der Sicht meiner Generation ist es heute fast unvorstellbar, dass erst seit 1958 das Letztentscheidungsrecht in allen Eheangelegenheiten nicht mehr allein beim Ehemann liegt, dass erst 1976 die gesetzliche Aufgabenteilung in der Ehe aufgehoben worden ist, dass 1979 erst das Vorrecht der Väter bei der Kindererziehung beseitigt wurde, und erst seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Auch das Gewaltschutzgesetz, wo klar gesagt wird, „Nein heißt Nein!“, ist erst vor einigen Jahren in Kraft getreten, und das zeigt, dass die Rechte von Frauen durchzusetzen, immer wieder ein steiniger Weg war.

Ich will hier ganz deutlich sagen, ich glaube – durch die Deutsche Einheit und durch das Selbstverständnis gerade ostdeutscher Frauen und ostdeutscher Männer –, dass es selbstverständlich ist, dass auch Frauen berufstätig sind, dass Beruf und Familie zusammengehen müssen, dass wir eine gute Kinderbetreuung haben und man keine Rabenmutter ist, wenn das Kind in eine Kita geht und man selbst berufstätig ist. Dieses ostdeutsche Selbstverständnis wurde in die Deutsche Einheit gebracht und ich bin sicher, ohne die Deutsche Einheit, ohne die taffen ostdeutschen Frauen wären wir in der Bundesrepublik immer noch nicht da, wo wir heute endlich sind.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Deshalb herzlichen Dank an diese mutigen ostdeutschen Frauen!

Natürlich steht auch unser Land in besonderer Tradition der Gleichstellung. Viele sind mit diesem Selbstbewusstsein und Selbstverständnis aufgewachsen, dass Beruf und Familie zu vereinbaren sind, dass wir eine dichte Infrastruktur haben von Krippen, Kindergärten und auch Horten in den Schulen. Das hat die Frauen unabhängiger gemacht. Mehr Chancen im Berufsleben gab es auch schon vor der deutschen Einheit, über 90 Prozent der Frauen waren schon damals berufstätig. Das hat unser Selbstverständnis bestimmt, das Selbstverständnis der Generation meiner Eltern, dass Frauen berufstätig sein können, und auch unserer Generation, dass wir das so fortsetzen.

Ohne die Erfahrungen aus dem Osten hätten wir heute immer noch keinen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, gäbe es keine 24-Stunden-Kitas, und deshalb kann hier der Osten selbstbewusst sagen, wir haben ein moderne

res Familien- und Frauenbild in Gesamtdeutschland geprägt.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Das ist gut und richtig und eine Errungenschaft.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Bei der Gleichberechtigung, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, spielen aber auch die Männer eine Rolle. Ich bin der festen Überzeugung, dass es keine echte Gleichberechtigung geben kann von Frauen und Männern, wenn nicht die Männer mit im Boot sind. Es ist gut, dass es heutzutage junge Väter gibt, die ganz selbstverständlich Elternzeit nehmen, dass gerade in unserem Land die Quote von Vätern, die Elternzeit nehmen, die sich Zeit nehmen für ihre Kinder, besonders hoch ist. Ich werbe beim öffentlichen Dienst, aber auch bei der Wirtschaft dafür, dass wir diese jungen Väter unterstützen, die sagen, ich will Zeit für die Familie, ich will mich um die Familie kümmern. Ich möchte auch die Söhne unterstützen, die sich um die Pflege ihrer Eltern kümmern. Die Frage von Kindererziehung, von Pflege der Eltern ist nicht nur eine Frage für Frauen, sondern auch eine Frage für Männer.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und AfD – Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Es kann auch keinem Vater egal sein, dass seine Tochter vielleicht später schlechter bezahlt wird und weniger Chancen hat, nur, weil sie ein Mädchen ist. Es kann keinem Mann egal sein, dass seine Partnerin schlechter bezahlt wird, nur, weil sie eine Frau ist. Deswegen ist die Frage des Einsatzes für Gleichberechtigung eine gemeinsame Sache von Frauen und Männern.

Gerade in diesen Tagen, wo wir auch erleben, dass der Einsatz für Gleichstellungen wieder zu Anfeindungen führt, zu Feindseligkeiten – wir können es im sozialen Netz beobachten –, ist es wichtig, gemeinsam für die Gleichstellung zu kämpfen. Der gleiche Hass, der sich gegen Fremde und Andersdenkende richtet, richtet sich auch gegen das Thema der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Ich sage hier ganz klar: Wer Frauenrechte angreift, greift Freiheitsrechte an. Frauenrechte sind Menschenrechte, nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)

Deshalb, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ist es wichtig, dass sich mehr Frauen engagieren, auch in der Politik.

Zum Abschluss möchte ich auf ein Thema kommen, was wirklich bedrückend ist in unserem Land, was ein Übel ist und Freiheit für Frauen verhindert.