Protokoll der Sitzung vom 23.01.2019

(Heiterkeit bei Jochen Schulte, SPD: Die gibt es auch in diesem Parlament.)

Deswegen ist das auch eine große Erkenntnis. Es stimmt, dass es in Europa Politiker gibt, die eine Europäische Union wollen, die nicht im deutschen Interesse ist. Das muss man in einem europäischen Staatenverbund aber aushalten. Man nennt das den demokratischen Richtungsstreit. Das ist weder komisch, noch ist es verboten.

(Thomas Krüger, SPD: So ist das.)

Ich kenne natürlich die Stimmen, die die Zukunft der EU im Jahr 1958 sehen: Vorwärts in die Vergangenheit. Das ist natürlich weder realistisch, noch ist das vernünftig, es ist einfach nur Quatsch. Die vermeintlich heile Welt der Fünfziger, die hat es nie gegeben. Das Gerede davon, man müsse die EU zurückbauen, deutet doch nur auf eines hin: Man hält Kooperation für ein Zeichen von Schwäche. Zeichen von Stärke hingegen seien lautes Gebrüll, scharfe Worte und Mauern. Für mich deutet das eher auf ein fragiles Männlichkeitsbild hin.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der SPD – Dr. Ralph Weber, AfD: Das ist Quatsch! – Heiterkeit und Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Einigkeit macht stark, nicht Separatismus.

(Unruhe bei Torsten Renz, CDU, und Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)

Unsere europäische Vielfalt ist ein Schatz und kein Klotz am Bein. Es gibt in der Menschheitsgeschichte keinen erfolgreicheren Staatenverbund.

(Thomas Krüger, SPD: So ist es.)

Wer Erfolg haben will, der muss sich aber auch permanent anstrengen. Die unterschiedlichen Ansichten in Europa, die wir alle anstrengend finden, sind der Preis für diesen Erfolg. Sie sind kein Hemmnis.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der zentrale Aspekt für mich ist aber, dass die EU ein Friedenswerk ist.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Dieses ist eng verbunden mit der Geburtsstunde der EU und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Niemand wollte damals – und ich gehe ganz stark davon aus, dass sich das bis heute auch nicht geändert hat –, dass sich so etwas wie der Zweite Weltkrieg noch einmal wiederholt. Wir ziehen gerade die dritte und bald die vierte Generation an Menschen in Deutschland groß, die keinen Krieg auf deutschem Boden erleben mussten und hoffentlich auch nie erleben werden müssen. Ich hebe das hervor, weil ich das einfach so wichtig finde und wir dieses Bewusstsein meist überhaupt gar nicht mehr haben. Für unsere Kinder sind Krieg, Hunger und Not so weit weg und unreal und dafür bin ich so unendlich dankbar.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)

Die Grundidee der Europäischen Union ist es, dass nicht jeder immer nur über sich selbst spricht. Die Grundlagen für den anhaltenden Frieden ist Zusammenarbeit. Es kommt hinzu, kein Land der EU kann die großen Fragen unserer Zeit alleine lösen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Wir sind darauf angewiesen, dass alle Mitgliedstaaten gemeinsame Lösungen finden. Daran sollte auch jedes Land ein gesteigertes Interesse haben, auch wenn ein Land mehr betroffen ist als das andere.

Eine dieser großen Herausforderungen ist das Thema Migration. Das bilaterale Abkommen zwischen der EU und der Türkei war ein großer Schritt zur Eindämmung von Flüchtlingsströmen. Weitere solche Abkommen benötigen wir mit Ägypten, Algerien und Marokko. Deshalb betone ich an dieser Stelle noch einmal, wie wichtig es ist, es endlich anzuerkennen, dass diese Länder sichere Herkunftsländer sind.

(Beifall Torsten Renz, CDU: Genau. – Beifall Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)

Meine Damen und Herren, wir müssen die Welt mitdenken, damit wir weiter in Frieden und in Wohlstand leben können, so sagte es unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede auf dem Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern am vergangenen Wochenende. Und sie hat recht. Wir brauchen eine gemeinsame Grenzsicherung, wir brauchen eine gemeinsame Rüstungspolitik und wir brauchen eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik.

Wie behaupten wir uns denn wirtschaftlich in der Welt? Wir leben wirtschaftlich in wirklich guten Zeiten. Nicht nur

weltweit, selbst im EU-Staatenverbund wird nach Deutschland gesehen. Die deutsche Wirtschaft ist das neunte Jahr infolge gewachsen und liegt immer noch über dem Durchschnittswert der letzten zehn Jahre. Deutschland führt weitaus mehr Waren aus, als es einführt – eine Tatsache, die selbst in den USA zu Unmut führt. Wir exportieren hauptsächlich in die Mitgliedstaaten der EU und profitieren damit viel stärker als alle anderen von fehlenden Zöllen und Grenzkontrollen.

(Zuruf von Dr. Gunter Jess, AfD)

Trotzdem bin ich nicht naiv. Viele Menschen fremdeln mit der EU: Das zentrale Argument, ach, Europa, das ist mir viel zu weit weg und die beschäftigen sich da doch eh alle nur mit den Krümmungsgraden von Gurken.

Und jetzt kommt der Brexit. Der Brexit beschäftigt nicht nur Politiker in Brüssel, nein, der Brexit hat etwas ganz Wesentliches geschafft: Jeder Bürger und jede Bürgerin beschäftigt sich wieder mit Europa. Da ist der Student, der eigentlich 2020 ein Auslandssemester in Manchester geplant hat und sich fragt, ob das noch machbar ist. Da sind internationale Dienstleister, die mit Fassungslosigkeit auf die Diskussionen im Unterhaus schauen, und da sind Industriebetriebe, denen so langsam klar wird, dass internationale Standards beim Verkauf von Waren eine ziemlich sinnvolle Angelegenheit sind.

Plötzlich sind es ganz andere Fragen, die die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes mit Europa verbinden. So paradox es auch scheint, aber der Brexit hat es tatsächlich geschafft, dass wir wieder näher an Europa herangerückt sind.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Torsten Renz, CDU – Dr. Ralph Weber, AfD: Widersinnig.)

Die Selbstverständlichkeiten der letzten Jahrzehnte, die die EU mit sich gebracht hat, sind plötzlich wieder in unser aller Bewusstsein und das ist gut so. Das zeigt doch aber auch, wie tief wir mittlerweile mit der Idee eines gemeinsamen Europas verbunden sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das bedeutet für mich nicht, dass Europa auf seinem Stand verharren soll. Im Gegenteil, auch die EU muss an sich arbeiten, muss sich an Gegebenheiten anpassen, muss sich immer wieder reformieren, muss transparent sein und muss den Menschen erreichen und mitnehmen. Da könnte vieles deutlich besser sein.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Aber mal ehrlich, wenn bei meinem Fahrrad das Schutzblech klappert, dann lasse ich es reparieren und werfe es nicht auf den Müll.

(Heiterkeit und Zuruf von Christian Brade, SPD)

Europa ist ein ambitioniertes Projekt, Europa ist harte Arbeit und gerade der Brexit hat mir gezeigt, was man verlieren kann, wenn man geringschätzt, was man hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in Neumünster geboren, in Stralsund zu Haus – ich bin Deutsche und Europäerin und all das macht mich stolz. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Kolbe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer dieser Tage nach London schaut, dem dürfte es schwerfallen, die Ereignisse nicht mit Kopfschütteln zu quittieren. An einem Tag scheitert die Premierministerin krachend am Brexit-Vertrag, am nächsten Tag gewinnt sie dann das Misstrauensvotum, obwohl vorher zwei Drittel gegen sie gestimmt hat, und erst am Montag hatten wir die nächste Episode – eigentlich in einem Trauerspiel –, dass ein Plan B vorgelegt wurde, der eigentlich gar nicht so richtig sagt, was die britische Regierung jetzt will, sondern nur, was sie alles nicht will.

Ich bin mir sicher, der Brexit wird in die europäische Geschichte als ein Lehrstück eingehen, wie ein Land demokratisch in die Irre geführt werden kann und wie es den Verantwortlichen nicht gelingen wird, einen Ausweg aus der selbst geschaffenen Sackgasse zu finden.

(Zurufe von Horst Förster, AfD, und Eva-Maria Kröger, DIE LINKE)

Seit vielen Monaten warnt meine Fraktion bereits vor den Gefahren eines harten Brexit auch für unser Land, der von Tag zu Tag wahrscheinlicher wird. Es ist schon jetzt klar, dass ein so verflochtener Wirtschaftsraum wie die EU eben nicht ohne negative Folgen, und zwar für beide Seiten, verlassen werden kann. Wirtschaftlicher Abschwung, soziale Verwerfung drohen mehr und mehr, wahrscheinlich zu werden.

Die Leidtragenden dieser Politik werden aber auch diesmal nicht die Großunternehmen und die Finanzmärkte sein, da bin ich mir sicher, weil die sind es nämlich bereits, die sich seit geraumer Zeit mit Beraterfirmen auf den Worst Case vorbereiten können. Die Klein- und Mittelständler bei uns im Land, aber auch in Großbritannien, die Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer, wie bei Euro-Baltic auf Rügen, die Verbraucherinnen und Verbraucher werden es doch am Ende sein, die die Suppe auslöffeln müssen. Es sind die kleinen Leute, bei denen die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen wieder abgeladen werden.

Auch deshalb sehen wir als LINKE ganz klar einen harten Brexit – das bedeutet die komplette Abkehr von europäischer Zusammenarbeit – als den schlechtesten aller Wege an.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Ich sage es hier ganz deutlich: Nationalismus und nationale Egoismen werden nicht die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen, sie werden diese verschärfen, meine Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Beifall Thomas Krüger, SPD: So ist es. – Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: So sieht es aus.)

Die Europäische Union und damit auch MecklenburgVorpommern als integraler Bestandteil dieser Union

stehen an einer entscheidenden Wegscheide, an der allen Verantwortlichen klar sein muss, dass die jetzigen Ereignisse die Krise der EU weiter verschärfen können – ich sage bewusst „können“ –, wenn wir nicht bereit sind, grundlegend zu Veränderungen zu kommen.

Bereits in der Vergangenheit habe ich an dieser Stelle immer wieder betont, dass sich meine Fraktion klipp und klar zur europäischen Integration bekennt. Nein, meine Damen und Herren der AfD, einer Auflösung des Europäischen Parlamentes oder gar einem Dexit, also dem Austritt Deutschlands aus der EU, wird meine Fraktion immer mit aller Entschlossenheit entgegentreten.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE und Thomas Krüger, SPD)

Mehr Demokratie, mehr Demokratie, nicht weniger muss die Devise sein, wenn wir die EU sicher für die Zukunft aufstellen wollen.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Wir brauchen dringend eine Stärkung des Europäischen Parlaments, das die am besten legitimierte Institution der EU darstellt.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)