Protokoll der Sitzung vom 13.03.2019

Zum Verständnis: Nicht der Wahlausschluss als solcher ist das Problem, dieser ist grundsätzlich bei fehlender Wahlfähigkeit möglich und dann auch wohl geboten. Das war und bleibt auch so. Allein in der Typisierung der davon Betroffenen sieht das Verfassungsgericht eine gleichheitswidrige Regelung. Die fehlerhafte Typisierung der vom Wahlausschluss Betroffenen liegt also darin, dass allein auf die Vollbetreuung abgestellt wird, ohne dass die Gruppe der Vollbetreuungsbedürftigen, denen kein Betreuer bestellt wurde, dabei mitberücksichtigt wurde. Darin sieht das Verfassungsgericht eine Benachteiligung der Vollbetreuten.

Wie nun die Neuregelung aussehen soll, wie insbesondere die Wahlunfähigkeit festgestellt oder eine missbräuch

liche Assistenz vermieden werden soll, dazu schweigt sich das Gericht aus. Ob das Verfassungsgericht so und nur so entscheiden musste und ob es mit seiner Entscheidung der Demokratie einen Dienst erwiesen hat, mag sich jeder selbst überlegen. Lebensnah und praxistauglich ist die Entscheidung jedenfalls nicht, denn man muss wissen, was eine Vollbetreuung tatsächlich bedeutet.

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Sie wird nur angeordnet, wenn der Betreute aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung keine eigenen Angelegenheiten mehr besorgen kann, also rundum dazu nicht in der Lage ist. Davon wird sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Statistisch wird nur in rund sechs Prozent der Betreuungsfälle ein Betreuer in allen Angelegenheiten bestellt. Das geschieht also nur, wenn nichts, aber auch nichts mehr geht. Ich kann mir keinen Fall vorstellen, bei dem dann noch eine Wahlfähigkeit vorliegt.

Eine reale Benachteiligung liegt also gar nicht vor, weil sich der fehlerhafte Wahlausschluss bei dem Vollbetreuten real gar nicht auswirkt, denn der Vollbetreute kann sein nunmehr erlangtes Wahlrecht mangels Wahlfähigkeit höchstpersönlich nicht ausüben. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts ist deshalb in seiner realen Auswirkung, aus meiner Sicht, eine Entscheidung auf und für das Papier, nämlich für das Wählerverzeichnis. Dass sich hier über die Briefwahl neue Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen, lasse ich dabei unberücksichtigt.

Nun zum Antrag auf Neuregelung der BMV. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei der Antrag auf Neuregelung der Sorge um den Rechtsstaat erwachsen. Bei näherer Prüfung entpuppt er sich jedoch als ein nicht durchdachter Schnellschuss, denn es liegt doch auf der Hand, dass es sich hier um ein Problem handelt, dass das Bundeswahlgesetz und die Wahlgesetze der Länder gleichermaßen betrifft und deshalb vernünftigerweise auch nur einheitlich gelöst werden kann.

Rein formal könnte Mecklenburg-Vorpommern natürlich vorpreschen und als erstes Bundesland eine Regelung zur Prüfung der Wahlfähigkeit in das Wahlgesetz einbauen. Wie aber soll das Prüfverfahren denn praxistauglich aussehen? Dazu verhält sich der Antrag mit keinem Wort. Innerhalb eines Betreuungsverfahrens wäre dies wohl denkbar, aber wie soll die auf der Grundlage der Entscheidung des Verfassungsgerichts für eine gleichheitsgerechte Typisierung notwendige Erfassung der nicht unter Betreuung stehenden, aber voll betreuungsbedürftigen Personen denn wirklich in der Praxis erfolgen?

Das Bundesverfassungsgericht hat uns hier ein Ei ins Nest gelegt, bei dem man sich ernsthaft hätte überlegen müssen, ob man es wirklich ausbrüten soll oder ob man es nicht besser bei dem lässt, wie es jetzt ist, denn mit der Streichung des für verfassungswidrig erklärten Satzes besteht nun eine gültige Rechtslage, die aus meiner Sicht nicht zwingend geändert werden muss, sonst hätte das Verfassungsgericht auch eine fristverlängernde Neuregelung gesetzt.

Um eine vernünftige Neuregelung zu treffen, wird man die konkreten Auswirkungen der geänderten Rechtslage,

die denkbar gering sein dürften, prüfen müssen. Vor allem wird man untersuchen müssen, wie groß die Gruppe der nicht betreuten vollbetreuungsbedürftigen Personen ist. Einen Schnellschuss kann es hier nicht geben. Zudem wird mit dem Antrag der Anschein erweckt, die derzeitige Rechtslage sei verfassungswidrig, das Absehen von einer Neuregelung sei ein Verfassungsverstoß. Das ist komplett falsch. Mit dem Wegfall des vom Verfassungsgericht für nichtig erklärten Satzes ist, wie bereits ausgeführt, eine verfassungsgemäße Gesetzeslage hergestellt.

Es gibt kein verfassungsrechtliches Gebot für einen Wahlausschluss bestimmter Personenkreise. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gebietet es gerade nicht, Einsichtsunfähige auszusortieren. Deshalb ist es angesichts der Schwierigkeiten, eine den verfassungsgerichtlichen Vorgaben genügende und vor allem praxistaugliche Typisierung für die auszuschließende Wählergruppe zu finden, zulässig und geboten, in aller Ruhe zu prüfen, ob überhaupt eine Neuregelung erfolgen soll und, wenn ja, wie diese aussehen soll.

Nun zum Antrag der LINKEN: „Demokratie barrierefreier machen“. Ich sprach bereits davon, dass das Bundesverfassungsgericht uns mit seiner Entscheidung vom 29. Januar ein fragwürdiges Ei ins Nest gelegt hat.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ein Rechtsstaatsverständnis!)

Für die LINKE war es allerdings quasi ein Osterei, das sie freudig aufgegriffen hat, um sich mal wieder als Hüter scheinbar Benachteiligter und Diskriminierter zu profilieren.

(Peter Ritter, DIE LINKE: So was war Amtsrichter!)

Aber der Reihe nach: Die UN-Behindertenrechtskonvention – diese wird von niemandem hier infrage gestellt.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Die wird aber nicht umgesetzt, das ist das Problem! – Peter Ritter, DIE LINKE: Und was machen Sie hier die ganze Zeit mit dem Redebeitrag?!)

Für die Bekräftigung eines Bekenntnisses zur UNBehindertenrechtskonvention besteht deshalb hier und heute genauso wenig ein Bedürfnis wie für ein Bekenntnis zur Völkerfreundschaft. Barrierefreie Wahllokale und mobile Wahlteams – barrierefrei ist wünschenswert, ja, aber nicht überall machbar. Darauf kann man sich einrichten, zum Beispiel durch Briefwahl oder die persönliche Hilfe eines anderen.

Es gibt natürlich auch Menschen, die behindert sind, die aber ein Umfeld haben, aus dem ihnen geholfen werden kann. Es gibt Menschen, die so beschäftigt sind, die auch am Wochenende arbeiten müssen, dass sie nicht wissen, wie sie ins Wahllokal kommen. Denen kommt der Gedanke der Briefwahl und dann schaffen sie das auch. Aber das ist natürlich nicht Ihre Zielgruppe.

(Peter Ritter, DIE LINKE: So ein Quark!)

Mobile Wahlteams – gewählt wird im Wahllokal oder per Briefwahl, alles andere eröffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Die fliegende Wahlurne, die der LINKEN wohl vor

schwebt, gab es bei den Wahlen in der DDR. Wir müssen diese nicht wiederbeleben.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Rechtliche Hindernisse ausräumen – es ist unklar, was damit gemeint ist.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Über den ländlichen Raum faseln und dann so was!)

Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der beanstandete Wahlausschluss im Bundeswahlgesetz und wohl auch im Landeswahlgesetz nichtig, Letzteres jedenfalls mit der beschlossenen Streichung.

(Zuruf von Patrick Dahlemann, SPD)

Damit bestehen keine rechtlichen Hindernisse mehr.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Die bisher vom Wahlrecht ausgeschlossenen Vollbetreuten sind nunmehr formal wahlberechtigt und in das Wählerverzeichnis aufzunehmen. Das ist eine reine Verwaltungsangelegenheit, dazu bedarf es keines Beschlusses des Landtages.

In der Lebensrealität, mit der sich ja sonst keiner hier befasst hat,

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Torsten Renz, CDU: Das stimmt nicht!)

wird sich allerdings so gut wie nichts ändern,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und so was war Amtsrichter!)

denn der Vollbetreute ist nun mal in aller Regel außerstande, am demokratischen Kommunikationsprozess teilzunehmen, sonst stünde er nicht unter Vollbetreuung. Das ist die Realität. Und es gibt hier keine Assistenz, die diesen Zustand ausgleicht, denn das Wahlrecht ist eben ein höchst persönliches Recht. Zudem hat der Betreuer, die Person, die für den Vollbetreuten Verantwortung übernommen hat, andere Sorgen, als sich über die Umsetzung eines real nicht umsetzbaren Wahlrechts Gedanken zu machen, wenn er denn jemals persönlich mit einem Vollbetreuten zu tun hatte.

Ansonsten ist die praktische Auswirkung die, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung dem Missbrauch, man denke an Briefwahl und Übersendung von Unterlagen, eine weitere Tür geöffnet hat. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort die Abgeordnete Tegtmeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Die Debatte verblüfft mich an der einen oder anderen Stelle doch sehr.

Zunächst einmal: Wir haben uns sehr bemüht, dieses Gerichtsurteil schnell in Mecklenburg-Vorpommern in

Bezug auf unsere Kommunalwahlen umzusetzen und, wie der Minister ausführlich ausgeführt hat, den verfassungswidrigen Passus aus dem zurzeit gültigen Landes- und Kommunalwahlgesetz einfach zu streichen. Ob danach noch eine Ergänzung beziehungsweise Anpassung nach der entsprechenden Bundesgesetzgebung kommt, lassen wir einmal dahingestellt.

Herr Förster, ich habe zur Kenntnis genommen – im Protokoll dann nachzulesen –, dass Sie das Verfassungsgerichtsurteil, ich sage mal, beanstanden und sogar als ideologisch bezeichnet haben.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Als Ei im Nest.)

Das finde ich schon ein ziemlich starkes Stück!

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

Und, Frau Weißig, bei der Einbringung Ihres Antrages haben Sie herausgestellt, dass die einfache Streichung Ihnen nicht reicht, dass Sie vom Gesetz, also vom Innenministerium praktisch erwarten, dass diese einen Entwurf vorlegen, mit der Sie eine Typisierung, eine Regelung, die doch eine bestimmte Personengruppe ausschließt, schon eingeführt haben möchten, was natürlich zur Folge hat, dass dieses Verfahren verlängert würde und eine Umsetzung mit der Kommunalwahl de facto nicht mehr möglich ist.

Das ist etwas, was ich persönlich etwas bedauere, dass wir das Wahlrecht für vollständig Betreute nicht voll umsetzen können zur Kommunalwahl, sondern wir setzen hier das aktive Wahlrecht um. Und für das passive Wahlrecht sind die Fristen ja bereits, ich sage mal, verstrichen. Sie wissen alle hier im Haus, dass bereits gestern das letzte Abgabedatum für die Einreichung der Wahlvorschläge gewesen ist.

Wir gehen also davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht auch uns in das Stammbuch geschrieben hat, dass unser Paragraf 5 Nummer 2 des Landes- und Kommunalwahlrechts verfassungswidrig ist, und wir streichen das demnach mit unserem Entwurf aus diesem Gesetz heraus.

Übrigens ist in Mecklenburg-Vorpommern nach einer Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht für Menschen mit Behinderungen vom Juli 2016 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales herauskristallisiert worden, dass in Mecklenburg-Vorpommern zu dem Zeitpunkt 1.684 Menschen betroffen waren.

Nun aber zu den Anträgen: Den Antrag der Fraktion Freie Wähler/BMV lehnen wir aus den genannten Gründen, die ich eben erläutert habe, ab. Wir möchten, dass das wirkt zur Kommunalwahl, und nicht, dass das verzögert wird. Außerdem erwarte ich nach Ihrer Einbringung, Frau Weißig, dass Sie im Verfahren einen ganz konkreten Vorschlag machen,