Protokoll der Sitzung vom 11.04.2019

Ich würde mich freuen, wenn Sie uns gemeinsam auf den Weg schicken. Das ist keine Garantie, dass die Bundesregierung uns folgt, aber es ist der Versuch, überhaupt mal einen Stein ins Rollen zu bringen, weil wir glauben, dass bundesweit Interesse bestehen muss, dass man quasi so ein Reallabor für die elektronische Unternehmerschaft beginnt und dass man damit ein ganzes Stück weit die Prozesse, die die Bundesregierung für das OZG ergriffen hat, nämlich Verwaltungsdigitalisierung an allen Ecken und Enden für einen Bereich, bei dem es sich, glaube ich, wirklich lohnt, es zu probieren, nämlich für die Unternehmerseite, genau so einen Prozess zu beginnen.

Und wenn wir da Testgebiet sein dürfen, hat das einen tollen Werbeeffekt und wird uns intern – auch das hat Herr Schulte zu Recht ausgeführt – zwingen, an vielen Stellen noch mal unsere Abläufe effizienter zu machen, weil so ein Angebot eben auch ein Versprechen für Geschwindigkeit und schlanke Strukturen ist. Wenn Sie so etwas beginnen, werden Sie relativ schnell genau an diese eigenen Strukturen rangehen müssen. Es zwingt uns dann auch noch einmal, vielleicht etwas komplexere Dinge im Lande zu überprüfen und schlankzumachen, damit dann Anspruch und Wirklichkeit, die wir hoffentlich hinterher realisieren dürfen, zusammenfallen. – Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Debatte und freue mich auf den Auftrag.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Lerche.

Werte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürger! Heute bringen nun die digitalen Neuländer von CDU und SPD ein internationales Thema in den Landtag.

(Thomas Krüger, SPD: Falsche Rede!)

Jetzt habe ich mal etwas gehört, was im Antrag so nicht beschrieben wurde. Also wenn Unternehmer in Deutschland damit entlastet werden, nicht mehr zu Ämtern und zu Behörden rennen zu müssen, sondern etwas digital im Internet erledigen zu können, dann ist hier schon mal etwas Hervorragendes auf den Weg gebracht.

(Jochen Schulte, SPD: Herr Kollege, die Begründung steht im Antrag.)

Aber darum geht es ja in Ihrem Antrag nicht, dass unsere Selbstständigen oder unsere Körperschaften und unsere juristischen Personen in Deutschland einen sogenannten

Bürokratieabbau erfahren, sich genügend Wege sparen können, sondern es geht jetzt hier um virtuelle Unternehmen. Die schaffen dann ja auch wahrscheinlich virtuelle Arbeitsplätze und zahlen virtuelles Steuergeld.

(Heiterkeit bei Jochen Schulte, SPD: Tut das weh?)

Ich glaube, wenn ich mir aus dem Ausland ein virtuelles Unternehmen in Deutschland zulege, dann lege ich natürlich auch auf einen guten Städtenamen wert. International sind dort Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, München, aber wahrscheinlich nicht Hagenow, Ludwigslust oder Wolgast.

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Stehen Sie nicht zu Mecklenburg-Vorpommern? – Zuruf von Eva-Maria Kröger, DIE LINKE)

Aber vielleicht ist Wolgast ja durch seine Werft auch international, zumindest in Saudi-Arabien, bekannt.

Ich muss sagen, ich bin über den Antrag oder wir alle waren über diesen Antrag sehr überrascht. Mich hat das als IT-ler schon stark gewundert, da hier sonst in Sachen Technik und Digitalisierung eigentlich wenig an Anträgen gestellt wird – lassen wir mal den Breitbandausbau –, und das ist nicht Digitalisierung. Digitalisierung wäre ja mal in den Verwaltungen angebracht,

(Thomas Krüger, SPD: Dazu hat der Minister aber was gesagt.)

denn wenn zum Beispiel private Krankenversicherer oder überhaupt Versicherungsunternehmen und Banken digitalisieren, dann setzen sie anschließend einen Haufen Fachkräfte, die woanders auf dem Markt gebraucht werden, frei. Bei uns in der Verwaltung passiert das komischerweise nie.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Wenn da digitalisiert wird, dann werden anschließend noch mehr Verwaltungsfachangestellte oder Beamte gebraucht.

Neulich reiste ja bekanntermaßen Minister Pegel mit einer Delegation zum Estland-Aufenthalt. Bei der Beobachtung des Besuchs muss den Antragstellern aufgefallen sein, dass man in Estland seit einigen Jahren nun die elektronische Residenz beantragen und auch ein sogenannter elektronischer Resident werden kann. Was digitale Nomaden, Digitaldienstleister, internationale Steuerkanzleien und merkwürdige E-Mail-Briefkastenfirmen seit einigen Jahren, seit 2014 schon registriert haben, ist nun Thema hier im Landtag. Dass das für Sie neu ist, wundert mich nicht, denn Ihrem Antragstext nach zu urteilen, sollen wir in Punkt I feststellen, dass, ich zitiere, „durch die Digitalisierung neue Geschäftsfelder entstehen“. Zitatende. Die sind unabhängig von ihrem Standort und für viele sogenannte Unternehmende bereits Realität.

Liebe Neuländer, es ist ein absolutes Trauerspiel.

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

Es ist einfach nur peinlich, dass der Landtag hier so etwas feststellen muss. Seit mehr als 20 Jahren ist die westliche und fernöstliche Welt fest im Internet verwo

ben. Seit mehr als zehn Jahren spricht man von den sogenannten digitalen Nomaden, die global und ortsunabhängig arbeiten.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Was Sie alles wissen?!)

Das sollen wir nun in einem gegenderten Satz feststellen?! Brauchen wir nicht.

(Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)

Aber worum geht es überhaupt inhaltlich bei der EResidenz? Mit dem geringen finanziellen Aufwand kann man innerhalb einer Stunde ein Unternehmen in Estland anmelden. Man kann eine sogenannte E-Residency beantragen.

(Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV: 15 Minuten dauert das. – Zuruf von Eva-Maria Kröger, DIE LINKE)

Seine elektronische Karte kann man sich problemlos bei der estnischen Botschaft abholen, wenn man akzeptiert wird. Die Vorteile dieser digitalen Staatsbürgerschaft sind der Zugang zur Europäischen Union und eine vergleichsweise geringe Steuerlast. Wenn man ein Unternehmen, vergleichbar mit einer GmbH, in Estland gründet, muss man 2.500 Euro einzahlen, um sich Gewinne ausschütten lassen zu können. Auf diese Ausschüttung wird lediglich eine Unternehmenssteuer von 20 Prozent erhoben, allerdings kommen Sozialsteuern hinzu in Höhe von 33 Prozent, und hinzu kommt natürlich noch eine individuelle Besteuerung in der Heimat. Klingt gut. Und wenn man ein indischer Geringverdiener mit etwa 250.000 Rupien – das sind so 3.200 Euro – im Jahr ist und einen Einkommensteuersatz von null Prozent zahlt, dann hat dies gewisse Vorteile. Es ist preislicher und weit einfacher als ein konventionelles Unternehmen in Deutschland anzumelden, falls man eine Firma im EUBinnenmarkt haben möchte. Es ist ein finanzieller Anreiz für einige Personen, ein Unternehmen in Estland zu gründen.

Befragt man die digitalen Gründer, kommen aber auch andere Motivationen für eine E-Residenz zur Sprache. Nach Statistiken der estnischen Firma LeapIN, die bei der Betreuung der E-Residenz unterstützt, gibt es unterschiedliche Motivationen. So geben circa 41 Prozent der Unternehmer an, dass sie ein ortsunabhängiges Dasein fristen wollen. Etwa 27 Prozent wollen Geschäfte in Estland machen. Um die 9 Prozent wollen eine staatliche Authentifizierung ihrer Tätigkeit. Der Rest, also circa ein Viertel, gab an, dass sie lediglich Fans der E-Residenz sind, Estland besuchen, in Estland leben oder Estland bekannter machen wollen. Nach der Livedokumentation gab es am 05.04.2019 genau 54.014 E-Residenzen in Estland. Mit 611 E-Residenzen ist übrigens Deutschland auf Platz 2 der digitalen Staatsbürger in Estland.

Man könnte sagen, super, holt die E-Residenz nach Mecklenburg-Vorpommern und lasst die digitalen Nomaden hier ihre Steuer zahlen und unser Land bekannter machen. Ein Modellprojekt wäre dafür ideal geeignet, doch so einfach ist das nicht, denn dann muss man sich fragen: Warum sollten Unternehmer oder Gründer ausgerechnet nach Deutschland kommen? Man müsste ein Angebot schaffen, das deutlich vorteilhafter wäre als das von Estland, das heißt weniger Haftungskapital, geringer

Steuersatz, vereinfachte papierlose Bürokratie und noch unkompliziertere Steuererklärungen als in Estland, und das in dem Land, wo die meisten Steuergesetze weltweit existieren.

Das, liebe Landesregierung, halte ich für eine Utopie. Wir haben doch erst kürzlich hier besprochen, wie kompliziert das schon ist, eine digitale Signatur in einem Hotel zu ermöglichen. Die Bundesregierung müsste dafür erst einmal die gesetzlichen Weichen stellen. Und wenn Sie da bewirken, dass die gesetzlichen Weichen gestellt werden, dann ist das ein Positives. Vor allem aber muss der Bund zuallererst ein internationales Image aufbauen. Deutschland wird als Steuerwüste und Bürokratenlabyrinth von Unternehmen und klugen Gründern gemieden. Unsere bunte Republik Neuland wird als digitaler Verlierer in der Welt verlacht. Wir werden als Facebook- und YouTube-Zensoren betrachtet, als Papierbeharrer, als Nation der Verlierer in der Informatikbranche und als das Industrieland mit der schlechtesten Internetverbindung.

Deutschland sollte erst mal einen Blick werfen auf die digitalen Gewinner auf dem Planeten. Schauen wir in die Vereinigten Staaten, in die Niederlande, nach Südkorea, nach Japan oder Singapur, dort gibt es überall keine E-Residenz. Ich denke aber, dass das Konzept der E-Residenz dort durchaus bekannt ist. Man muss sich die Frage stellen, warum das Konzept dort nicht schon lange eingeführt ist. Und wo gibt es sonst eine E-Residenz? Das einzige andere Land mit einer EResidenz ist Aserbaidschan, zumindest laut einer Meldung der aserbaidschanischen Delegation in der EU.

(Heiterkeit bei Jochen Schulte, SPD: War das Frau Strenz, oder wie? – Heiterkeit bei Nikolaus Kramer, AfD, und Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)

Dort lief ein solches Projekt im Oktober vergangenen Jahres an. Mehr hat man davon aber auch nicht gelesen. Nun gut, wir können jetzt natürlich sagen, dass wir als Pioniere da gemeinsam voranschreiten. Vielleicht ist es ja so, dass dieses Mal ein erfolgreicher globaler Trend aus Estland und Aserbaidschan kommt.

Wir müssen aber auch Nachteile im Hinterkopf behalten und könnten sagen, wir machen das nicht. Deutschland hat, wie Sie in Ihrer Begründung ja schreiben, eine etablierte Marke. Deutschlands Marke steht für Integrität, kaufmännisches Vorsichtsprinzip in der Buchführung und klare Haftungsrechte. Ein digitales Refugium für Firmen, die nicht einmal einen Briefkasten haben, sollte daher gründlich überlegt werden. Und dann auch noch ein Modellprojekt in M-V – wie unseriös ist das eigentlich gegenüber potenziellen Gründern? Da soll dann die Bundesregierung international Werbung machen für eine E-Residenz in einem wirtschaftsschwachen, unbekannten Bundesland für ein Modellprojekt. Das geht dann zwei Jahre, und danach wird deine Firma geschlossen, weil das Modellprojekt beendet wurde. Also so geht das nun auch wieder nicht.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU und Jochen Schulte, SPD)

Wenn man eine E-Residenz einführt, dann muss die Bundesrepublik Deutschland eine konkrete, ausformulierte und digitale Staatsbürgerschaft gesetzlich für Gesamt

deutschland festlegen. Oder wird man digitaler Mecklenburger und zahlt nur noch Landessteuern? Also so, wie Sie sich das vorstellen, ist das rechtlich und umsetzungstechnisch schon arg bedenklich.

Zusammengefasst kann ich für meine Fraktion nur sagen, dass wir die digitale Welt und Entwicklung unterstützen. Wir stehen dem nicht ablehnend gegenüber, und die Idee ist diskutabel. Der Antrag ist aber schlecht konzipiert und die Begründung teilweise Träumerei. Wir wollen diesen Antrag aber mal nicht als Schaufensterantrag vor den Kommunalwahlen verstehen, um Digitalisierungskompetenz vorzugaukeln,

(Zuruf von Christian Brade, SPD)

sondern wir versuchen, ihn als Anregung und Anfrage an den Bund zu deuten, und können mit dem Prüfauftrag aus Punkt II noch mitgehen. Wir werden uns deshalb enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Waldmüller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Herr Lerche, ich stelle fest, Sie halten nicht viel von Mecklenburg-Vorpommern beziehungsweise Sie halten nichts von dem Bekanntheitsgrad von MecklenburgVorpommern. Ihre Rede ist ausschließlich rückwärtsgewandt. Ich glaube, ich weiß gar nicht, was Sie für ein Zukunftsbild haben. Wenn Sie sämtliche Chancen für die Zukunft, die man ergreifen muss oder die notwendig sind, von vornherein ausschließen,

(Zuruf von Horst Förster, AfD)

weil Sie sagen, das geht sowieso nicht, weil das nicht stimmt, das nicht stimmt, das nicht stimmt, dann hätten die Esten mit Sicherheit heute nicht den Erfolg, den sie damit erreicht haben.

(Heiterkeit bei Dirk Lerche, AfD)