Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Aufbau Ost – Rentenkürzungen zurücknehmen – gesetzliche Rente endlich verbessern, Drucksache 7/2806.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Aufbau Ost – Rentenkürzungen zurücknehmen – gesetzliche Rente endlich verbessern – Drucksache 7/2806 –
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Oktober hat meine Fraktion Ihnen unser Positionspapier „Aufbau Ost“ vorgestellt. Die einzelnen darin enthaltenen Themen legen wir Ihnen detailgetreu Sitzungswoche für Sitzungswoche im Parlament zur Debatte und Entscheidung vor. Heute und als Erstes geht es um unsere Vorschläge für einen grundlegenden Kurswechsel in der Rentenpolitik, für eine solidarische gesetzliche Rente und die Korrektur des Unrechts bei der Überführung des DDR-Rentenrechts in bundesdeutsches Recht.
Anfang dieses Monats hat sich die Koalition im Bundestag – unter nebenbei bemerkt guten konjunkturellen Bedingungen – auf ein Rentenpaket geeinigt. Es besteht aus einer doppelten Haltelinie. Das Rentenniveau soll bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken und der Rentenbeitrag soll bei derzeit 18,6 Prozent liegen und nicht über 20 Prozent steigen. Weiterhin soll ein Teil der Mütter und der erwerbsgeminderten Menschen rentenrechtlich bessergestellt werden. Zum Jahr 2025 soll es keinen Unterschied zwischen den Rentenpunkten in Ost und West geben.
Das sind alles positive Meldungen. Aber ist damit soziale Gerechtigkeit in der Rente gegeben? Wir sagen, Nein. Aus unserer Sicht muss die Rentenversicherung tatsächlich zukunftsfest gemacht werden. Auch brauchen wir eine Rentenreform, die ihren Namen verdient, weil die Ungerechtigkeiten bei der Rentenberechnung durch das Rentenpaket nicht beseitigt wurden.
Was meine ich? Beginnen wir mit der Mütterrente, für die sich die CDU/CSU bundesweit lobt. Nach dem Rentenpaket erhalten Mütter, die ein Kind vor 1992 geboren haben, ab 2019 2,5 Rentenpunkte. Das ist mehr als die jetzigen zwei Punkte, aber es sind nicht drei, wie sie
Frauen erhalten, die ihr Kind nach 1992 zur Welt gebracht haben. Wieso werden Zeiten der Kindererziehung unterschiedlich behandelt? Gerechtigkeit sieht anders aus.
An der geplanten Regelung werden wiederum nur die Frauen in voller Höhe partizipieren, die für die Kindererziehung ein Jahr zu Hause geblieben sind. Das war in den ostdeutschen Bundesländern nicht die Regel. Hier nahmen viele Mütter schon im einjährigen Erziehungsurlaub, dem sogenannten Babyjahr, ihre Berufstätigkeit wieder auf. Damit erwarben sie eigene Rentenansprüche. Diese werden heute allerdings mit den Ansprüchen aus der Kindererziehung verrechnet.
Diese Frauen erhalten keine 2,5 oder 3 Punkte zusätzlich, da die Rentenansprüche pro Jahr durch die Beitragsbemessungsgrenze dann noch gedeckelt sind. Diese Ungleichbehandlung wurde bislang ebenso wenig beseitigt wie die Verrechnung der Mütterrente für diejenigen, die auf Grundsicherung oder die Hilfe zur Pflege angewiesen sind. Das ist kein Ruhmesblatt für soziale Politik.
Mit der Veränderung bei der Erwerbsunfähigkeitsrente im Rentenpaket nahmen sich Bundesregierung und Parlament zwar eines schon lange bestehenden Problems an, sie schufen aber neue Ungerechtigkeiten. Zur Information: Wer jetzt, im November 2018, krankheitsbedingt aus dem Beruf ausscheidet, der erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente, bei der unterstellt wird, dass die betreffende Person bis zum Alter von 62 Jahren und 3 Monaten gearbeitet habe. Wer hingegen ab kommendem Jahr Erwerbsunfähigkeitsrentnerin oder Erwerbsunfähigkeitsrentner wird, für den unterstellt das Rentenpaket Erwerbstätigkeit bis zum Alter von 65 Jahren und 8 Monaten. Das ist bei einem durchschnittlichen Verdienst ein Unterschied von etwa 100 Euro.
Die Ungerechtigkeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung sind systemimmanent. Mit dem Renten-Überleitungsgesetz vom Juli 1991 wurden die rentenrechtlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches VI auf das Beitrittsgebiet ausgedehnt. Mit dem Gesetz wurden aber auch Sonderregelungen für die neuen ostdeutschen Bundesländer geschaffen. Da sind zum einen die unterschiedlichen Regelkreise. Sie besagen, dass die Rentenberechnung für die west- und die ostdeutschen Bundesländer getrennt erfolgt. Das war als kurzfristige Lösung gedacht, hatte etwas mit den unterschiedlichen Wirtschaftssystemen und der Wirtschaftskraft zu tun, denn bekanntlich sollte die Rentenberechnung spätestens ab dem Jahr 1996 bundeseinheitlich erfolgen. Dieses systemische Konstrukt über verschiedene Rentenwerte sorgt bis heute für Ungleichbehandlung. Der Rentenwert drückt das finanzielle Ergebnis eines Entgeltpunktes aus, und das ist bis heute in Ost und West wie gesagt verschieden. Im Osten bedeutet ein Entgeltpunkt zurzeit 30,69 Euro und im Westen 32,03 Euro.
Zu einer weiteren Ungerechtigkeit: Mit dem RentenÜberleitungsgesetz vom 25. Juli 1991 wurden grundlegende Maximen im bundesdeutschen Rentenrecht aufgegeben. Bis dahin kannte das Rentenrecht keine Ele
mente des Strafrechts. Für das Beitrittsgebiet wurden jedoch mit dem Renten-Überleitungsgesetz Elemente des Strafrechts in das Rentenrecht konstruiert. Bis heute wird die gesetzliche Rente für bestimmte Versicherungsgruppen pauschal gekürzt. Zu den Betroffenen gehören Beschäftigte in der DDR, die pauschal als staatsnah eingeschätzt werden, Beschäftigte, die in einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem Versicherte waren, und alle Beschäftigten, deren Einkommen eine bestimmte Höhe überschritt.
Zu der Kürzung der Rentenanwartschaften auf eine bestimmte Höhe sollte man wissen, dass in der DDR nur die Arbeitseinkommen bis 600 Mark beitragspflichtig für Sozialversicherungen waren. Letztere bildeten organisatorisch gesehen das Dach für die Rentenversicherung. Ab März 1971 gab es in der DDR die Möglichkeit, für darüber hinaus gehende Löhne und Gehälter freiwillige Beiträge in einem neuen Teil der Rentenversicherung einzuzahlen, die sogenannte Freiwillige Zusatzrente FZR, mit der eine zweite Säule der Alterssicherung aufgebaut werden sollte. Zusammen mit der Rente aus der Sozialversicherung sollte sie den Versicherten nach 25 Jahren Beitragszahlung eine Rente von – man höre und staune – 90 Prozent des Nettolohns ermöglichen.
Mit dem Renten-Überleitungsgesetz wurden die Beiträge für die FZR in die gesetzliche Rentenversicherung überführt, logischerweise. Damit war aber die zweite Säule der Alterssicherung für alle Ostdeutschen beseitigt. Die hier gezahlten Beiträge wurden wie Pflichtversicherungsbeiträge zur gesetzlichen Rente behandelt und für alle eine Beitragsbemessungsgrenze eingeführt, die es zuvor nicht gab in der DDR. Wer die FZR gewählt hatte,
zahlte für ein volles Gehalt Beiträge. Von denen wurden mit dem Renten-Überleitungsgesetz nur diejenigen bis zu einer eingeführten Beitragsbemessungsgrenze anerkannt. Das verstößt gegen den Vertrauensschutz. Das Äquivalenzprinzip – es geht immer um Prinzipien und Konstruktionen und systemische Anlagen, Herr Krüger –, das Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde für höhere Beiträge einfach aufgehoben.
Wir meinen, das ist ungerecht. Wir schlagen mit unserem Antrag vor, all diese Ungerechtigkeiten im bundesdeutschen Rentenrecht zu beseitigen. Wir wollen, dass jedes Kind – egal, wann geboren – für die Mütter die gleiche rentenrechtliche Anerkennung bedeutet. Wir schlagen vor, dass die Mütterrente und Ähnliches bei der Grundsicherung und Hilfe zur Pflege nicht mehr herangezogen wird, dass für Menschen im Hartz-IV-Bezug endlich wieder Rentenversicherungsbeiträge gezahlt werden.
Wir wollen aber auch, dass die Kürzungsfaktoren bei der Rentenberechnung wie der Riester-Faktor, der ja vor allem eine Förderung von Versicherungskonzernen ist, beseitigt werden. Wir sind für eine einheitliche Rentenberechnung, also den Wegfall der zwei Regelkreise. Der ist ja angelegt, bis zur Mitte 2024 soll das geschehen, aber warum erst 35 Jahre nach der deutschen Einheit? Wir wollen also in dem Zusammenhang auch berücksichtigt sehen, dass es dann immer noch eine Höherbewertung der ostdeutschen Beiträge geben muss,
bis sich das Lohnniveau zwischen den ost- und westdeutschen Ländern angeglichen hat, sonst setzt sich systemisch ja auch eine derartige Ungleichheit der Einkommen fort,
Es ist ja im Übrigen, um mal abzuweichen vom Text, nicht von ungefähr, wenn man sich heutzutage, 28 Jahre nach dem Vollzug der deutschen Einheit, soziale Landkarten der Bundesrepublik Deutschland anschaut, dann sieht man in etwa immer noch die Grenze zwischen der vormaligen BRD und der vormaligen DDR.
Da gibt es auch Verschiebungen, die sind unter anderem begründet in der Erwerbsbiografie von Frauen zum Beispiel, in den Höhen. Gleichwohl sind unbestritten diese Ungerechtigkeiten, die ich aufgezählt habe und sachlich hier analysiert habe, nicht wegzureden.
Wir wollen das angehen. Es ist also eine Frage, wie sich das Parlament dazu verhält. Rentenpolitik ist Bundespolitik, das ist uns sehr wohl bewusst. Gleichwohl haben wir eine Verantwortung dafür, uns politisch zu positionieren, denn wir haben auch die Verantwortung für die Menschen, die in diesem Land leben, und über die Länderkammer, praktisch den Bundesrat und andere Kanäle, ist es immer angezeigt, auch Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen. Das wollen wir sehr wohl.
Wenn die Frage steht, wie soll das bezahlt werden – auch das Rentenpaket wird bezahlt mit dem Geld der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, logischerweise, und der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Darüber hinaus – wir sind als Opposition selbstverständlich auch in der Pflicht, immer darüber nachzudenken, was könnte die Alternative sein zu den tradierten Systemen – schlagen wir die solidarische Bürger- und Rentenversicherung in diesem Falle vor. Da geht es letztendlich darum, dafür zu sorgen, dass alle einzahlen, alle beitragspflichtig werden mit ihren Einkommen, also auch Beamtenbezüge, Mieten und Dividenden, um nur einige zu nennen, und zur Beitragsberechnung herangezogen werden. Dann erhalten wir eine Versicherung, die ihre Mitglieder nicht nur vor Einkommensarmut schützt, sondern – einkommensarm sind in unserem Land im Übrigen mehr als
21.000 Rentnerinnen und Rentner, Sie können sich die Zahlen gern aus den statistischen Berichten anschauen,
5,4 Prozent bekommen die Grundsicherung, Herr Renz, das nur nebenbei – wir sind gehalten, uns darum zu sorgen, dass eine Rentenversicherung und ein Rentensystem existiert, das armutsfest ist und den Lebensstandard sichert.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ums Wort gebeten hat zunächst für die Landesregierung die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung Frau Drese.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ein wesentlicher Aspekt spielte in den Ausführungen des Kollegen Koplin nur eine untergeordnete Rolle. Und die Gewichtung dieses Aspekts offenbart dann bei durchaus vielen Gemeinsamkeiten für eine gute gesetzliche Rente wohl auch den Hauptunterschied zwischen den Vorstellungen der Linksfraktion und dem Rentenreformpaket der Bundesregierung. Ich spreche von der Generationengerechtigkeit, von dem fairen Interessenausgleich zwischen Älteren und Jüngeren in unserer Gesellschaft.
Ich spreche von der nunmehr gesetzlich verankerten doppelten Haltelinie, die festschreibt, dass die Beiträge für die gesetzliche Alterssicherung und die Höhe des Rentenniveaus auf dem aktuellen Niveau garantiert werden. Es ist gerade dieser Punkt im – Achtung, Zungenbrecher – Rentenversicherungs-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz, der das Rentenpaket zu einem großen politischen Wurf macht.
Mit dem Rentenpaket erneuern wir das Kernversprechen unseres deutschen Sozialstaates. Der Rentenpakt gewährleistet zunächst bis 2025 Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Generationen, und für die Zeit nach 2025 soll die von der Bundesregierung eingesetzte Rentenkommission bis Anfang 2020 Vorschläge für die langfristige Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung unterbreiten. Das zum Jahreswechsel in Kraft tretende Rentenpaket bringt Verbesserungen für viele Menschen, auch und gerade in Mecklenburg-Vorpommern, und geht das Thema Altersarmut an. Die Große Koalition trägt damit erheblich zur sozialen Sicherheit und zum sozialen Zusammenhalt in Deutschland bei.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich darf als sozialdemokratische Landesministerin auch offen bekunden, dass ich das Rentenpaket als einen wichtigen sozialpolitischen Erfolg der SPD betrachte. Das gibt Kraft und Motivation in nicht gerade leichten Zeiten, meine Damen und Herren, und es zeigt, wir sollten in Berlin wie auch hier in Schwerin unsere Arbeit mit Leidenschaft und Überzeugung machen,