Protokoll der Sitzung vom 23.05.2019

Liebe Bürger von Mecklenburg und Vorpommern! Frau Präsident! Werte Kollegen und liebe Gäste! Ich möchte mal ganz hinten anfangen mit der Debatte Erbschaftssteuer.

Herr Wildt, Sie hatten das angesprochen, und Herr Ritter, ich glaube, das ist das falsche Stichwort, wenn wir Kapitalismuskritik üben wollen. Erbschaftssteuer, die wirklichen – ich nenne Ihnen jetzt mal den Slogan aus der sozialistischen Ecke –, die wirklichen Großkapitalisten, die zahlen keine Erbschaftssteuer, die haben sich als juristische Personen in Stiftungen oder in Fonds etabliert und sind aus dieser Debatte völlig raus.

Wenn wir mal darüber debattieren könnten und sollten, warum solche Vermögensansammlungen so privilegiert werden – wenn sie Grundstücke kaufen, zahlen sie keine Grunderwerbssteuer oder wenn sie sie übertragen, wenn sie ihre Unternehmen aufspalten und so weiter –, dann wären wir bei Ihnen mit im Boot, darüber zu diskutieren, denn das ist völlig uneinsichtig. Die kleinen Vermögen, der Zugriff auf das selbstbewohnte Eigenheim, die schüt

zen wir ja ohnehin schon, indem wir in der Erbschaftssteuer Freibeträge haben, indem wir bei nahen Angehörigen

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da wollen wir ja auch nicht ran.)

die Summen entsprechend absenken.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Wen wir also mit der Erbschaftssteuer heute treffen, das sind kleine und mittelständische, privat geführte Familienunternehmen, die im Nennwert, weil sie über Grundstücke, Fabrikanlagen und so weiter verfügen, vielleicht 5,7 Millionen zu vererben haben, das dann mit 30 Prozent Erbschaftssteuer auf die Kinder übergehen lassen. Das sind bei 5 Millionen eineinhalb Millionen, die kann kein Erbe bezahlen. Wir ruinieren die familiengeführten mittelständischen Unternehmen mit der Erbschaftssteuer.

(Zuruf von Jeannine Rösler, DIE LINKE)

Deswegen ist die Aussage, dass man über diese Form der Erbschaftssteuer nachdenken muss, sehr richtig. Das nur zu diesem Stichpunkt.

Ansonsten möchte ich mal sagen, mir hat der Vortrag von Herrn Pegel, der hier ja weniger als Minister, sondern, ich nehme mal an, eher als stellvertretender SPDVorsitzender gesprochen hat,

(Torsten Renz, CDU: So ist es.)

ausgesprochen gut gefallen. Anders als Sie gesagt haben, Herr Wildt, war das kein nicht ambitionierter, sondern ich fand ein sehr ausgewogener Vortrag. Und ich möchte jedenfalls meinen Beitrag ein bisschen aufbauen wie er, ich möchte mal juristisch anfangen.

Wir haben ja zwei Formen von Enteignungen, und wir haben die ganze Zeit über die Kühnertʼschen Thesen – wie wichtig oder wie notwendig sind Enteignungen in unserem Wirtschaftssystem – gesprochen. Wir haben zum einen die Enteignung nach Artikel 14 Absatz 3. Das sind Flächen, die gebraucht werden, weil man eine Straße verbreitern, eine Straße bauen möchte oder industrielle Großanlagen, Flughäfen und so weiter baut, dass da im Interesse des Allgemeinwohls mit dem Grundsatz „Allgemeinwohl geht dann vor und die Sozialbindung des Eigentums wird eingefordert“ enteignet werden kann – ist regelmäßig der Fall, wird immer wieder praktiziert.

(Zuruf von Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)

Wir haben über die Junktimklausel die Pflicht zu einer angemessenen Entschädigung. Das sind also nicht die Problemfälle. Die Problemfälle, über die wir reden, die die Kühnertʼschen Thesen von der Enteignung, glaube ich, problematisch gemacht haben, sind Enteignungen auf der Basis von Artikel 15. Die FDP will den Artikel 15 des Grundgesetzes deswegen gleich ganz abschaffen. Ich möchte Ihnen sagen, es wird den einen oder anderen etwas verblüffen, ich möchte diese Kritik an diesen Thesen mal etwas relativieren.

Meine Damen und Herren, wenn Sie das mal betrachten, wenn ich durch Greifswald fahre und sehe dann an der Straße Plakate von den LINKEN, da steht drauf, Wasser,

Strom und so weiter gehören uns allen, dann haben sie recht, die gehören uns allen, nicht im eigentumsrechtlichen Sinne, aber dass damit gemeinverantwortlich umgegangen werden muss. Das Gleiche gilt für Gesundheit. Natürlich können Krankenhäuser privat geführt werden, aber nicht zulasten der allgemeinen Bevölkerung, nicht zulasten einer Kapitalsteigerung ohne Sinn und Ziel.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Hört, hört!)

Das ist das, was dahintersteht, und da gebe ich Ihnen völlig recht.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Frau Weißig hatte gesagt das Beispiel von Gutshäusern, von Schlössern, von kulturhistorisch wertvollen Gebäuden, die verfallen, nicht, weil der Eigentümer sich das Renovieren nicht leisten kann, sondern weil er es nicht möchte, weil er die Grundstücke zu Spekulationszwecken gekauft hat und bewusst und gewollt das, was draufsteht, verfallen lässt, um dann, wenn nichts mehr zu retten ist, vielleicht ein Luxushotel oder sonst irgendwas draufzubauen. Das muss eine Gesellschaft sich nicht bieten lassen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Christel Weißig, Freie Wähler/BMV)

Das sind Dinge, die wir aggressiv angehen sollten.

Wenn ich mir gleichzeitig anschaue, dass es Hedgefonds gibt, die die Ernte, Kakaoernte von einigen Ländern aufkaufen, davon zwei Drittel bewusst ruinieren, kaputtgehen lassen, um den Preis – die Ernte vom Jahr 2021 –, um im Jahr 2021 für die verbliebenen auch in ihrem Eigentum bestehenden Ernteerträge hohe Renditen zu erzielen, dann muss ich sagen, so was hat keine Widerspiegelung in dem, was wir soziale Marktwirtschaft nennen. Und genau dafür brauchen wir auch Enteignungen auf der Basis von Artikel 15.

(Beifall Horst Förster, AfD)

Wenn jemand sein Eigentum nutzt, um eine entsprechende Rendite zu erzielen, dann ist das legitim. Ich denke, selbst die Linksfraktion wird da zustimmen können. Wenn aber Eigentum gemeinschaftsschädlich genutzt wird, wenn Gemeingüter gefährdet werden, dann braucht die soziale Marktwirtschaft auch ein Steuerungsinstrument, um solchen Eigentümern einen Riegel vorschieben zu können. Und im Sinne unseres heute 70 Jahre alt gewordenen Grundgesetzes ist es genau der Artikel 15. Das macht Sinn, das ist das soziale Ventil einer eigentumsorientierten Werteordnung, die das Grundgesetz vorgibt. Dazu brauchen wir den Artikel 15. Und in dem Punkt hat Herr Kühnert recht mit seinen Thesen.

Und wenn ich dann – Sie, Herr Pegel, hatten es angesprochen, ich habe auch in die Kommentare geguckt – feststellen muss, es gab in 70 Jahren, in den Zeiten unter diesem Grundgesetz noch nicht eine einzige Enteignung auf der Basis dieses Artikels 15, wenn ich gleichzeitig die vielen verfallenen Gutshäuser sehe – gut, die meisten sind internationale Großkapitalisten, die hier in Deutschland mit unseren rechtlichen Regelungen schwer zu greifen sind –, wenn ich aber Marktmissbrauch in einem immensen Maße feststelle und dann im Kommentar lese, kein einziger Anwendungsfall, dann muss ich sagen,

dann bedauere ich das, dann haben wir dieses Steuerungsinstrument, das das Soziale unserer Marktwirtschaft zum Ausdruck bringen soll, nicht richtig genutzt.

Ich würde mir wünschen, dass wir mit diesem Instrument etwas schärfer umgehen würden, gerade um die normalen ertragsorientierten Eigentümer, die keine gemeinwohlschädlichen Interessen an den Tag bringen, um die zu schützen. Um unsere Eigentumsordnung zu schützen, muss man solchen Auswüchsen auch entgegengehen können. Insofern hat Herr Kühnert mit seinen Aussagen recht. Wenn er dann BMW als Beispiel nennt und so weiter, dann hat er sich wahrscheinlich in der Zielstellung vergriffen. Das sind nicht die Objekte, die wir jetzt zum Ziel haben müssen.

Aber solche gemeinschaftsschädlichen Eigentumsauswüchse – an die muss man ran können. Man muss nicht gleich enteignen, da gibt es erst mal Auflagen, da gibt es Aufforderungen und so weiter, aber wer sich beharrlich weigert, den muss man am Ende auch über Artikel 15 Grundgesetz enteignen können. Das sind wir unseren Mitbürgern, das sind wir unserer Heimat, das sind wir unseren kulturellen Werten schuldig, und deswegen – auch wenn es den einen oder anderen verblüfft – kommen auch von der AfD durchaus Töne, die sagen, Herr Kühnert hat nicht nur Unrecht gehabt mit dem, was er gesagt hat. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Ums Wort gebeten hat für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Koplin.

(Torsten Renz, CDU: Oha! Jetzt kommt der Gegenpart.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Die beiden Redebeiträge der die Aussprache beantragenden Fraktion AfD haben deutlich gemacht, dass es schon unterschiedliche Akzentuierungen gibt. Und die Redebeiträge, die hier gehalten wurden, mit einer Ausnahme, finde ich sehr bemerkenswert und interessant, auch den von Ihnen, Herr Schulte. Und ich finde es einfach schade, dass Sie am Ende – das ist meine Gefühlslage – Ihren Redebeitrag dann selbst entwerten, indem Sie sagen, na ja, wir hätten uns diese Aussprache sparen können. Eben nicht, weil es eben um grundsätzliche Fragen gesellschaftlicher Entwicklung geht.

Sie selbst haben sehr eindringlich gesagt – und das möchte ich an dieser Stelle auch unbedingt unterstreichen –, dass wir vor enormen gesellschaftlichen Herausforderungen stehen. Also Sie haben das Wort nicht benutzt, aber es umschrieben: digitaler Kapitalismus, der uns ganz andere Fragen aufzwingt, denen wir uns stellen müssen. Zugleich gibt es aber Fragen, die standen vor 150/160 Jahren schon und die stehen heute wieder, das sind die drei entscheidenden Fragen:

Erstens. Wem gehörts?

Zweitens. Wer entscheidet?

Drittens. Wer entscheidet, wer entscheidet?

Und gleichzeitig, sage ich mal, können wir anhand dieser Diskussion eigentlich Kevin Kühnert dankbar sein, dass er diesen Impuls in diese Gesellschaft gegeben hat und wir darüber reden, denn ein Über-den-Kapitalismushinaus-Denken haben wir bitter nötig.

Es gibt einige Widersprüche, das springt so sehr ins Auge.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Also dieser Tage vor aller Augen auf Bundesebene bemühen sich zwei SPD-Bundesminister, für die Grundrente das Geld zusammenzustoppeln, und unterbreiten Finanzierungsmodelle. Dann wird Einspruch vom Koalitionspartner geübt, aber deutlich wird an dieser Stelle, während hier zwei Bundesminister der SPD um die Finanzierung der Grundrente ringen, lachen sich 1 Million Millionäre und über 240 Milliardäre ins Fäustchen, weil sie sich angesichts der gegenwärtigen Steuerstruktur und Steuererhebung aus der Solidargemeinschaft locker verabschieden können.

Oder ein anderes Beispiel: 1994 gab es in der Bundesrepublik 25 Tafeln, mittlerweile haben wir – ich habe es mir aufgeschrieben – 972 in diesem Jahr, Anfang dieses Jahres 972 Tafeln. Warum es sie gibt, ist klar, das brauche ich hier nicht zu erklären.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Ja, weil wir so viele Migranten haben.)

Aber gleichzeitig ist zu konstatieren, dass es Unternehmen gestattet ist, sich auf Steueroasen, ob in den Kanalinseln oder anderswo, genüsslich breitzumachen. Jahrzehntelang galt immer dieser Vertrag, im Austausch zu harter Arbeit gibt es eine soziale Absicherung. Und die ist für viele eben nicht mehr gegeben – deswegen ja auch die Diskussion um Mindestrente, Grundrente und andere sozialstaatliche Kriterien.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Und während wir Geld für Qualitätsverbesserungen in Kitas und Inklusion an den Schulen einfordern, wir selber uns hier auch in Mecklenburg-Vorpommern darüber Gedanken machen, kriecht aus meiner Sicht die Bundesregierung dem US-Präsidenten mit dessen Forderung nach Erhöhung der Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu Kreuze.