Protokoll der Sitzung vom 15.11.2019

Vor ungefähr einem Jahr wurde der Presse ein selbstverfasstes Gutachten zugespielt, das einige wilde Behauptungen aufstellte. Der Mülldeponie wurde durch Herrn Stefan Schwesig, dem Ehemann der Ministerpräsidentin, bescheinigt, dass es massive Überschreitungen von Grenzwerten gegeben hätte. Gesundheit und Umwelt waren angeblich in Gefahr. Herr Schwesig befand sich beruflich damals schon mit einem Bein beim Landesforst. Das hinderte ihn nicht daran, seinem scheidenden Arbeitgeber, der Deponie, die Überreste seiner Tätigkeit als Controller aufzuhäufen. Alles Zufall? Ein Versehen? – Wir glauben nicht daran.

(Jochen Schulte, SPD: Gehen Sie in die Kirche, wenn Sie glauben wollen!)

Die grünen Alarmglocken schlugen in den Medien an, die Landesregierung sprang auf, es gab Pressekonferenzen, Ausschusssitzungen, Gutachten, einen Sonderbeauftragten und einen Antrag im Landtag. Und nun, etwa ein Jahr, nachdem wir uns alles zu Gemüte geführt haben, kommt eine Entscheidung seitens der Landesregierung: Die Deponie soll im Jahr 2035 bei deutlich weniger Anliefermenge geschlossen werden. Der Bereich Abfallwirtschaft wurde komplett aus dem Wirtschaftsministerium extrahiert und ins Landwirtschaftsministerium überführt. Das Ganze mitten in der Haushaltsverhandlung! Was für ein Chaos! Das Wirtschaftsministerium ist nun noch weiter geschrumpft, ein Miniministerium bleibt übrig.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der SPD – Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU, und Bernhard Wildt, CDU)

Warum das Ganze? Das versteht kein Mensch.

In der gemeinsamen Sitzung des Agrar- und des Wirtschaftsausschusses im Oktober wurde es völlig obskur. Der beauftragte Sondergutachter Dr. Tilmann Schweisfurth stellte sein Gutachten vor. Das Ergebnis: Es gab keine rechtlichen Verstöße, es gab keine gesundheitliche Gefährdung. Dr. Schweisfurth gab ein paar prozessuale Empfehlungen und steuerrechtliche Hinweise, denen

man nachgehen sollte. Vor allem aber gab es Warnungen, die Rücklagen für die Renaturierung sind gefährdet. Es wurde durch Herrn Schweisfurth deutlich klargestellt, bei jetzigen Zins- und Inflationsannahmen reichen die Rücklagen nicht für die Renaturierung aus. Der Steuerzahler soll es wieder richten.

Der Landwirtschaftsminister Backhaus hatte im Oktober noch keinen blassen Schimmer, wie es weitergehen soll. Er sagte, er habe einen Brief an andere Bundesländer des Nordostverbundes senden lassen mit der Nachfrage, ob die Bundesländer nicht so freundlich wären, uns zu helfen. Und heute wahrscheinlich auf der Konferenz bittet er die anderen Bundesländer um Hilfe.

Man weiß nicht mehr, ob man weinen oder lachen soll. Sehenden Auges und ohne Planung wurden in unserer Staatskanzlei Dinge beschlossen, die den Umweltschutz und unsere Entsorgungssicherheit massiv gefährden.

(Zuruf von Christian Brade, SPD)

Aber Herr Backhaus ließ es schon durchblicken mit seiner Wir-schaffen-das-Mentalität: Ziel sei es, so Herr Backhaus, für die Entsorgungssicherheit im Land zu sorgen. Mecklenburg-Vorpommern sei geologisch gut untersucht, viel besser als die alten Bundesländer. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Das klingt danach, dass man sich nach einem neuen Standort für eine Deponie in Mecklenburg-Vorpommern umsehen wird. Aber wer glaubt denn im Ernst, dass nun, nachdem der Ihlenberg ein Jahr lang skandalisiert wurde, noch eine Kommune aufspringt und sich zur neuen Deponie bereiterklärt? Wer glaubt denn im Ernst, dass BUND oder NABU nun nicht mehr herumspringen wie die Kängurus, wenn eine neue Deponiefläche ausgewiesen wird?

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Und wer glaubt denn im Ernst, dass nun irgendwelche anderen Bundesländer für uns einspringen werden, ohne dass es sehr, sehr teuer wird?

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Und Herr Schweisfurth hat es ja auch gesagt: Beim Ausstiegsszenario 2035 müsste man quasi jetzt schon eine neue Deponie ausloten. Die Such-, Planungs-, Genehmigungs- und Bauprozesse dauern laut ihm etwa 15 Jahre. Mit wesentlich längeren Planfeststellungsverfahren rechnet aber der Verband Sekundärrohstoffe und Entsorgung. Er rechnet mit bis zu 20 Jahren.

Jetzt können Sie sich selbstverständlich hier alle heute hinstellen und sagen, dass man natürlich nicht alles in Stein meißeln muss. Falls es Probleme gibt, dann könne man die Schließung immer noch nach hinten heraus verlängern. Wir von der AfD-Fraktion sagen, dass wir diese gedankliche Option schon mal ziehen wollen. Wir wollen eine Öffnung der Deponie bis mindestens 2050.

(Beifall Jens-Holger Schneider, AfD)

Dies hat mehrere Vorteile.

Erster Vorteil: Die Landesregierung kann in ein paar Jahren langsam und mit Bedacht nach einem geeigneten neuen Standort suchen und damit planen. So planen wir erst und beschließen dann. Derweil könnte die Lan

desregierung in Ruhe prüfen, wo bei guten geologischen, logistischen und räumlichen Verhältnissen auch eine maximale Akzeptanz unter den Bürgern vorhanden ist.

(Jochen Schulte, SPD: Na, auf die Akzeptanz bin ich mal gespannt!)

Wenn nun übereilt ein Standort gesucht wird, besteht die Gefahr, einen Ort zu wählen, der vielleicht die geringste Akzeptanz aufweist.

Zweiter Vorteil: Bis zum Jahr 2050 kann die volle Kapazität an Müll verbaut werden. Darüber freut sich der Finanzverwalter der Deponie, der die Gewinne für die Renaturierung auf die hohe Kante legen kann, und den Steuerzahler in Mecklenburg-Vorpommern wird es auch freuen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Darüber freuen sich aber auch die selbsternannten Klimaschützer, denn der Müll läuft nicht Gefahr, quer durch die Republik gefahren werden zu müssen.

(Jochen Schulte, SPD: Ach nee?!)

Darüber freuen sich auch alle Freunde der Logik, denn es schmälert den Gesamtnutzen, wenn wir bei gleichbleibender Erzeugung von Abfällen einen bestehenden Standort nicht ausschöpfen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Durch die jetzige Schließung entgehen dem Land schätzungsweise 110 Millionen zusätzlich an Gewinnen. Diese Gewinne können wir wieder verbuchen.

Dritter Vorteil: Die Wahrscheinlichkeit, die Rücklagen verzinsen zu können, steigt mit zunehmender Ausweitung der Frist. Also die Zinsrisiken werden sinken, wenn wir eine möglichst längere Laufzeit ansetzen.

Vierter Vorteil: Die Gemeinde Selmsdorf hat weiterhin alle der 130 Männer und Frauen in Lohn und Brot sowie auch die ansässigen Unternehmen, die der Deponie zuliefern. Die Gemeinde Selmsdorf behält ihre Gemeindesteuern und diese angesiedelten Unternehmen. Die Gemeinde Selmsdorf kann mehr Geld für eine zukünftige Nachsorge sparen, die anfallen wird, wenn das Land die Deponie in ferner Zukunft der Gemeinde überlassen wird.

Fünfter Vorteil: Vor allem aber wird unsere Umwelt weiterhin in der Praxis geschützt. Unser gesamter menschengemachter Müll wird lokal in MecklenburgVorpommern verbaut. Der bewährte Standort, die moderne Sickerwasserfilterung und die neuwertigen Überwachungssysteme sorgen mit dem eingespielten Team für maximalen Schutz.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Aber auch die Wege für die Lastkraftwagen bleiben kurz und es entsteht weniger Schadstoffausstoß im Verkehr.

Meine Damen und Herren, deshalb bitte ich hier heute darum: Ignorieren Sie nicht den Müll,

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

den Sie alle, den wir alle durch unseren Konsum produzieren! Der künftigen Generation müssen wir einen lebenswerten Planeten hinterlassen. Es gibt also keinen Planeten B. Wir können nicht einfach ohne Konzept die Schranke am Ihlenberg schließen und damit die Augen verschließen. Stimmen Sie dem Antrag zu und lassen Sie uns mit Bedacht bis zum Jahr 2050 neue Lösungen finden und maximale Rücklagen für die Renaturierung schaffen! Bürden Sie diese Kosten nicht den zukünftigen Steuerzahlern in Mecklenburg-Vorpommern auf! – Ich danke.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Holger Arppe, fraktionslos)

Ich begrüße auf der Besuchertribüne eine Besuchergruppe aus Neukloster. Herzlich willkommen!

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine verbundene Aussprache mit einer Dauer von bis zu 55 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Schulte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Zunächst einmal zu Beginn, damit da gar kein Zweifel dran herrscht: Die SPD-Fraktion begrüßt ausdrücklich sowohl das Gutachten des Sonderbeauftragten als auch die darauf basierende Unterrichtung der Landesregierung. Und um es auch klarzustellen: Die SPD trägt auch vollumfänglich mit, was das Kabinett auf der Grundlage des Berichtes des Sonderbeauftragten beschlossen hat. Das betrifft nicht nur den Beschluss, dass nach 2035 keine weitere Entsorgung insbesondere von gefährlichen Restabfallstoffen mehr auf der Deponie Ihlenberg stattfinden soll, das umfasst auch ausdrücklich die Konzentration des Deponiebetriebes auf Abfallstoffe aus dem sogenannten Entsorgungsgebiet Nord-Ost und damit ausdrücklich den Ausschluss von Restabfallstoffen nicht nur aus dem europäischen Ausland, sondern auch aus dem sonstigen Bundesgebiet.

Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen, manchmal hatte man ja in der Vergangenheit tatsächlich schon den Eindruck, dass die Deponie Ihlenberg seit Beginn der 80er-Jahre fast schon nicht nur die Müllkippe Deutschlands, sondern insgesamt Europas war. Und es ist gut, dass das ein Ende hat.

(Beifall Martina Tegtmeier, SPD)

Allein 2017 sind über circa 120.000 Tonnen grenzüberschreitende notifizierungspflichtige Abfälle – das sind dann unter anderem toxische, gefährliche Abfälle – nach Mecklenburg-Vorpommern importiert worden. Das ist im Vergleich zu der Annahmemenge im Jahr 2012 eine Steigerung von knapp 50 Prozent. Ich sage das an dieser Stelle nur, weil, wenn wir über die Reduzierung von Abfallmengen aus dem Jahr 2017 als Bemessungsgrundlage reden, da muss man wissen, dass es in den vergangenen Jahren exorbitante Steigerungen der Annahmemenge gegeben hat. Und diese 25 Prozent, über die wir reden, ist im Endeffekt nur ein Zurückführen auf einen Zustand, den es in einigen Jahren zuvor schon gegeben hat.

Und, meine Damen und Herren, es gibt absolut keinen Grund, es gibt absolut keinen Grund, um Müll beispielsweise aus Dänemark, Finnland, der Schweiz, Irland oder auch Italien über Hunderte von Kilometern über Land oder See nach Mecklenburg-Vorpommern zu transportieren, um diesen Müll dann im wahrsten Sinne des Wortes hier in unserem Land zu begraben.

(Beifall Dr. Ralph Weber, AfD)

Und, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich erlaube mir, in dem Zusammenhang auch die Kollegin Schwenke aus ihrer Rede in der Debatte vom 17.11.2011 zu zitieren. Damals, liebe Mignon Schwenke, ging es um die Asbesttransporte aus Hannover hier nach MecklenburgVorpommern. Wir hatten, was die rechtliche Bewertung der Verträge angeht, unterschiedliche Auffassungen, aber die grundlegende Frage, um die es hier geht, da, denke ich mal, sind wir auch heute konform. Die Kollegin Schwenke sagte damals, und ich erlaube mir zu zitieren: „Tausende Lkw über einen langen Zeitraum auf der Straße, wenn es auch anders ginge, sind weder für mich sinnvoll noch ökologisch, noch nachhaltig. Da rede ich noch nicht einmal über die im Raum stehenden Gefahren.“ Und das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das gilt auch heute, nicht nur im Jahre 2011.

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Ja, selbstverständlich! Aber auch andersrum! Es gilt auch andersherum!)

Das, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, gilt dann wohl erst recht nicht nur bei Transporten aus Niedersachsen, Hannover, die dann tatsächlich auch zum Entsorgungsgebiet Nord-Ost weiter gehören werden, sondern das gilt insbesondere auch bei Transporten aus dem Ausland.

Insofern, ich habe es eben schon gesagt, ist auch die vorgesehene Reduzierung der Annahmemengen um 25 Prozent bezogen auf das Jahr 2017 ein richtiger Schritt. Es ist auch ein Signal, dass Müllvermeidung, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, mehr als nur ein Wort sein muss. Und es zeigt sich allein an den zuvor genannten Steigerungen der Jahre 2012 bis 2017, dass mit dieser Beschränkung immer noch ein sehr großes Annahmevolumen im Vergleich zu früheren Jahren zu Verfügung steht und dass damit auch nicht der Entsorgungsnotstand weder in Mecklenburg-Vorpommern noch in Norddeutschland stattfindet.