und Sie zu der Auffassung gekommen sind, ähnlich wie Herr Hampel, Mitglied des Bundestages, der AfD-Fraktion angehörend, der ja festgestellt hat, Corona ist eine „verhältnismäßig leichte Grippe“.
(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Wolfgang Waldmüller, CDU – Zuruf von Horst Förster, AfD)
Wenn Sie einen neuen Weg gehen und das Thema „Gesundheit und Wirtschaft“ nicht mehr in der Gesamtheit betrachten, sondern zu 100 Prozent fixiert sind auf das Thema „Wirtschaft“, dann ist das Ihre Position, die ich, die wir nicht teilen.
Und, Herr Kramer, wenn Sie an dieser Stelle sagen, „mehr Schweden wagen“, dann will ich Ihnen sagen, das ist ein gefährlicher Weg. Und wenn Sie die Zahlen von Schweden analysieren und feststellen, der Stand, den ich gestern noch mal gelesen habe, 3.040 Tote in Schweden, dann ist jeder Tote zu viel, dann will ich Ihnen aber mathematisch sagen, Herr Kramer, Sie sollten diese Zahl der Toten auch ins Verhältnis setzen zur Einwohnerzahl von Schweden. Und wenn Schweden eine Einwohnerzahl hat von circa 10 Millionen, dann ist das eine ungeheuerliche Zahl von über 3.000 Toten, weil, wenn wir diese Zahl dann ins Verhältnis setzen auf 1 Million Einwohner, dann kommen wir in Schweden auf einen Wert von 289 Todesfällen.
Und wenn wir den Wert von Deutschland betrachten und der Wert bei 87,7 liegt, dann kann es doch nicht Ihr Ernst sein, uns den schwedischen Weg zu empfehlen, wenn wir dort sozusagen ein über dreifaches, oder circa das Dreifache mehr an Toten haben bezogen auf 1 Million Einwohner. Ich glaube, wenn das Ihre Arbeitsgrundlage ist, disqualifizieren Sie sich selbst in dieser Debatte, wo die Gesundheit, aber auch die wirtschaftlichen Aspekte in einem Land in einem abgewogenen Verhältnis zur Diskussion gestellt werden müssen und auch entsprechend politisch verantwortlich abgewogen und dann auch handlungskompetent in diesem Bereich gehandelt werden muss. Und deswegen, genau deswegen möchte ich zu Beginn noch mal wieder darauf hinweisen, weil ich glaube, man kann es nicht oft genug tun, und Ihr Redebeitrag hat es gezeigt, zu erinnern an den Zustand vor ein paar Wochen, nämlich in Norditalien, in Madrid oder New York, wo der Virus, die Pandemie gewütet hat und Sie Tausende von Toten gesehen haben und den Kollaps des Gesundheitswesens in diesen Ländern.
Und jedem muss es damals auch klar gewesen sein – Ihnen entscheidend Ende März/Anfang April auch –, wenn wir das verhindern wollen, dass es uns nicht so erwischt wie die von mir aufgezählten Regionen, dann müssen wir schnell und beherzt handeln, denn das Virus kennt keine Kompromisse und es wird auch nicht davon verschwinden, wenn wir es einfach ignorieren, so, wie Sie es jetzt wahrscheinlich zu Ihrer Maxime erklärt haben. Deswegen waren die Maßnahmen, so hart sie auch waren – vor dem Hintergrund, den ich eben beschrieben habe, vor diesen Bildern –, waren sie auch von einer großen Akzeptanz in unserem Land getragen. Und insofern macht es mich sprachlos, wenn neuerdings so getan wird, als sei das Ausbleiben dieser Katastrophe der Beweis für die Überflüssigkeit der Maßnahmen. Nein, es ist genau umgekehrt!
Es ist genau umgekehrt und daraus wird dann ein Schuh: Die Katastrophe konnte nur abgewendet werden, weil Bund und Länder gehandelt haben.
Hinzu kommt, wir haben für den Kampf gegen diese Form der Pandemie keine Blaupause. Auch Naturwissenschaftler arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten. Vorhersagen sind deshalb nur schwer möglich. Beachtet man die Datenlage, mit der Wissenschaft und Politik arbeiten mussten, stelle ich fest, dass unser Krisenmanagement ziemlich eindeutig zu den besten der Welt gehört, und ich glaube nicht, dass wir uns an Schweden hier ein Beispiel nehmen sollten.
Glücklicherweise ist es so, dass seit Tagen die Infektionszahlen sinken beziehungsweise sie sich auf einem sehr niedrigen Niveau stabilisiert haben. Deswegen ist der Wunsch vieler Menschen verständlich, dass die Maßnahmen zum Infektionsschutz gelockert werden. Ein Teil der Bevölkerung wiegt sich in Sicherheit, obwohl Politik und insbesondere auch die AfD das Ausbleiben einer zweiten Welle nicht garantieren kann.
Es kommt auch hinzu, dass wir es uns weder gesellschaftlich noch finanziell leisten können, ein Kontaktverbot auf Dauer aufrechtzuerhalten. Und insbesondere diese Lage, diese Fakten stellen uns Politiker vor eine besondere, vor eine große Herausforderung. Und diese besondere Situation in einer Krise, Politik, Bürger in einer Demokratie, lässt mich zu einem Zitat der Bundeskanzlerin aus ihrer Regierungserklärung Ende April kommen. Die Kanzlerin sprach darin von einer Pandemie als einer, Zitat, „Zumutung für die Demokratie“. Ich teile diese Einschätzung ausdrücklich. Die Pandemie ist dabei für mich auf drei Ebenen eine Zumutung für die Demokratie.
Erstens. Die totale Entscheidungskonzentration in den Regierungen widerspricht dem Wesen unserer parlamentarischen Demokratie.
Zweitens. Die wenn auch vorübergehende, dafür aber weitreichende Einschränkung von Grundrechten ist mit unserer demokratischen Kultur im Normalfall praktisch unvereinbar.
Und drittens. Der Zwang zur sozialen Distanz kratzt am Kern unseres gesellschaftlichen und damit auch demokratischen Gemeinwesens.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich feststellen, dass ich die Maßnahmen für richtig halte, die wegen der Pandemie getroffen wurden. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass wir uns regelmäßig vergegenwärtigen, dass die Ausnahmesituation eine Ausnahmesituation bleiben muss.
Ich möchte auf die drei Ebenen, die ich eben genannt habe, im Folgenden näher eingehen und damit zunächst auf die Entscheidungskonzentration auf Regierungsebene.
Bundesregierung und Landesebene haben in großer Verantwortung gehandelt. Wegen der Eilbedürftigkeit war vieles nur auf dem Verordnungswege machbar. Wir stellen aber auch fest, Menschen fühlen sich nicht oder nicht mehr mitgenommen. Meine Wahrnehmung ist die, dass ein Drittel der Bevölkerung sich eher noch härtere Maßnahmen wünscht und selbst die bisherigen Lockerungen für falsch hält, ein Drittel ist der Meinung,
dass wir bereits zum Normalzustand zurückkehren sollten, und ein Drittel ist ambivalent. Je nachdem, welches Meinungsforschungsinstitut Sie beauftragen, bekommen Sie möglicherweise leicht abweichende Werte, aber aus meiner Sicht trifft es in etwa die Gefühlslage. Dieser Befund darf für uns nicht handlungsleitend sein, wir dürfen ihn aber auch nicht ignorieren.
Der normale Gesetzgebungsprozess dient auch dazu, Menschen zu erklären, warum manche Eingriffe notwendig sind. Die Probleme bei der Akzeptanz mancher Maßnahmen sind insofern auch ein Stück hausgemacht. Allerdings glaube ich nicht, dass es etwas geändert hätte, wenn die Opposition noch weitreichender in den Verordnungsprozess eingebunden wäre.
Und ich glaube auch nicht an den Nutzen von Allparteienregierungen. Ziemlich sicher bin ich mir indessen, dass die Geschwindigkeit, mit der Verordnungen zum Infektionsschutzgesetz zuletzt angepasst wurden, viele Menschen mit Unverständnis zur Kenntnis genommen haben.
Zudem beklagen viele Menschen eine gewisse Ungleichzeitigkeit. Noch bevor in Berlin die neue Marschroute klar ist, werden über die Medien erste Details bekannt. Dann wird in Berlin politisch vereinbart, in den Ländern politisch beschlossen, dann wird die Verordnung angepasst und bevor wieder gemeinsam in Berlin mit der Bundesregierung beraten wird, erfolgt gegebenenfalls erneut eine politische Beschlussfassung und eine geänderte Verordnung, die gewisse neue Details regelt. Dass am Ende dann selbst für Spezialisten nicht mehr recht zu durchschauen ist, was gerade gilt, ist dann wirklich nicht verwunderlich.
Und ich habe es am Montag im Pressegespräch gesagt und ich wiederhole es hier gerne noch einmal: Eine Verordnung, die fast das gesamte Leben regelt, alle 48 Stunden zu verändern, trägt weder dazu bei, die Maßnahmen zu verinnerlichen, noch ist so ein Verfahren geeignet, Vertrauen aufzubauen. An dieser Stelle hätte ich mir kritische Stimmen der Opposition im Land übrigens gut vorstellen können
Nun ist es aber bei dieser Pandemie so, dass auch ich täglich Neues lerne. Zudem muss ich akzeptieren, dass es Maßnahmen gibt, deren Wirksamkeit sich isoliert kaum bewerten lässt, und dass es durchaus auch passieren kann, dass sich getroffene Maßnahmen als unwirksam oder falsch erweisen. Das liegt aber angesichts der Datenlage auch in der Natur der Sache und auch Wissenschaftler haben keine Glaskugel. Die Einzigen, die schon immer alles vorher gewusst haben wollen, ganz egal, um welches Thema es geht, sind die Helden der dritten Halbzeit, die sich zu großen Teilen auf Demonstrationen begeben und bewusst zum Beispiel Sicherheitsabstände ignorieren. Nicht, dass Sie mich an dieser Stelle falsch verstehen: Demonstrationen, egal zu welchem Thema, gehören
zu unserer Demokratie dazu, aber ich glaube und bin der Auffassung, dass es immer eine Frage des Wie ist.
Fakt ist aber auch, der Verlauf einer Pandemie lässt sich allenfalls mit Wahrscheinlichkeiten vorhersagen. Entsprechend unvollkommen sind auch die Maßnahmen und ihre Begründungen. Entscheidend aber ist doch für uns eines: Die ganz große Katastrophe ist in Deutschland ausgeblieben, anders als in Spanien, Italien oder den USA. Und so viel lässt sich mit Sicherheit sagen, die getroffenen Maßnahmen haben im Grundsatz erheblich dazu beigetragen, dass wir so dastehen, wie wir dastehen, und wahrscheinlich mit einem blauen Auge davonkommen werden. Und bei aller Kritik an der Bundesregierung und auch an den Landesregierungen, wir können von Glück sagen, dass wir in Deutschland von Menschen regiert werden, denen es im Wesentlichen um die Sache geht und nicht um sich selbst. Die Gegenbeispiele sind die USA, Großbritannien oder Russland – aus meiner Sicht starke Sprüche und nichts dahinter.
Grund genug, auf die zweite Ebene demokratischer Zumutungen zu blicken: die Grundrechtseinschränkungen. Die derzeitige Situation ist, dass im Prinzip alles verboten ist. Die Ausnahmen definiert die jeweils gültige Verordnung zum Infektionsschutzgesetz. Für uns sollte gelten, unsere Gesellschaft muss, so schnell es medizinisch vertretbar ist, wieder in den Normalmodus zurückfinden. Lediglich spezifische Verbote müssen formuliert werden und wenn möglich auch in Gesetzesform.
Die Grundrechtseinschränkungen sind gravierend und weitreichend. Berufsfreiheit, Recht auf Religionsausübung, Versammlungsfreiheit, das Recht auf Freizügigkeit im Bundesgebiet, Recht auf Eigentum und so weiter – viele Grundrechte waren stark eingeschränkt worden, einige sind es noch. Ich gehe davon aus, dass sie alle auch notwendig sind. Dennoch bildet unser Grundgesetz einen bindenden Rahmen, und deswegen darf niemals auch nur der Eindruck entstehen, Grundrechtseinschränkungen über Verordnungen zum Infektionsschutzgesetz seien nicht der Rede wert.
Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass wir jüngst auch wieder neue Lockerungen beschlossen haben, und möchte auch noch eine Lanze an dieser Stelle brechen für den Föderalismus. Der Föderalismus hat dazu geführt, dass wir zwar in vielen Bundesländern sehr abweichende Regelungen vorfinden und getroffen haben, aber der Föderalismus hat auch dazu geführt, dass regionale Unterschiede beachtet worden sind. Und wenn es zunächst einen Wettlauf gab, wer am meisten verschärft, und jetzt, wer am schnellsten lockert, dann ist zumindest der Föderalismus in einem Punkt nicht zu kritisieren, nämlich, dass er nicht träge ist.
Ich möchte zusätzlich gern auch darauf zu sprechen kommen, dass bitte niemand so tun möge beim Thema Freiheitseinschränkung, dass wir in Deutschland Maßnahmen getroffen haben, die vergleichbar über das Maß aller anderen Länder hinausgehen. Schweden habe ich angesprochen, ich glaube, das ist nicht der richtige Weg, aber wenn wir Länder sehen wie Frankreich und Italien, die viel restriktiver vorgegangen sind, dann, glaube ich, gehört das zur Ehrlichkeit immer wieder dazu, dies in unseren Betrachtungen auch zu sagen.
Und die Grundrechtseingriffe in Deutschland, glaube ich, sind nicht so weit gegangen wie in diesen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich und Italien.
Und damit komme ich zum letzten und kompliziertesten Teil, den Regelungen zur sozialen Distanz. Abstand zu halten, rettet Leben. So richtig dieser Befund auch ist, so sehr berührt er den Kern unseres Gemeinwesens. Konzerte, Fankultur im Fußballstadion, Volksfeste oder auch Discobesuche gehören ebenso zu Deutschland wie der Schulbesuch, Familienfeiern oder die Skatrunde nach Feierabend. Politisch habe ich mich deswegen in den kommenden Wochen, oder politisch setze ich für die CDU-Fraktion auch in den kommenden Wochen deshalb die Themen „Schule“, „Kita“ und auch „Alten- und Pflegeheime“. Diese Themen haben für uns Priorität. Familien mit Kindern, in denen beide Eltern berufstätig sind und nicht in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten, haben derzeit die Hauptlast der Pandemie zu tragen. Nicht nur, dass sie zum Teil empfindliche Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, sie kompensieren auch noch den Ausfall unseres Schulsystems. Wir sind den Eltern schlichtweg etwas schuldig, und deswegen erwarte ich, dass wir in den kommenden Tagen und Wochen uns voll politisch in den Dienst der Eltern stellen.
Die zweite große Gruppe, die erheblich unter der Pandemie leidet, sind die Seniorinnen und Senioren in Alten- und Pflegeheimen. Sie haben ihre Angehörigen zum Teil seit Monaten nicht gesehen und leben aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation auch noch in besonderer Isolation. Erste Lockerungen ab dem 11. Mai sind ein notwendiger Schritt und bedürfen dringend einer erweiterten Handhabe, die Infektionsschutz und Menschlichkeit vereint.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die großen Seuchen, die über die Menschheit gekommen sind, haben auch immer als Katalysator für Neues gedient. So gibt es durchaus die Theorie, dass die große Pestpandemie, bekannt als der Schwarze Tod, die Ablösung des Mittelalters durch die Renaissance begünstigt hat. Mit Vergleichen an dieser Stelle, das weiß ich selbst, sollte man vorsichtig sein, aber trotzdem, das Virus führt uns vor Augen, an welchen Stellen wir nicht so weitermachen können wie bisher, was durchaus auch nicht zum Schaden sein muss.