Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Für die Landesregierung hat zunächst ums Wort gebeten die Justizministerin. Frau Hoffmeister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Schaffung einer oder eines neuen Beauftragten diskutiert wird, dann hört man, und so war es hier auch, gelegentlich die Frage: Noch einen Beauftragten?

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Deswegen lassen Sie mich an dieser Stelle eines gleich vorausschicken, auch wenn es sich aus meiner Sicht von selbst versteht: Man kann nicht einfach die Beauftragten zählen und dann zu der Einschätzung kommen, nun sei es gewissermaßen ja wohl genug, sondern man muss die Frage, ob ein solches Amt geschaffen werden soll, selbstverständlich in jedem Einzelfall und auf das jeweilige Themenfeld bezogen beurteilen. Da kann ich Ihnen zu diesem Antrag nur sagen, ich begrüße diesen Antrag zur Berufung eines Antisemitismusbeauftragten sehr, auch persönlich sehr. Er deckt sich mit meinen Intentionen und Überlegungen.

Es gilt, in unserer Verantwortung, und zwar für uns alle, keinen Raum, keinen Platz an keiner Stelle für Antisemitismus in unserem Land zu lassen. Die Kernaussage dabei ist an alle Mitbürger jüdischen Glaubens: Wir stehen zu euch.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und Jens-Holger Schneider, AfD)

Ich bin dankbar, dass jüdisches Leben, jüdische Kultur nach Deutschland, nach Mecklenburg-Vorpommern nach der Schoah, nach der Vernichtung von über sechs Millionen Juden zurückgekehrt ist. Deshalb stehen wir in der Verantwortung, alles zu tun, dass es so bleibt und dass das gefördert wird.

Damit stehen wir nicht allein. Seit bereits einem Jahr gibt es einen Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Viele Bundesländer haben bereits einen entsprechenden Landesbeauftragten berufen. In anderen Bundesländern laufen entsprechende Vorbereitungen oder werden zurzeit geprüft. Der Bundesbeauftragte Dr. Felix Klein hat alle Bundesländer bereits zu gemeinsamen Besprechungen eingeladen, um sich über das weitere Vorgehen zu verständigen. Voraussichtlich im Frühsommer wird sich die Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Thema einer ständigen Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens befassen. Der Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern und der Landesrabbiner befürworten die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten für Mecklenburg-Vorpommern und sehen ihn, wie ich im Übrigen auch, zugleich als Beauftragten für das jüdische Leben in MecklenburgVorpommern.

Meine Damen und Herren, in den erwähnten bisherigen gemeinsamen Besprechungen wurde unser Land durch einen Referatsleiter meines Hauses für den Bereich „Kirchenangelegenheiten“ vertreten. Aber das ist kein Dauerzustand. Zur Unterstützung der Aufklärung und zur Sensibilisierung für aktuelle und historische Formen des Antisemitismus sowie angesichts der intensiven Diskussionen über die Zunahme des Antisemitismus in Deutschland und vor allem der Frage, wie man ihm bestmöglich entgegenwirken kann, sollte auch Mecklenburg-Vorpommern hier nicht abseitsstehen.

Durch die Berufung einer oder eines Antisemitismusbeauftragten wird auch in unserem Land eine geeignete Persönlichkeit als Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin und vor allem für die Koordinierung zur Verfügung stehen und das Land ebenfalls in Bund-Länder-Arbeitsgruppen gemeinsam vertreten. Deswegen finde ich es gut, wenn der Landtag dazu heute durch Zustimmung zu diesem Antrag ein sehr starkes Signal setzt. – Ich danke Ihnen dafür.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und Christel Weißig, Freie Wähler/BMV)

Für die Fraktion der AfD hat jetzt das Wort der Abgeordnete Förster.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Es geht um die Bestellung eines Antisemitismusbeauftragten – ein ernstes Thema und ein Antrag mit einer interessanten Vorgeschichte. An die Stelle des von der Fraktion Freie Wähler/BMV zurückgezogenen konkreten Gesetzentwurfs ist nun ein recht dürftiger Kompromissantrag aller anderen Fraktionen getreten. Der gemeinsame Auftritt mit der Koalition und der LINKEN unter Ausschluss der AfD ist der Fraktion Freie Wähler/BMV offensichtlich wichtiger als ihr eigener solider Antrag.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Ich erlaube mir zunächst, weil Herr Ehlers das auch gemacht hat, einen kurzen Rückblick. Die hier lebenden Juden waren ein sichtbarer Teil des deutschen Volkes, auch wenn ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung gering war, nämlich 1925 nur 0,9 Prozent, in Großstädten wie Berlin 3,8 Prozent, in Frankfurt am Main 4,7 Prozent. Heute beträgt der Anteil nur 0,1 Prozent.

Die Sichtbarkeit der Juden beruhte vor allem auf ihrem weit überdurchschnittlichen wissenschaftlichen und beruflichen Erfolg. Darauf weist insbesondere Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ hin, was früher absurderweise sogar des Antisemitismus bezichtigt wurde.

(Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Das ist eine sehr verkürzte Darstellung des Inhalts dieses Buches.)

Von 1905 bis 1931 gingen 32 Nobelpreise an deutsche Preisträger, 10 davon, also rund ein Drittel, waren Juden. Und dann geschah das Unfassbare: Die jüdischen Mitbürger wurden aufgrund der nationalsozialistischen Ideologie ausgegrenzt, gedemütigt, drangsaliert, verfolgt und am Ende massenhaft vernichtet. Die Folge: Jüdisches Leben ist in Deutschland, jedenfalls in unserem Flächenland hier, kaum sichtbar. Wir reden also über etwas, das kaum einer von uns an seinem Nachbarn oder einem ihm bekannten Menschen konkret festmachen kann. Das erschwert die Sicht auf die Wirklichkeit.

Zum Antrag: Wir lehnen den Antrag ab, weil wir ihn in dieser Form für absolut untauglich und überflüssig halten. Wer den Antisemitismus und vor allem den gewaltbereiten Antisemitismus bekämpfen will, muss andere Wege gehen. Dieses Thema verlangt einen sensiblen Umgang. Antisemitismus in Deutschland ist etwas anderes als Antisemitismus in jedem anderen Land. Das ist so und hat seine Gründe, sollte aber einen ehrlichen Umgang mit dem Thema nicht ausschließen.

Es ist schwer, Antisemitismus verlässlich zu definieren. Es gibt eine international anerkannte Arbeitsdefinition, die auf eine bis zum Hass reichende Ablehnung der Juden abstellt. Der inhaltliche Kern des Phänomens kann hiernach mit Judenfeindschaft gleichgesetzt werden.

Im Bericht des unabhängigen Expertenkreises „Antisemitismus“, der von der Bundesregierung eingesetzt wurde, wird dieser Begriff wesentlich weiter definiert, nämlich als „Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen …, die Juden und als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen“. Diese Definition greift also viel weiter, da sie bei jedem Vorurteil oder Negativmerkmal auch ohne eine innere Abneigung, also ohne eine feindliche Einstellung, erfüllt sein kann. Damit kommt man natürlich auch bei diesen Umfragen zu völlig anderen Ergebnissen.

Antisemitismus gibt es in vielen Facetten. Die älteste Form ist der religiöse Antisemitismus. Daneben gibt es weitere Formen des politischen Antisemitismus, die sich schwer gegeneinander abgrenzen lassen. Grob lassen sie sich in den klassischen Antisemitismus, den sekundären Antisemitismus – dabei geht es um den Umgang mit dem Holocaust und den israelbezogenen Antisemitismus – einordnen.

(Unruhe bei Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE, und Eva-Maria Kröger, DIE LINKE)

Wie steht es nun um den Antisemitismus in Deutschland?

Ich höre dieses Gemurmel.

Wenn man über etwas spricht oder Antisemitismus feststellen will, dann muss man auch wissen, was das ist, und muss es auch definieren wollen.

(Thomas Krüger, SPD: Sie dozieren. Sie sollten das vielleicht mal politisch bewerten! – Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Na dann definieren Sie es doch mal!)

Wie steht es nun um den Antisemitismus …

Das habe ich ja eben getan, wenn Sie nicht zugehört haben.

(Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Nein, das haben Sie nicht! Sie haben gängige Definitionen zitiert!)

Wie steht es nun um den Antisemitismus in Deutschland? Dazu gibt es unterschiedliche Studien, die teilweise einen weitverbreiteten Antisemitismus ausmachen. Dem liegen aber ein weit gefasster Antisemitismus und Befragungen zugrunde, die kritische Äußerungen bereits als antisemitisch einordnen.

Verlassen wir den Bereich schwer zu erfassender Einstellungen, Vorurteile und Meinungen und wenden uns konkret den handfesten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund zu. Antisemitische Straftaten zählen statistisch zur politisch motivierten Kriminalität. Hier weist die Statistik den Täterkreis als überwiegend rechtsmotiviert aus, und zwar mit über 90 Prozent. Darauf wird im politischen Diskurs immer wieder gerne hingewiesen. Dabei wird allerdings regelmäßig verschwiegen, dass über die Hälfte – rund 60 Prozent – der im Bereich PMK-rechts erfassten Straftaten sogenannte Propagandadelikte sind, denen links keine entsprechenden Taten gegenüberstehen, da solche nicht strafbar sind. Das von wem auch immer hingeschmierte Hakenkreuz ist regelmäßig eine Fallzahl für die PMK-rechts. Die Verteilung der Mao-Bibel oder die Verwendung linkextremistischer Symbole haben demgegenüber keine statistische Relevanz.

(Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Hat aber lange gedauert, bis der Linksextremismus wieder da war! Hat lange gedauert! Herrje!)

Nimmt man die Propagandadelikte heraus, stellt sich die Lage komplett anders dar. Dann überwiegen nämlich die politisch linksmotivierten Straftaten. Die Statistik bildet die Wirklichkeit somit verzerrt ab

(Thomas Krüger, SPD: Ja, relativieren Sie ruhig! Relativieren Sie ruhig!)

und ist im Ergebnis irreführend.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Wie sieht das nun bei den politisch motivierten Gewalttaten aus? Hier liefert die Statistik des Bundesinnenministeriums ein völlig anderes Bild. Es überwiegt für 2017 die

PMK-links die PMK-rechts um über 70 Prozent, nämlich 1.967 zu 1.130 Fälle. Antisemitische Straftaten werden allerdings überwiegend dem rechtsmotivierten Täterkreis zugeordnet. Das überrascht zunächst nicht, denn natürlich gibt es im rechtsextremen Milieu einen Antisemitismus. Allerdings fragt es sich auch hier, wie belastbar die Zahlen sind, denn die Erhebungspraxis ist so, dass Straftaten mit einem vermutlich antisemitischen Hintergrund, wenn Anhaltspunkte zum Täter fehlen, automatisch als rechtsmotiviert erfasst werden.

Bemerkenswert ist, dass ein gewaltbereiter Antisemitismus auch im linksextremen Milieu präsent ist. In BerlinNeukölln ist laut einem Bericht des „Deutschlandfunks“ eine maoistische Gruppierung namens „Jugendwiderstand“ unterwegs, der eine klar antisemitische Agenda hat und Leute gezielt angreift, die als Juden zu identifizieren sind. Die Gruppe ist im Richardkiez besonders aktiv und hat dort in fast jeder Straße ihre Symbole – JW, dazu Hammer und Sichel, aber auch 9mm, also Millimeter, für Zionisten – an Hauswände gesprayt. Derartige Todesdrohungen im öffentlichen Raum sind neu und erschreckend.

Es geht hier aber nicht darum, einen Streit darüber zu führen, auf welcher Seite mehr antisemitische Straftaten begangen werden, denn in der Ächtung antisemitischer Straftaten, egal, von welcher Seite sie begangen werden, sind wir uns hoffentlich einig.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Also braucht es doch einen Beauftragten! – Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Es kann aber nicht durchgehen, dass der gewalttätige Antisemitismus wider besseres Wissen als überwiegend von rechts kommend dargestellt und insbesondere der islamistische Antisemitismus dabei komplett übersehen oder kleingeredet wird. Mit dem Migrationsschub 2015 ist der Antisemitismus, vor allem der israelbezogene Antisemitismus, zweifelsfrei angewachsen. Eigentlich kann das niemanden verwundern,

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

wenn man auf die Situation in Nahost blickt. Für viele Muslime, vor allem für diejenigen, die in den Nachbarländern Israels vom Nahostkonflikt betroffen sind, gehört der Hass auf Israel zu deren DNA. Insoweit ist es absolut zutreffend, hier von einem importierten islamistischen Antisemitismus zu sprechen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Hierzu eine Aussage von Macron, Zitatanfang: „verantwortlich für die ,beispiellose Wiederkehr des Antisemitismus‘“ ist „,der radikale Islamismus‘“.

Der Historiker Michael Wolffsohn, eine Deutsch-Jude, äußert sich wie folgt, Zitatanfang: „Mit den“ Migranten „wurden auch deren nationale und regionale Konflikte importiert. … Teile der Mehrheitsgesellschaft haben sich mit antijüdischen und antizionistischen Extremisten aus Arabien“

(Thomas Krüger, SPD: Mann, Mann, Mann!)

„identifiziert, vor allem Linke.“ Zitatende.

(Eva-Maria Kröger, DIE LINKE: Aber inwieweit spricht das jetzt gegen einen Antisemitismusbeauftragten?)